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  • Krisen & Humanitäre Hilfe
  • 12/2019
  • Marina Zapf

Sudan: „Ein Unterschied wie Tag und Nacht“

Vieles ist noch zerbrechlich und nichts unumkehrbar nach dem Umbruch im Sudan, aber Optimismus und Hoffnung überwiegen, berichtet der Landesdirektor Michael Gabriel im Interview

Die humanitäre Lage hat sich im Sudan 2019 weiter zugespitzt. Die Gründe: poitische Unruhen, gewalttätige Niederschlagung von friedlichen Demonstrationen, Wirtschaftskrise, Naturkatastrophen und Cholera-Ausbrüche. 8,5 Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe, drei Millionen Geflüchtete müssen versorgt werden, wie hier in Darfur. © Albert Gonzalez Farran / UNAMID

Herr Gabriel, wie ist die Stimmung im Land vier Monate nach dem Amtsantritt des neuen Premierministers Abdalla Hamdok?

Überwiegend herrschen Optimismus und Hoffnung, obwohl die Menschen, die den politischen Wandel angestoßen haben, sehr wohl wissen, dass sie sich in einer Übergangsphase befinden. Nicht alle in der Regierung ziehen an einem Strang und wollen soziale und wirtschaftliche Verbesserungen. Im Hintergrund halten Kräfte an der Vergangenheit fest, teilweise verfolgen sie islamistische Strategien, um die Transformation aufzuhalten. Aber es gibt viele sichtbare Fortschritte in die richtige Richtung. Folglich mischt sich Optimismus mit Vorsicht, dass vieles noch zerbrechlich und nichts unumkehrbar ist.

Premier Hamdok hat eine neue Ära ausgerufen, er spricht vom Ende der Kriege und einem Übergang zum Frieden. Worin sehen Sie dafür die größte Hürde?

Das allerwichtigste, was der Sudan jetzt braucht, ist ein Ende der Sanktionen. Es gibt viele positive Geräusche: Die USA lassen ernsthafte Bereitschaft erkennen, das Land von der Liste terroristischer Schurkenstaaten zu streichen, und die internationalen Finanzinstitutionen wie der Internationale Währungsfonds oder die Afrikanische Entwicklungsbank engagieren sich, um diesem demokratischen Wandel zum Erfolg zu verhelfen. Ohne ein Ende der Isolation kann Sudan seine gesamtwirtschaftlichen Probleme nicht lösen. Nur mit neuen Krediten, mehr Handel und Investitionen kann das Land sich aus dem Sumpf ziehen. Bis dahin bleibt der wirtschaftliche Notstand eine Bedrohung.

Es gibt weiterhin Proteste in Khartum und anderen Städten, worum geht es da?

Die tiefliegenden Ursachen der politischen Krise sind noch nicht beseitigt. Die Inflation ist außer Kontrolle. Daran haben sich vor einem Jahr die Unruhen entzündet. Die Menschen leiden unter den hohen Preisen für Nahrung, eine durchschnittliche Familie kann sich kein Fleisch leisten, an den Tankstellen bilden sich lange Warteschlangen. Der Finanzminister, ein ehemaliger Weltökonom, gibt sich Mühe. Aber neben den wirtschaftlichen Problemen stehen gleichbedeutend die Herausforderungen für einen Übergang zum Frieden.

Michael Gabriel Landesdirektor Sudan, Welthungerhilfe.

Ohne die Konflikte zu lösen, kann das Land sich nicht wirklich entwickeln.

Michael Gabriel Landesdirektor Sudan, Welthungerhilfe

Wie steht es um die angekündigten Verhandlungen für regionale Friedensabkommen?

Ohne die Konflikte zu lösen, kann das Land sich nicht wirklich entwickeln. Nach dem Sturz von Machthaber Omar al-Bashir im April haben sich im Sommer die Generäle und die Pro-Demokratie-Bewegung sechs Monate gegeben, um Frieden zu schließen. Die Verhandlungen mit Rebellenführern aus den betroffenen Gebieten im westlichen Darfur, im südlichen Kordofan und der Region am Blauen Nil haben begonnen. Jeder kommt mit gutem Willen an den Tisch. Der Weg ist kompliziert, und die Regierung kann als Übergangsorgan nicht mit voller Autorität handeln. Zudem muss ein umfassendes Abkommen alle Akteure einschließen, darunter die der Armee angeschlossene Miliz der Rapid Support Forces (RSF), die Teil der Militarisierung des Landes ist. Aber eine Einigung in einigen Monaten ist möglich, und das wäre eine gute Sache.

