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  • Krisen & Humanitäre Hilfe
  • 10/2020
  • Neil Renwick
Schwerpunkt

Umstritten: humanitäre Hilfe "made in China"

China spielt in humanitären Krisen eine wachsende Rolle. Statt Misstrauen ist ein konstruktiver internationaler Dialog erforderlich.

Ein chinesisches Flugzeug mit medizinischen Hilfsmitteln. Die Jack Ma Foundation unterstützt arme Länder im Kampf gegen die Corona-Pandemie. © Jack Ma Foundation via Facebook

Chinas Rolle in der internationalen humanitären Hilfe nimmt zu. Während die Empfänger dies weitgehend begrüßen, wird Chinas Hilfe wegen der damit verbundenen Absichten und aus technischen Gründen auch kritisiert. Es gibt wachsende politische Vorbehalte. Allerdings darf die humanitäre Zusammenarbeit mit China nicht aus politischen Gründen beeinträchtigt werden. Das ginge auf Kosten der Unterstützung für Entwicklungsländer, die am bedürftigsten sind. Ein konstruktiver internationaler Politikdialog und ein Wissensaustausch zwischen China und dem Rest der Welt ist von entscheidender Bedeutung, um die Koordinierung und Wirksamkeit der humanitären Hilfe neu zu bewerten und zu stärken.

China hat sich zu multilateralen Abkommen und Prozessen der humanitären Koordination verpflichtet und bekennt sich zu den Prinzipien der humanitären Hilfe, wie Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit. Es stellt sich aber die Frage, inwieweit sich China auch an bestehende globale Normen und Konventionen hält. Für einige birgt Chinas Herangehensweise an die humanitäre Hilfe die Gefahr, jahrzehntelange Bemühungen um einen internationalen Konsens zu untergraben. Andere sehen darin ein längst überfälliges Erdbeben im System: eine "positive Störung".

Hintergrund dieser Debatte ist der besondere Charakter der humanitären Hilfe Chinas. Sie ist nämlich in einem "ganzheitlichen" Portfolio von internationalem nachhaltigem Wirtschaftswachstum und Entwicklung angesiedelt und nicht in einem eigenständigen Politikfeld; die Politik der humanitären Hilfe ist eher reaktiv und ad hoc als strategisch; die Ausgaben für humanitäre Hilfe variieren von Jahr zu Jahr in Abhängigkeit von der jeweiligen Krise. Dies spiegelt mehr ein fallweises, pragmatisches Vorgehen als eine systematische, umfassend politische und vorausschauende Programmatik. Das Profil der Hilfe über das Jahr hinweg ist daher sehr episodisch.

Chinesische Angehörige der UN-Friedensmission in Darfur verteilen Material an Schulmädchen. © Abdualrasheed Yakubu / UNAMID

Chinas Hilfe gegen die Corona-Pandemie

Die zwischenmenschlichen Beziehungen spielen im offiziellen Diskurs Chinas eine immer wichtigere Rolle. Viele der halb-zivilgesellschaftlichen Organisationen Chinas sind nach wie vor mit alteingesessenen chinesischen Gemeinschaften in den Entwicklungsländern vernetzt. Diese Netzwerke wurden zu Beginn der Covid-19-Pandemie wirksam genutzt, um dringend benötigte Lieferungen von persönlicher Schutzausrüstung zu beschaffen, zunächst für Chinas Krisenregion selbst – und später, um sie in Entwicklungsländern zu verteilen.

