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  • Krisen & Humanitäre Hilfe
  • 04/2025
  • Prof. Dr. Volker Perthes, Dr. Wibke Hansen
Schwerpunkt

Hunger im Sudan: eine menschengemachte Katastrophe

Plünderungen, Brandschatzungen, Blockaden – die Kriegsparteien setzten Hunger als Waffe ein und ließen das Nahrungsmittelsystem kollabieren. In zwei Jahren entwickelte sich die derzeit weltweit größte humanitäre Krise.

Ein Konvoi des Welternährungsprogramms (WFP) 2014 auf dem Weg nach Nord-Darfur. Damals wurden dort Hilfslieferungen von Truppen der AU und UN (UNAMID) geschützt. © UN Photo/Albert González Farran

Der andauernde Krieg im Sudan begann im April 2023 als Konflikt zwischen den Führungen der Sudanesischen Streitkräfte (SAF), dem regulären Militär des Landes unter General Abdelfattah Burhan, und den Rapid Support Forces (RSF), formal eine Truppe zur Rebellenbekämpfung, de facto eine meist tribale, private Miliz unter General Mohamed Hamdan Daglo, der meist  Hemedti genannt wird. Im Oktober 2021 hatten die beiden Generäle gemeinsam die damalige zivile Regierung gestürzt und das Land unter Militärherrschaft gestellt. Burhan fungierte als De-facto-Präsident, Hemedti als sein Stellvertreter. Nachdem sie erkannt hatten, wie schwierig es war, das Land zu regieren, schlossen die beiden Generäle Ende 2022 ein politisches Abkommen mit zivilen politischen Kräften, das die Rückkehr zu einer zivilen Regierung vorsah.

Im Frühjahr 2023, während Einzelheiten dieses Abkommens ausgearbeitet wurden, verschärften sich die Differenzen zwischen den beiden militärischen Formationen. Ein wichtiger Streitpunkt war die Integration der RSF in die regulären Streitkräfte, die zwar im Abkommen vorgesehen war, Hemedti aber seiner unabhängigen Machtbasis beraubt hätte. Der eigentliche Kriegsgrund aber lag in der  Rivalität der Generäle und ihrer jeweiligen militärischen, politischen oder tribalen Netzwerke um die Kontrolle des Staates und seiner Ressourcen.[1]

Militärische und politische Dynamik

Während der Krieg als Konflikt zwischen SAF und RSF begann, stützten sich beide Seiten zunehmend auf politische und tribale Milizen und rekrutierten immer mehr Kämpfer. Der Konflikt wurde immer mehr zum Bürgerkrieg. Verschiedene regionale und internationale Mächte haben Vermittlungsversuche unternommen, um die Kämpfe zu beenden. Einige dieser Mächte heizten auch – mitunter gleichzeitig – den Krieg weiter an.

Zu Beginn des Krieges erzielte die RSF schnelle militärische Erfolge und beherrschte innerhalb weniger Tage fast die gesamte Hauptstadt. In den Folgemonaten brachte sie vier der fünf Bundesstaaten von Darfur, Teile von Süd- und West-Kordofan sowie die wichtigsten Verbindungsstraßen zwischen Khartum und diesen Gebieten unter ihre Kontrolle. Etwa ein Jahr lang kontrollierten sie größtenteils auch den Bundesstaat Dschasira, das produktivste Agrargebiet des Sudan. Das Militär hielt einige belagerte Gebiete in Khartum, kontrollierte den Norden und Osten des Landes sowie die meisten Staaten entlang des Nils. Ende 2024 begann sich die militärische Lage zu drehen. Die SAF gewann zunächst den Staat Dschasira zurück und dann, bis März 2025, auch Khartum.

