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  • Krisen & Humanitäre Hilfe
  • 10/2019
  • Erwin Northoff

Krise in China: Schweinepest dezimiert Bestände

Die Volksrepublik China hat den größten Schweinebestand der Welt. Die grassierende Seuche Schweinepest hat eine beispiellose Krise ausgelöst.

Ein Schwein in China.
Schweinefleisch als Grundnahrungsmittel. In China sind rund 26 Millionen Landwirte in der Schweinezucht aktiv, nach Angaben der FAO sind davon rund 30 Prozent kleine Erzeuger. © Jai79 via Pixabay

Es ist eine der größten Krisen der Tiergesundheit. Mit der seit August 2018 grassierenden Afrikanischen Schweinepest erlebt China als der weltweit größte Schweinefleischproduzent ausgerechnet im Jahr des Schweins eine Art Super-GAU. Millionen von Tieren sind mit dem Schweinepestvirus infiziert und mussten oder müssen getötet werden, denn der Erreger breitet sich weiter aus. 

Es wird Jahre dauern, bis sich China und andere südostasiatische Länder von diesem Schock erholen werden. Zumindest in China wird er eine massive Umstrukturierung der Schweineproduktion auslösen, um höchste Biosicherheit in den Betrieben zu gewährleisten. Millionen von kleinen Produzenten werden dabei wohl auf der Strecke bleiben, da sie die hohen Anforderungen an Biosicherheit schwer erfüllen können. Dies dürfte zu höherer Armut in den ländlichen Gebieten und zu einer stärkeren Abwanderung in die Städte führen. Kleinbauern tragen mit rund 30 Prozent zur nationalen Schweinefleischerzeugung bei.

Dabei ist Schweinefleisch nicht nur ein beliebtes Nahrungsmittel sondern auch die wichtigste Proteinquelle der Chinesen. Pro Kopf verzehren sie jährlich rund 30 Kilogramm. Sie liegen damit global an dritter Stelle, hinter Südkorea und Vietnam. Mit mehr als 440 Millionen Schweinen hält das Land mehr als die Hälfte des weltweiten Schweinebestands von rund 770 Millionen Tieren. Etwa 128 Milliarden Dollar war der chinesische Markt 2018 wert. 

Krise zieht weite Kreise

Der Erreger der Afrikanischen Schweinepest wurde im August 2018 vermutlich über Russland nach China eingeschleppt. Auch Hongkong, Kambodscha, Laos, die Mongolei, Myanmar, Nordkorea, die Philippinen, Südkorea und Vietnam sind inzwischen von der Epidemie betroffen. Und dabei wird es nicht bleiben. Es ist keine Frage des ‘ob’, sondern des ‘wann’, dass das Virus weitere Länder heimsuchen wird. In China konnte das Virus inzwischen in fast allen Provinzen nachgewiesen werden. Ein lebhafter regionaler Handel mit Schweinefleischprodukten dürfte das Ausbreiten der Krankheit weiter begünstigen. 

Das Afrikanische Schweinepestvirus ist äußerst aggressiv und widerstandsfähig. Für Menschen ist es ungefährlich, für Haus- und Wildschweine aber hochansteckend. Die Krankheit verursacht bei den Tieren hohes Fieber, sie sterben zwischen zwei und zehn Tagen. Die Schweine stecken sich durch direkten Kontakt untereinander an, aber auch Wildschweine können die Seuche verbreiten. Das Virus überlebt oft monatelang in infiziertem tiefgefrorenen Fleisch und anderen Produkten wie Würsten. Hochriskant ist das Verfüttern von erregerhaltigen Fleischabfällen. Oft reicht schon ein unachtsam weggeworfenes infiziertes Sandwich, um eine Epidemie auszulösen. Auch über landwirtschaftliche Maschinen und Arbeitskleidung kann sich der Erreger ausbreiten.

