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  • Klima & Ressourcen
  • 02/2025
  • Ulrich Post

Bevölkerungswachstum: Von der Politik überbewertet und instrumentalisiert

Die Wissenschaftlerin Dana Schmalz beschreibt in ihrem Buch, wie mit dem "Bevölkerungsargument" Politik gemacht wird – und was der Populationsanstieg vermeintlich alles zu verantworten hat.

Niger hat gemäß Weltbevölkerungsbericht eine der höchsten Fertilitätsraten der Welt. Hier ein Screening-Projekt gegen Unterernährung. © Welthungerhilfe

Dana Schmalz: Das Bevölkerungsargument – Wie die Sorge vor zu vielen Menschen die Politik beeinflusst, edition suhrkamp 2025

Im Jahr 2025 leben nach Berechnungen der UN deutlich mehr als acht Milliarden Menschen auf der Erde, so viele wie noch nie zuvor. Doch das Wachstum hat sich auf unter ein Prozent im Jahr verlangsamt und wird sehr wahrscheinlich bis zum Ende des Jahrhunderts weiter sinken, ehe die Weltbevölkerung bei knapp über zehn Milliarden Menschen ihr Maximum erreicht. Danach wird prognostiziert, dass die sinkende Geburtenzahl von einer wachsenden Zahl Sterbefälle überholt wird. Die Weltbevölkerung wird dann nicht nur altern, sondern auch schrumpfen. Eine Folge davon: Begriffe wie „Bevölkerungsexplosion“ oder „Überbevölkerung“ sind immer seltener zu hören oder zu lesen. Dennoch ist die Entwicklung der Weltbevölkerung immer noch für Aufregung gut.

Das musste auch Dana Schmalz erfahren, Wissenschaftlerin am Heidelberger Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Ende 2024 gab sie der „Zeit“ ein Interview zum Thema Weltbevölkerungswachstum, das den Stand der Wissenschaft wiedergab und eine ganze Reihe neuer Aspekte der Politisierung, oder besser der politischen Ausbeutung dieses Wachstums, hinzufügte. Das Interview erschien kurz vor der Veröffentlichung ihres neuen Buches "Das Bevölkerungsargument"  und führte zu mittlerweile über 600 Kommentaren, die z.T. falsche Informationen und Anfeindungen enthielten, oder persönliche Meinungen und Einschätzungen zu Allgemeinwissen erklärten.

In ihrem Buch beschreibt, analysiert und bewertet Dana Schmalz, wie mit dem „Bevölkerungsargument“ Politik gemacht wurde und wird. Ein „Bevölkerungsargument“ ist die Unterstellung, dass soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Probleme auf ein zu hohes Bevölkerungswachstum zurückzuführen sind. Schmalz orientiert sich in ihrer Untersuchung am Respekt vor der Selbstbestimmung von Menschen, an Menschenwürde und -rechten sowie an der Forderung nach mehr globaler Gerechtigkeit.

Viele der Sorgen und Ängste, die Menschen im Globalen Norden mit der wachsenden Weltbevölkerung im Globalen Süden umtreiben, führt Schmalz auf den Pfarrer und Ökonomen Thomas Malthus zurück. Der veröffentlichte im 18.Jahrhundert einen Essay, in dem er das Verhältnis von Bevölkerungswachstum und Nahrungsmittelproduktion untersuchte: „Das Bevölkerungsgesetz“. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Nahrungsmittelproduktion deutlich langsamer wachse als die Bevölkerung – mit der Folge von Hunger. Um die Ernährungslücke dauerhaft zu bekämpfen, komme es weniger auf Verbesserungen in der Produktion an, sondern mehr auf Einschränkungen bei der Bevölkerungsentwicklung.

Diese These beeinflusste die Bevölkerungspolitik und die Diskussion um sie viele Jahre. Stellenweise führte dies auch zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen, z.B. Zwangssterilisationen an Frauen in Peru oder im Zuge von Sterilisationskampagnen in Indien, Kanada oder der Tschechoslowakei. Auch Chinas Ein-Kind-Politik, die teilweise brutal umgesetzt wurde, war eine ehebliche Verletzung der reproduktiven Selbstbestimmung.

Das Argument, das hohe Bevölkerungswachstum in vielen Ländern sei die entscheidende Ursache für Armut und andere soziale Probleme, bekam nach der Dekolonialisierung in den 1960er und 1970er Jahren erheblichen Auftrieb, weil das Wachstum in den nun unabhängigen Ländern des Globalen Südens besonders hoch war. Zunehmend unterstützten internationale Programme eine Schwerpunktsetzung auf Familienplanung in vielen Ländern und sogar die Sterilisationskampagne in Indien. Die Ford Foundation beriet die ghanaische Regierung bei einem im Land umstrittenen Familienplanungsprogramm, USAID verband seine Unterstützung für Ägypten mit der Auflage, entschiedener die Geburtenrate zu senken.

Exemplarisch für die westliche Haltung zum Bevölkerungswachstum war Paul Ehrlichs 1968 erschienenes Buch „Die Bevölkerungsbombe“. Ehrlich sagte voraus, dass ungefähr zwischen 1970 und 1980 Hungersnöte in der Welt auftreten würden, da die Überbevölkerung die Ressourcen zu stark belaste, und bezeichnete es beispielsweise als Fantasie, dass Indien sich jemals selbst ernähren könne.

