Wie der boomende Sojaanbau Boliviens Umwelt zerstört
Der Andenstaat geht den Weg der großen Nachbarn, um im Welthandel mitzumischen. Koste es, was es wolle.
Bolivien ist das arme Nachbarland Brasiliens und Argentiniens, das von den beiden Giganten der globalen Agrarwirtschaft jedoch sehr stark beeinflusst wird. Nicht nur wüten im Grenzgebiet zu Brasilien verheerende Brände in dem zu trockenen Feuchtgebiet Pantanal. Vor allem haben diese Länder ein gemeinsames Anbauprodukt: genmodifiziertes Soja.
Seit den 1990er Jahren breitet sich der Anbau über bolivianisches Staatsgebiet aus – und das meist auf Kosten des Regenwaldes, der Teil des Amazonasgebietes ist. Brasilien ist weltweiter Spitzenreiter in der Sojaproduktion, an dritter Stelle steht Argentinien. Paraguay und Uruguay sind die beiden anderen armen Länder der südamerikanischen Anbauregion.
Im Gegensatz dazu ist Bolivien ein Andenstaat. Die andine Wirtschaft hatte ihre Blütezeiten im Bergbau. Mit dem Rückgang der internationalen Rohstoffpreise gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts wurde die exportorientierte, großflächige Landwirtschaft angetrieben und hier allen voran der Sojaexport. Mit anderen Worten: Bolivien entwickelte sich von einem Mineralienexportland zu einem Agrarexportland, und das charakterisiert durch die Kontrolle transnationaler Sojakonzerne (Mckay 2015).
Diese Entwicklung erklärt zum Teil, warum der seit 1969 bestehende Acuerdo Comercial de la Comunidad Andina CAN bedeutungslos wurde, und warum 2015 die Aufnahme Boliviens in den „Gemeinsamen Markt Südamerikas“ MERCOSUR erfolgte, dem neben Brasilien Argentinien, Paraguay und Uruguay angehören.
Kosten-Nutzen-Analyse lässt Umwelt außen vor
Dieser Artikel soll die sozialen und ökologischen Folgen der Ausweitung des bolivianischen Sojaanbaus und der Exporte genauer beleuchten. Denn diese bleiben bei der Kosten-Nutzen-Analyse oft auf der Strecke, wenn es darum geht, mehr Waldfläche für die Landwirtschaft nutzbar zu machen.
Die im Rahmen des MERCOSUR unterzeichneten Handelabkommen tragen zunehmend dazu bei, die Rahmenbedingungen für einen „Agrarextraktivismus“ zu fördern. Eines dieser Abkommen ist das in Verhandlung befindliche mit der Europäischen Union1, mit dem Ziel, einen gemeinsamen Markt von 780 Millionen Konsumenten und damit die weltgrößte Freihandelszone zu schaffen. Zusammengenommen bilden die Länder des MERCOSUR2 den zweitgrößten Sojaexporteur für die EU. Dieser Umstand hat viele soziale und Umweltorganisationen während der Verhandlungen in große Sorge versetzt, da sie eine weitere Ausweitung des Sojaanbaus sowie der damit einhergehenden Abholzung des Regenwaldes befürchten.3
Anbaufläche soll ins Amazonasgebiet wachsen
Aktuell wird auf 70 Prozent der Agrarfläche Boliviens Soja angebaut. Diese Vormachtstellung entwickelte sich Ende der 1980er bis Anfang der 1990er Jahre, mit dem Schwerpunkt in der Region Santa Cruz. Wurde 1990 dort noch auf 200.000 Hektar Soja angebaut, so erhöhte sich diese Fläche bis zum Jahr 2017 auf 1,263 Millionen Hektar (INE 2018). Seit dem Jahr 2000 ist genmodifiziertes Soja Hauptanbauprodukt.
Da die Nutzpflanze in Brasilien und für tropisches Klima entwickelt wurde, ist sie nicht für den Anbau in Bergregionen geeignet, sondern gedeiht nur in tropischen Gebieten im Osten Boliviens wie der Gran Chiquitania. Derzeit bestehen Pläne für eine Ausweitung des Sojaanbaus ins Amazonasgebiet von Beni. Diese Ausweitung ist damit gleichbedeutend mit fortschreitender Abholzung von Amazonas-Regenwald.
Die abgeholzten Flächen werden zum großen Teil dem Sojaanbau gewidmet, aber auch der extensiven Viehhaltung. Diese findet vor allem im Grenzgebiet zwischen dem Regenwald und traditionell landwirtschaftlich genutzten Gegenden statt. Das geht mit Besiedlungen unterschiedlicher Art einher, wie etwa der Menoniten, die sich auch dem Sojaanbau widmen, oder es lassen sich Kleinbauern nieder.
Zwischen 1990 und 2016 wurden in Bolivien 5,1 Millionen Hektar entwaldet, vor allem in der Region Santa Cruz, wo auch die meisten Agrarkonzerne ihren Sitz haben (Colque 2014). Obwohl es keine verlässlichen Daten zur jährlichen Abholzung gibt, geht man davon aus, dass Bolivien jedes Jahr zwischen 200 und 300.000 Hektar Waldgebiet verliert (14 mal die Fläche des Frankfurter Flughafens).
Über die vom Staat bewilligten Genehmigungen für Abholzungen kann man sich dieser Problematik noch anders nähern: Diese offiziellen Zahlen zeigen, dass die Genehmigungen bis 2014 bei unter 45.000 Hektar pro Jahr lagen, aber im Jahr 2016 bereits über 200.000 Hektar, mit weiter steigender Tendenz. Die für 2018 statistisch ausgewiesenen 259.000 Hektar kommen einem Anstieg von 380 Prozent gegenüber dem Jahr 2013 gleich (INE 2019). Laut dieser Quelle entfielen 2018 anteilig 63,3 Prozent der Genehmigungen auf Privatbesitzer, 30,5 Prozent auf Bauerngemeinden und 6,2 Prozent auf indigene Gemeinden.