Für die anfänglichen Erfolge stützten sich die RSF auf ihre hochmobilen Kräfte. Zudem konnten sie Kämpfer aus hauptsächlich arabischen Stämmen und anderen Milizen in Darfur und den Kordofans, aus anderen marginalisierten Gebieten im Sudan sowie in gewissem Umfang aus arabischen Stämmen im Tschad oder Niger mobilisieren. Die SAF setzte in hohem Maße auf ihre Luftwaffe und auf islamistische Milizen, die das islamistische Militärregime von Omar al-Bashir unterstützt hatten, das 2019 nach einem Volksaufstand  gestürzt worden war. Zudem wurde die SAF von bewaffneten Gruppen aus Darfur oder Blauer Nil unterstützt, die in den frühen 2000er Jahren gegen das Bashir-Regime gekämpft hatten. Im Verlauf des Krieges bildete die SAF neue Truppen aus und beschaffte neue Waffen, darunter hocheffiziente iranische Drohnen.

Ohne materielle Unterstützung von außen hätten weder die RSF noch die SAF so lange und so intensiv Krieg führen können. Berichten zufolge erhielt die RSF Unterstützung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die allerdings wiederholt die Lieferung von Waffen an die RSF bestritten haben. Auch aus oder über den Südsudan, den Tschad und Libyen sowie, zumindest anfangs, aus Russland kam Hilfe für die RSF. Die SAF erhielt u.a. Unterstützung aus Ägypten, dem Iran, der Türkei und ebenfalls aus Russland.

Die meisten zivilen politischen Kräfte lehnten den Krieg ab, weigerten sich, Partei zu ergreifen oder sprachen sich gegen beide Kriegsparteien aus. Im Verlauf der Auseinandersetzungen kam es allerdings zu Polarisierungen auch unter den zivilen Akteuren. Da beide Kriegsparteien keine Oppositions- oder Antikriegsbewegungen duldeten, blieb vielen politischen und intellektuellen Köpfen, die weder die SAF noch die RSF unterstützen wollten, nur die Ausreise. Eine Koalition aus politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, die die zivilen Stimmen des Sudan zu vereinen versucht hatte, spaltete sich Anfang 2025: Die Hauptströmung lehnt beide Kriegsparteien ab, während kleinere Fraktionen beschlossen, eine alternative Regierung zu bilden, die faktisch in RSF-kontrolliertem Gebiet und damit unter RSF-Kontrolle agieren würde. Die Islamische Bewegung des Sudan, die zuvor die wichtigste Stütze des Bashir-Regimes gewesen war, stellte sich auf die Seite der SAF – zweifellos mit dem Ziel, nach Kriegsende die Macht zu übernehmen.

Regionale und internationale Versuche, den Krieg zu stoppen, blieben erfolglos. Eine amerikanisch-saudische Initiative für einen humanitären Waffenstillstand wurde zwar im Prinzip von beiden Seiten akzeptiert. Die in der sogenannten Jeddah-Erklärung vereinbarten humanitären Verpflichtungen blieben jedoch Makulatur. Vermittlungsversuche der Afrikanischen Union, des IGAD (einer subregionalen Organisation) oder von Nachbarstaaten wurden von den Konfliktparteien unterlaufen. Die Rolle der Vereinten Nationen beschränkt sich im Wesentlichen auf humanitäre Bemühungen, seit ihre politische Mission (UNITAMS) auf Betreiben der SAF-gestützten Regierung beendet wurde.

Geflüchtete am Grenzübergang Adre 2025. 30,4 Millionen Menschen aus dem Sudan sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. © FCDO/Russell Watkins via Flickr

Internationale Mächte haben immer wieder ein Ende des Konflikts gefordert, dies aber nicht zur Priorität gemacht. Während sich die Biden-Regierung engagierte, wenn auch nicht auf höchster Ebene, hat Präsident Trump bislang kein Interesse an einer Konfliktlösung im Sudan gezeigt. Auch in Europa konzentriert sich die öffentliche und politische Aufmerksamkeit eher auf die Ukraine und den Nahen Osten. Der Sudan ist weit weg, und die meisten Vertriebenen sind im Land geblieben oder in die Nachbarländer geflohen, statt an die Türen Europas zu klopfen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten leisten humanitäre Hilfe, die aber kaum ausreicht, um die humanitären Appelle der Vereinten Nationen zu erfüllen oder, in jüngster Zeit, den Zahlungsausfall von USAID zu kompensieren.

