Zur Hauptnavigation springen Zur Suche springen Zum Seiteninhalt springen Zum Footer springen

  • Krisen & Humanitäre Hilfe
  • 04/2025
  • Beth Simons

Wie Ausfälle in vernetzten Daten-Ökoystemen zur Gefahr für Katastrophenvorsorge und Ernährungssicherheit werden

Kein Signal: Der Rückzug von USAID und die Aussicht auf weitere schrumpfende Budgets bedeuten, dass zentrale Datenquellen in der vorausschauenden humanitären Hilfe plötzlich nicht mehr verfügbar sind.

Das Katastrophenschutzzentrum Pacific Disaster Center nutzt das Disaster Monitoring and Response System (DMRS), um vor Katastrophen auf der Hut zu sein und schnell reagieren zu können. © University of Hawai CC BY-NC-ND 2.0

Datenökosysteme (engl. Data Ecosystems) bilden die Grundlage für die effiziente Nutzung von Daten durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Akteure, Institutionen und Prozesse, die gemeinsam daran arbeiten, diese Daten zu sammeln, zu verarbeiten, zu speichern und anzuwenden. Diese Ökosysteme sind eng miteinander verflochten, weit mehr, als gemeinhin angenommen. Ein Wegfall einer dieser Akteure oder Prozesse, hat weitreichende Auswirkungen und beeinträchtigen erheblich Entscheidungsfindungen im humanitären, entwicklungs- und klimabezogenen Bereich.

Was bedeutet es in Zeiten schrumpfender Budgets, wenn zentrale Datenquellen plötzlich nicht mehr verfügbar sind? Wie durch die Schließung der US-Entwicklungsbehörde USAID?

2012 rief UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zur „Datenrevolution“ auf und initiierte eine unabhängige Expert*innengruppe zur Förderung datenbasierter Entwicklung. Vier Jahre später folgte die Grand Bargain-Initiative 1.0 (dann 2.0/2021 und 3.0/2023) mit dem Ziel, vorausschauendes Handeln auszubauen, Partnerschaften zu stärken und Bedarfsanalysen zu verbessern. Seither hat sich der Umgang mit Daten in der humanitären Hilfe und Entwicklungspolitik radikal verändert. Eine Vielzahl an Methoden und Plattformen sind beispielsweise zugänglich über ReliefWeb oder den Humanitarian Data Exchange. Zugleich haben sich meteorologische Vorhersagen oder KI-gestützte Prognosemodelle etwa zu Vertreibungen und Konflikten technisch stark verbessert.

Die Welthungerhilfe und die Menschen, mit denen wir arbeiten, nutzen solche Datenquellen täglich für zentrale Entscheidungen: Saisonale Wetterprognosen helfen bei der Frage, ob dürreresistentes Saatgut eingesetzt oder Hilfsgüter an gefährdeten Orten eingelagert (s.u.) werden sollen. Analysen zur Ernährungssicherheit zeigen auf, wo gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Lage notwendig sind. Oft unbeachtet bleiben jedoch die verborgenen Verflechtungen zwischen diesen Datenquellen. Unsere Daten hängen – lokal, national oder global – voneinander ab. Die Schließung von USAID und angekündigte Kürzungen weiterer Geber legen offen, wie fragil dieses Ökosystem ist. Dabei ist es die Grundlage für unser zentrales Ziel: eine Welt ohne Hunger.

Vorausschauende humanitäre Hilfe – auf Daten angewiesen

Analyse von Risiken deren Auswirkungen:Das Welthungerhilfe-Programm WAHAFA (Welthungerhilfe Anticipatory Humanitarian Action Facility) nutzt ein breites Datenspektrum, um vorausschauende Maßnahmen frühzeitig umzusetzen. Um gefährdete Regionen zu identifizieren, greifen Projektteams auf Daten nationaler Katastrophenschutzbehörden, internationale Datenbanken wie EM-DAT (teilweise von USAID finanziert) sowie auf lokales Wissen und Erfahrungswerte zurück. Zusätzliche Informationen entstammen Berichten des UN-Büros für humanitäre Koordination (OCHA), die Beiträge zahlreicher UN-Organisationen und NGOs bündeln. All diese Berichte sind aufgrund von Budgetkürzungen gefährdet, obwohl sie für die Analyse vergangener humanitärer Krisen und die Priorisierung weiterer Hilfsmaßnahmen unverzichtbar bleiben. Eine fundierte Risikoanalyse lässt sich nicht auf einzelne, isolierte Datenquellen basieren.

