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  • Wirtschaft & Menschenrechte
  • 12/2020
  • Erwin Northoff

Mit höheren Kakaopreisen gegen illegale Kinderarbeit

Ein Schokoladenhersteller aus Amsterdam hat der Ausbeutung von Kindern den Kampf angesagt. Wie geht das?

Ein Sack voller Kakaobohnen.
Die Herkunft der Kakaosäcke aus Ghana ist über ein Cloud-basiertes System zurückverfolgbar. Die niederländische Schokoladenfirma Tony's Chocolonely hat dafür die Plattform Beantracker entwickelt. © PR

Wer ein Stück Schokolade isst, dem ist selten bewusst, dass für die Erzeugung des Rohstoffs im grossen Ausmaß Kinder ausgebeutet werden. In Ghana und der Elfenbeinküste, den zwei größten Erzeugerländern von Kakao in Westafrika, produzieren rund 2,5 Millionen Kakaobauern etwa 60 Prozent des Weltkakaos. Sie leben in extremer Armut, da der Preis für ihre Ware viel zu niedrig ist. Die meisten sind deshalb auf die Mitarbeit von Kindern angewiesen. Für Minderjährige ist die Arbeit in den Plantagen oft sehr gefährlich: Sie benutzen Macheten, versprühen Pestizide ohne Schutzkleidung und schleppen schwere Lasten. 

Vor diesem Hintergrund hat die Schokoladenfirma Tony´s Chocolonely mit Sitz in Amsterdam der Ausbeutung von Kindern den Kampf angesagt. Sie hat sich in wenigen Jahren von einer rein holländischen Firma zu einer globalen Marke entwickelt. Im vergangenen Jahr setzte sie hauptsächlich in den Niederlanden und den USA, in Großbritannien und Irland sowie in Deutschland, Österreich und der Schweiz 88 Millionen Euro um.

Wir haben nachgefragt bei Nachhaltigkeitschef Paul Schoenmakers

Herr Schoenmakers, ist Tony’s Chocolonely eine Schokoladenfirma oder ein politisches Unternehmen? 

Schoenmakers: Wir sind ein Unternehmen, das Einfluss nehmen und etwas verändern will, und wir stellen gleichzeitig Schokolade her. Schokolade ist für uns ein Mittel, um die Schokoladenindustrie von innen heraus zu verändern. Wir sind stolz auf unsere Marke und unser Geschäftsmodell, mit dem wir natürlich auch Geld verdienen. Wir zeigen, man kann Schokolade erzeugen und gleichzeitig Probleme in den Kakao-Erzeugerländern lösen, Armut verringern und mit den Bauern zusammenarbeiten, um Kinderarbeit langfristig zu reduzieren – und hoffentlich bald ganz abzuschaffen.

Auf Ihren Schokoladenverpackungen steht “Together we make chocolate 100% slave-free”. Bedeutet dies, dass ihre Konkurrenten Sklaven auf den Feldern beschäftigen? 

Der Global Slavery Index von 2018 berichtet, dass in den Haupterzeugerländern von Kakao, in Ghana und der Elfenbeinküste, zu dem Zeitpunkt rund 30 000 Landarbeiter als Zwangsarbeiter beschäftigt waren. Fast alle großen Schokoladenhersteller beziehen Kakao aus dieser Region. Kontrollieren sie ihre Lieferketten nicht genau, was meistens der Fall ist, nehmen sie in Kauf, mit Zwangsarbeit hergestellten Kakao einzukaufen. 

Portrait von einem lachenden Mann.

Wenn sie ihre Lieferketten nicht genau kontrollieren, nehmen sie in Kauf, mit Zwangsarbeit hergestellten Kakao einzukaufen. 

Paul Schoenmakers, Nachhaltigkeitschef, Tony's Chocolonely

In Ihrem jüngsten Geschäftsbericht sagen Sie, dass es auch bei Ihnen immer noch Anteile von Kinderarbeit gibt – wenn auch in geringem Ausmaß? 

Viel größer als das Problem der Zwangsarbeit ist die illegale Kinderarbeit in Westafrika. Der Kakaopreis ist einfach zu niedrig, deshalb leben Millionen von Bauern und ihre Familien in extremer Armut. Sie verdienen im Schnitt nur 0,78 Dollar am Tag (die extreme Armutsgrenze der Weltbank liegt bei 1,90 Dollar am Tag) und sind auf die Mitarbeit von Kindern angewiesen, bezahlte Hilfskräfte können sie sich nicht leisten. Die großen Kakaoproduzenten und Schokoladenhersteller – eine Handvoll von ihnen kontrolliert 70 Prozent des Marktes – beuten diese unhaltbaren Bedingungen trotz mancher Verbesserungen weiter aus.

Was machen Sie anders? 