Hunger im Sudan: keine Naturkatastrophe

In zwei Jahren Krieg entwickelte sich im Sudan die derzeit weltweit größte humanitäre Krise. Im März 2025 waren 12,6 Millionen Menschen auf der Flucht, die meisten von ihnen (fast 9 Millionen) innerhalb des Landes. 30,4 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen; 24,6 Millionen leiden unter hoher akutem Hunger (Phase IPC3+), während mehr als 600.000 Menschen von katastrophaler Ernährungsunsicherheit (IPC 5) betroffen sind. Im Dezember 2024 bestätigten Experten der Integrated Food Security Phase Classification (IPC) Hungersnot in fünf Gebieten in Nord-Darfur und in den Nuba-Bergen. Laut IPC ist bis Mai 2025 eine Hungersnot in weiteren fünf Gebieten in Nord-Darfur wahrscheinlich. Zusätzlich sind die Schwächsten von Cholera und anderen Krankheiten bedroht.

Die Hungerkrise im Sudan ist menschengemacht. Die Art und Weise der Kriegsführung hat das gesamte Nahrungsmittelsystem kollabieren lassen. Die Nahrungsmittelproduktion ist dramatisch zurückgegangen. Bereits 2023 war der Getreideertrag im Sudan zum Vorjahr um 46 Prozent gesunken. 2024 weitete sich der Konflikt auf den Bundesstaat Dschasira aus, auf den zuvor 50 Prozent der sudanesischen Weizen- und 10 Prozent der Sorghumproduktion entfiel. Laut lokalen Berichten brannten die RSF-Kräfte wiederholt Farmen nieder, plünderten Vorräte und Märkte oder zerstörten Dörfer in Dschasira, zusätzlich zu Angriffen auf die Zivilbevölkerung.

Auch in anderen Landesteilen hatten Landwirte aufgrund der Sicherheitslage keinen Zugang zu Ihren Feldern, konnten weder säen noch ernten. Massenvertreibungen haben die Ernährungskrise verschärft, und die hohe Inflation macht Grundnahrungsmittel für viele unerschwinglich, insbesondere für Bewohner umkämpfter städtischer Gebiete, die ihre Einkommen verloren haben.

Wasserlieferungen, wie diese ins Camp El Srief in Nord-Darfur 2011, wurden im Krieg seit 2023 zunehmend unmöglich. © UN Photo/Albert González Farran

Beide Kriegsparteien haben gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen. Die SAF hat wiederholt Luftangriffe auf dicht besiedelte Gebiete, zivile Infrastruktur und Märkte geflogen. Die RSF war an Plünderungen, Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen und ethnisch motiviertem Massenmord an Angehörigen des Masalit-Volkes in West-Darfur beteiligt.

Beide Parteien haben zudem auf unterschiedliche Art und Weise die Lieferung von humanitärer Hilfe an die Bevölkerung begrenzt oder behindert. Im Juni 2024 stellte eine Gruppe von UN-Sonderberichterstattern fest, dass sowohl die SAF als auch die RSF Nahrung als Waffe einsetze und die Zivilbevölkerung aushungere; sie verwiesen auf die Plünderung humanitärer Hilfsgüter und die gezielte Verfolgung von humanitären Helfern und lokalen Freiwilligen. Auch die International Fact Finding Mission on Sudan stellte in ihrem Bericht vom Oktober 2024 fest, dass SAF und RSF ihre Verpflichtung verletzten, hilfebedürftigen Zivilpersonen ungehinderten und schnellen Zugang zu humanitärer Hilfe zu gewähren.

Seit Beginn des Konflikts haben Plünderungen von humanitären und medizinischen Hilfsgütern die Versorgung unterbrochen. Im Juni 2023, wenige Monate nach Kriegsbeginn, wurde das WFP-Lager in El-Obeid geplündert. Insgesamt hatte das WFP bis dahin bereits Verluste von insgesamt 60 Mio. Dollar durch Plünderungen zu beklagen. Anfang 2025 machte UNICEF öffentlich, dass humanitäre Hilfsgüter für Kinder aus dem Krankenhaus Al Bashir in Khartum geplündert wurden. Auch INGOs und lokale Träger der humanitären Hilfe waren betroffen.