Mit der Waffenruhe und den Verhandlungen hat die Regierung humanitären Organisationen den Zugang in diesen Konfliktgebiete wieder offiziell erlaubt...

Ja, wir weiten unsere Aktivitäten aber noch nicht aus. Andere Organisationen verfügen über größere Kapazitäten, dort zusätzliche Hilfe zu leisten. Wir halten uns das für die Zukunft offen.

Der sudanesische Übergangspremier Abdalla Hamdok hat aus seiner Zeit als Leiter der UN-Wirtschaftskommission für Afrika gute Beziehungen zu internationalen Finanzinstitutionen. Hier mit dem Präsidenten der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB). © AfDB

Wie hat sich das Verhältnis zwischen der Regierung und den Hilfsorganisationen entwickelt? Präsident Bashir hat sich um die humanitäre Lage ja wenig geschert...

Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Wir mussten ständig damit rechnen, das Land binnen 72 Stunden verlassen zu müssen. Jetzt lädt der Finanzminister die internationalen Hilfsorganisationen zu sich und holt ihre Meinung ein, was der Sudan am meisten braucht. Die koordinierende Humanitarian Aid Commission zeigt starken Willen, uns zu unterstützen, und es werden auch hinderliche bürokratische Vorschriften, wie etwa Reisegenehmigungen, zurückgenommen.

Die humanitäre Krise hat sich 2019 noch einmal verschärft, während der Staat bei der Grundversorgung mit Trinkwasser, Bildung oder Gesundheit weiter versagt. Gibt es denn Anzeichen, dass bald weniger für das Militär ausgegeben wird und mehr für die Menschen?

Es ist noch zu früh, so eine Umschichtung, zum Beispiel in das Gesundheitsbudget, zu erwarten. Allerdings hat der Finanzminister angekündigt, den nächsten Staatshaushalt an den UN-Entwicklungszielen (SDG) auszurichten. Das ist ein sehr positives Zeichen. Die Idee stammt vom Entwicklungsökonom Jeffrey Sachs, und sie umzusetzen erscheint ziemlich ehrgeizig. Aber clever ist sie schon. Niemand kann der Regierung dann übelnehmen, wenn sie zu viel ausgibt.

Ein Hirsebauer im Red Sea State. In der Region geht es darum, die Auswirkungen des Wetterphänomens El Nino einzudämmen. Die Ernte von Hirse wurde gesteigert, Ackerland vom Mesquitebaum befreit, und durch Wasserauffangbecken, Dämme und Terrassierung können große Flächen Ackerland bewässert und bewirtschaftet werden. © Welthungerhilfe

Die Regierung appelliert an die Gebergemeinschaft, wieder Entwicklungshilfe für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung zu leisten. Befürchten Sie, das könnte zulasten der humanitären Anstrengungen gehen?

Wir führen unter nationalen und internationalen Organisationen eine intensive Debatte, wie wir zusammenarbeiten müssen. Und es herrscht klares Einvernehmen, dass es kein ‚entweder-oder’, kein Schwarz-Weiß-Denken, geben darf. Wir brauchen realitätsnahe Finanzierungsströme, aus denen UN-Agenturen und Hilfsorganisationen sowohl humanitäre Hilfe wie auch Entwicklungsarbeit leisten können. Jetzt geht es darum, dass die Regierung mit den Gebern Systeme entwickelt, die dies ermöglichen. Deutschland hat hier zwischen Auswärtigem Amt und Entwicklungsministerium ja auch seine Themen, während USAID kurz- und langfristige Hilfe besser verknüpft. Die haben bereits einen neuen Landesdirektor entsandt, der den Bedarf einer neuen Mission bewerten soll.

