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  • Klima & Ressourcen
  • 02/2022
  • Erwin Northoff

Wie schädlich ist Plastik in der Landwirtschaft?

Mit einem neuen Bericht läutet die Welternährungsorganisation die Alarmglocken. Der Verbrauch ist verheerend – die Gesundheitsrisiken zu wenig erforscht.

Plastikplanen hemmen Unkraut und verbessern die Bewässerung. Nur biologisch abbaubar lösen sie sich aber nach der Ernte wieder auf. © Presse BASF SE

Während Plastikmüll in Flüssen und Seen und als schwimmende Inseln auf den Ozeanen  große Empörung hervorrufen, findet der allgegenwärtige Gebrauch von Plastik in der Weltlandwirtschaft bislang kaum öffentliche Beachtung. Mit ihrem ersten globalen Bericht Assessmentof Agricultural Plastics and their Sustainability, A call for Action zu diesem Thema drängt die Welternährungsorganisation (FAO) darauf, dieses bislang stark vernachlässigte Problem endlich auf die internationale Tagesordnung zu setzen.

Sie fordert, dringend Lösungsvorschläge zu entwickeln. Denn der „verheerende Gebrauch von Plastikprodukten in allen Bereichen der Landwirtschaft“ und der damit verbundene Plastikmüll können schwere Folgen für die Umwelt, für die Sicherheit unserer Lebensmittel und damit möglicherweise auch für unsere Gesundheit haben, betont der Bericht.

Kunststoffe sind in der Landwirtschaft vieler Länder allgegenwärtig. Ihr Siegeszug begann in den 1950er Jahren in der Land- und Forstwirtschaft sowie in der Fischerei. Sie gelten als strapazierfähig, leicht transportierbar, billig und langlebig. Ihre Nutzung erstreckt sich von Folien für Silage, zur Abdeckung für die Unkraut- und Wasserregulierung im Gemüse- und Obstanbau, für Foliengewächshäuser über Ohrmarken für Nutztiere bis hin zu Mehrwegkisten, Säcken, Schutznetzen, Pestizidbehälter, Wasserleitungen für künstliche Bewässerung, Baumschutzhüllen, Fangnetze und Seile. Hinzu kommen polymerbeschichtete Düngemittel, die eine kontrollierte Nährstoffabgabe ermöglichen.

Plastik – Segen und Fluch

Der FAO-Bericht richtet sich nicht pauschal gegen die Nutzung von Plastik in der Landwirtschaft. Er betont die Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen, die mithilfe von Kunststoffen erreicht werden. Sie können beispielsweise helfen, Wasser, Schädlingsbekämpfungs- und Düngemittel zu sparen und Lebensmittel- und Nachernteverluste zu verringern. Die FAO warnt aber zugleich davor, dass langlebige Kunststoffe in der Weltlandwirtschaft zu einer Hauptquelle für Umweltverschmutzung geworden sind – mit unübersehbaren und viel zu wenig erforschten Folgen.

Das Geschäftsmodell für landwirtschaftliches Plastik basiert zumeist auf Einmalprodukten mit einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von etwa einem Jahr. Nach Gebrauch werden die Produkte entweder vergraben oder verbrannt, oder sie verschmutzen als Kunststoffreste die Felder. Im allgemeinen werden nur 17 Prozent aller jährlich weltweit erzeugten Plastikprodukte wiederverwertet. Konzepte zum Vermeiden von Plastik, für die Entwicklung alternativer Produkte oder das Wiederverwenden von Kunststoffen gibt es meist nur in den Industriestaaten.(1)

Schlechte Datenlage

Die FAO schätzt, dass weltweit jährlich insgesamt rund 12,5 Millionen Tonnen Plastik für die Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte genutzt werden. Das sind etwa 3,5 Prozent der Weltplastikerzeugung, die insgesamt 359 Millionen Tonnen beträgt. Diese Schätzung gilt wegen unvollständiger Daten als sehr konservativ.

Beim Getreide-, Gemüse- und Obstanbau sowie bei der Viehzucht fällt mit rund 10 Millionen Tonnen jährlich das meiste Plastikmaterial an. Es folgen die Fischerei und Fischzucht mit etwa 2,1 Millionen Tonnen, gefolgt von der Forstwirtschaft mit 0,23 Millionen Tonnen pro Jahr. Über polymerbeschichtete Düngemittel gelangen etwa 0,1 Millionen Tonnen Plastik in die Umwelt. Folien machen mit bis zu 50 Prozent den Hauptteil aller in der Landwirtschaft benutzten Kunststoffe aus. 