Die RSF haben nicht nur Lagerhäuser geplündert – oder Plünderungen  geduldet – sondern auch selbst Hunger in Darfur verschuldet. Besonders deutlich wird dies in El-Fashir, der Hauptstadt des Bundesstaates Nord-Darfur, und den umliegenden Camps für Binnenvertriebene, die seit mehr als einem Jahr von der RSF belagert werden. Besonders gefährdet ist das Camp Zam Zam (Nord-Darfur), wo im Juli 2024 erstmals eine Hungersnot festgestellt wurde. Die Menschen in Zam Zam benötigten dringend humanitäre Hilfe. Im Februar 2025 mussten allerdings sowohl Ärzte ohne Grenzen (MSF) als auch das Welternährungsprogramm (WFP) ihre Einsätze in Zam Zam aufgrund von Angriffen der RSF und schweren Kämpfen einstellen.

Sowohl die SAF als auch die RSF haben wiederholt versucht, Hilfslieferungen in Regionen die von der jeweils anderen Seite beherrscht werden, zu behindern oder zumindest zu kontrollieren.

Ein Beispiel ist der Grenzübergang Adre zwischen Tschad und Sudan. Für Hilfslieferungen nach Darfur ist er unumgänglich. Im Februar 2024 kündigten die Behörden in Port Sudan an, grenzüberschreitende humanitäre Lieferungen über Adre zu untersagen. Der Grenzübergang steht zwar faktisch nicht unter Kontrolle der SAF. UN-Organisationen und NRO, die mit den Behörden auskommen müssen, mussten sich aber an deren Anordnungen halten. Erst nach diplomatischen Interventionen verschiedener Staaten und einer Resolution des UN-Sicherheitsrats (2736, Juni 2024) stimmte die Militärregierung zu, den Übergang ab Mitte August 2024 wieder zu öffnen, zunächst für drei Monate. Diese Frist wurde seitdem mehrfach verlängert, zuletzt im Februar 2025.

Zwar haben Hilfsgüterlieferungen über die Grenzen des Sudan und in geringerem Maße auch über die inneren Frontlinien hinweg seit August 2024 zugenommen. Bürokratische und administrative Hindernisse behindern den Zugang zu den Bedürftigen jedoch weiterhin.

In Gedaref und Kassala beispielsweise, so berichtete  OCHA im Februar 2025, behinderten die SAF-gestützten Behörden humanitäre Hilfe durch die Verzögerung von Unterschriften bei technischen Vereinbarungen, durch di Verweigerung von Reisegenehmigungen und durch ihre Einmischung in die Auswahl der Empfänger. Ein Rückstau bei der Ausstellung von Einreisevisa schränkt die Arbeitsfähigkeit humanitärer Organisationen ein. Erschwerend kam hinzu, dass die Behörden den Grad der Ernährungsunsicherheit herunterspielten, Hungersnot leugneten und die Teilnahme des Sudan am IPC – dem internationalen Monitoringsystem für Hunger – aussetzten.

Auch die RSF hat über die von ihr gegründete Agentur SARHO (Sudan Agency for Relief and Humanitarian Operations) humanitäre Hilfe gebremst und behindert. Anfang 2025 mussten die Vereinten Nationen berichten, dass die Zusammenarbeit mit SARHO zunehmend schwieriger wurde und der humanitäre Raum in den RSF-kontrollierten Gebieten weiter schrumpfe. UN OCHA berichtete, SARHO verhänge Reisebeschränkungen, verhindere den Zugang von Hilfsgütern zu Orten außerhalb der RSF-Kontrolle und verordne den Hilfsorganisationen bewaffnete Eskorten.

Auswirkungen für lokale und internationale humanitäre Akteure

Diese Restriktionen und Behinderungen haben die Bestrebungen von UN-Organisationen, INGOs und sudanesisch geführten Organisationen, die vom Krieg betroffene Bevölkerung zu erreichen, unterminiert.

