Bioökonomie: Politikoptionen für nachhaltige Entwicklung und Ernährungssysteme
Stärker kreislauforientierte und biobasierte Volkswirtschaften tragen zum Ende der fossilen Ära bei, bekämpfen den Klimawandel und nutzen Ressourcen effizienter – zum Wohl von Wachstum, Innovation und Ernährungssicherheit.
Definition der Bioökonomie: Die Bioökonomie umfasst die Produktion, Nutzung und Regeneration biologischer Ressourcen sowie die Integration wissenschaftlicher Innovation zur Förderung der Nachhaltigkeit in allen Sektoren. Ihre dynamische Natur passt sich den sich entwickelnden wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen an [1].
Resilienz durch nachhaltige Bioökonomie
Die Ziele für nachhaltige Entwicklung müssen überarbeitet werden, um sie in einem ambitionierten, aber realistischen Zeitrahmen tatsächlich zu erreichen. Insbesondere die Ziele, extreme Armut (SDG1) und Hunger (SDG2) bis 2030 zu beenden, sind in weite Ferne gerückt. Die Kombination einer nachhaltigen Agenda für Einkommenswachstum mit humanitärem Handeln erfordert Investitionen in Resilienz. Um Resilienz zu erreichen, sind im Wesentlichen drei Maßnahmen erforderlich:
1. Ein Abflachen der Erwärmungskurve
2. Eine Anpassung an den Klimawandel mit Fokus auf Menschen, Infrastrukturen, Ernährungs- und Gesundheitssysteme
3. Eine Transformation der Wirtschaftssysteme
Natürlich sind diese drei Aktionsbereiche für Resilienz miteinander verbunden. In diesem Artikel liegt der Fokus jedoch auf dem dritten Bereich, der Transformation desr Wirtschaftssysteme, über die viel gesprochen wird – oft jedoch nur allgemein. Was ist also das Endziel dieser Transformation? Es ist die Verlagerung hin zu stärker kreislauforientierten, biobasierten Volkswirtschaften – der Bioökonomie. Die Bioökonomie bietet Lösungen zur Reduzierung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Verbesserung der Ressourceneffizienz, was zu Wirtschaftswachstum, Innovation und Ernährungssicherheit beiträgt. Die Bioökonomie ist kein Wirtschaftszweig, sondern verändert in unterschiedlichem Maße Sektoren und damit ganze Volkswirtschaften.
Der globale Trend zur Bioökonomie
Gibt es Anzeichen dafür, dass ein solcher Wandel tatsächlich stattfindet? Ja, in den letzten zehn Jahren haben sich Bioökonomie-Strategien weltweit überraschend schnell durchgesetzt (siehe die Karte mit den Entwicklungen 2020-2024). Mehr als 60 Länder haben Bioökonomie-Strategien ins Leben gerufen, und viele von ihnen sind nicht nur Pfade in Worten, sondern sind konkret und verfügen über beträchtliche finanzielle Ausstattung. Darüber hinaus werden auf regionaler oder lokaler Ebene Bioökonomie-Strategien definiert und umgesetzt.
Quelle: Dietz et. al, 2024. https://www.iacgb.net/GLOBAL
Dieser Trend, der von der Entwicklungspolitik und entwicklungsorientierten zivilgesellschaftlichen Organisationen bisher nicht ausreichend Beachtung fand, wird auch von Schwellenländern in Afrika, Lateinamerika und Asien aufgegriffen. Da viele Schwellenländer relativ große Lebensmittel- und Landwirtschaftssektoren haben und auch mit Problemen der Ernährungs- und Nahrungsmittelsicherheit konfrontiert sind, stellt sich die Frage, wie sich die Bioökonomie zu Ernährungssystemen verhält und ob sie die Nachhaltigkeit in Ernährungssystemen fördert oder behindert (1).
Wie bioökonomische politische Programme entstehen
Bemerkenswerte politische Trends der letzten Jahre (2020-2024) sind: Nationen erkennen zunehmend die Bioökonomie als Eckpfeiler der Nachhaltigkeit an. Insbesondere Schwellenländer betonen die Anpassung von Technologien an lokale Bedürfnisse, um wirtschaftliche und soziale Herausforderungen anzugehen. Weitere Details zu diesen Trends sind (2):
- Die Bioökonomie wird zunehmend als Schlüsselfaktor und Lösungsanbieter für globale Nachhaltigkeitsherausforderungen in verschiedenen Sektoren und gesellschaftlichen Dimensionen gesehen.
