Wenn Landnahme Konflikte schürt: "Land for Life" sucht den Ausgleich im Dialog
Fortschrittliches Landrecht und verantwortungsvolle Investitionen stehen oft Bestechlichkeit und Intransparenz gegenüber. Wie lokale Gemeinden sich gleichberechtigt Gehör verschaffen können.
Wer entscheidet, wem Land gehört? Wer es für seine Zwecke nutzen darf? In vielen Ländern sind diese Fragen schwer zu beantworten. Landtitel sind oftmals schlecht dokumentiert. Verschiedene Verwaltungssysteme prallen aufeinander – rechtliche, traditionelle oder postkoloniale Gepflogenheiten. Häufig sind Gesetze zu Landbesitz in sich nicht konsistent, haben Lücken, oder werden – vor allem – unzureichend in die Praxis umgesetzt. Dazu kommt, dass Bürger oftmals wenig Wissen haben über Gesetze und sie betreffende Gerichtsurteile. So bietet sich ein weiter Nährboden für Landraub, gewaltsame Konflikte, Einschüchterung oder Umsiedlung von Anwohnern, Marginalisierung und nicht zuletzt Hunger.
Zugang zu Land steht in ländlichen Gebieten in einem direkten Zusammenhang mit Zugang zu Nahrung und Wohlstand. Dort wo die Nutzung von Land nicht rechtlich gesichert ist, erhöht sich das Risiko für Hunger und Armut. Bei großflächigen landwirtschaftlichen Privatinvestitionen, die viele Länder des globalen Südens geprägt haben, wird besonders deutlich, welche drastischen Auswirkungen Landverlust und die fehlende Einbeziehung und Kompensation lokaler Landnutzer haben können. In den letzten Jahren haben sich viele Gesetze, internationale Richtlinien und Prinzipien des Themas angenommen und die Rechte lokaler Bevölkerungen in der Theorie gestärkt. In der Praxis lassen spürbare Verbesserungen zu ihren Gunsten aber weiter auf sich warten.
Denn Zugang zu Land gerecht gestalten, das bedeutet weit mehr als Investoren, die sich an gesetzliche Vorschriften halten. Wie kann das Landrecht der lokalen Nutzer rechtlich geschützt und formalisiert werden? Wie bekommen lokale Landnutzer ausreichend juristisches Wissen und Unterstützung an die Hand, um informierte Entscheidungen treffen zu können? Wer stellt sicher, dass Vereinbarungen eingehalten und umgesetzt werden? Wie wird Land und möglicher Profit innerhalb der lokalen Gemeinden verwaltet und verteilt? Eine ganzheitliche Beschäftigung mit den vielen Schichten fairer Landpolitik muss weiter greifen als meist ergebnisarme Konsultationen zwischen Gemeinschaften und Investoren. Sie muss belastbare Ergebnisse liefern, statt Lösungen zu simulieren.
Frauen im Nachteil
Exemplarisch für die gesamte Problematik seht der weit verbreitete Zustand, dass Frauen zwar den Großteil der Arbeit in der landwirtschaftlichen Produktion leisten, weit überwiegend aber Männer das Land besitzen, auf dem die Frauen arbeiten. Gerade hinsichtlich dieser Schieflage klaffen rechtliche Vorgaben und die Praxis weit auseinander. Nur auf dem Papier werden Frauen, Jugendliche, Menschen mit Behinderung oder andere marginalisierte Gruppen in Landfragen so einbezogen, wie es ihnen zustehen würde – trotz erheblicher weltweiter Fortschritte zur Verbesserunge gesetzlicher Rahmen zu Landpolitik und verantwortungsvollen landwirtschaftlichen Investitionen in den vergangenen zehn Jahren. Faire Verwaltung von Land scheitert aber zu oft an Korruption, fehlenden Rechenschaftspflichten und mangelnder Transparenz von Prozessen.