Für die Zukunft rechnet die FAO damit, dass wegen der steigenden Lebensmittelproduktion noch mehr Kunststoffe in der Landwirtschaft eingesetzt werden. So dürfte beispielsweise die Nachfrage nach Mulchfolien, Gewächshaus- und Silagefolien bis 2030 nach Schätzungen der Plastikindustrie von heute rund 6 Millionen Tonnen auf 9,5 Millionen Tonnen steigen.

Wie viel Plastik global für die Lagerung, Verarbeitung, den Transport und die Verteilung von Nahrungsmitteln benutzt wird, ist nicht genau bekannt. Vorsichtige Schätzungen sprechen von weltweit rund 37 Millionen Tonnen pro Jahr allein für das Verpacken von Lebensmitteln. 

Asien führt

Regional betrachtet ist Asien Spitzenreiter beim Gebrauch von Plastik in der Landwirtschaft. In China, dem größten Nutzer von Agrarplastik in Asien, landen jährlich mindestens 5,2 Millionen Tonnen auf den Feldern, davon mehr als 3 Millionen Tonnen für Folien und 2 Millionen Tonnen für Plastikrohre zur künstlichen Bewässerung. Die steigende Nachfrage nach Lebensmitteln wird den Plastikverbrauch Asiens in der Landwirtschaft in Zukunft stark nach oben treiben: Vor allem bei Folien ist mit einem Zuwachs von über 50 Prozent zu rechnen.

In der Europäischen Union haben die Bauern im Jahr 2018 mit rund 1,74 Millionen Tonnen etwa ein Drittel des chinesischen Plastikverbrauchs erreicht, vor allem für Silage und Bodenfolien. Das entspricht etwa drei bis vier Prozent der europäischen Plastikerzeugung. Schätzungsweise 13.200 Tonnen Kunststoffe werden laut einer NABU-Studie jährlich durch landwirtschaftliche Aktivitäten in Deutschland in landwirtschaftliche Böden emittiert. Hinzu kommen 5.800 Tonnen Plastikabfall, der von außen auf die Felder geweht wird. Lateinamerika nutzt jährlich rund 240.000 Tonnen Plastik in der Landwirtschaft.  Zahlen für den afrikanischen Kontinent gibt es nicht. Für die USA wird der Verbrauch an Agrarkunststoffen für Plastikfolien 2018 auf 490.000 Tonnen geschätzt.  

Belastung der Landwirtschaft durch Plastik in Deutschland 2021 © NABU/publicgarden Plastik in der Landwirtschaft

Da die Agrarerzeugung zu 90 Prozent auf Böden stattfindet, sind diese auch weitaus stärker vom Plastikmüll betroffen als die Gewässer. In den landwirtschaftlichen Nutzflächen sind größere Mengen an schädlichem Mikroplastik zu finden als in den Weltmeeren, betont der FAO-Bericht.

Über Organismen in die Nahrungskette

Besorgniserregend sind besonders langlebige und wasserunlösliche Kunststoffteilchen von unter fünf Millimetern (Mikroplastik), die entstehen, wenn Kunststoffe wie Plastikfolien sich zersetzen. Diese Partikel lagern sich über verschiedene Wege in den Böden ab, beispielsweise über nicht mehr benutzte Folien und Vliese, aber auch über Düngemittel und Klärschlamm. Sie gelangen schließlich in unsere Nahrungsketten, landen in Flüssen und in Weltmeeren und gefährden möglicherweise die Sicherheit unserer Lebensmittel und darüberhinaus die Gesundheit.

Erste Studien zeigen, dass Kunststoffpartikel von Organismen aufgenommen und sich entlang der Nahrungskette in Geweben und Organen anreichern können. Hohe Kunststoffkonzentrationen im Boden können Pflanzenwachstum hemmen, wenn Pflanzenwurzeln Mikroplastik aufnehmen. Auch für die Bodenfauna, wie etwa Regenwürmer, sind Schäden nicht auszuschließen. Kunststoffpartikel können außerdem schädliche Zusatzstoffe enthalten.

Dass die Konzentration von Plastikrückständen im Boden nach der jahrelangen Verwendung von Mulchfolien die Ernteerträge verringert ­– und zwar um zwischen 11 und 25 Prozent –, haben Untersuchungen in China gezeigt. Es seien deshalb dringend weitere Studien nötig, unterstreicht die FAO, um die Umweltschäden von Plastikpartikeln in Böden genauer zu analysieren.

