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  • Wirtschaft & Menschenrechte
  • 12/2022
  • Prof. Stefanie Lemke
Schwerpunkt

Frauen und Landrechte: Gesetze sind gut – Zugang zu Gemeindeland noch besser

Weil Frauen stärker als Männer von Unterernährung betroffen sind, müssen ihre Rechte auf Land gestärkt werden. Am besten durchsetzbar ist das im Kleinen – über verbrieften Zugang zu kollektivem Land.

Frauen beim Reisanbau in Burkina Faso. Ihre Rechte auf Land erkennen zwar viele nationale Gesetze an, in der Praxis bleiben sie aber benachteiligt. © Happuc/Welthungerhilfe

Hunger und Ernährungsunsicherheit nehmen weltweit seit 2015 wieder zu, besonders in Afrika. Die Coronakrise, der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, anhaltende Konflikte in anderen Krisenregionen sowie die Klimakrise und deren Auswirkungen verschärfen die Situation weiter. Die Welternährungsorganisation (FAO) prognostiziert, dass 2030 – dem Jahr, in dem das UN-Nachhaltigkeitsziel, den Hunger zu beenden, erreicht werden sollte, noch über 700 Millionen Menschen unter Hunger leiden werden. Es ist offensichtlich, dass unsere Ernährungssysteme darin versagen, Hunger zu bekämpfen.

Viele Expert*innen sind sich einig, dass wir eine radikale Transformation des globalen Ernährungssystems brauchen, um die Klimaziele zu erreichen. Sie empfehlen vor allem, lokale Ernährungssysteme und besonders die kleinbäuerliche Landwirtschaft zu fördern, weniger Lebensmittel zu verschwenden und den Fleischkonsum zu reduzieren. Andere halten an dem Narrativ fest, „wir müssen die Welt ernähren“, um die Produktion von Nahrungsmitteln noch weiter zu steigern und die Landwirtschaft weiter zu intensivieren.

Hunger und Unterernährung treffen Frauen besonders stark

Es ist aber so, dass ein Mehr an Produktion gar nicht bei den Gruppen ankäme, die am meisten von Hunger betroffen sind – nämlich Kleinbäuer*innen, Pastoralist*innen, Fischer*innen, Indigene Gruppen sowie die landlose Bevölkerung. Frauen sind darunter stärker von Hunger und Mangelernährung betroffen als Männer. Weltweit leiden immer noch ein Drittel der Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter an Anämie (Blutarmut), mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen, auch für ihre neugeborenen Kinder. Entwicklungsprogramme zum "Empowerment" von Frauen bleiben langfristig wirkungslos, wenn sie nicht zugleich an den strukturellen Ursachen von Hunger ansetzen.

Nicht wenige Ursachen beruhen auf genderbasierter Diskriminierung und Gewalt: darunter die frühe Verheiratung von Mädchen, die fehlende Mitbestimmung von Frauen hinsichtlich des Zeitpunkts und der Anzahl der Schwangerschaften, Genitalverstümmelung, sexuelle Gewalt und mangelnde Gesundheitsvorsorge, besonders für schwangere Frauen und Mütter mit Kleinkindern. Weiterhin haben Frauen in vielen Gesellschaftssystemen keinen gleichberechtigten Zugang zu Land, was eine längerfristige Planungssicherheit über das von ihnen bewirtschaftete Land erlauben würde.

Frauen sind beim Lesen und Schreiben häufig im Nachteil. Alfabetisierungskampagnen können helfen, Rechte durchzusetzen. © Welthungerhilfe/Loeffelbein

Selten verfügen Frauen über Produktionsmittel und Zugang zu Krediten und landwirtschaftlicher Beratung. Stattdessen beschaffen sie stundenlang Wasser und Feuerholz für die Nahrungszubereitung und sorgen für ihre Kinder, alte und kranke Familienmitglieder. Frauen brauchen dringend Unterstützung – innerhalb der Familie sowie von staatlichen Stellen – damit Sie Zeit und Kraft finden können, um aktiv an Entscheidungsprozessen auf Gemeindeebene teilzunehmen.

Neue Rechte auf Land und Saatgut – auch für Frauen?

Im Jahr 2018 haben die Vereinten Nationen ein neues Menschenrecht anerkannt. In der Erklärung über die Rechte von Kleinbäuer*innen und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten (United Nations Declaration on the Rights of Peasants and other people working in rural areas, UNDROP) sind die Rechte auf Land, Saatgut und Ernährungssouveränität festgeschrieben – als individuelle und als kollektive Rechte.

