Kleinfischerei hat das Zeug zu nachhaltigen Ernährungssystemen
Oft übersehen aber entscheidend: Nicht alle Fischer sind eine Gefahr für einen gesunden und natürlichen Zustand der Meere.
Der Fischereisektor spielt eine wichtige Rolle in globalen wie lokalen Ernährungssystemen und für die Wirtschaft vieler Küstenregionen. Aber Überfischung und andere destruktive Praktiken bedrohen die Biodiversität der Meere und Küsten. Man denke an große industrielle Trawler, die mit ihren Schleppnetzen den Meeresboden zerstören und in Minuten tonnenweise Fisch und Beifang einsammeln.
Doch welche Risiken der Fischereisektor und seine Praktiken bergen, hängt davon ab, wie sein Management, seine Umwelt- und sozialen Standards aussehen. Eine Rolle spielt auch, ob die Küstenanrainer ein Mitspracherecht haben. Nicht alle Fischer sind eine Gefahr für einen natürlichen Zustand der Meere, sie können auch als stolze Bewahrer der Ozeane agieren und deren gesunden Zustand für die Menschen und den Planeten wiederherstellen und schützen. Ein Paradebeispiel für dieses Potenzial findet man in einem oft übersehenen, aber entscheidenden Sektor – der Kleinfischerei.
Handwerkliche und Kleinfischerei spielen weltweit eine entscheidende Rolle für die Ernährungssicherheit und den Lebensunterhalt. Der FAO zufolge „liefert Fisch mehr als 20 Prozent der Pro-Kopf-Proteinversorgung für 3 Milliarden Menschen (in einigen weniger entwickelten Ländern mehr als 50 Prozent) und ist besonders in ländlichen Regionen eine wesentliche Nahrungsquelle, da die Ernährung dort weniger diversifiziert und die Ernährungssicherheit weniger gegeben ist“. Etwa zwei Drittel des durch Kleinfischerei gefangenen Fischs dient unmittelbar dem lokalen Verzehr.
Die Kleinfischerei ist wie die am Meer lebende Bevölkerung unmittelbar abhängig von gesunden Ökosystemen der Küstenregionen. Diese Fischer gehen küstennah oder in den Territorialgewässern auf Fang. Dort finden sich 83 Prozent der weltweiten Korallenriffe. Es sind die Orte für die Brut und Aufzucht der Meeresfauna. Mangrovenwälder und Seegraswiesen gedeihen nur dort. Sie bringen in gesunden Küstengebieten Nutzen als Kohlendioxidspeicher und schützen vor dem Klimawandel, weil sie Sturmfluten auffangen und Küstenerosion verhindern.
Daher ist es für den Lebensunterhalt und die Ernährung der Menschen entscheidend, diese Meeresgebiete zu schützen und nachhaltig zu bewirtschaften. Effektives und nachhaltiges Naturmanagement und angemessene Fischerei-Praktiken lohnen sich in mehrfacher Hinsicht: zum besseren Schutz der Biodiversität, für höhere Resilienz gegen Klimawandel, zur Wahrung der Einkommen und zur Ernährungssicherheit.
Wenn soviel von der Gesundheit der Bestände und der Nachhaltigkeit der Küstenfischerei abhängt, kommt den sozialen Entscheidungen der Fischer und den Bewirtschaftungsmethoden der Küstenbevölkerung große Bedeutung zu. Aber mehr als ein Drittel der Meeresbestände sind überfischt. Daran trägt auch die Kleinfischerei in Entwicklungsländern eine Mitverantwortung. Armut, sozioökonomische Unsicherheit und erhöhte Risiken aus dem Klimawandel führen dazu, dass Menschen auf zerstörerische Methoden wie den Fang mit Dynamit oder Zyanid und auf illegale Fischerei zurückgreifen. Das erzeugt eine teuflische Abwärtsspirale für Mensch und Natur.
Örtliche Gemeinschaften sind Kern der Lösung
Was ist also nötig, damit Frauen und Männer in der Fischerei ihre prekäre Lage hinter sich lassen können und zu Agenten des Wandels werden? Unsere Organisation Rare beschäftigt sich seit 40 Jahren mit dem Zusammenhang von nachhaltiger Entwicklung, Umweltschutz und sozialen Verhaltensweisen und rückt lokale Gemeinschaften ins Zentrum unserer Lösungen. Unser wichtigstes Programm „Fish Forever“ konzentriert sich auf die Rolle und Verantwortlichkeit der lokalen Betreiber von Fischerei bei der Bewirtschaftung der Küsten-Ökosysteme, mit dem Ziel eines wirksamen Ausgleichs von Naturschutz und den Bedürfnissen der Küstenbevölkerung.
Rares Anliegen ist es, die soziale Komponente von Nachhaltigkeit und nachhaltigen Fischereimethoden ins Bewusstsein zu rücken, damit Wandel entsteht, der dauerhaft und fair ist, und der die langfristigen Vorteile über den kurzfristigen Gewinn stellt. Unsere Erfahrung hat uns gelehrt, welches die Schlüsselaspekte für nachhaltige Fischerei sind.
