FAO: Aquakultur überholt erstmalig Fangfischerei
Die FAO analysiert alle zwei Jahre den Zustand der Welt-Fischbestände. Nun ruft sie zur „Blauen Transformation“ auf – auch um die Erträge zu steigern.
Alle zwei Jahre analysiert die Welternährungsorganisation (FAO) in ihrem Bericht The State of World Fisheries and Aquaculture(SOFIA) den Zustand der weltweiten aquatischen Ressourcen. Außerdem werden die Trends in der Fischerei und Aquakultur auf globaler und regionaler Ebene aufgezeigt. Eine der zentralen Nachrichten des diesjährigen Berichts: Erstmals kommen mehr Tiere aus Aquakultur als aus der Fang-Fischerei.
Dies sind wichtigsten Zahlen für 2022, dem Bezugsjahr des Reports: Die weltweite Fischerei- und Aquakulturproduktion stieg auf 223,2 Millionen Tonnen, davon 185,4 Millionen Tonnen (Lebendgewicht) aquatische Tiere (Fische, Krebse und Weichtiere wie Muscheln und Tintenfische) und 37,8 Millionen Tonnen (Nassgewicht) Algen. 97 Prozent der weltweiten Algenproduktion stammen aus der Aquakultur. 89 Prozent der tierischen Produktion werden direkt für die menschliche Ernährung verwendet, der Rest geht z.B. in die Fischmehl- und -öl-Produktion.
Während die Fang-Fischerei mit etwa 90 Millionen Tonnen (davon 2022 79,7 Millionen Tonnen aus dem Meer) seit Jahrzehnten weitgehend unverändert geblieben ist, stieg die Produktion in der Aquakultur im gleichen Zeitraum stetig an. Mit 94,4 Millionen Tonnen und somit 51 Prozent der Gesamtproduktion hat die Aquakultur 2022 erstmalig die Fischerei bei der weltweiten Produktion aquatischer Tiere (Fische, Krebse und Co.) übertroffen. Der Anteil der Aquakultur an der direkten menschlichen Ernährung liegt inzwischen sogar bei 57 Prozent.
Berechnung der Bestände
Wichtige Daten liefert der FAO-Bericht für die Zustandsbeschreibung von Fisch- und Wirbellosen-Beständen im Meer. Die Organisation stützt sich dabei auf eine Methode, die seit 1971 nur geringfügig angepasst wurde und so die Konsistenz und Vergleichbarkeit im Zeitverlauf sichert. Es wird eine feste Liste von 445 marinen Beständen verwendet, die etwa 72 Prozent der weltweiten Meeresfischereiproduktion ausmachen. Als Bestände bezeichnet man Populationen einzelner Arten, z.B. Island-Kabeljau, Kattegat-Kabeljau, Nordost-Arktischer Kabeljau etc. Für diese Analyse betrachtet die FAO die Biomasse der einzelnen Bestände in Bezug zum Bewirtschaftungskonzept des maximalen nachhaltigen Dauerertrages (Maximum Sustainable Yield, MSY).
Diese maximale nachhaltige Nutzung ist entsprechend internationaler Abkommen die Zielvorstellung des Fischereimanagements. Wird ein Bestand im Rahmen dieses Konzeptes bewirtschaftet, ist es möglich, auf Dauer den maximalen Ertrag zu entnehmen. Maximale nachhaltige Nutzung bedeutet also optimale Nutzung. Die FAO definiert Bestände als maximal nachhaltig befischt bzw. genutzt, wenn ihre Biomasse mehr als 80 Prozent und weniger als 120 Prozent des Zielwertes des MSY-Konzeptes erreicht, also um diesen Zielwert schwankt. Bei einer Biomasse von mehr als 120 Prozent des Zielwerts ist ein Bestand unternutzt bzw. unterfischt, hat also noch Entwicklungsmöglichkeiten. Maximal nachhaltig genutzte und unternutzte Bestände fallen bei der FAO in die Kategorie der „biologisch nachhaltigen Bestände“, sie befinden sich im grünen Bereich. Bei einer Biomasse von weniger als 80 Prozent des MSY-Zielwerts gilt ein Bestand als nicht nachhaltig bewirtschaftet, also überfischt. Dieser Zustand sollte dringend vermieden werden, weil es langfristig zu Ertragseinbußen oder im schlimmsten Fall zum Zusammenbruch des Bestandes kommen kann.
Rund 62 Prozent der Bestände sind in gutem Zustand
Laut SOFIA 2024 waren im Bezugsjahr 2021 50,5 Prozent der untersuchten Bestände nachhaltig befischt und 11,8 Prozent unternutzt. 62,3 Prozent der Bestände befinden sich also in einem guten Zustand. Das sind allerdings 2,3 Prozent weniger als 2019. Im Umkehrschluss heißt das, dass 37,7 Prozent der Bestände nicht nachhaltig genutzt waren, also kollabiert oder überfischt sind oder aber dabei sind, sich zu erholen. Für diese Berechnungen werden alle Bestände gleichbehandelt, egal wie groß sie sind oder welchen Anteil an der Versorgung der weltweiten Bevölkerung sie haben. Die Fische und Meerestiere, die auf den weltweiten Märkten gehandelt werden, stammen zu einem erheblich größeren Teil (76,9 Prozent) aus FAO-analysierten Beständen in gutem Zustand.