In der Mekong-Partnerschaft unterstützen USAID, Japan und Marokko ein Lagezentrum zur ständigen Überwachung der Flussläufe. © USAID/Nancy Rothgerber via USAID Asia Flickr

Bewertung der Anfälligkeit für Gefahren: Sobald gefährdete Regionen identifiziert sind, müssen besonders vulnerable Gemeinschaften ermittelt werden. Doch Vulnerabilität ist vielschichtig. Unsere Teams erheben vor Ort Primärdaten, die mit nationalen und internationalen Indikatoren – etwa zu Demografie, Gesundheit oder Einkommen – kombiniert werden. Ein bewährtes Instrument ist die Household Economic Analysis (HEA). Sie bewertet Ernährungssicherheit, Lebensgrundlagen und Armutsrisiken und liefert Frühwarninformationen. Die HEA beruht auf Primär- und Sekundärdaten und analysiert Versorgungsquellen, Einkommen und den Bedarf an Unterstützung. Auch hier gilt: Eine einzelne Datenquelle reicht nicht aus.

Der richtige Zeitpunkt:  Mithilfe von frei verfügbaren und zuverlässigen Beobachtungen und Vorhersagen können wir aufkommende Gefahren frühzeitig erkennen. Ein Beispiel sind saisonale Klimavorhersagen. Sie entstehen durch die Kombination und Zusammenführung verschiedener Vorhersagemodelle mehrerer Agenturen. Ein Beispiel ist die El Niño / La Niña-Southern Oscillation (ENSO), die Variationen der Meeresoberflächentemperaturen im tropischen Pazifik erfasst. Erhöhte Temperaturen, die als El-Niño-Phase bezeichnet werden, verändern weltweite Wettermuster und führen oft zu erhöhten Überschwemmungsrisiken in Ostafrika und Dürren im südlichen Afrika.

Solche Entwicklungen lassen sich Monate im Voraus prognostizieren – was eine Chance für vorausschauendes Handeln darstellt. Die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) der Vereinigten Staaten ist ein führender Vorhersagedienst für ENSO. Ihre ENSO-Prognosen fließen in regionale Frühwarnsysteme und nationale Vorhersagen ein, erreichen die Bevölkerung über Radio, SMS oder Aushänge. Welche Auswirkungen mögliche Kürzungen auf den wertvollen Datendienst NOAA haben werden, bleibt noch unklar.

Zwar gibt es keine zu 100 Prozent genaue Vorhersage. Doch bei der Arbeit mit Unsicherheiten hilft ein Vergleich verschiedener Prognose- und Beobachtungsquellen, einschließlich der Informationen aus den betroffenen Gemeinden, um Entscheidungen über vorausschauende Maßnahmen – ja oder nein – zu treffen. Seit im Januar die US-finanzierte Plattform FEWSNET deaktiviert wurde, konnten wir Berichte über Dürren in Projektländern nicht mehr über diese Quelle bestätigen. Infolge der gestoppten US-Auslandshilfen war auch die Plattform offline. Ungeachtet von Hinweisen, dass der Service wieder aufgenommen werden könnte, bleibt FEWS NET zum Zeitpunkt dieses Berichts abgeschaltet. Ohne den aktiven Schutz unserer Infrastruktur für Daten und Analyse gefährden wir aber auch unsere Fähigkeit, auf vorhersehbare Krisen rechtzeitig zu reagieren.

Etwa, indem wir Hilfsgüter dort frühzeitig dort einlagern, wo sie gebraucht werden: Effektive Katastrophenvorsorge erfordert rechtzeitige Vorbereitungsmaßnahmen. Dazu gehört die Vorpositionierung von Hilfsgütern – am richtigen Ort, zur richtigen Zeit. Dafür müssen wir zwei Fragen zuverlässig beantworten können:

Daten aus verschiedenen Quellen wie Berichterstattung von Organisationen, historische Daten und Risikoinformationen zu bestimmten Gefahren ermöglichen es uns, proaktiv essenzielle Vorräte frühzeitig, noch vor dem Eintreffen einer Katastrophe zu lagern.

Vorverpackt: Hilfsgüter auf den Philippinen werden an Opfer eines Taifuns ausgegeben. © KigaliFilms/Welthungerhilfe

Das ESUPS-Projekt (Emergency Supply Pre-positioning Strategy) verfolgt genau dieses Ziel. Mithilfe der Plattform STOCKHOLM werden Lagerdaten von humanitären Partnern mit einem mathematischen Modell verknüpft, das mit Institutionen wie der Penn State University und dem MIT entwickelt wurde. STOCKHOLM sammelt und analysiert Daten zu vorrätig gelagerten Hilfsgütern auf Länderebene und erstellt kollaborative Empfehlungen für nationale Vorratshaltungsstrategien. So kann festgelegt werden, welche Bestände wo benötigt werden, um die Reaktion auf zukünftige Krisen zu optimieren.

STOCKHOLM liefert auch Empfehlungen, wie Hilfsgüter vor dem Eintreffen eines Gefahrenereignisses umverteilt werden können. Das maximiert die Effizienz der Reaktion und die Lagerrotation und reduziert Verschwendung. Derzeit berichten 125 Agenturen aus 58 Ländern an die Plattform.

Ohne Daten keine Hungerbekämpfung

Seit 2006 veröffentlichen Welthungerhilfe, Concern Worldwide und das IFHV jährlich den Welthungerindex (WHI). Er misst und vergleicht die Ausprägung von verschiedenen Hungerindikatoren in der Welt, in verschiedenen Regionen und in einzelnen Ländern – und liefert Handlungsempfehlungen, um den Hunger zu beenden.