Von großer Bedeutung hierbei ist: Gemeinschaftliche Landsysteme müssen das Recht von Frauen auf Land gewährleisten. Vor allem in Afrika werden über 70 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Form kommunaler Landrechte nach dem sogenannten Gewohnheitsrecht verwaltet, das oft im Gegensatz zur nationalen Gesetzgebung steht. Diese räumt Frauen in vielen Ländern durchaus gleiche Rechte ein. Doch fällt es Frauen vor allem in ländlichen Gebieten schwer, diese Rechte einzufordern. Sie können kein Land erben und nur begrenzt mitbestimmen, wie das Land genutzt wird. Dies wird auch als Family Land Grabbing bezeichnet.

UNDROP bekräftigt zwar die Gleichstellung von Frauen, wie sie seit 1979 im Internationalen Pakt der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen (Convention on the Elimination of all forms of Discrimination Against Women, CEDAW) verankert ist. Die Erklärung erkennt aber nicht ausdrücklich das Recht von Frauen an, Land zu erben. Weiterhin betont sie, dass Frauen nicht diskriminiert werden dürfen, räumt ihnen aber nicht explizit gleiche Rechte bei einer Agrarreform oder bei der Zuteilung von Gemeindeland ein.

Mitglieder der Bewegung für globale Ernährungssouveränität setzen sich darüberhinaus zwar für den Schutz kommunaler Landrechte ein, versäumen es aber, die Rechte von Frauen in diesen Systemen einzufordern. Entwicklungsinitiativen konzentrieren sich überwiegend auf das individuelle Recht von Frauen auf Land – dabei ist aber der Zugang zu kollektivem Land für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien unerlässlich.

Die kommunalen bzw. kollektiven Landrechte werden von Vertreter*innen der Ernährungssouveränitätsbewegung als Schlüssel zum Schutz vor Privatisierung und Landraub betrachtet. Es fehlen aber Untersuchungen darüber, wie diese Gewohnheitsrechte in der Praxis umgesetzt werden und wie marginalisierte Gruppen einbezogen werden können – vor allem Frauen und Jugendliche.

Woran die Umsetzung von Frauenrechten in der Landwirtschaft scheitert

Genau hier setzt ein Projekt zur partizipativen Aktionsforschung in Ost- und Westafrika an.  In enger Zusammenarbeit werden vom Centre for Agroecology, Water and Resilience der Universität Coventry, dem Institut für Entwicklungsforschung der Universität für Bodenkultur Wien und vier lokalen Bäuer*innen- und Pastoralist*innengruppen (Kenyan Peasants League, KPL, Kenia; Pastoral Women Council, PWC, Tansania; CNOP-G, Guinea; Cofersa, Mali) relevante Forschungsfragen gemeinsam entwickelt. Die Forschungsergebnisse dienen als Basis, um Maßnahmen und Aktionen zur Stärkung von Frauenrechten auf politischer Ebene voranzutreiben.

Im Oktober 2022 tauschten alle Partnerorganisationen aus Kenia, Tansania, Mali und Guinea ihre Erfahrungen aus. Frauen, Männer und Jugendliche in den jeweiligen Gemeinden berichteten über ihre Sichtweisen, Ängste und Hoffnungen zum Recht von Frauen auf Land.

Ein Gemeindedialog in Kenia. Bäuer*innen- und Pastoralist*innengruppen sind dort in der Kenyan Peasants League organisiert. © courtesy of Stefanie Lemke

Frauen erzählten sehr offen, dass sie kein Anrecht auf das Land ihres männlichen Partners haben, wenn dieser stirbt – das Land wird automatisch männlichen Familienmitgliedern zur Verwaltung übertragen. Nicht selten müssen Frauen und ihre Kinder die Gemeinde verlassen, weil sie ihren Lebensunterhalt nicht mehr aus der Landwirtschaft bestreiten können. Unverheiratete Frauen und ihre unehelich geborenen Töchter gelten als sozial ausgestoßen, hieß es aus Kenia, und werden auch nicht innerhalb der Gemeinde bestattet. Es wurde auch von Fällen häuslicher Gewalt berichtet. Andererseits befürchten Männer, ihre Partnerin könnte sie verlassen, wenn sie über das Land bestimmen kann. Sie haben Sorge, nicht mehr respektiert zu werden, wenn Frauen mehr Rechte haben.