- Entwicklungs- und Schwellenländer engagieren sich zunehmend und versuchen durch ihre Bioökonomie-Strategien, bestehende Technologien (z.B. Bioraffinerien) an lokale Bedingungen anzupassen.
- Die internationale und multilaterale Zusammenarbeit wird in vielen Bioökonomie-Strategien als wesentlicher Baustein angesehen. Folglich haben multilaterale Organisationen ihr Engagement in und für die Bioökonomie intensiviert. Unter der Führung Indiens lenkte die Gruppe der 20 (G20) 2023 die Aufmerksamkeit auf die Bioökonomie, und 2024 setzte Brasilien die Bioökonomie noch prominenter auf die Agenda der G20. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) nahm die Bioökonomie in ihre jüngste Wissenschaftsstrategie auf.
- Dass sich die Bioökonomie Richtung Süden bewegt, zeigt der jüngste Global Bioeconomy Summit, der im Oktober 2024 in Nairobi, Kenia, stattfand. Zum ersten Mal wurde er nicht in Deutschland, sondern in Afrika abgehalten (1).
Die Ausrichtung der Bioökonomie-Strategien hat sich geändert. So konzentrieren sich die jüngsten Politiken und Strategien darauf, Synergien zu fördern und Zielkonflikte zwischen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Belangen zu minimieren und dabei gleichzeitig die Pariser Klimaziele und die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) zu berücksichtigen. Die Dokumente der Regierungen zu den Strategien stimmen in Bezug auf die grundlegenden Ziele überein, die durch den Ausbau der Bioökonomie erreicht werden sollen: einen Beitrag leisten zur Klimaneutralität, zur Lebensmittel- und Ernährungssicherheit, zur verbesserten Gesundheit, zum Wirtschaftswachstum und zu anderen Zielen, die mit der nachhaltigen Entwicklung in Einklang stehen.
Um potenzielle regionale Versorgungsengpässe bei Biomasse auszugleichen und eine nachhaltige Entwicklung zu begünstigen, fördert die Bioökonomie fortschrittliche Kreislaufmodelle. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Optimierung der Ressourcen, dem Recycling, der Nutzung von Abfällen und Reststoffen und dem nachhaltigen Verbrauch sowie auf der Steigerung der Biomasseproduktivität (z. B. in der Land- und Forstwirtschaft und der blauen Bioökonomie). Diese Initiativen werden durch Biotechnologie, Präzisionslandwirtschaft und andere innovative Produktionstechnologien vorangetrieben. Aspekte der biologischen Sicherheit und der biologischen Unbedenklichkeit spielen in der globalen Bioökonomiepolitik eine immer größere Rolle.
Darüber hinaus unterstreichen die Strategien den Bedarf an (neu) qualifizierten Arbeitskräften in den aufstrebenden und innovativen Sektoren der Bioökonomie, einschließlich der Entwicklung technischer und beruflicher Bildungs- und Ausbildungsprogramme (TVET). Es werden spezifische Programme zum Aufbau von Kapazitäten vorgeschlagen, um den Menschen die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, damit sie einen wirksamen Beitrag zur Bioökonomie leisten können. In den Bioökonomie-Strategien liegt der Akzent zunehmend auch auf der Wissenschaft, und zwar angepasst an den jeweiligen Kontext. Die Rolle von neuem und traditionellem Wissen, von Wissenschaft und Innovation als Motor der Bioökonomie wird in den neuen Strategien umfassend betont.