Er basiert auf vier zentralen Indikatoren:

Diese Daten stammen von UN-Organisationen, die ihrerseits zunehmend von Einschnitten in Budgets betroffen sind. Das DHS-Programm – eine Schlüsselquelle für Gesundheits- und Ernährungsdaten – wird derzeit aufgrund der USAID-Kürzungen pausiert. Über den WHI hinaus ist diese Quelle entscheidend für die Verbreitung von Daten zu Gesundheits- und Ernährungsfragen weltweit. Sie wird verwendet, um Programme in diesen Bereichen zu informieren, die unerlässlich sind für die Beendigung des weltweiten Hungers. Wie bei vielen Quellen im Daten-Ökosystem spielt die konsolidierte Sammlung vertrauenswürdiger Informationen und Umfragemethoden wie aus DHS, eine unschätzbare Rolle für die systematische Analyse und Priorisierung von Programmen.

In Sierra Leone wird im Gesundheitswesen Personal aus Mitteln von USAID Gesundheitsdaten im Umgang mit Daten geschult. © UNICEF Sierra Leone/2018/Mason

Als weitere zentrale Informationsquelle in der Hungerbekämpfung wird auch von WHH die Integrated Food Security Phase Classification (IPC) genutzt. Die globale, standardisierte Methode zur Klassifizierung von Ernährungskrisen bewertet das Ausmaß und die Schwere von Hunger und Mangelernährung und ermöglicht fundierte Entscheidungen für humanitäre Hilfe. Sie basiert auf Primär- und Sekundär-Daten von verschiedenen Organisationen, die Bewertungen zu Ernährungssicherheit, guter Ernährung, Gesundheit, WASH und Lebensgrundlagen durchführen.

Das Analysemodell der IPC macht strukturelle Ursachen von Hunger sichtbar. Die Aufrechterhaltung der IPC-Prozesse ist gerade jetzt – nach dem Ausfall von FEWS NET –   wichtiger denn je, um Krisen frühzeitig zu erkennen und Hungersnöte zu verhindern.

Fazit und Ausblick

Sammlung, Übertragung und Nutzung von Daten im humanitären, entwicklungs- und klimabezogenen Bereich sind eng zu einem Ökosystem verflochten. Die Schließung von USAID und schrumpfende Etats anderer Geber bedrohen dieses Gefüge. Vereinzelte Daten erlauben es nicht, gefährdete Gemeinschaften zu identifizieren oder den Hunger wirksam zu bekämpfen.

Doch es gibt Handlungsspielräume:Im Kontext der Hungerbekämpfung gibt es Möglichkeiten, die Kontinuität von Daten auch bei sinkender Finanzierung zu gewährleisten. Ein zentraler Weg führt über die Lokalisierung von Daten und Analyseprozessen. Lokale Akteur*innen – Gemeinschaften, zivilgesellschaftliche Organisationen und regionale Behörden – sind zuverlässige Quellen für präzise, kontextspezifische Informationen. Stärkt man ihre Fähigkeit zur Datenerhebung und –analyse, kann man sicherstellen, dass wichtige Informationen auch in schwierigen Zeiten gesammelt werden. Zudem verbessert die Integration lokaler Netzwerke in Instrumente wie den Welthungerindex die Qualität und Relevanz der Daten. Dieser Ansatz fördert nicht nur die Datensicherheit, sondern ermöglicht auch eine anpassungsfähigere und nachhaltigere Hungerbekämpfung, die nahe an den Bedürfnissen und Realitäten vor Ort ist.

Im Bereich der vorausschauenden humanitären Hilfe spielt die Lokalisierung eine ebenso entscheidende Rolle. Die Einbeziehung von lokalen Beobachtungen und lokalem Wissen in die Analyse erhöht die Genauigkeit der Vorhersagen, wo Gefährdungen voraussichtlich auftreten werden. Gleichzeitig braucht es politische Unterstützung für "No Regrets“-Ansätze – also Maßnahmen, die auch bei Unsicherheit sinnvoll und wirksam sind, also unabhängig davon, ob das Gefährdungsereignis wie erwartet eintritt oder nicht. Lokale Akteure können zur Datenerhebung beitragen und eine wesentliche Rolle bei der Vorpositionierung von Hilfsgütern sowie der Entwicklung nationaler Strategien spielen.

Wenn wir Gemeinschaften und lokale Akteure konsequent ins Zentrum von Ökosystemen für die Erhebung und Analyse von Daten rücken, schaffen wir die Grundlage für gerechtere, zugänglichere und wirksamere Systeme – und stärken damit unsere kollektive Verantwortung, den weltweiten Hunger zu beenden.

Beth Simons Welthungerhilfe (WHH), Humanitarian Directorate
  • Die URL wurde in die Zwischenablage kopiert

Das könnte Sie auch interessieren

pageLoader