Warum Afrika auf seine Art mit dem Ukrainekrieg umgeht
Viele afrikanische Länder ergreifen nicht einseitig Partei, weil sie den Konflikt nur vordergründig als einen zwischen Russland und der Ukraine sehen. Dennoch sollte der Kontinent Lehren aus seiner Krisenanfälligkeit ziehen.
Der anhaltende Konflikt in der Ukraine hat weiterhin Auswirkungen auf Länder nah und fern des Geschehens. Während Russland und die Ukraine direkt in den Konflikt verwickelt sind, haben Länder in Europa und der NATO immer mehr Waffen geschickt, um die Ukraine zu unterstützen und Russlands Vormarsch und seine militärischen Fähigkeiten mittel- bis langfristig zu schwächen. Jenseits von Europa und der NATO haben viele Länder des globalen Südens, viele davon in Afrika, versucht, eine unparteiische Position beizubehalten, die nicht eine Seite bevorzugt. Stattdessen wollen sie diplomatische Bemühungen um eine friedliche Lösung des Konflikts fördern.
Viele Länder betrachten die jüngsten Entwicklungen auch als eine Auseinandersetzung um die europäische Sicherheitsarchitektur und einen Konflikt zwischen Russland und den Vereinigten Staaten, da immer ausgefeiltere Waffensysteme in die Ukraine geliefert werden. Die von vielen afrikanischen Ländern eingenommenen bündnisfreien Positionen haben sie jedoch nicht vor den weitreichenden Flurschäden des Konflikts bewahrt – insbesondere zu einem Zeitpunkt, an dem viele gehofft hatten, ihren Einsatz auf die wirtschaftliche Erholung von der COVID-19-Pandemie konzentrieren zu können.
Im Rahmen des Mandats der Afrikanischen Union (AU) sind deren derzeitiger Präsident Macky Sall und Moussa Faki Mahamat, der Vorsitzende der AU-Kommission, kürzlich nach Sotschi gereist, um sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über die anhaltenden Konsequenzen des Konflikts auf die Ernährungssicherheit in Afrika auszutauschen. Diese diplomatischen Bemühungen sind auch Teil der afrikanischen Positionen, die ein Ende des Konflikts und die Wiederaufnahme der diplomatischen Ännäherung anstreben. Neben den steigenden Energie- und Nahrungsmittelkosten und deren negativen Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Aufschwung in Afrika haben sie auch die negativen Auswirkungen von Sanktionen angesprochen, während Länder seit der Eskalation des Konflikts im Februar 2022 weder aus Russland noch aus der Ukraine wichtige Ernten erhalten können. Geografisch gesehen liegt der Konflikt zwar in Europa, aber er zieht eindeutig die gesamte Welt in sein Fahrwasser, und zwar in Form von steigenden Rohstoffpreisen, Energieschocks, Ernährungsunsicherheit und geopolitischen Folgen.
Hohe Preise und kostspielige Landwirtschaft
Auf Russland und die Ukraine entfallen 20 Prozent der weltweiten Mais- und 30 Prozent der weltweiten Weizenexporte. Unter den blockierten Handelsströmen leiden direkt die großen Importländer im Nahen Osten und in Afrika und indirekt auch die armen Menschen in vielen anderen Ländern. Leider wird dadurch der Hunger zunehmen. Die hochpreisigeren Lebensmittelimporte und pandemiebedingten Maßnahmen beeinträchtigen die Märkte und die Wertschöpfungsketten in den Ernährungssystemen. Höhere Kosten für Betriebsmittel (Düngemittel und Energie) sowie für Transport haben die landwirtschaftliche Produktion erheblich verteuert. Der Mangel an Produkten wie Sonnenblumenöl und Düngemittel wird daher weiterhin die Ernährungssicherheit gefährden.
Russland hat den westlichen Sanktionen die Schuld gegeben und argumentiert, dass diese seine eigenen Getreide- und Düngemittelausfuhren beeinträchtigen, da sowohl Schiffsverkehr wie auch das Bankwesen und die Versicherungen betroffen seien. Moskau macht außerdem die in der Nähe ukrainischer Häfen schwimmenden Seeminen für die Situation verantwortlich.