Die Kehrtwende des Evo Morales
Die bolivianische Regierung verfolgt seit 2014 eine Politik, die den großflächigen Sojaanbau unterstützt. Die Regierung von Evo Morales, die jahrelang für die Rechte von Mutter Erde und des Buen Vivir eingetregen war, entschied sich für eine Allianz mit landwirtschaftlichen Großunternehmen. Sie wollte ein ehrgeiziges Ziel erreichen: die bislang drei Millionen Hektar bewirtschaftete Fläche auf 13 Millionen bis zum Jahr 2025 erhöhen.
Zu diesem Zweck wurden rechtliche Rahmenbedingungen im Hinblick auf Abholzungen und Brandrodungen angepasst und flexibilisiert (TIERRA 2019). Der Schutz der Gebiete indigener Bevölkerungsgruppen wurde in diesem Zusammenhang sogar als Entwicklungshemmnis bezeichnet. Handelsverträge mit China zur Förderung des Exportes von Soja und von Rindfleisch folgten. Die Aufnahme in den MERCOSUR wurde angestrebt, um die bolivianische Beteiligung am globalen Geschäft mit Soja zu steigern.
Trotz dieser wirtschaftlichen und politischen Maßnahmen bleibt Bolivien neben Ländern wie Brasilien und Argentinien ein schwacher Partner. Die Zugeständnisse an den Sojasektor sollen die insgesamt niedrige Rentabilität des Agrarsektors ausgleichen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Um die wirklich zu erreichen, erfordert das Modell jedoch hohe ökologische Kosten und einen hohen sozialen Preis.
Die landwirtschaftlichen Unternehmerverbände selbst argumentieren, dass sie dafür veränderte Rahmenbedingungen brauchen – wie etwa die Einführung diverser genmodifizierter Kulturen (Soja, Mais, Weizen, Baumwolle, Zuckerrohr), den Anbau von Biotreibstoffen über öffentlich-private Investitionen, die zollfreie Einfuhr von Saatgut, Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmitteln, Kapital und Maschinen. Daneben sind die sozialen Folgen für die Bauern- und indigenen Gemeinden sind nicht weniger gravierend. Landvertreibung, die Verpachtung von Gemeindeland und die Vertreibung von Kleinbauern sind Prozesse, die mit dem Phänomen des Sojaanbaus einhergehen.
So scheint es, dass Bolivien als armes Land dazu gezwungen ist, seine niedrige wirtschaftliche Produktivität und mangelnde internationale Konkurrenzfähigkeit mit immer höheren sozio-ökonomischen Kosten auszugleichen. Dies scheint zumindest die jüngere Geschichte zu sein: Obgleich das Land noch vor einem Jahrzehnt die indigene Kosmovision der "Mutter Erde" verteidigte, ist es heute bereit, unermessbare ökologische Schäden in Kauf zu nehmen, um sich zu den zehn größten Sojaexportländern zu gesellen. Die Alternative, über die sich viele einig sind, wäre der Übergang zu einer nachhaltigen und diversifizierten Landwirtschaft. Sie wird aber von den Gruppen an der Macht abgelehnt.
Auch das Handelsabkommen EU-MERCOSUR hat seine Bedeutung im Agrarexport von Soja und anderen Kulturen, deren Anbau mit umweltfreundlichen Kriterien nicht vereinbar ist. Damit steht es im Gegensatz zu den Zielen, die mit dem europäischen “Green Deal” verfolgt werden. Brasilien ist Handelsriese von Mais und Fleisch, das auf Kosten großflächiger Entwaldung produziert wird. Für die Ausweitung der Monokulturen in Argentinien gehen diversifizierte Anbauflächen verloren.
Obwohl Bolivien noch kein vollberechtigtes Mitglied des MERCOSUR ist, zeigt die Geschichte, dass die Veränderungen in eine ähnliche Richtung gehen werden wie in den Nachbarländern. Daher stellt sich die Frage, wie die Handelspolitiken des Abkommens EU-MERCOSUR, das Bundeskanzlerin Angela Merkel noch während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft verabschiedet haben möchte, mit den ökologischen und klimatischen Zielsetzungen des „Green Deal“ vereinbar ist, der dafür unter anderem die Entwicklung von Wirtschaftsmodellen „ohne Entwaldung“ vorsieht.
Fußnoten:
[1] Die Verhandlungen wurden im vergangenen Jahr abgeschlossen, aber die 27 nationalen Parlamente müssen dem Vertrag noch zustimmen.
[2] Das Aufnahmeprotokoll Boliviens wurde 2015 von allen anderen Mitgliedstaaten des MERCOSUR unterzeichnet, muss jedoch noch von den Parlamenten der Mitgliedsländer ratifiziert werden. Da Bolivien noch kein volles Mitglied ist, ist es nicht Teil der Verhandlungen EU-MERCOSUR
Quellen:
- McKay (2015). Extractivismo agrario: dinámicas de poder, acumulación y exclusión en Bolivia. La Paz: TIERRA, 2015.
- INE (2018). Estadísticas económicas. Reporte online en www.ine.gob.bo
- INE (2019). Estadísticas de Medio Ambiente 2008-2018. La Paz: INE 2019
- Colque (2014). Ampliación de la frontera agrícola: Luchas por el control y apropiación de la tierra en el oriente boliviano. La Paz: TIERRA, 2014
- TIERRA (2019). Fuego en Santa Cruz: Balance de los incendios forestales 2019 y su relación con la tenencia de la tierra. Santa Cruz, 2019.