Lokale humanitäre Akteure haben ihr Engagement seit Ausbruch des Krieges verstärkt, auch in Gebieten, die UN-Organisationen und andere internationale Träger nicht erreichen  können. Die so genannten Emergency Response Rooms und andere zivilgesellschaftliche Hilfsgruppen und Netzwerke betreiben Gemeinschaftsküchen, versorgen Menschen in umkämpften Gebieten mit Mahlzeiten, unterstützen Binnenvertriebene und Opfer von sexueller Gewalt oder bringen Zivilpersonen in Sicherheit. Einer ihrer größten Vorteile besteht darin, dass sie dezentral Hilfe leisten können. Um ihre Arbeit fortsetzen zu können, brauchen diese Basisorganisationen jedoch internationale Unterstützung.

Im Januar 2025 registrieren sich sudanesische Geflüchtete im benachbarten Tschad. Ein Viertel der etwa 1 Million dorthin geflohenen Vertriebenen lebt in Camps nahe der Grenze. © UNHCR, 2024, Nicolò Filippo Rosso

Inzwischen haben UN-Organisationen und Geber Wege gefunden, die Emergency Rooms direkt zu finanzieren und damit ihre Arbeit abzusichern. Andererseits werden genau diese Bemühungen durch die Kürzungen der US-Mittel untergraben. Nach der Anordnung von Präsident Trump zur Aussetzung der meisten USAID-Aktivitäten, mussten Berichten zufolge bis zu 80 Prozent oder mehr als 1.100 Gemeinschaftsküchen im Sudan schließen. Davon betroffen waren schätzungsweise zwei Millionen Menschen. Und das zu einem Zeitpunkt an dem die Bedarfe, von allem im Bundesstaat Khartum stiegen: durch intensivierte Kampfhandlungen und die Plünderung von Märkten durch die RSF bei ihrem Rückzug aus der Hauptstadt.

Seit der Rückeroberung von Khartum durch die SAF befürchten lokale humanitäre Akteure und Aktivisten Vergeltungsangriffe seitens der Armee und der mit ihr verbundener Milizen. Vor allem die Milizen betrachten Menschen, die unter den RSF in Khartum geblieben sind, als „Kollaborateure“. Militärs und Milizen sehen auch die Emergency Rooms, die größtenteils aus den sogenannten „Resistance Committees“ hervorgegangen sind, die sich gegen die Militärherrschaft gestellt hatten, als Gegner.

Noch kein Ende des Krieges

Mit der Niederlage der RSF in Khartum ist der militärische Konflikt im Norden, Osten und Zentrum des Landes – zwischen Nil und Rotem Meer – höchstwahrscheinlich zuende. Das öffentliche Leben dürfte sich normalisieren, wenn auch unter einem Militärregime. Die meisten internationalen und regionalen Akteure werden die Militärregierung als Vertreterin des Staates betrachten. Die RSF dagegen wird überwiegend als Rebellentruppe betrachtet werden, die allerdings große Teile des Landes kontrolliert.

Das heißt nicht, dass der Krieg im Ganzen beendet ist. Beide Seiten haben angekündigt, die Kämpfe fortzusetzen. In Khartum hatten die RSF-Kämpfer wenig zu verteidigen. Jetzt konzentrieren sie sich aber in den noch immer ganz oder teilweise von der RSF kontrollierten Staaten Darfur und Kordofan. Die SAF-Führung hat erklärt, dass sie weiter für die Befreiung des gesamten Landes kämpfen wird. Ein militärischer Feldzug zur Rückeroberung von Darfur wird jedoch eine politische und militärische Herausforderung sein: Die Armee würde hier einer kampferprobten Truppe begegnen müssen, die ihre Dörfer und was sie  als sihr Stammesgebiet ansieht, verteidigt. Immerhin konnte die SAF in den frühen 2000ern den damaligen Aufstand in Darfur nur mit Hilfe arabischer Milizen niederschlagen, zu denen der Kern der heutigen RSF gehörte.

Wenn die Kämpfe weitergehen, besteht ein hohes Risiko einer De-facto-Teilung des Landes oder sogar einer Zersplitterung Darfurs und anderer Randgebiete in verschiedene Warlord-Fürstentümer. Das wäre keine völlig neue Situation für ein Land, in dem jahrzehntelang Kriege in der Peripherie geführt wurden, während Khartum und das Zentrum fest unter Regierungskontrolle standen.