Wir gehen einen anderen Weg. Wir beziehen unseren Kakao von rund 8500 Bauern und ihren Kooperativen, denen wir höhere Preise zahlen. Zusammen mit unseren Partnerkooperativen spüren wir illegale Kinderarbeit mit einem umfassenden Monitoringsystem auf. Wir klären Eltern, Bauern und Lehrer unserer Partnerkooperativen über die illegale Arbeit Minderjähriger auf und tun alles, um sie aus der illegalen Beschäftigung zu holen. Im Jahr 2019/20 gab es bei uns 387 Fälle illegaler Kinderarbeit, in 221 Fällen haben wir es geschafft, für sie Alternativen zu schaffen. Dies ist der Weg, den wir in Zukunft noch entschiedener fortsetzen werden. 

Laut Weltkakao-Stiftung unterstützen die Konzerne die neue Mindestpreispolitik in Ghana und der Elfenbeinküste. Bauern sollen rund 1,2 Milliarden Dollar zusätzlich zum offiziellen Marktpreis erhalten. Wird dies den armen Bauern nützen? 

Das ist ein richtiger Schritt, aber es ist nicht genug. Die Regierungen Ghanas und der Elfenbeinküste garantieren inzwischen den Kakaobauern einen Ab-Hof-Preis von rund 1.840 Dollar pro Tonne für 2020/21. Wir begrüßen dies sehr, es reicht aber für den Lebensunterhalt der armen Bauern nicht aus. Wir zahlen deshalb die von Fairtrade vorgegebenen garantierten Abnahmepreise, in Ghana rund 2.100 Dollar und in der Elfenbeinküste 2.200 Dollar je Tonne Kakao. Das orientiert sich an einem von uns ermittelten Lebenshaltungsmodell. Außerdem beraten wir unsere Partnerkooperativen und die Bauern dabei, insgesamt professioneller und nachhaltiger zu produzieren. Über unsere Stiftung unterstützen wir überdies Bildungs- und Schulprojekte für Kinder.

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Ein Kakaobauer in Elfenbeinküste aus der Lieferkette von Tony's Chocolonely. © PR

Kritiker erkennen Ihre Vorreiterrolle an, bestreiten aber, dass Tony Chocolonely´s Kakaopreis für ein existenzsicherndes Einkommen ausreicht... 

Wir stellen uns der Kritik, glauben aber, dass wir mit unserem Preismodell gut kalkulieren. Unser Ziel ist es, den Bauern einen fairen Preis zu zahlen und ihnen dabei zu helfen, professioneller zu wirtschaften und eine insgesamt höhere Produktivität zu erzielen. Wir sehen höhere Preise als Anreiz, dies zu erreichen. 

Ihre Kakaobohnen sind zu 100 Prozent rückverfolgbar. Wie machen Sie das? 

Wir haben eine cloud-basierte Plattform entwickelt, den Beantracker, mit dem wir jeden einzelnen Kakaosack, der von Ghana und der Elfenbeinküste nach Antwerpen verschifft und dort zu Schokolade verarbeitet wird, digital zurückverfolgen können. Außerdem wissen wir von unseren Partnerkooperativen, von welchem Kakaobauern unsere Bohnen stammen. Das erhöht das Vertrauen zwischen uns und den Herstellern. Mit GPS-Satellitenbildern haben wir zudem fast alle Kakaofelder unserer Kooperativen erfasst. Sie zeigen uns genau, welcher Bauer wo wieviel Kakao produziert. Damit garantieren wir, dass unsere Bauern nicht auf geschützten Flächen Kakao anbauen und Wälder zerstören. Sie können die Daten auch für ihre Planungen und Produktivitätsverbesserungen benutzen. Wir sind gerne bereit, den Beantracker anderen Schokoladenunternehmen zur Verfügung zu stellen. 

Warum schließen Sie mit den Bauern Fünfjahresverträge ab?

Nach einem Probejahr bieten wir den Kooperativen die Perspektive von fünf Jahren an, sie können so von unseren höheren Preisen sowie von unseren Investitionen profitieren, es gibt ihnen einfach einen größeren Planungsspielraum. Vor jeder Saison verpflichten wir uns, bestimmte Mengen Kakao zu festgesetzten Preisen abzunehmen. Die Kooperativen können diese Verträge jederzeit kündigen, wir als Unternehmen sind aber an die Frist gebunden.

Kakaoarbeiter in Sierra Leone. Sie erhalten Start-Kits für den Kakaoanbau.
Kakaoarbeiter in Sierra Leone. In einem mehrjährigen Projekt gibt die Welthungerhilfe Werkzeug aus und unterstützt Bauern und Bäuerinnen bei der Umstellung auf biozertifizierte Bohnen. Außerdem soll eine Schokoladenfabrik entstehen. © Welthungerhilfe

Unternehmen die großen Firmen genug, um Kinderarbeit und Armut einzudämmen und insgesamt nachhaltiger zu produzieren? 