Vielfalt in der globalen Bioökonomie
Die Logik und die Herausforderungen der Bioökonomie sind im globalen Süden anders als im Norden. Viele entwickelte Volkswirtschaften („globaler Norden“) haben die Bioökonomie als Schlüssel zur Nachhaltigkeit und zum Schutz der Umwelt erkannt, während die meisten Schwellenländer („globaler Süden“) die Bioökonomie als Schlüssel zur Sicherung von Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen, Ernährung, Gesundheit und Umweltschutz betrachten. Die Entwicklung der Bioökonomie sollte den aufstrebenden Regionen helfen, die Fallstricke einer fossilen Wirtschaft zu vermeiden. Letztendlich müssen sowohl der globale Norden als auch der Süden eine nachhaltige Bioökonomie anstreben, die universell ist, und eine Wirtschaft betreiben, die sich von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen ebenso löst wie von schädlichen Politiken und Praktiken und vielen gängigen Verhaltensweisen im globalen Handel. Ein Blick auf die Bioökonomie-Strategien in der ganzen Welt zeigt eine beträchtliche Vielfalt an Zielen und Prioritäten, die auf die unterschiedlichen Ökologien, wissenschaftlichen Kapazitäten und die jeweilige Nachfrage zurückzuführen ist (3).
So scheinen in den neuen Strategien Chinas und der Vereinigten Staaten Produktivitätsfortschritte in der landwirtschaftlichen Biotechnologie eine größere Rolle zu spielen, während die Strategien in der Europäischen Union (EU) vergleichsweise mehr Gewicht auf die Entwicklung von Kreislaufwirtschaftsmodellen legen. Die Rolle der Artenvielfalt wird bei der Ausarbeitung eines sozio-biodiversitären Bioökonomie"-Konzepts in den jüngsten und aktuellen politischen Ausführungen hervorgehoben. Dieses Konzept betont den Schutz des Amazonasgebiets und die nachhaltige Nutzung der Artenvielfalt und ihrer Bestandteile zur wirtschaftlichen und sozialen Absicherung der lokalen Gemeinschaften. Die Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Veredelung von Primärgütern und die Anbindung von Landwirten an Wertschöpfungsketten und neue Märkte sind Kernziele der Bioökonomie-Strategien in Ostafrika.
Biodiversität und Ökosystemleistungen werden in den Bioökonomie-Strategien in Lateinamerika und der Karibik (LAC) hervorgehoben. Vor allem Brasilien hat mit der „Bioökonomie der Sozio-Biodiversität“ als Teil der forstwirtschaftlichen Bioökonomie und des Schutzes des Amazonasgebiets sowie der wirtschaftlichen und sozialen Unterstützung der lokalen Gemeinschaften eine neue Perspektive entwickelt. Ein bemerkenswerter Trend ist die Integration der künstlichen Intelligenz (KI) in alle Bereiche der Bioökonomie, mit besonderem Schwerpunkt auf Mikrobiologie, Enzymologie und synthetischer Biologie, was auf die Entstehung innovativer Formen der Biotechnologie, des Bioengineerings und der Bioproduktion abzielt.
Der Weg nach vorn mit Investitionen und Politiken
Die Wahrung der planetaren Grenzen als Leitprinzip der Bioökonomie bedeutet, dass die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen durch eine gesunde Umwelt (Luft, Wasser, Boden) geschützt oder wiederhergestellt werden muss. Saubere Luft, sauberes Wasser, nachhaltige Nahrungsmittelversorgung, biologische Vielfalt und ein widerstandsfähiges Klima sind in unserer industrialisierten Welt durch die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen gefährdet. Wir sind heute mit dem Klimawandel, dem wachsenden Druck auf natürliche Ökosysteme, veränderten Flächennutzungsmustern, der Intensivierung der Landwirtschaft und dem Verlust der biologischen Vielfalt konfrontiert, die größtenteils Folge unhaltbarer anthropogener Tätigkeiten sind. Es ist allgemein anerkannt, dass es für die sozioökonomische Entwicklung und das Wohlergehen der Menschheit wichtig ist, die Funktionsfähigkeit der Ökosysteme wiederherzustellen und den weltweiten Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen und umzukehren.
Eine Bioökonomie, die das Ernährungssystem verbessert, trägt zur Ernährungs- und Nahrungsmittelsicherheit bei. Bioökonomie und Ernährung sind Systemkonzepte. Ausreichende und hochwertige Nahrung bleiben übergeordnete Ziele in den Bioökonomie-Strategien der Schwellenländer. Investitionen in die ernährungsorientierte Bioökonomie müssen dazu beitragen, das Problem zu überwinden, dass fast 50 Prozent der Weltbevölkerung keinen Zugang zu einer gesunden Ernährung haben, oder sich diese nicht leisten können. Die Nahrungsversorgung wird durch Hitzewellen, Überschwemmungen, Dürreperioden und globale Konflikte gestört.