Chinas Covid-19-Hilfe umfasste medizinische Hilfsgüter, Ausrüstung und Personal, finanzielle Unterstützung und die Weitergabe von Wissen an über 150 Länder und internationale Organisationen. Im Mai 2020 machte Präsident Xi in seiner Rede vor der Weltgesundheitsversammlung fünf Zusagen zur Zusammenarbeit im Rahmen von Covid-19, nämlich, dass China dies tun werde:

  1. Bereitstellung von 2 Mrd. US-Dollar über einen Zeitraum von zwei Jahren zur Unterstützung der Reaktion auf Covid-19 und der wirtschaftlichen und sozialen Lage in den Entwicklungsländern.
  2. Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen bei der Einrichtung eines globalen Depots für humanitäre Hilfe und eines humanitären Drehkreuzes mit Sitz in China; Gewährleistung des Funktionierens von Lieferketten zur Bekämpfung von Epidemien; und Förderung "grüner Korridore" für Schnelltransporte und Zollabfertigung.
  3. Verstärkter Kapazitätsaufbau in Afrika durch Partnerschaften und Kooperationen chinesischer Krankenhäuser mit 30 afrikanischen Kliniken sowie durch den beschleunigten Bau des Hauptsitzes des Africa Centre for Disease Control and Prevention (Africa CDC), das mit 2 Mio. US-Dollar von China finanziert wird, um die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten in Afrika zu stärken.
  4. Gewährleistung des Zugangs zu preiswerten Impfstoffen in Entwicklungsländern, indem die Entwicklung und der Einsatz von Covid-19-Impfstoffen in China, sobald verfügbar, zu einem "globalen öffentlichen Gut" gemacht werden.
  5. Zusammenarbeit mit anderen G20-Mitgliedern bei der Umsetzung der Initiative zur Aussetzung des Schuldendienstes für die ärmsten Länder.

Weißbuch soll Kritiker beschwichtigen

Um diese Verpflichtungen zu bestätigen und Kritikern zu begegnen, veröffentlichte die chinesische Regierung im Juni 2020 ein Weißbuch. Dieses Weißbuch sollte

Trotz all dieser Erklärungen sieht sich die chinesische Regierung mit Fragen zum Ursprung der Pandemie, zur Einschätzung der Pandemie als Sicherheitsbedrohung in der ersten offiziellen Reaktion zu Wuhan und zu Transparenz und Rechenschaftspflichten konfrontiert.

Globale Führungsmacht: Chinas Präsident Xi Jinping spricht über Video zur UNO-Vollversammlung. © UN Photo / Eskinder Debebe / FAO

Chinas Machtanspruch sorgt für Spannungen

Nicht nur angesichts der Corona-Krise führt Chinas weltpolitisches Streben nach Macht zu internationalen Spannungen. Diese Spannungen können sich möglicherweise auch nachteilig auf die Koordination der humanitären Hilfe auswirken. China spielt eine zunehmend wichtige Rolle im multilateralen System. Die Zusammenarbeit mit und die Kooperationsbereitschaft von China kann jedoch durch politische Streitigkeiten beeinträchtigt werden: sei es über Handel, den Krisenherd Hongkong, die umstrittene Firma Huawei (5G-Ausbau), die Internetplattform WeChat, oder der Einfluss in der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Nach wie vor stehen Forderungen einiger westlicher Politiker nach einer "Abrechnung" mit China nach der Krise und einer internationalen Untersuchung der Ursachen der Pandemie im Raum.

Auf allen Seiten sind jedoch erhebliche politische Anstrengungen und eine verantwortungsbewusste Führung erforderlich, um durch einen ernsthaften Dialog negative Auswirkungen auf die internationale humanitäre Zusammenarbeit zu minimieren.

Humanitäre Hilfe für Afrika

China kann auf eine lange Geschichte der humanitären Hilfe für Afrika zurückblicken. In den letzten Jahren wurde folgende Hilfe geleistet: 3 Mio. US-Dollar im Jahr 2018 zur Unterstützung der Vertriebenen des Bürgerkriegs in Kamerun, Reis-Nahrungsmittelhilfe für den Jemen bis 2019 und 800.000 US-Dollar für die Katastrophenhilfe in Simbabwe im Zusammenhang mit dem Zyklon Idai 2019.