Zwar wurde im Rahmen der Vereinten Nationen (UN), der G20 und der G7 im Jahr 2022 verstärkt über Fragen der Ernährungssicherheit nachgedacht. Doch praktische Initiativen, die zur Verbesserung der Aussichten beitragen könnten, sind nach wie vor Mangelware, während immer mehr Waffen an die Ukraine gehen, und die Kämpfe im Osten und Süden des Landes zunehmen. Die Regierung dort räumt zwar ein, dass 20 Prozent des Landes, das sie als natürlichen Teil der Ukraine betrachtet, inzwischen in russische Hände gefallen sind, doch ist auch der Hinweis wichtig, dass ein Großteil dieses Gebiets zum industriellen Kern des Landes gehört und auch strategisch gelegene Häfen umfasst. Viele Akteure in Afrika und im globalen Süden lehnen jegliche Schritte ab, die in ihrer Wahrnehmung auf eine Verlängerung des Konflikts hinauslaufen. Sie setzen sich im Wesentlichen für diplomatische Bemühungen und einen Waffenstillstand ein.
Russland als Partner
Wohl verfügt Russland in Afrika nicht über eine vergleichbare Präsenz wie die wichtigsten europäischen Länder und die USA, doch wird es in vielen afrikanischen Ländern weiterhin als Partner geschätzt. Diese Länder haben oft den Eindruck, dass sie sich ihre externen Partner nicht aussuchen können. Russland spielt eine wichtige Rolle als Waffenlieferant, als Käufer und lizenzierter Schürfer von wertvollen Rohstoffen, als Exporteur von landwirtschaftlichen Geräten, aber auch als jemand, der durch die Wagner-Gruppe private Sicherheitsdienste bereitstellt. Einige Beobachter in Europa und den Vereinigten Staaten stellen nun die Frage, ob sich diese Verbindungen für Russland jetzt auszahlen, da Präsident Putin und sein Land in ihren Augen als Paria gelten. Diese Ansichten werden jedoch von vielen Akteuren in Afrika und dem globalen Süden nicht geteilt.
Am 2. März verurteilte die UN-Generalversammlung mit überwältigender Mehrheit die Invasion und forderte Russland zum sofortigen Rückzug auf. Betrachtet man nur die afrikanischen Staaten, so stellt sich das Votum anders dar: 28 der 54 Mitgliedsstaaten Afrikas unterstützten die Resolution, 25 unterstützten sie aber nicht (17 davon enthielten sich und 8 stimmten nicht mit ab). Eritrea stimmte sogar gegen die Resolution. Westliche Beobachter suchen seitdem Erklärungen dafür, warum die Unterstützung durch afrikanische Regierungen so schwach war.
Um die Reaktion der afrikanischen Länder und einiger anderer im globalen Süden zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, wie der Konflikt außerhalb Europas und der Vereinigten Staaten gesehen wird. Er wird eben nicht nur als ein Konflikt zwischen Russland und der Ukraine gesehen, sondern als Eskalation langjähriger Spannungen, die nicht auf diplomatischem Wege durch Vereinbarungen wie das Minsker Abkommen gelöst werden konnten. Afrikanische Vertreter verweisen daher auf die bereits bestehenden Spannungen, die durch die fortgesetzte Osterweiterung der NATO nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden sind, und auf das Versagen der betroffenen Parteien, diese auf diplomatischem Wege zu lösen.
Doppelmoral des Westens am Pranger
Sie weisen auch auf das inkonsistente Verhalten des Westens hin, wenn es darum geht, die dringenden humanitären Bedarfe in Konflikten wie in Libyen, der Westsahara, im Jemen, in Palästina und Syrien zu befriedigen. Zugleich prangern sie die Doppelmoral des Westens an, was die einseitige Kriegsführung in Ländern wie Irak und Afghanistan angeht. Diese Beispiele, gepaart mit der Doppelmoral bei der Behandlung afrikanischer, nahöstlicher und asiatischer Migranten, haben die afrikanischen Länder zweifeln lassen, ob sie ihr Gewicht zugunsten einer Partei zulasten der anderen in die Waagschale werfen.
Wäre das Abstimmungsverhalten der afrikanischen Länder in erster Linie von wirtschaftlichen Interessen bestimmt, hätten sie in der UN-Generalversammlung und im Menschenrechtsrat wohl weitgehend im Sinne des Westens gestimmt. Denn trotz der Bemühungen Russlands, seinen politischen und wirtschaftlichen Einfluss in Afrika zu vergrößern, sind Europa und die USA nach wie vor die führenden Wirtschaftspartner in Afrika und bleiben die wichtigsten Quellen für Entwicklungsfinanzierung und ausländische Direktinvestitionen – obwohl China und andere Mächte des Südens ihre Rolle, insbesondere als Handelspartner, ausbauen.