Viele betroffene Länder werden für lange Zeit mit dem Erreger leben müssen. Einen Impfstoff gegen das Virus gibt es bislang nicht. International wird zwar mit Hochdruck an einem Vakzin gearbeitet, aber es wird vermutlich Jahre dauern, bis ein entsprechendes Mittel gefunden und Marktreife erlangen wird. Endemisch ist die Schweinepest auch in vielen afrikanischen Ländern südlich der Sahara. In Europa gab es bis 2007 nur Fälle auf Sardinien. Dann allerdings tauchte die Krankheit in Georgien auf und verbreitete sich weiter über Aserbaidschan und Armenien nach Russland, sowie die Ukraine, Weißrussland und Moldawien. Auch die baltischen Staaten, Polen und andere europäische Länder hatten Schweinepestausbrüche. Das Seuchengeschehen kann aber bisher lokal begrenzt werden.

Zwei Wildschweine stehen nebeneinander.
Wildschweine schleppen die Afrikanische Schweinepest in die Europäische Union ein. Das Seuchengeschehen kann aber bisher lokal begrenzt werden. © Andreas Lischka via pixabay

Seuche wurde lange verleugnet

In China hatte der Erreger dagegen leichtes Spiel: Der Transport von Tieren über weite Strecken, der Mangel an Biosicherheit auch in Betrieben mit hohen Tierbeständen, Unkenntnis der Bauern über das Ausmaß und die Gefährdung der Krankheit sowie das unkontrollierte Verfüttern von Lebensmittelabfällen haben die Ausbreitung der Epidemie enorm begünstigt. Aus Angst vor wirtschaftlichem Ruin haben Bauern kranke Tiere oft notgeschlachtet und stillschweigend verkauft, um wenigstens noch einen Mindestpreis erzielen zu können. Behördenversagen und mangelnde Transparenz haben dazu beigetragen, dass das Problem lange Zeit verleugnet wurde. Laut Presseberichten haben in vielen Provinzen Behörden die Schweinepest lange Zeit verschwiegen – aus Angst davor, teure Entschädigungen und Subventionen zahlen zu müssen und politisch unter Druck zu geraten. Viele offizielle Stellen waren auch einfach überfordert. Inzwischen hat die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) China allerdings für seine Kampagne gegen den Erreger gelobt. 

Über das ganze Ausmaß des Desasters gibt es nur wenig verlässliche Angaben. Die Welternährungsorganisation FAO geht davon aus, dass inzwischen rund fünf Millionen Schweine in Asien notgeschlachtet wurden, davon in China rund 1.3 Millionen und in Vietnam 4,7 Millionen. Es ist aber anzunehmen, dass die Dunkelziffer weitaus höher liegt. Der „Economist“ spricht von bis zu 60 Millionen getöteten Tieren allein in China. 

Bis zu 50 Prozent weniger Produktion

Wirtschaftlich rechnet das US-Landwirtschaftsministerium für die chinesische Schweinefleischproduktion 2019 mit einem Verlust von 21 Prozent und 2020 mit weiteren zehn Prozent. Das deckt sich weitgehend mit den Einschätzungen der chinesischen Behörden. Die niederländische Rabobank erwartet dagegen einen dramatischen Einbruch von rund 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr, das wären immerhin rund 220 Millionen Tiere. Die Preise für Schweinefleisch sind um 30 bis 40 Prozent drastisch gestiegen.

Einzelhandelsumsatz von Schweineprodukten in der Volksrepublik China von 2011 bis 2020, in Mrd. US-Dollar. Quelle: Statista
Einzelhandelsumsatz von Schweineprodukten in der Volksrepublik China von 2011 bis 2020, in Mrd. US-Dollar. Quelle: Statista © Statista

Die Chinesen werden für die nahe Zukunft wohl mit einem deutlich knapperen Angebot ihres Hauptnahrungsmittels leben müssen. Die Regierung hat begonnen, Schweinefleisch zu rationieren, Preise zu deckeln und tiefgefrorene strategische Schweinefleischreserven freizugeben. Diese Interventionen dürften jedoch nur einen kurzfristigen Effekt haben. Es ist damit zu rechnen, dass die Verbraucher vermehrt auf Milch, Eier und Geflügelfleisch zurückgreifen, um ihre Proteinlücke wenigstens teilweise zu schließen. Dies dürfte die Erzeugung dieser Produkte sowie von Schafs- und Rindfleisch deutlich ankurbeln. 

