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  • Klima & Ressourcen
  • 04/2023
  • Nicholas Sitko, Marco Knowles, Garima Bhalla

Sollen Klimamittel in soziale Sicherungsnetze fließen?

Wenn Finanzhilfen zur Bewältigung des Klimawandels stärker für den sozialen Schutz von ländlichen Gemeinschaften verwendet werden, erleichtert das eine gerechtere Anpassung – und stärkt am Ende den Klimaschutz.

Reispflanzen reagieren besonders empfindlich auf klimatische Veränderungen. Das bedroht die Ernährungssicherheit der Menschen in Nepal. © Bhandari R. / ILO

Steigende Temperaturen und immer häufigere und intensivere Wetterereignisse aufgrund des Klimawandels machen es zunehmend schwieriger, die nachhaltigen Entwicklungsziele  (SDGs) zu erreichen. Die Bevölkerung in ländlichen Regionen – viele von ihnen Kleinbauern  – ist besonders vom Klimawandel betroffen: aufgrund ihrer Abhängigkeit von natürlichen Ressourcen, ihrer Armut, ihrem begrenztem Zugang zu Dienstleistungen und Ressourcen sowie fehlender Infrastruktur.

Kleinbauern sind aber auch ein wichtiger Teil der Lösung von Klimaproblemen. Sie zählen zwar nicht zu den großen globalen Emittenten, sind aber Hüter der wichtigsten natürlichen Ökosysteme der Welt. Die Klimafinanzierung berücksichtigt dies paradoxerweise kaum: Obwohl Kleinbauern zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Gruppen gehören und eine wichtige Rolle bei der Reduzierung der Emissionen spielen könnten, entfallen auf sie nur 1,7 Prozent der Klimafinanzierung.

Soziale Sicherung zielt darauf ab, soziale und wirtschaftliche Risiken und Not zu verringern und extreme Armut und Entbehrungen zu lindern. Sozialer Schutz kann katalysierend wirken, wenn es darum geht, die ländliche Bevölkerung dabei zu unterstützen, vom Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel zu profitieren und sich daran aktiv zu beteiligen. In vielen Ländern allerdings gibt es kaum soziale Schutzschirme. In Staaten mit niedrigem Einkommen haben beispielsweise rund 80 Prozent der ärmsten ländlichen Haushalte keinen Zugang zu sozialen Sicherungssystemen. Es ist zudem problematisch, dass die Länder, die der Klimawandel am stärksten trifft, am geringsten sozial abgesichert sind.

Deshalb ist es wichtig, mittels der Klimafinanzierung die soziale Sicherung auf die ländliche Bevölkerung auszuweiten, um so Fortschritte bei der Anpassung an den Klimawandel und beim Klimaschutz zu erzielen. Dies kann helfen, eine integrativere, gerechtere und wirksamere Antwort auf die Klimakrise zu finden.

Klimaanpassung ist für Kleinbauern kostspielig und riskant

Die Anpassung an den Klimawandel ist teuer und mit erheblichen Risiken verbunden. Die arme Landbevölkerung kann sich diese Kosten oft nicht leisten und nimmt deshalb nur bedingt an Klimaanpassungsmaßnahmen teil. Es sind meistens nur die wohlhabenderen Bauern, die die Vorlaufkosten bezahlen und die vielen Risiken bewältigen können.

Arme Bauern dagegen haben kaum Zugang zu Krediten, Versicherungen und einfachen Dienstleistungen. Sie haben ständig die Kosten ihres täglichen Lebensunterhalts im Blick, für langfristige Investitionen fehlt ihnen dagegen das Geld. Um sich eine Mahlzeit am Tag leisten zu können, sind viele beispielsweise gezwungen, darauf zu verzichten, ihre Kinder zur Schule zu schicken; oder sie müssen Bäume fällen, um Brennholz zu gewinnen, anstatt die Wälder für den Schutz ihrer Böden zu erhalten. Solche Entscheidungen treiben Menschen in die Armutsfalle und machen sie anfälliger für zukünftige Klimarisiken.  

In einer Schulklasse in Malawi wird die ILO-Kampagne und der nationale Aktionsplan gegen Kinderarbeit thematisiert. © Marcel Crozet / ILO

Treibhausgasemissionen (THG) zu verringern kann sich negativ auf das Wohlergehen der Landwirte auswirken. Klimaschutzmaßnahmen, wie Wälder und Ökosysteme zu schützen, den Einsatz von Düngemitteln zu verringern und Biokraftstoffe zu erzeugen, können die landwirtschaftliche Produktion verringern und zu Einkommensverlusten führen (Hasegawa et al., 2018). Somit besteht die Gefahr, dass der Klimawandel und seine Bekämpfung soziale Ungleichheiten, Armut und Ernährungsunsicherheit in den ländlichen Regionen weiter verschärfen.