Indigene Gemeinschaften und traditionelles Know-how müssen anerkannt und einbezogen werden. Traditionelles Wissen stand bisher nicht im Mittelpunkt der Bioökonomie, aber es bietet eine Fülle von Möglichkeiten für die Entwicklung im Sinne der Grundsätze der Bioökonomie. Sie bietet ein integratives und nachhaltiges Modell für indigene Völker, Gemeinschaften und Kleinbauern, um ihre Lebensgrundlagen klimafreundlich auszurichten.
Junge Menschen müssen gehört werden. Bildung ist ein Schlüsselfaktor für wirtschaftlichen Wohlstand und Wohlergehen. Ausbildung, Bildung und Kommunikation sind die wichtigsten Voraussetzungen für eine inklusive Bioökonomie. Das Umweltbewusstsein ist bei der Jugend weit verbreitet und setzt auf Technologietransfer. Bioökonomie-Konzepte und -Aktivitäten sollten in alle Bildungsstufen einbezogen werden, um die Jugendbeteiligung zu stärken und künftige Veränderungen voranzutreiben.
Die Politik sollte regionale und lokale Initiativen fördern und in sie investieren, damit sie wachsen und sich mit der globalen Bioökonomie verbinden können. Bottom-up-Initiativen prägen lokale Bioökonomie-Innovationen und verändern ländliche und industrialisierte Regionen auf der ganzen Welt. Bioökonomie schafft Arbeitsplätze in ländlichen Gebieten, indem sie Landwirte mit neuen Märkten verbindet, lokale Bioproduktion ermöglicht und biobasierten Erzeugnissen einen Mehrwert verleiht, während sie gleichzeitig Lösungen zur Stärkung der Resilienz der lokalen und regionalen Lebensmittelversorgung bietet.
Im Interesse der planetaren und lokalen Widerstandsfähigkeit muss die Bioökonomie zu einem integralen Bestandteil der Rahmenwerke für nachhaltige Entwicklungsziele und der Wirtschaftsstrategien weltweit werden. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Bioökonomie Bestandteil der Agenden für Klimawandel, biologische Vielfalt und Ernährungssysteme ist, wie auf den Gipfeltreffen der Vereinten Nationen und in den Berichten des IPCC dargelegt. Es sollte eine globale Bioökonomie-Partnerschaft eingerichtet werden, die bestehende Initiativen zusammenführt.
Außerdem müssen Normen und Vorschriften entwickelt werden, die den Marktzugang für Innovationen der Bioökonomie ermöglichen. Nachhaltigkeitsmetriken können als Messinstrument dienen, um zu überwachen, wie die Unternehmen der Bioökonomie und die Lieferketten zur Verringerung der Kohlenstoffemissionen, zur Gewährleistung der Wassersicherheit (Versorgung und Qualität), zur Bodensicherheit (Verringerung der Bodendegradation), zur Förderung der Regeneration und zur Erhaltung gesunder terrestrischer und mariner Ökosysteme und der biologischen Vielfalt in großem Maßstab beitragen und zugleich die Bioökonomie vorantreiben.
Joachim von Braun ist Professor (em.) am Center for Development Research, Universität Bonn, Vizepräsident der Welthungerhilfe und Mitglied im International Advisory Council on Global Bioeconomy (IACGB) sowie im High-level Advisory Board des UN-Ernährungssystemgipfels.
Referenzen:
(1) One Planet – Sustainable Bioeconomy solutions for global challenges. Communique of IACGB, Global Bioeconomy Summit 2024, Nairobi https://gbs2024.org/wp-content/uploads/2024/10/IACGB-Communique-24October2024.pdf
(2) Bioeconomy globalization: Recent trends and drivers of national programs and policies. 2024. Thomas Dietz, et. al. A report by the International Advisory Council on Global Bioeconomy (IACGB) April 2024 https://www.iacgb.net/lw_resource/datapool/systemfiles/elements/files/52440fb0-f35d-11ee-9ed1-dead53a91d31/current/document/Global_Bioeconomy_-_April_2024_IACGB.pdf
(3) von Braun, J., Exogenous and endogenous drivers of bioeconomy and science diplomacy. EFB Bioeconomy Journal. Volume 2, November 2022, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2667041022000076