Menschen verursachen Umweltprobleme – und lösen sie
Zweifellos erfordert ein Umsteuern der Fischereiwirtschaft und Ernährungssysteme nicht nur vorausschauende und mutige Politik, sondern auch höhere Investitionen durch den Staat wie durch den Privatsektor. Oft wird aber übersehen, dass eine kritische Komponente hinzukommen muss: eine Verhaltensänderung. Um das Gemeingut vor Schäden zu bewahren, strebt 'Fish Forever' an, das Management und die Wiederherstellung der Küstenfischerei so zu unterstützen, dass die von der Fischerei Abhängigen sich auf kooperatives Verhalten und gemeinsames Handeln verständigen. Dies kann bedeuten, dass sich erstens alle Fischer registrieren, zweitens über ihre Fänge Buch führen, drittens die Regularien der Fischerei respektieren, und viertens am Fischereimanagement teilnehmen.
Ein Ansatz beim Verhalten und den Rechtsnormen für die Kleinfischerei hilft, einen Wandel hin zur nachhaltigen und verantwortungsvollen Fischerei zu bewerkstelligen. Um Normen und letztlich Verhalten ändern zu können, muss man über das Wissen der Fischer, ihre Haltungen, Motivationen und ihren Begriff von Identität Bescheid wissen, der oft von Beruf, kulturellem Erbe und Traditionen bestimmt wird. Zugleich kommt es auf eine Politik und Regeln an, die den Fischern gemeinsames Management und Teilhabe an der Entscheidungsfindung über die Verteilung und Verwaltung ihrer Ressourcen einräumt. Dies als Anreiz, bei der Umstellung zu besserer Bewirtschaftung mitzuwirken.
Wenn man die sozialen Aspekte von Nachhaltigkeit und von nachhaltigem Fischfang betont, können allgemeine Entwicklungsziele auf einen lokalen Maßstab heruntergebrochen, indigenes Wissen einbezogen und Handlungsfähigkeit in lokalen Gemeinschaften erzeugt werden. Wenn man sich fair, offen und inklusiv verständigt, wie nachhaltige Fischereipraktiken aussehen oder wo die Grenzen von Schutzgebieten verlaufen, können Umweltschutzziele mit Bedürfnissen und Vorhaben der lokalen Bevölkerung in Deckung gebracht werden. Vielfältige und inklusive Teilhabe von Gemeinschaften trägt auch dazu bei, Maßnahmen zum Umweltschutz an sich sowie ihre sozialen und finanziellen Aspekte abzusichern. Wurden bei Entscheidungsprozessen der soziale Zusammenhalt und die finanzielle Stabilität vor Ort berücksichtigt, war das Resultat von Dauer und hoher Qualität.
Mit Fischereigemeinschaften zu arbeiten ist auch ein wirksame Methode, Ungleichheit und Ungerechtigkeit entgegenzuwirken und in einem primären Wirtschaftszweig, der so wichtig für das Erreichen der UN-Nachaltigkeitsziele ist, für Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen. Frauen spielen eine wichtige Rolle in der Fischerei, denn oft sortieren und verarbeiten sie den Fang, und sie sind für die Finanzen des Haushalts verantwortlich. An der Verwaltung der Fischerei sind sie dennoch kaum beteiligt.
Für ihren Beitrag müssen Frauen Anerkennung finden, und bei lokalen Entscheidungen steht ihnen eine Stimme zu. Capacity Building reicht dafür nicht aus. Sie müssen ermutigt werden, Funktionen einzunehmen, in die ihre Erkenntnisse und Meinungen einfließen. Rare hat die Rolle von Frauen auf jeder Stufe der Wertschöpfungskette untersucht und Räume geschaffen, in denen sie zusammenkommen und über ihre Fischerei oder ihre Lebenssituation sprechen können. Rare hat auch eine Smartphone-App entwickelt, die Fangdaten aufzeichnet. Weibliche Fischeinkäufer haben damit ein nützliches Instrument, um Umsätze zu verfolgen und sie können Einkommen und ihren wirtschaftlichen Beitrag aufzeichnen. So wird ihre Rolle in der Kleinfischerei sichtbar und stützt den positiven sozialökologischen Wandel.
Nachhaltige Nutzung im Gleichgewicht mit Naturschutz
Dass wir die Ökosysteme des Meeres und der Küsten schützen müssen, damit sie die Menschen weiter mit Nahrung und Einkommen versorgen, trifft auf allgemeine Akzeptanz. Doch ein kluges Vorgehen dabei bedeutet auch zu vermeiden, dass Naturschutz die Lebensgrundlagen der Anrainer und die jahrzehntelangen Bemühungen um weniger Armut und Unterernährung in Gefahr bringt. Schutzmaßnahmen müssen für Natur und Mensch wirksam sein.