Mit sozialer Sicherung dagegen können Kleinbauern ihre Einkommen diversifizieren, sparen und in neue Technik investieren, um sich besser an den Klimawandel anzupassen. Die Forschung zeigt, dass soziale Sicherungsprogramme, die der Landbevölkerung stabile Einkünfte bieten, Hindernisse für die Anpassung an den Klimawandel abbauen und ländliche Gemeinschaften insgesamt widerstandsfähiger gegen künftige Klimaschocks machen.

Dies geschieht auf unterschiedliche Art und Weise. So kaufen Menschen in ländlichen Regionen, unterstützt von sozialen Sicherungsprogrammen, vermehrt neue Technik und Betriebsmittel, wie etwa verbessertes Saatgut. In Sambia zum Beispiel haben Empfänger von sozialen Geldtransfers ihre Ausgaben für landwirtschaftliche Betriebsmittel um rund 240 Prozent erhöht (Handa et al. 2018). Auch in Lesotho stiegen durch Bargeldtransfers die Ausgaben für Saatgut um 70 Prozent und für Düngemittel um rund 85 Prozent an (Daidone et al. 2021).

Einkommensquellen zu diversifizieren kann außerdem helfen, in Zeiten von Unwetterschocks Einkommen und Konsum zu stabilisieren. Dies gilt besonders für wetterabhängige Kleinbauern. In Sambia und Malawi konnten beispielsweise die Empfänger von Kinder- und Sozialgeld ihre Beteiligung an nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeiten um 17 bzw. 12 Prozentpunkte steigern (Handa et al. 2018; de Hoop et al. 2020). In Äthiopien ist die Wahrscheinlichkeit, dass Nutznießer des Productive Safety Net Program ein außerlandwirtschaftliches Unternehmen gründen, um rund sieben Prozentpunkte höher als in Vergleichsgruppen (Gilligan et al., 2009).

Es kann allerdings viele Jahre dauern, bis eine klimaangepasste Landwirtschaft Früchte trägt. Die Vorteile sind oft erst in Krisenzeiten sichtbar. Vielen Kleinbauern fehlen aber leider die Mittel, um rechtzeitig Klimaschutz und -anpassung zu betreiben. Soziale Schutzprogrammen können helfen, diese Hindernisse zu überwinden, wie das Beispiel Malawi zeigt: Über die Teilnahme am Social Action Fund, einem öffentlichen Beschäftigungsprogramm, haben Kleinbauern beispielsweise vermehrt nachhaltigen Boden- und Wasserschutz betrieben sowie organische Düngemittel einsetzen können. Ohne diesen Zugang hätten sie die Kosten der Anpassungsmaßnahmen kaum bezahlen und die mit der Einführung technischer Mittel verbundenen finanziellen Risiken nicht bewältigen können (Scognamillo und Sitko 2021).

Soziale Sicherungsprogramme wirken sich auch positiv auf die Vermögensbildung und das Sparen und aus. Das gilt unter anderem für Herden und Viehbestände, die in Krisenzeiten als Puffer dienen können, besonders wenn Tiere bei extremen Wetterereignissen widerstandsfähiger sind als Pflanzen. Auch schafft der Verkauf von Milch und Fleisch Einkommen und ist ernährungssichernd. Nur ein Beispiel: In Niger haben Empfänger des staatlich geführten Cash-Plus-Programms ihren Viehbestand um rund 55 Prozent gegenüber der Vergleichsgruppe erhöhen können (Bossuroy et al., 2022). Was die Ersparnisse betrifft, so zeigen eine Reihe anderer Studien positive Auswirkungen auf die Sparquoten und die Sparbeträge von Sozialschutz-Empfängern (Daidone et al. 2019).