An diesem Zustand tragen Politik, Wirtschaft und auf Vorteile erpichte traditionelle Führer meist gleichermaßen ihren negativen Anteil. So werden lokale Gemeinden konsultiert und formell in Verhandlungen mit Investoren einbezogen, die Land übernehmen wollen. Doch diese vermeintliche Beteiligung vollzieht sich nur selten auf Augenhöhe. Gegen große Firmen, ihre Regierung oder einflussreiche traditionelle Führer können einzelne Gemeinden meist nicht bestehen, weil ihnen schlicht das notwendige rechtliche Wissen und eine klare Vertretungsstruktur fehlen.
"Land for Life"-Initiative
Die gemeinsam mit lokalen Partnern in Äthiopien, Burkina Faso, Liberia und Sierra Leone von der Welthungerhilfe 2017 ins Leben gerufene Initiative „Land for Life“ wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert.
Einen Lösungsansatz für eben diese Missstände bietet die „Land for Life“-Initiative. Sie verfolgt den Ansatz, die beschriebenen Machtungleichgewichte gezielt durch die Stärkung der schwächeren Akteursgruppen auszugleichen. Es soll eine Basis für eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen allen relevanten Interessenvertreter*innen entstehen, z.B. der Regierung, dem Privatsektor, der Zivilgesellschaft, lokalen Gemeinden, traditionellen Führern oder der Wissenschaft. Auf dieser Basis werden alle Beteiligten informiert, sie können ihre Bedürfnisse und Perspektiven für alle verständlich vorbringen, und es kann im Austausch gegenseitiges Verständnis und Vertrauen entstehen.
Dieser offene und gleichberechtigte Dialog ist Kern eines Vorgehens im Sinn eines "dialogischen Wandels". Dabei begründen Plattformen eine formale Partnerschaft von relevanten Akteuren aus Politik, Zivilgesellschaft, Privatsektor, lokalen Gemeinden und Wissenschaft – mit dem Ziel kollektiver Führung und Entscheidungsfindung. Doch ist die Anwendung in sogenannten Multi-Akteurs-Partnerschaften (MAPs), mit denen "Land for Life" arbeitet, auch mit Herausforderungen verbunden. Dazu gehören teils sehr hierarchische Kontexte, die durch Misstrauen zwischen Akteursgruppen geprägt sind. Sie benötigen viel Zeit und Aufwand, um einen Wandel von Haltungen im Dialog zu ermöglichen.
Gelingt dies aber, dann können mit entstehenden MAPs komplexe Problemstellungen behandelt werden. Schlussendlich ist systemischer Wandel erreichbar, wenn Wissen und Expertise in einem Raum vereint, Denk- und Verhaltensweisen nachhaltig beeinflusst, und Entscheidungen an Legitimität und Nachhaltigkeit gewinnen. Und es gibt sie, die positiven Beispiele, die den Ansatz der Initiative bestätigen. Sie hat über die Jahre zu einigen Veränderungsprozessen sowohl von rechtlichen Rahmen wie auch von Verhaltensweisen verschiedener Akteursgruppen beigetragen.
Beispiel Sierra Leone
In Sierra Leone wurden 2022 progressive Landreformen verabschiedet. Durch das Custumary Land Rights Act & Land Commission Act wurden unter anderem die Rechte lokaler Gemeinden bei Entscheidungen zur Nutzung ihres Landes gestärkt. So müssen die Gemeinden zu jeder ihr Land betreffenden Entscheidung ihre vorherige, informierte und freie Zustimmung geben (FPIC). Im Zuge einer Stärkung der Rechte von Frauen müssen diese nun beispielsweise in lokalen Strukturen zur Entscheidungsfindung zu Landfragen (Land Committees) auf Chiefdom- und Gemeindeebene beteiligt werden. "Land for Life" hat eine zentrale Rolle darin gespielt, die Zivilgesellschaft um das gemeinsame Ziel der Gesetzesreform zu vereinen und traditionelle Barrieren für die Gesetzgebung zu überwinden.