Deshalb muss es in Küstengebieten sowohl völlig geschützte wie auch bewirtschaftete Meeresgebiete geben. Dann können Schutzzonen die Biodiversität erhalten – denn dort finden Fische Zuflucht und können ihren Nachwuchs aufziehen, der sich dann in die bewirtschafteten Zonen ausbreitet. Es kann auch ausreichen, kleinere geschützte Gebiete von hoher Artenvielfalt mit kontrolliert bewirtschafteten Zonen so zu kombinieren, dass jeweils enge Verbingungen und Austausch (connectivity) entstehen. So wird die Biodiversität auch in den umgebenden Gewässern steigen und gleichzeitig der soziale und wirtschaftliche Nutzen für die lokalen Gemeinschaften erhalten bleiben.
Der Entwurf für die Globale Biodiversitäts-Rahmenvereinbarung nach 2020 ruft dazu auf, „sicherzustellen, dass mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresflächen der Erde (und hier besonders Gebiete von hoher Bedeutung für die Artenvielfalt und ihren Beitrag für die Menschen) durch wirksame, gerecht verwaltete, ökologisch repräsentative und ausreichend miteinander verbundene Systeme von Schutzgebieten und weitere Maßnahmen bewahrt werden. Die Rahmenvereinbarung nennt noch andere Ziele, Kennziffern und Indikatoren.
Angesichts des schlechten Zustands der Biodiversität in den Ozeanen und der Folgen für Ernährungssicherheit und Lebensgrundlagen der Anrainer unterstützen wir diesen Aufruf zum Handeln, sofern er verantwortungsvoll umgesetzt wird. Wenn Regierungen, Zivilgesellschaft und Unternehmen nun den Entwurf finalisieren und mit der Umsetzung der Ziele beginnen, müssen wir Sorge tragen, dass Schutzmaßnahmen für unseren Planeten keine unbeabsichtigten Folgen für die vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen haben.
Der Schutz unserer Ozeane muss daher die Gebiete einschließen, in denen hohe Biodiversität mit intensiver menschlicher Nutzung einhergeht. Die Kleinfischerei und die Einbeziehung ihrer Betreiber beim Management der Meeresgebiete müssen Teil der Lösung sein, die Biodiversität bewahrt, Klimaresilienz fördert und Ernährungssicherheit gewährleistet. Ihre Bedeutung darf keinesfalls unterschätzt werden, und wir sollten sicherstellen, dass ihre Interessen in die politische und Entwicklungsagenda einfließen.
Schlussfolgerung
Wenn der zerstörerische Umgang mit den natürlichen Ressourcen einem förderlichen weichen und damit die Umwelt schonen und sozialen Zusammenhalt sichern soll, sind Veränderungen in Verhaltensweisen, Haltungen und sozialen Normen unabdingbar.
Umweltprobleme sind menschengemacht. Wenn wir Gemeinschaften, Kommunen, und Kleinfischer dazu bringen, an einem Strang zu ziehen, wird auch dafür gesorgt, dass traditionelles Wissen in die Entscheidungen und Planungen einfließt. Naturschutz und nachhaltige Bewirtschaftung in das richtige Verhältnis zu bringen, ist die Wurzel, aus der grundlegendes nachhaltiges Handeln erwächst, das darauf baut, dass die lokale Bevölkerung auf ein gesundes Ökosystem angewiesen ist, um ihren Lebensunterhalt und gesunde Ernährung zu bewahren und das Klima zu schützen.
Im Jahr 2022 wird die Rolle der Kleinfischerei erstmals weltweit gewürdigt - durch das „Internationale Jahr der artisanalen Fischerei und der Aquakultur“ (YAFA 2022). Ein Jahr lang will YAFA 2022 „die weltweite Aufmerksamkeit auf die Rolle der Kleinfischerei, der Fischfarmen und der in der Fischerei Tätigen für die Ernährungssicherheit, Armutsreduzierung und die nachhaltige Nutzung unserer Ressourcen lenken – mit dem Ziel, Verständnis zu fördern und Unterstützung zu stärken“.
Rare zählt allerdings Aquakultur nicht zu den Lösungsansätzen, sondern konzentriert sich darauf, den Kommunen und der Fischereigemeinschaft aufzuzeigen, wie verändertes Verhalten gefährdete Meeresgebiete schützen und wilde Fischbestände sinnvoll nutzen kann. Aquakultur wird kritisch gesehen, da sie heute vor allem mit Fischmehl aus wilden Fischbeständen betrieben wird, die auch direkt für den Konsum der örtlichen Bevölkerung genutzt werden könnten. Das fördert noch die Überfischung.
Nur manche Formen von Aquakultur sind nützlich für die Umwelt, wenn sie nicht auf externes Futter angewiesen sind, also z.B. mit Seegras und Muscheln arbeiten. Werden solche Zuchten sorgsam betrieben, tragen sie zu verbesserter Wasserqualität bei und nehmen überschüssige Nährstoffe und Kohlendioxid auf. Ob sie Erfolg haben können, hängt aber von ihrem Marktzugang, ihrer Finanzlage und ihrer größenbedingten Wirtschaftlichkeit ab.
'Fish Forever' erscheint es am sinnvollsten, seinen Einsatz auf die Wiederherstellung der küstennahen Biodiversität und auf die Produktivität der Fischbestände zu konzentrieren. So können Ernährung und Lebensgrundlagen der Bevölkerung und ihre Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel am besten gesichert werden.