Mit sozialer Sicherung Treibhausgasemissionen verringern

Auch öffentliche Beschäftigungsprogramme können helfen, die Folgen des Klimawandels abzuschwächen und gleichzeitig den Wohlstand und die Anpassungsfähigkeit der ländlichen Bevölkerung an den Klimawandel erhöhen. Mit öffentlichen Arbeitsprogrammen haben beispielsweise Äthiopien und Indien großflächig die Bodenerhaltung, den Ausbau von Bewässerungssystemen, Wiederaufforstung und den Bau von Straßen und Getreidespeichern gefördert. Studien aus Äthiopien zeigen, dass der Baumbestand dort mit öffentlichen Arbeiten um 3,8 Prozent gewachsen ist. Damit wurden Kohlenstoffe in Höhe von 1,5 Prozent der von Äthiopien bis 2030 zugesagten jährlichen Emissionsreduzierung gebunden (Hirvonen et. al 2022).  

Einige soziale Sicherungsprogramme zahlen unter der Bedingung, dass die Teilnehmer Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel betreiben. So bietet das paraguayische Programm für Armut, Aufforstung, Energie und Klimawandel (PROEZA) den Haushalten, die an Tekoporã, dem wichtigsten sozialen Sicherungsprogramm des Landes, teilnehmen, technische Unterstützung und zusätzliches Bargeld an, wenn sie nachhaltig Agro-Forstwirtschaft betreiben. In Brasilien erhalten die Empfänger des Sozialprogramms Bolsa Familia Geld als Gegenleistung dafür, Wälder zu schützen oder wieder aufzuforsten, Wasserquellen zu bewahren und nachhaltige Landwirtschaft zu fördern (Bolsa Verde).

Setzlinge für die Aufforstung in Lateinamerika. Sozialprogramme können mit ökologischen Zielen verbunden werden. © FAO/Max Valencia

Es ist aber auch klar, dass mit sozialer Sicherung allein der Klimawandel nicht zu bekämpfen ist. Erforderlich sind vielmehr auch Daten und Informationen über Klimarisiken, Schulungen zu Anpassungsmethoden und Praktiken sowie funktionierende Märkte für landwirtschaftliche Betriebsmittel (z.B. Saatgut, Dünger und Werkzeuge) und Arbeitskräfte,  um Kleinbauern klimaresistenter zu machen.

Soziale Sicherung sollte über Nothilfe hinausgehen

Der globale klimapolitische Diskurs erkennt inzwischen zunehmend die wichtige Rolle von sozialer Sicherung an, um die negativen Folgen des Klimawandels zu bewältigen. Der sechste Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) etwa erwähnt soziale Sicherheit rund 100 Mal und damit doppelt so oft wie der vorherige Bericht. Auf nationaler Ebene ist das Bild jedoch düsterer, denn nur wenige Länder berücksichtigen soziale Sicherung in ihren Klimaanpassungsstrategien und -plänen.

Darüber hinaus wird soziale Sicherung global weitgehend als Notinstrument diskutiert, das Haushalten helfen soll, die unmittelbaren Auswirkungen von Klimaschocks wie Dürren und Überschwemmungen zu bewältigen.

Ein Beispiel dafür sind die jüngsten Finanzierungsinitiativen. Der Globale Schutzschild, der die rasche Reaktion der Länder auf Klimakatastrophen finanziell unterstützt, verweist ausdrücklich auf die Rolle sozialer Sicherung als Instrument, "um Haushalten und Unternehmen finanziell schnell zu helfen, damit sie frühzeitig gegen klima- und katastrophenbedingte Verluste vorgehen und darauf reagieren können" (G7, 2022). In ähnlicher Weise scheint sich der Fonds für Verluste und Schäden, auf dessen Einrichtung sich die Länder auf der COP27 (UNFCC, 2022) geeinigt haben, auf die Entschädigung für Verluste und Schäden zu konzentrieren. Die Finanzierung sozialer Sicherung durch diesen Fonds ist daher wahrscheinlich auch auf die unmittelbaren Folgen von Klimaschocks ausgerichtet.

Soziale Sicherungsprogramme im Zusammenhang mit Klimamaßnahmen sollten jedoch über die Nothilfe hinausgehen, insbesondere wenn sie mit gut konzipierten ergänzenden Maßnahmen kombiniert werden. Sie tragen nämlich dazu bei, die Klimaresistenz der ländlichen Bevölkerung zu erhöhen.

Die wichtigsten Klimafinanzierungsfonds wie die Globale Umweltfazilität (GEF) und der Grüne Klimafonds (GCF) bieten Spielraum für die Finanzierung von Sozialschutzmaßnahmen und für grundlegende Investitionen in soziale Sicherungssysteme (GEF, 2022; GCF 2022).  Bislang ist es leider aber noch sehr selten, dass diese Mittel zur Finanzierung von sozialen Sicherungsprogrammen eingesetzt werden. Wir müssen uns daher viel stärker darum bemühen, die Klimafinanzierung dafür zu nutzen, soziale Sicherheit in Klimamaßnahmen zu integrieren, und damit zu inklusiveren, gerechteren und wirksameren Investitionen beizutragen.