Plastik und Klima

Erdölbasiertes Agrarplastik ist zudem ein großer Klimaschädling. Die Erzeugung und Verbrennung verursacht Treibhausgase, die bis 2030 auf jährlich 47 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ansteigen und im Jahre 2050 auf 98 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente anwachsen dürften. Beim Verbrennen von Plastik gelangen zusätzlich langlebige organische Schadstoffe in die Atmosphäre, die sowohl die Umwelt als auch die Gesundheit belasten. Welche Mengen von landwirtschaftlichem Plastikmüll weltweit derzeit verbrannt werden oder auf Müllhalden landen, ist nicht bekannt.

So weit das Auge reicht. Plastiktunnel auf Gemüsefeldern in der Türkei. © Zeynel Cebeci, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

Reduzieren, wiederverwerten, ersetzen

Für das Plastikproblem der Weltlandwirtschaft gibt es kein Wunderheilmittel. Solange es an kostengünstigen und effizienten Alternativen mangelt, dürfte der Verbrauch von Agrarkunststoffen in den kommenden Jahrzehnten ungebremst steigen, und damit auch die Menge an umweltschädlichem und oft nicht rückholbarem Plastikmüll.

Die FAO schlägt deshalb eine Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe in der Landwirtschaft vor, mit dem Ziel, weniger Plastik zu nutzen, Alternativen zu Plastik zu entwickeln und Kunststoffe wiederzuverwerten. Dies beinhaltet im Einzelnen:

Globale Governance nicht in Sicht

Da das Problem der Kunststoffabfälle in der Land- und Forstwirtschaft sowie in der Fischerei nicht an den Grenzen eines Landes halt macht, sind internationale Regelungen für ein nachhaltiges Management erforderlich. Zwar gibt es bereits vereinzelte freiwillige Abkommen (für Fischerei und Pestizide), doch fehlt es an einem übergreifenden und bindenden Vertragswerk für die Weltlandwirtschaft.

Die internationale Gemeinschaft hat sich in den vergangenen Jahren hauptsächlich auf das Problem der Plastikverschmutzung von Meeres-Ökosystemen konzentriert. Dort scheint sich tatsächlich etwas zu bewegen: Mehr als 100 Staaten haben dazu aufgerufen, mit Verhandlungen über einen bindenden Vertrag zur Plastikverschmutzung der Weltmeere zu beginnen. Ob dazu auch die Verschmutzung anderer Ökosysteme und damit die Landwirtschaft zählt, ist aber unklar. Zudem dürfte es Jahre dauern, bis sich die Länder auf einen Vertrag einigen werden.

Um keine Zeit zu verlieren, schlägt die FAO deshalb vor, einen freiwilligen internationalen Verhaltenskodex zum Agrar-Plastikmüll zu verabschieden, den die Staaten dann in nationale Gesetze umsetzen könnten.

Ein solcher Kodex könnte Standards für eine umweltverträgliche Kunststoff-Kreislaufwirtschaft in der Landwirtschaft entwickeln; regionale Lösungsansätze erarbeiten; Vorschläge für eine stärkere Verantwortung der Produzenten, zur Registrierung und Kennzeichnung von Produkten und zum Verbot besonders umweltschädlicher Produkte machen; und Konzepte für wirtschaftliche Anreize und Hilfen anbieten, die ein Umsteuern hin zu umweltverträglicheren und alternativen Agrar-Kunststoffprodukten unterstützen.

Die FAO begreift ihren Bericht als „lauten Weckruf“: Regierungen, Forschung, die Plastikindustrie, Abfallwirtschaft, die Landwirtschaft, Verbraucher und andere Teile der Zivilgesellschaft müssten deutlich mehr tun, um das wachsende Plastikproblem der Weltlandwirtschaft in den Griff zu bekommen. Bleibt nur zu hoffen, dass die FAO selbst Druck macht, um eine internationale Vereinbarung zum Plastikgebrauch in der Landwirtschaft zu erreichen.  

Referenzen:

1) Kaza, Silpa; Yao, Lisa C.; Bhada-Tata, Perinaz; Van Woerden, Frank. 2018. What a Waste 2.0 : A Global Snapshot of Solid Waste Management to 2050. Urban Development;. Washington, DC: World Bank

Erwin Northoff ist ehemaliger Leiter der Presseabteilung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und Mitglied im Redaktionsbeirat von "Welternährung.de".
Erwin Northoff Mitglied im Redaktionsbeirat

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