Landtitel für Frauen gelten als Privileg, nicht als Grundrecht

Erste Projektergebnisse aus den vier Partnerländern zeigen: obwohl Frauenrechte in nationalen Gesetzgebungen aller Länder verankert sind, werden sie oft nicht praktisch umgesetzt. Frauen und Jugendliche sind nach wie vor weitgehend von der Mitbestimmung in der kommunalen Landverwaltung ausgeschlossen. Insgesamt ist das Wissen über Landrechte gering, bei Frauen wie bei Männern. Wenn Frauen Landtitel erhalten, wird dies als Privileg angesehen, nicht als ein fundamentales Recht. Frauen berichten von sexueller und genderbasierter Gewalt, zum Beispiel wenn sie andere Vorstellungen zur Landnutzung äußern. Es komme auch zu Selbstmorden, wenn Frauen nicht in der Lage sind, Kredite zurückzuzahlen. Bisher sind nur wenige Frauen in Gemeindegremien zur Landnutzung vertreten und sie finden dort kaum Gehör.

In Tansania nimmt der Pastoral Women Council an einer Aktionsforschung zu kommunalen Landrechten für Frauen teil. © Courtesy of Pastoral Women Council

Doch es gibt auch positive Ergebnisse: Durch den Dialog und Austausch auf Gemeindeebene – den alle Teilnehmer*innen sehr begrüßen – sind manche Männer inzwischen eher bereit, ihre Frauen in Entscheidungen über Land einzubeziehen. Männer machen sich teilweise auf Gemeindeebene für die Rechte von Frauen stark. Innerhalb der Partnerorganisationen wird die Bedeutung von Landrechten für Frauen jetzt mehr wahrgenommen und die ausnahmslos weiblichen Projektleiterinnen erfahren größere Anerkennung.

Menschenrechte vor Ort umsetzen

Die Konkurrenz um Ressourcen, vor allem um Land, wird sich künftig weiter verschärfen. Während sich Maßnahmen für den Klimaschutz verstärken – wie etwa die großflächige Aufforstung so genannter marginaler Gebiete –, braucht es große Sorgfalt, damit diejenigen, die ohnehin schon in prekären Verhältnissen leben, nicht noch weiter an den Rand der Existenz und in den Hunger gedrängt werden. Gemeinschaften, die Land kollektiv verwalten und durch Zusammenhalt gestärkt sind, können Investoren mehr entgegensetzen und ihr Land und ihre Lebensgrundlage verteidigen.

Menschenrechte werden ebenso wie verbindliche Gesetzgebungen und Leitlinien wie die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen dringend gebraucht. Allerdings zeigt die langjährige Erfahrung in der Forschung und in der Zusammenarbeit mit lokalen Akteursgruppen: Menschenrechte müssen im Kleinen umgesetzt werden, innerhalb von Familien und Gemeinden. Sonst bleiben sie bedeutungs- und wirkungslos.

Prof. Stefanie Lemke Institut für Entwicklungsforschung, Universität für Bodenkultur Wien

Literatur:

Frontiers in Sustainable Food Systems, März 2022, Sonderheft Women’s Communal Land Rights, herausgegeben von Priscilla Claeys, Stefanie Lemke und Juana Camacho. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fsufs.2022.877545/full

Claeys, P., and Martignoni, J. B. (2021). Women are Peasants Too. Gender equality and the UN Declaration on the Rights of Peasants. CAWR Policy Brief. https://www.coventry.ac.uk/globalassets/media/global/08-new-research-section/cawr/cawr-policy-briefs/women-are-peasants-too-policy-brief—14-12-21.pdf

Claeys, P., and Edelman, M. 2019. The United Nations declaration on the rights of peasants and other people working in rural areas. J. Peasant Stud. 47, 1–68. doi: 10.1080/03066150.2019.1672665

International Institute for Environment and Development (IIED) 2006. Innovation in Securing Land Rights in Africa: Lessons from Experience; IIED: London, UK.

Lemke, S., and Claeys, P. 2020. Absent voices: women and youth in communal land governance. Reflections on methods and process from exploratory research in west and east Africa. Land 9, 266. doi: 10.3390/land9080266

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