Gewinner und Verlierer

Um die kurz- und mittelfristigen Folgen der Krise in den Griff zu bekommen, wird die Volksrepublik einen Teil des Schweinefleischmangels außerdem mit Einfuhren aus anderen Anbieterregionen wie Europa und Lateinamerika wettmachen können. Dies gilt allerdings nur, solange sich die Seuche nicht auch in anderen Hauptanbieterländern massiv ausbreiten wird. Vorerst zählen Kanada, Spanien, Deutschland, die Niederlande, Frankreich und mit Abstrichen die USA zu den Gewinnern der Krise. Auch die Exporteure von Geflügelfleisch werden profitieren, allen voran Brasilien.

Höhere Einfuhren allein bringen jedoch nicht die Lösung. Dazu ist die Nachfrage nach Schweinefleisch zu hoch, und es fehlen notwendige Anlagen wie Transportsysteme und Kühlketten, um große Fleischmengen umschlagen zu können. Die FAO rechnet denn auch damit, dass ein beachtlicher Teil der Proteinlücke für einen gewissen Zeitraum nicht geschlossen werden kann, was Preise und Inflationsraten in die Höhe treibt.  

Die Krise wird zu tiefgreifenden strukturellen Veränderungen in der Schweineproduktion Chinas führen.

Erwin Northoff

Erklärtes Ziel der chinesischen Regierung ist es deshalb, so schnell wie möglich wieder Selbstversorger bei Schweinefleisch zu werden. Dies wird notgedrungen zu tiefgreifenden strukturellen Veränderungen der Schweineproduktion führen. 

Kurzfristig werden Behörden und Bauern effizientere Kontrollen einführen müssen, die ein weiteres Ausbreiten der Epidemie verhindern oder zumindest eindämmen. Maßnahmen der Biosicherheit beinhalten Grenzkontrollen (für alle Verkehrswege), absolute Sauberkeit auf den Höfen (Desinfektionen, Schutzkleidung, sicheres Schlachten und Entsorgen von infizierten Tieren, Waschen von Transportern), den sicheren Transport von Fleischprodukten und Kontrolle beim Verfüttern von Lebensmittelabfällen. Viele kleinere Betriebe werden sich diese erhöhten Standards nicht leisten können und werden deshalb voraussichtlich ihre Höfe aufgeben müssen.

Peking will Megabetriebe fördern

Der seit einigen Jahren von der Regierung verfolgten Politik, die Schweineerzeugung in größeren Betrieben zu konzentrieren, dürfte das sehr entgegen kommen. Experten setzen vor allem auf eine stärkere vertikale Integration der Schweineproduktion, die alle Glieder der Produktionskette von der Futtermittelproduktion über die Aufzucht bis zum Vertrieb unter dem Dach weniger großer Unternehmen vereinigt. Damit soll die Produktivität, die internationale Wettbewerbsfähigkeit und die Biosicherheit erhöht und ein umfassenderer Lebensmittelschutz erreicht werden. Diese Betriebsform verlangt hohe Investitionen, arbeitet mit hohem Technologieeinsatz und erfordert strikte Kontrollen, um den Kontakt zwischen Mensch und Tier auf ein Minimum zu beschränken und höchste Biosicherheitsstandards zu garantieren.

Langfristig werden solche Megabetriebe allerdings nur dann erfolgreich sein, wenn sie auch damit verbundene enorme Umweltbelastungen für Wasser und Böden in den Griff bekommen, sowie Lösungen für das Problem der mangelnden genetischen Vielfalt, der Antibiotikaresistenzen, des Einsatzes von Wachstumshormonen und des Tierwohls finden. 

Vielleicht wird das Desaster der Schweinepest ja auch im fleischhungrigen China irgendwann eine Diskussion über gesunde Ernährung, geringeren Fleischkonsum und nachhaltige Ernährungssysteme entfachen, um Umwelt und Gesundheit besser zu schützen. Die Krise könnte auch ein Ansporn für die Forschung sein, eine chinesische Version von künstlichem Fleisch oder pflanzlichem Fleischersatz zu entwickeln. Der Markt dafür dürfte riesig sein.

Erwin Northoff ist ehemaliger Leiter der Presseabteilung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und Mitglied im Redaktionsbeirat von "Welternährung.de".
Erwin Northoff Mitglied im Redaktionsbeirat
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