Nicholas Sitko FAO, Inclusive Rural Transformation and Gender Equality Division (ESP), Socio-Economic Research and Analysis
Marco Knowles FAO, Inclusive Rural Transformation and Gender Equality Division
Garima Bhalla FAO, Inclusive Rural Transformation and Gender Equality Division (ESP)

Referenzen:

Bossuroy, Thomas, Markus Goldstein, Bassirou Karimou, Dean Karlan, Harounan Kazianga, William Parienté, Patrick Premand, et al. 2022. “Tackling Psychosocial and Capital Constraints to Alleviate Poverty.” Nature 605 (7909): 291–97. https://doi.org/10.1038/s41586-022-04647-8.

Daidone, Silvio, Noemi Pace, and Ervin Prifti. 2021. Evaluation of Lesothos Child Grants Programme (CGP) and​ Sustainable Poverty Reduction through Income, Nutrition and Access to Government Services (SPRINGS) Project. FAO and UNICEF. https://doi.org/10.4060/cb4862en.

G7. (2022). Global Shield against Climate Risks: German G7 Presidency and V20 Concept for Consultation. Berlin and Accra, 21 September 2022. Available here: https://www.bmz.de/resource/blob/127498/global-shield-against-climate-risks-concept-barrierefrei.pdf

Gilligan, Daniel O., John Hoddinott, and Alemayehu Seyoum Taffesse. 2009. “The Impact of Ethiopia’s Productive Safety Net Programme and Its Linkages.” Journal of Development Studies45 (10): 1684–1706. https://doi.org/10.1080/00220380902935907.

GEF. (2022). GEF Programming Strategy on Adaptation to Climate Change for the Least Developed Countries Fund and the Special Climate Change Fund for the GEF-8 period of July 1, 2022, to June 30, 2026 and Operational Improvements. Washington DC. Available here: https://www.thegef.org/sites/default/files/documents/2022-06/EN_GEF.LDCF_.SCCF_.32.04.Rev_.01_GEF%20Programming_Strategy_Adaptation_Climate_Change_LDCF_SCCF_GEF8_July_2022_June%202026_Operational_Improvements.pdf

Handa, Sudhanshu, Frank Otchere, Paul Sirma, and the Evaluation Study Team. 2022. “More Evidence on the Impact of Government Social Protection in Sub‐Saharan Africa: Ghana, Malawi, and Zimbabwe.” Development Policy Review 40 (3). doi.org/10.1111/dpr.12576.

Handa, Sudhanshu, Luisa Natali, David Seidenfeld, Gelson Tembo, and Benjamin Davis. 2018. “Can Unconditional Cash Transfers Raise Long-Term Living Standards? Evidence from Zambia.” Journal of Development Economics 133 (July): 42–65. doi.org/10.1016/j.jdeveco.2018.01.008.

Hasegawa, T., Fujimori, S., Havlík, P., Valin, H., Bodirsky, B. L., Doelman, J. C., ... & Witzke, P. (2018). Risk of increased food insecurity under stringent global climate change mitigation policy. Nature Climate Change8(8), 699-703.

Hirvonen, K., Machado, E. A., Simons, A. M., & Taraz, V. (2022). More than a safety net: Ethiopia’s flagship public works program increases tree cover. Global Environmental Change75, 102549.

Hoop, Jacobus de, Valeria Groppo, and Sudhanshu Handa. 2020. “Cash Transfers, Microentrepreneurial Activity, and Child Work: Evidence from Malawi and Zambia.” The World Bank Economic Review 34 (3): 670–97. https://doi.org/10.1093/wber/lhz004

Scognamillo, Antonio, and Nicholas J. Sitko. 2021. “Leveraging Social Protection to Advance Climate-Smart Agriculture: An Empirical Analysis of the Impacts of Malawi’s Social Action Fund (MASAF) on Farmers’ Adoption Decisions and Welfare Outcomes.” World Development146 (October): 105618. doi.org/10.1016/j.worlddev.2021.105618.

UNFCC. (2022). Funding arrangements for responding to loss and damage associated with the adverse effects of climate change, including a focus on addressing loss and damage. Available here: unfccc.int/documents/624440

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