Demographische Entwicklung als "Sündenbock"

Heute werden im Kontext einer wachsenden Weltbevölkerung neben Hunger noch weitere soziale, ökologische und gesellschaftliche Folgen benannt: Ressourcenknappheit, zunehmende Migration, wirtschaftliche Probleme, Mängel in der Gesundheitsversorgung und sogar eine Verschärfung des Klimawandels.

Dana Schmalz bewertet es als oft „einseitig“, wie im Zusammenhang mit dem Bevölkerungswachstum argumentiert wird. Auf das Klima etwa wirke sich „vor allem die Lebensweise von Menschen aus und weniger ihre Zahl. Das reichste Prozent der Weltbevölkerung produziert doppelt so viele Emissionen wie die ärmsten fünfzig Prozent.“ Schmalz betrachtet die demographischen Entwicklungen auch als einen Faktor für Armut, Migration und fehlende Nachhaltigkeit – aber eben nur als einen von vielen, dem jedoch häufig die Rolle des „Sündenbocks“ zugewiesen werde. Das aber komme einer Überbewertung dieses einen Faktors gleich.

Gleichwohl blieb diese Rollenzuweisung nicht ohne Wirkung auf politische Prozesse. So wurde Familienplanung in der Entwicklungszusammenarbeit zum wichtigen Instrument in der Bekämpfung von Armut und anderen sozialen Problemen erklärt, während exogene Ursachen – wie z.B. die internationale Handelsordnung, Abhängigkeiten oder wirtschaftliche Ungleichheit – in den Hintergrund rückten. So wurde ein Problem mit vielen Ursachen – wirtschaftlichen, politischen, kulturellen, nationalen und internationalen –  in die individuelle Verantwortlichkeit geschoben.

Heute bestimmt die Angst vor Migration die europäische Debatte über die vergleichsweise hohen Geburtenraten in Afrika. Dabei stammen weltweit nur 14 Prozent der Migrantinnen und Migranten aus afrikanischen Ländern, und die meisten von ihnen wandern in andere afrikanische Länder aus. Von denjenigen, die Afrika verlassen, migrieren 94 Prozent regulär. „Das Bild eines afrikanischen Exodus vor allem irregulärer Migrant:innen, in Richtung Europa entspricht also nicht den aktuellen Zahlen“, so Schmalz.

Dennoch wird man damit rechnen müssen, dass auch in den kommenden Jahren „Bevölkerungsfragen zu einem erheblichen Teil Migrationsfragen“ sein werden, betont Dana Schmalz zu Recht. Dies vor dem Hintergrund, dass in einer ganzen Reihe von Ländern die Bevölkerung ohne Zuwanderung rasant schrumpfen wird, während sie in anderen Ländern ohne Auswanderung noch einige Zeit stark wachsen wird.

Angst vor "zu vielen Menschen"

Das Buch thematisiert die Sorge und die Angst vor „zu vielen Menschen“, die die Politik 250 Jahre lang beeinflusste. Fast immer waren die anderen Menschen gemeint, nicht aber die Gruppe, zu der man selbst gehört. Vielleicht schwindet dieser Einfluss mit dem Ende des Bevölkerungswachstums, das gegen Ende des Jahrhunderts eintreten soll.

Für den Fall, dass es aber anders kommt, und das globale Bevölkerungswachstum weiterhin als Argument für dieses oder jenes Problem wie etwa Migration angeführt wird, beendet Dana Schmalz ihr Buch mit einem eindringlichen Appell – nicht nur an die Politik: “Sofern Bevölkerungspolitik im Sinne einer Steuerung der demographischen Entwicklung stattfindet, dann muss, erstens, reproduktive Freiheit die Basis bilden. Zweitens sollte Bevölkerungspolitik, in diesem Rahmen, als gemeinsame politische Gestaltung mit gleicher Teilhabe verstanden werden. Und drittens dürfen sich demographische Sorgen oder Zielvorstellungen niemals auf den Wert auswirken, der einem Menschen zugemessen wird – der wievielte er oder sie auch in einer Statistik ist.“

Aber eigentlich sollte sich Politik aus ihrer Sicht auf eine Begrenzung der Klimaerwärmung und eine Verringerung der Ungleichheit zwischen den Menschen konzentrieren, vor allem zwischen Nord und Süd. „Leitbild“, so Schmalz, „sollte dabei Verbrauchsgerechtigkeit sein, keine neue Bevölkerungspolitik.“

„Das Bevölkerungsargument“ ist ein Buch, das dringend nötig war, um interessengeleitete politische Äußerungen besser zu erkennen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und ihnen ggfs. widersprechen zu können. Man hätte sich nur gewünscht, dass an manchen Stellen nicht nur exogene Einflussfaktoren in der Debatte zur Bevölkerungspolitik benannt worden wären. Denn auch interne Faktoren spielen eine Rolle dabei, dass noch so viele Menschen unter Hunger, Armut, schlechter Gesundheitsversorgung, mangelndem Respekt vor Menschenrechten o.ä. leiden. Nicht nur die wohlhabenden Länder, sondern auch die Regierungen der Länder, die noch ein starkes Bevölkerungswachstum und massive soziale Probleme haben, müssen ebenfalls deutlich mehr als bisher daran arbeiten, dass die nachwachsende Bevölkerung ein besseres Leben führen kann.  

Alle in der Welternährung geäußerten Ansichten sind die der Autor*innen und spiegeln nicht zwangsläufig die Ansichten oder die Positionen der Welternährungsredaktion oder der Welthungerhilfe wider. 

Prträt: Ulrich Post, Leiter Team Grundsatzfragen.
Ulrich Post Welternährung
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