Knapp zwei Drittel der marinen Bestände liegen also derzeit im grünen Bereich, sie liefern außerdem über drei Viertel der weltweiten Anlandemenge aus dem Meer. Von den zehn Fischarten mit den höchsten Anlandungen 2021 waren im Schnitt 78,9 Prozent der Bestände nachhaltig befischt, also erheblich mehr als der weltweite Schnitt. Zu diesen Arten gehören z.B. peruanische Sardelle, Alaska-Seelachs, Echter Bonito und Atlantischer Hering. Auch 87 Prozent der wichtigsten Thunfischbestände befinden sich in gutem Zustand. Dies ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass größere Bestände oft besser bewirtschaftet werden als kleine. Es unterstreicht außerdem, wie wichtig ein wirksames Fischereimanagement für die Erholung der Bestände und die Steigerung der Fangmengen ist.
Bestände in schlechtem Zustand
Denn natürlich gibt es auch bei diesen Arten Bestände in schlechtem Zustand. Ein Beispiel ist der Hering der westlichen Ostsee, der einmal Brotfisch der deutschen Ostsee-Küstenfischerei war und heute nur noch 3 Prozent des Ertrags von 2017 liefert (2017: rund 26 500 Tonnen Fangmenge, 2023 nur noch rund 720 Tonnen). 37,7 Prozent der Bestände in schlechtem Zustand sind ein erhebliches und auch noch zunehmendes Problem, weil der Anteil der Bestände im roten Bereich seit vielen Jahren steigt. Eine Trendumkehr ist derzeit nicht erkennbar.
Betrachtet man die einzelnen Ozeane getrennt voneinander, zeigen sich allerdings erhebliche Unterschiede: Der größte Anteil von Beständen in gutem Zustand findet sich im östlichen Pazifik (84,2 Prozent), an zweiter Stelle folgt mit 79,4 Prozent der Nordostatlantik, also das Meer vor unserer Haustür, zu dem auch Nord- und Ostsee gehören. Schlechter sieht es im Mittelmeer und Schwarzen Meer aus (37,5 Prozent), Schlusslicht ist der Südostpazifik: hier ist nur ein Drittel der Bestände im grünen Bereich.
Umweltfolgen und Energiebilanz
Die FAO hat mehrmals in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass Fisch und Fischereiprodukte nicht nur zu den gesündesten, sondern auch zu den Lebensmitteln mit den geringsten Umweltauswirkungen gehören. Die meisten Fischerei- und Aquakulturprodukte schneiden im Vergleich zu an Land produziertem tierischen Protein wie Rind, Schwein und sogar Geflügel besser ab, was potenzielle Umweltauswirkungen und die Energiebilanz angeht. Sie haben bei der Produktion z.B. einen geringeren Energiebedarf und verursachen weniger Treibhausgase und Überdüngung.
Insbesondere die Fischerei hat einen weiteren großen Vorteil: Sie verursacht praktisch keinen Verbrauch von Flächen und Süßwasser. Nachhaltig genutzter Fisch und andere Lebensmittel aus dem Wasser sind also eine ökologisch vorteilhafte Quelle für tierisches Protein und können zur Bewältigung der Klima- und Biodiversitätskrise beitragen. Es besteht daher dringender Handlungsbedarf, um die Erhaltung und Erholung der Fischereibestände zu beschleunigen. Denn wenn alle Fischbestände in gutem Zustand wären, könnten bis zu 20 Millionen Tonnen zusätzlich pro Jahr geerntet und für die menschliche Ernährung zur Verfügung gestellt werden.
Fischerei und Aquakultur wichtige Proteinlieferanten
Die Erholung der marinen Bestände ist also auch im Hinblick auf die Bedeutung von Fisch und Meeresfrüchten für die Ernährung der Weltbevölkerung essentiell. Fischerei und Aquakultur liefern qualitativ hochwertiges Protein, derzeit 15 Prozent der Proteinversorgung aus tierischen Quellen und 6 Prozent der gesamten Proteine weltweit. Für 3,2 Milliarden Menschen kommen mindestens 20 Prozent der tierischen Proteinversorgung von aquatischen Lebewesen, in vielen Ländern Afrikas und Asiens sogar über 50 Prozent. Länder mit geringem Einkommen sind allgemein stärker auf Proteine von Wassertieren angewiesen als Länder mit hohem Einkommen. Mit steigender Weltbevölkerung wird daher auch der Bedarf an Fisch und Meeresfrüchten weiter zunehmen. 2050 muss voraussichtlich eine Weltbevölkerung von 9,7 Milliarden Menschen ernährt werden. Die Erhöhung nachhaltiger Produktion ist daher entscheidend, um eine gesunde Ernährung auch mit aquatischen Lebensmitteln zu gewährleisten.