Es wäre auch zu vereinfachend, einen Zusammenhang zwischen dem Abstimmungsverhalten in der UN und der Regierungsform herzustellen, denn es haben sowohl demokratische als auch autokratische Länder unparteiische Positionen eingenommen. Die Blockfreiheit hat in Afrika und im globalen Süden eine lange Tradition, wenn es um die Konflikte zwischen den Großmächten geht. Dies war besonders während des Kalten Krieges deutlich zu beobachten, als die afrikanischen und die Länder des globalen Südens versuchten, nicht in die Konflikte zwischen den Großmächten hineingezogen zu werden, da dies ihren Interessen nicht dienen würde.
Krisenanfälligkeit abbauen
Aktuellen UN-Schätzungen zufolge stammen etwa 44 Prozent des in den Ländern des afrikanischen Kontinents verbrauchten Weizens aus Russland und der Ukraine. Nach Angaben der Afrikanischen Entwicklungsbank sind die Weizenpreise durch die unterbrochene Versorgung um rund 45 Prozent in die Höhe geschossen. Die Vereinten Nationen warnen außerdem davor, dass 18 Millionen Menschen in der Sahelzone von schwerem Hunger betroffen sind, da die Landwirte die schlechteste Ernte seit mehr als einem Jahrzehnt erwarten. Weitere 13 Millionen Menschen leiden in der Region am Horn von Afrika aufgrund einer anhaltenden Dürre unter schwerem Hunger. Der anhaltende Konflikt in der Ukraine verschärft die ohnehin schwierigen Bedingungen. Die Afrikanische Union warnte gar vor einer Nahrungsmittelkrise katastrophalen Ausmaßes.
Da die westlichen Regierungen die Ukraine unterstützten und weiter unterstützen werden, könnte es für afrikanische und andere Länder des globalen Südens wie etwa Sri Lanka schwieriger werden, ausländische Hilfe zu erhalten. Es bleibt auch offen, ob die EU und ihre Mitgliedstaaten oder die G7-Länder noch in der Lage sein werden, einige ihrer Zusagen in Bezug auf Afrika und den globalen Süden zu erfüllen, wenn sie selbst gezwungen sind, Ressourcen umzuverteilen, um den internen wirtschaftlichen und sozialen Druck zu bewältigen, während sie der Ukraine finanzielle und militärische Unterstützung gewähren, die nicht geplant war.
Die COVID-19-Pandemie und der anhaltende Konflikt in der Ukraine haben die Schwachstellen Afrikas in der globalen Landschaft und die Anfälligkeit des Kontinents für externe Schocks deutlich gemacht. Dies erfordert gezieltere Maßnahmen als bisher, die Widerstandsfähigkeit Afrikas und des globalen Südens gegenüber künftigen vergleichbaren Krisen zu stärken, die weitere Pandemien oder externe Konfrontationen auslösen können. Ohne eine konzertierte und konsequente Anstrengung zum Aufbau einer größeren Widerstandskraft – durch die Einrichtung regionaler Wertschöpfungsketten – wird Afrika am Rande der Weltpolitik und der Weltwirtschaft bleiben.
Position neu bewerten
Es ist daher unerlässlich, die weiche und harte Infrastruktur auszubauen, durch die die Zusammenarbeit innerhalb von Regionen und ein verstärkter Handel zwischen den Regionen gedeihen kann. Diese regionalen Wertschöpfungsketten müssen sicherstellen, dass der Kontinent in künftigen Krisen widerstandsfähiger ist und sich unter besseren Bedingungen wieder in die Weltwirtschaft einfügen kann.
Die afrikanischen Länder müssen diesen anhaltenden Konflikt und die durch die Pandemie gewonnenen Erfahrungen auch nutzen, um ihre Position in einer sich verändernden globalen geopolitischen Konstellation neu zu bewerten. Sie müssen versuchen, ein größeres Maß an strategischer Autonomie durch regionale Integration und die Neugestaltung externer Partnerschaften zu erlangen, und zwar so, dass sie mit den bestehenden Aktionsrahmen zur Entwicklung des Kontinents übereinstimmt, wie sie in der Agenda 2063 der AU und der von den regionalen Wirtschaftsgemeinschaften des Kontinents abgesteckten strategischen Rahmenplänen vereinbarten wurden.
Dies würde Afrika in der Weltpolitik letztlich mehr Gewicht verleihen und Systeme ermöglichen, in denen der Kontinent besser durch eine sich wandelnde globale Landschaft steuern kann, in der geopolitische Konflikte zunehmen, die Afrika in seiner Entwicklungsagenda aufhalten.