Das Land an der westafrikanischen Atlantikküste ist von großflächigen Agrarinvestitionen wie für die Produktion von Palmöl oder Kautschuk geprägt, die Unfrieden und teils gewaltsame Konflikte um Land geschürt haben. Besonders traditionelle Autoritäten, die sogenannten Paramount Chiefs, spielen dabei eine große Rolle. Als traditionelle und rechtlich anerkannte „Custodians“ des Landes trafen die traditionellen Führer direkt mit Investoren und Regierung Entscheidungen zu Land – über die Gemeinden hinweg. Örtliche Nutzer wurden nicht mit einbezogen, teils verdrängt und ohne alternative Einkommensmöglichkeiten Armut und Hunger ausgesetzt. Besonders die Interessen von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen leiden unter den exklusiven Deals der Mächtigen.
Im Rahmen der "Land for Life"-Initiative wurde in Sierra Leone ein zivilgesellschaftliches Konsortium aus vier Organisationen gegründet, die Multi-Stakeholder Plattformen auf Distriktebene aufbauten und gemeinsam die zivilgesellschaftliche und Grassroots-Ebene in einer regierungsgeführten Arbeitsgruppe zu Land stärkten. Über die Stärkung von Kapazitäten und wiederholte Dialogveranstaltungen auf Gemeindeebene konnten sich die AktivistInnen bei Konsultationen zu den neuen Landgesetzen sinnvoll einbringen und ihre Interessen vertreten. Unterstützt durch koordinierte Advocacy auf nationaler Ebene konnten so die Interessen der Kleinbauern, Frauen und anderer marginalisierter Gruppen in den Gesetzen eingebracht werden.
Für den Erfolg der Gesetze hatte der dialogische Ansatz noch eine andere wichtige Funktion: Er half, verhärtete Fronten aufzubrechen, die die Verabschiedung der Gesetze lange verhindert hatten. Besonders die traditionellen Autoritäten leisteten hartnäckigen Widerstand, bedeuteten die Gesetze für sie doch einen nicht unerheblichen Machtverlust. Eine Reihe dialogisch moderierter Treffen aller Akteursgruppen führten – verbunden mit öffentlichem Druck –letztendlich zu Kompromissfindung und einem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen.
Auch vor Ort wird "Land for Life" in der Implementierung der Gesetze durch Beteiligung und Kapazitätsstärkung eine zentrale Rolle einnehmen, wenn in den lokalen Gemeinden dezentrale Komitees etabliert werden. Neben der Formalisierung von Landrechten und inklusiven Verhandlungen mit Investoren, müssen dabei auch Machtstrukturen und -gefälle innerhalb der Gemeinden berücksichtigt werden, die der Ausgrenzung einzelner Gruppen und der ungleichen Verteilung von Erlösen zugrunde liegen.
Umsetzungshürden in anderen Ländern
Erfahrungen in anderen "Land for Life"-Ländern zeigen, dass die Implementierung die eigentliche Herausforderung von erfolgreichen Landreformen ist. In Liberia hatte es bereits 2018 weitreichende Reformen des Landgesetzes gegeben, die vor allem die Formalisierung gemeinschaftlicher Community-Landrechte vorsehen. Als Hürden der Umsetzung erwiesen sich vor allem mangelnde Ressourcen und Kapazitäten angesichts der hohen Komplexität einer gerechten Festlegung und Verteilung solcher Landrechte. Die MAP spielt hier eine wichtige Rolle, Vorhaben der Zivilgesellschaft und der Regierung besser zu koordinieren und gemeinsam, statt gegeneinander, zu arbeiten.
Auch in Burkina Faso zeigt sich, dass Gesetze allein nicht ausreichen, um Landpolitik fair zu gestalten. Frauenlandrechte sind hier beispielsweise gesetzlich verankert, in der Praxis wird jedoch nach traditionellen Systemen verwaltet, was zur Folge hat, dass Landbesitz nur unter Männern vererbt wird. Die von "Land for Life" unterstützte MAP (PMAF) versuchte durch die gezielte Einbeziehung der traditionellen Autoritäten Verbesserung zu erzielen. Es gelang, eine Gruppe von ihnen zu gewinnen, die nach speziellem Training, als Champions für Frauenlandrechte auf- und eintreten.