Ein Kriegsende verlangt mehr als ein militärisches Patt. Es bedarf konzertierter Anstrengungen lokaler, regionaler und internationaler Akteure auf fünf miteinander verknüpften Ebenen.

Erstens Waffenstillstandsverhandlungen: Auf dieser Ebene, und nur auf dieser, müssen sich die SAF und die RSF als kriegführende Parteien an einen Tisch setzen. Die Gespräche sollten unter der Schirmherrschaft der USA, Saudi-Arabiens, Ägyptens und der Vereinigten Arabischen Emirate geführt werden.

Zweitens die politische Ebene: Die militärische Führung sollte hier keine Rolle spielen. Es wäre Aufgabe der Zivilisten – Vertreter politischer Parteien und der Zivilgesellschaft, Intellektuelle, Aktivisten, Frauen, Jugendliche und Menschenrechtsgruppen –, eine grundlegende gemeinsame Vision für die Zukunft des Sudan zu entwickeln. Es dürfte schwierig sein, alle zur gegenseitigen Akzeptanz und Mitwirkung zu bewegen. Die Afrikanische Union, die EU und verschiedene NRO können helfen, einen solchen Prozess in Gang zu bringen.

Drittens die humanitäre Ebene. Das ist kein „weiches“ Politikfeld. Die Bewältigung der menschgemachten humanitären Katastrophe erfordert ein entschlossenes Auftreten gegenüber Behörden, Kriegsparteien und den diversen bewaffneten Gruppen. Die Vereinten Nationen sollten die Führung übernehmen. Ohne echte Unterstützung der Mitglieder des Sicherheitsrats und der relevanten regionalen Akteure werden sie aber keinen Erfolg haben. Der Schutz und die Finanzierung der humanitären Helfer vor Ort muss sichergestellt werden.

Viertens die regionale Ebene. Mehrere Regionalstaaten haben die eine oder andere Konfliktpartei unterstützt. Sie müssen untereinander und wahrscheinlich auch mit Hilfe der Vereinten Nationen einen ehrlichen Dialog über ihre Interessen im Sudan darüber führen, wie diesen Interessen Rechnung getragen werden kann, ohne den Konflikt weiter anzuheizen.

Fünftens der Sicherheitsrat. Der Rat müsste einen Waffenstillstand oder andere Vereinbarungen unterstützen, aber auch Sanktionen gegen Kriegstreiber beschließen, unter Umständen eine neue UN-Mission einrichten, oder sich für die Unterstützung afrikanischer Beobachter oder Friedenstruppen entscheiden. Die Sicherheitsratsmitglieder dürfen ein gemeinsames Vorgehen nicht aus geopolitischen Gründen blockieren.

Alle Akteure auf diesen verschiedenen Ebenen, die konkrete Anstrengungen zur Beendigung des Krieges behindern, müssen auch öffentlich dafür zur Rechenschaft gezogen werden, , dass sie damit die schlimmste humanitäre Krise unserer Tage verlängern.

Prof. Dr. Volker Perthes SWP
Dr. Wibke Hansen Expertin für Frieden und Sicherheit

Dr. Wibke Hansen ist Expertin für Frieden und Sicherheit mit Standort in Berlin. Sie arbeitete für UNDP Sudan (zwischen 2021 und 2024 ) und für die Mission der Vereinten Nationen im Sudan (2007-09, 2010-2011).

Prof. Dr. Volker Perthes war von 2021 bis 2023 Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs (SRSG) im Sudan und Leiter von UNITAMS. Er ist unabhängiger Autor und Gast an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), deren Direktor er von 2005 bis 2020 war.

Fußnote:

[1] For more detail, see Gerrit Kurtz, Power Relations in Sudan After the Fall of Bashir, SWP Research Paper 5, May 2024  https://www.swp-berlin.org/10.18449/2024RP05/; Volker Perthes, Sudan’s Transition to War and the Limits of the UN’s Good Offices, SWP Research Paper 14, October 2024 https://www.swp-berlin.org/10.18449/2024RP14/

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