Das bisherige Wachstum der Aquakultur zeigt, dass sie in der Lage ist, auch weiterhin zur Deckung der weltweit steigenden Nachfrage nach Lebensmitteln aus dem Wasser beizutragen. Allerdings stammen derzeit 91,4 Prozent der globalen Aquakulturproduktion aus Asien, 2,7 Prozent aus Europa und lediglich 1,9 Prozent aus Afrika. Zehn Länder produzieren 89,8 Prozent der Gesamtmenge, an erster Stelle China, darunter Indonesien, Vietnam und als einziges europäisches Land Norwegen. Es gibt also ein erhebliches geografisches Ungleichgewicht.
Mehr Nachhaltigkeit und Effizienz durch „Blaue Transformation“
Aufgrund dieser Herausforderungen konzentriert sich die FAO in ihrem Bericht besonders auf die „Blaue Transformation“. Dies bezeichnet umfassende Veränderungen und Innovationen in der Fischerei und Aquakultur, die darauf abzielen, diese Sektoren nachhaltiger und effizienter zu gestalten. Sie umfasst drei Hauptziele:
"Blaue Transformation"
1. Intensivierung und Ausweitung der Aquakultur: Ziel ist eine Steigerung der Produktion aquatischer Tiere und Pflanzen um 35 Prozent bis 2030. Dabei sollen auch die beschriebenen geographischen Ungleichheiten durch gezielte Politiken, Technologietransfer und verantwortungsbewusste Investitionen behoben werden. Ein Teil der Arbeit der FAO wird sich daher besonders darauf konzentrieren, wie die Aquakultur in den Regionen gefördert werden kann, in denen sie sich bisher nicht erfolgreich entwickelt (z.B. in Afrika).
2. Die Verbesserung des Fischereimanagements: Das Ziel ist hier, 100 Prozent der Fischereien im Meer und in den Binnengewässern nachhaltig zu bewirtschaften. Viele positive Beispiele insbesondere bei der Bewirtschaftung großer Fischbestände zeigen, dass ein wirksames Fischereimanagement zur Erholung der Bestände und damit zur Steigerung der Erträge erheblich beitragen kann.
3. Weiterentwicklung der Wertschöpfungsketten: Ziel ist die Steigerung der Erträge durch eine bessere Verwertung und die Reduzierung der Verluste bei der Fischverarbeitung, die in der Summe bis 35 Prozent ausmachen können. Außerdem soll der Wert der Produkte steigen und der Zugang zu den Märkten erleichtert werden. Die FAO hofft, bis 2032 den Ertrag aus der Fang-Fischerei um 3 Millionen Tonnen und den aus der Aquakultur (nur Tiere) um 17 Millionen Tonnen steigern zu können.
Die Entwicklung der Weltbevölkerung, die Klimakrise und der Biodiversitätsverlust erfordern also erhebliche Bemühungen, die weltweite Produktion von Fischerei und Aquakultur zu steigern. Die Fischerei liefert seit langem konstante Erträge, ein gutes Fischereimanagement in allen Weltregionen ist aber dringend nötig, damit die Erträge nach der Erholung überfischter Bestände steigen können. Die Aquakultur zeigt weiterhin Steigerungspotential, dafür muss aber das geographische Ungleichgewicht durch die Förderung bestimmter Regionen reduziert werden. Fischerei und Aquakultur müssen gemeinsam einen erheblichen Beitrag für die Verbesserung der globalen Ernährungssicherheit leisten, und dabei ökologische und soziale Nachhaltigkeit gewährleisten. Aus Sicht der FAO ist dies aber möglich.
Dr. Kristina Barz ist Wissenschaftlerin am Thünen-Institut für Ostseefischerei und betreut dort seit 2010 die Internetseite www.fischbestaende-online.de, die Auskunft über alle Aspekte der nachhaltigen Nutzung von Wildfischen gibt, die für den deutschen Markt von Bedeutung sind.
Quellen
FAO. 2024. The State of World Fisheries and Aquaculture 2024. Blue Transformation in action. Rome.
https://doi.org/10.4060/cd0683en
FAO. 2020. The State of World Fisheries and Aquaculture 2020. Sustainability in action. Rome.
https://doi.org/10.4060/ca9229en
Hilborn et al., 2018, The environmental cost of animal source foods, Front Ecol Environ 2018; 16(6): 329–335
Gephart, J.A., Henriksson, P.J.G., Parker, R.W.R. et al. Environmental performance of blue foods. Nature 597, 360–365 (2021). doi.org/10.1038/s41586-021-03889-2