Landreform allein genügt nicht
Mit ausreichend Ressourcen, Rechenschaftsmechanismen und politischem Willen zur Umsetzung können Landreformen der Schlüssel sein, um Entscheidungen zu Land und landwirtschaftlichen Investitionen mit Gewinn für alle Beteiligten zu gestalten. Dass sie keine alleinige Patentlösung sind, zeigen beispielswies Investitionen in Ländereien, die auf inklusiven Einigungen fußen und rechtlich keinen Landraub darstellen. Trotz rechtlicher Absicherung können anhaltende Benachteiligung und Konflikte resultieren, wenn in lokalen Gemeinden das Bewusstsein für rechtliche Ansprüche fehlt, Kommunikationskanäle zwischen Investoren und lokalen Regierungen nicht funktionieren und ungenügend Rechenschaft abgelegt wird.
In Äthiopien versucht "Land for Life" durch sogenannte “Community-Investor-Local Government-Foren" (CILGF) diese Lücken zu schließen helfen. In einem konkreten Beispiel stand eine Gemeinde in einem verhärteten Konflikt mit einem Investor einer Zierpflanzenfarm. Eine verhandelte Kompensationszahlung für den Verlust ihres Landes empfand die lokale Gemeinschaft als unzureichend. Hinzu kamen soziale Fragen, wie die vorherrschenden Arbeitsbedingungen für die Ortskräfte, und Umweltprobleme wie die chemische Verunreinigung von landwirtschaftlichen Nutzflächen der Gemeinden.
Im Zuge der Etablierung eines CILGF konnten Änderungen in den Verhaltensweisen der Akteure beobachtet werden. Alle drei Akteursgruppen kommen in regelmäßigen Abständen für einen moderierten Dialog zusammen. Ergänzt wird dies durch gemeinsame Trainings etwa zu Rechtsfragen. In allen drei Akteursgruppen stieg das Bewusstsein für die Reglementierung von Land. Gemeinden fiel es leichter, ihre Rechte einzufordern. Gemeinsam wurde eine Untersuchung zu den Umweltauswirkungen der Produktion und der Angemessenheit der Kompensationszahlungen in Auftrag gegeben, die als Grundlage für weitere Verhandlungen dienen kann.
Ein regelmäßiger Austausch, bei dem alle Seiten dazulernen, verbunden mit einer objektiven, moderierten Auseinandersetzung mit den Konfliktpunkten haben unter den beteiligten Gruppen zu Vertrauen und Verständnis beigetragen und konkrete Verbesserungen für die Lebens- und Umweltbedingungen der Gemeinschaften herbeigeführt.
"Land Grabbing" ist Symptom
Redet man also über “Land Grabbing”, so umschreibt dies lediglich ein Symptom eines tieferliegenden Problems. Dies kann nicht durch eine Reform von Gesetzgebungen allein gelöst werden. Im Zentrum der Problematik stehen systemische und strukturelle Herausforderungen wie ungleiche Machtbeziehungen und fehlende Strukturen. Sollen Hunger und Armut durch einen gesicherten Zugang zu Land und seinen natürlichen Ressourcen bekämpft werden, muss der Umgang mit Landnahmen ein ganzheitlicher sein, der alle relevanten Akteure einbezieht und vor allem jenen eine Stimme gibt, die wegen Unwissen, fehlender Einbeziehung oder vorsätzlicher Marginalisierung nicht gehört werden.
Eine nachhaltige Landpolitik benötigt gleichberechtigte Zusammenarbeit, den Abbau verhärteter Fronten und ausreichend finanzielle Ressourcen. Es ist eine Mammut-Aufgabe, die nur gemeinsam und mit viel Durchhaltevermögen zu bewältigen ist. Schnelle Lösungen sind im Landrecht eher selten. Nachhaltige Lösungen erfordern einen langen Atem und einen ganzheitlichem Ansatz.