Für Deutschland hat Außenminister Heiko Maas bei seinem Besuch im September eine Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit in Aussicht gestellt. Welche Schwerpunkte sollten dabei Ihrer Meinung nach gesetzt werden?

Persönlich würde ich mir mehr Mittel für den langfristigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen wünschen. Die Ernährungssicherheit ließe sich deutlich verbessern, wenn wir mehr von dem degradierten Boden rehabilitieren könnten. Man darf sich den Sudan nicht nur als Wüste vorstellen. Ein Großteil des Landes besteht aus Buschland und Trockensavanne. Ihre Vegetation kann so rehabilitiert werden, dass sie mehr Wasser hält und sich mit der Zeit regeneriert. Dann könnten wir sogar über CO2-Speicherung und einen Beitrag zum Klimaschutz sprechen. Aber das ist vermutlich schwer zu verkaufen, wenn schon der Bedarf für die humanitäre Krise nur zu 20 bis 30 Prozent gedeckt ist.

Weite Teile des Sudan sind ausgedehnte Trockensavannen und Buschland. Mit den richtigen Bewässerungsmethoden kann die Landwirtschaft bessere Erträge einfahren. Der Wettstreit um Land und Wasser ist vielfach Grund für Konflikte zwischen Farmern und Hirten. © Welthungerhilfe

Die Konkurrenz um Weideland und Wasser ist im Westen des Landes auch äußerst konfliktträchtig. Geflüchtete Darfuris klagen darüber, dass sie nicht auf ihr Farmland zurückkehren können, weil Viehhirten oder Pastoralisten sie einschüchtern – manchmal in Begleitung von Bewaffneten in Uniform...

Die Fragen rund um den Zugang zu Land sind extrem kompliziert. Im Norden von Darfur, wo wir auch arbeiten, bestreiten die Menschen ihren Lebensunterhalt zeitweise mit Ackerbau, zeitweise mit der Zucht von Rindern, Schafen oder Ziegen. Wenn man nur das eine oder andere tut, und Wanderhirten mit ihren Tieren weiden oder durchziehen wollen, kann es zu Streit kommen. Deshalb ist auch die Weiterentwicklung der Darfur Development Strategy von so großer Bedeutung. Dort spielen diese Fragen eine wichtige Rolle. Die internationale Gemeinschaft und verschiedene NRO engagieren und koordinieren sich mit Gebernationen, damit eine Grundlage für dauerhaften Frieden entsteht.

Wie verhält sich die Regierung in Khartum dabei?

Sie kommt tatsächlich in die Gänge. Zum ersten Mal hat ein Regierungschef Darfur besucht und mit Menschen in Lagern über ihre Ängste vor einer Rückkehr oder Sorgen um kaputte Schulen und Märkte gesprochen. Es gibt so viel, wo wir mehr tun könnten, um landwirtschaftliche Existenzen wieder aufzubauen, und sie widerstandsfähiger gegen höhere Temperaturen und sich verändernde Regenmuster zu machen, oder die Verwüstung aufzuhalten. Die Klimapolitik darf in einem internationalen Finanzierungspaket nicht fehlen. Deshalb ist die politische Transformation auch so wichtig. Wenn die Sanktionen fallen und sich der Wandel festigt, kann die Regierung endlich wirksame ländliche Entwicklung fördern.

Bis dahin bleiben aber noch viele Wenn und Aber?

Ich glaube, dass die internationale Gemeinschaft diese wichtige Gelegenheit nicht verstreichen lässt. Die richtigen Antworten und Hilfsmaßnahmen werden positive Wirkung entfalten und sich auszahlen. Ich war auch zeitweise in Libyen und habe beobachtet, wie die internationale Gemeinschaft nach dem Sturz von Machthaber Gaddafi ferngeblieben ist und wie alles auseinanderfiel. Das kann sich überall wiederholen und könnte auch hier passieren. Aber die Reaktionen sind diesmal intelligenter und engagierter.

Marina Zapf, Journalistin, berichtet seit 20 Jahren aus Berlin über Themen der Außen, Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik.
Marina Zapf Team Welternährung.de
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