Ganz eindeutig nein. Verstehen Sie mich nicht falsch, alle Firmen haben positive Elemente in ihren Nachhaltigkeitsprogrammen. Diese Programme gelten aber nur für einen geringen Teil ihrer Lieferketten, oft wissen die Unternehmen nicht, von wem sie ihren Kakao beziehen. Damit können sie Kinderarbeit auch nicht vollkommen ausschließen. Der Bericht der Universität Chicago hat gezeigt, dass die Industrie dort, wo sie verantwortlich handelt und gegen Kinderarbeit vorgeht, durchaus etwas verändern kann. Die großen Unternehmen haben aber leider bislang viel zu wenig getan, um Kinderarbeit entschieden zu beseitigen, wir brauchen nachhaltige Programme für die gesamte Lieferkette.

Bieten Sie Ihren Konkurrenten direkte Mitarbeit an?

Wir wissen, dass wir mit unserer jetzigen Produktion von rund 5.500 Tonnen Kakaobohnen nicht die Schokoladenindustrie von Grund auf verändern können, wir brauchen Verbündete. Deshalb haben wir eine digitale Plattform eingerichtet, Tony´s Open Chain, auf der wir unsere Erfahrungen und Instrumente teilen. Sie steht allen Unternehmen offen, die eine gerechtere Kakaoindustrie wollen. Die holländische Supermarktkette Albert Heijn hat inzwischen rund 1.500 Tonnen Kakao über uns bezogen, und auch die Aldi-Gruppe übernimmt unser Konzept für eine neue Schokolade.  

Schokolade von Tony’s Chocolonely
Ein Mitarbeiter der niederländischen Impact-Firma aus Ghana hält ein Endprodukt in der Hand. © PR

Was sollten Regierungen in den Industriestaaten tun, um Kinderarbeit zu beseitigen und die Lage der Kakaobauern zu verbessern?   

Regierungen müssen die Unternehmen gesetzlich verpflichten, etwas gegen moderne Sklaven- und illegale Kinderarbeit zu tun. Bereits 2011 haben Regierungen entschieden, dass Unternehmen für ihre Lieferketten verantwortlich sind, aber nur auf freiwilliger Basis. Solange das aber nur freiwillig ist, werden die Firmen kurzfristig Profite bevorzugen, anstatt dafür zu sorgen, die Menschenrechte in ihren Lieferketten durchzusetzen. Aber die Zeit für freiwillige Verpflichtungen ist vorbei. Wir benötigen klare Gesetze, mit denen die Firmen gezwungen werden, ihre volle Verantwortung dafür zu übernehmen, dass es in ihren Lieferketten keine moderne Sklaven- und illegale Kinderarbeit gibt. Sonst wird sich grundlegend nichts ändern. Daher haben wir auch die Forderung nach einem deutschen Lieferkettengesetz unterstützt, mit einer klaren Sorgfaltspflicht für Menschenrechte und die Umwelt. 

Und was sollten die Regierungen in den Hauptanbauländern tun? 

Sie machen schon eine ganze Menge. Beispielsweise haben sie internationale Übereinkommen in nationale Gesetze zum Schutz vor Kinderarbeit umgesetzt. Auch sind ihre Investitionen in Bildung wichtig, um Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen. Ghana hat da große Fortschritte gemacht. Was die internationalen Lieferketten betrifft, glaube ich, dass es die großen Firmen sind, die mehr tun müssen, um die Situation wirklich grundlegend zu ändern. 

Wie sinnvoll sind Bewertungslisten, wie sie Green America vorschlägt, die dem Verbraucher zeigen, welche Schokoladenhersteller wirklich nachhaltig produzieren?

Diese Listen sind sehr hilfreich, weil sie dem Verbraucher sehr klar zeigen, welche Unternehmen ihre Verantwortung ernst nehmen und wirklich etwas verändern wollen. Im Unterschied zu denen, die zwar mit wohlfeilen Marketing-Broschüren für ihre Nachhaltigkeitsstrategien werben, im Grunde am Kern des Problems aber nichts ändern wollen. 

Glauben Sie, dass es bis 2030 weniger Kinderarbeit in Ghana und der Elfenbeinküste geben wird und die Kakaoerzeugung insgesamt nachhaltiger sein wird? 

Ich bin zuversichtlich, dass es bald gesetzliche Verpflichtungen und nicht nur freiwillige Vereinbarungen für die internationalen Schokoladenhersteller geben wird. Das wird der Wendepunkt sein, um Probleme im größeren Maßstab zu lösen. Konkret heißt dies, internationale Lieferketten transparent zu machen, sodass Kakaobohnen vom Bauern bis zum Verbraucher zurückverfolgbar sind und Zwangs- und illegale Kinderarbeit ausgeschlossen werden können. Die Unternehmen müssen den Kakaobauern zudem einen höheren Preis zahlen und langfristig in den Sektor investieren, um Armut zu beseitigen und umweltverträglich zu produzieren.

Erwin Northoff ist ehemaliger Leiter der Presseabteilung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und Mitglied im Redaktionsbeirat von "Welternährung.de".
Erwin Northoff Mitglied im Redaktionsbeirat

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