Sie ist auch hier reaktiv, ad hoc und von Fall zu Fall. Eine klare, systematische Aussage und Strategie zur eigenen Politik der humanitären Hilfe für Afrika würde die Unterstützung stärken. Sie sollte auf dem „Forum für die Zusammenarbeit zwischen China und Afrika“ (FOCAC) thematisiert werden und  in einen Kontext gestellt werden. Dies würde aufbauen auf den Covid-19-Verpflichtungen und der sich entwickelnden weiteren Afrika-Politik.

Angesichts dieses relativ geringen Anteils sind die Erwartungen hoch. Im Rahmen der G20-Initiative zur Aussetzung des Schuldendienstes stimmte China zu, die Rückzahlung zinsloser Darlehen ab Mai 2020 auszusetzen. Etwa 38 afrikanische Volkswirtschaften kommen für die G20-Initiative in Frage, und auf Drängen afrikanischer Staats- und Regierungschefs nach stärkeren Maßnahmen kündigte China im Juni 2020 an, dass es "relevanten" afrikanischen Volkswirtschaften bis Ende 2020 zinslose Darlehen mit Fälligkeit Ende 2020 erlassen werde.

Dies wurde kritisiert, weil es "die Verschuldung Afrikas anheizt". Die Forschungsinitiative SAIS-CARI stellte jedoch fest, dass der Verzicht nur auf einen Bruchteil der chinesischen Kredite zwischen 2000 und 2018 abzielt – ganze fünf Prozent. Angesichts der Tatsache, dass etwa die Hälfte der chinesischen Kredite zu Vorzugs- oder marktüblichen Bedingungen vergeben werden, dürften etwaige Umschuldungsverhandlungen zäh und langwierig sein.

Stärkung des Dialogs und der Entwicklungszusammenarbeit

Die dringende politische Notwendigkeit besteht darin, einen zielgerichteten internationalen Dialog zu führen, um das Übergreifen größerer politischer Spannungen zu verhindern und die künftige Zusammenarbeit im Bereich der humanitären Hilfe zu stärken. Die G20 hat dafür einen flexiblen politischen Handlungsspielraum und eine multisektorale Beteiligung und sollte bei der Förderung dieses Dialogs eine Führungsrolle übernehmen.

Der Dialog über humanitäre Hilfe muss dabei politische Fragen konstruktiv angehen. Die Behandlung von Themen, die für die Zusammenarbeit in der humanitären Hilfe besonders relevant sind, ist von entscheidender Bedeutung. Das wird jedoch schwierig werden, solange die Politik in der dabei weiter eine Rolle spielt. So sind die Differenzen zwischen den USA und China in Bezug auf die Weltgesundheitsorganisation mit dem US-Präsidentschaftswahlkampf  und der gegenwärtigen  Führung in China verwoben, während ein Schuldenerlass aus humanitären Gründen mit Fragen der globalen und regionalen Wirtschaftspolitik ebenso zusammenhängt wie mit strategischen Interessen.

Im Sinne von einem besseren Datenaustausch und Transparenz würden Dialog und Koordination weiter gestärkt, wenn alle Parteien vollständige Daten über ihre globale humanitäre Hilfe offenlegen würden. Dies sollte auf folgenden Elementen aufbauen: dem Finanznachverfolgungs-Dienst des UNO-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UN-OCHA), den auf dem Weltgipfel für humanitäre Hilfe 2016 eingegangenen Verpflichtungen, dem gemeinsamen Standard der Internationalen Transparenzinitiative für die Veröffentlichung von Daten zur humanitären Finanzierung sowie dem Gläubigerberichterstattungssystem der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD-DAC).

Der vorliegende Aufsatz erschien zuerst im Oktober 2020 im Institute of Development Studies: Renwick, N. (2020) 'China and Humanitarian Aid Cooperation', IDS Policy Briefing 170, Brighton: Institute of Development Studies. Übersetzung und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von IDS und Autor.   

Neil Renwick, Professor of Global Security, Coventry University
Neil Renwick Coventry University, Department of International Studies and Social Science
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