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  • Wirtschaft & Menschenrechte
  • 04/2020
  • Sabin Bieri

Gemeinschaftsgut ist zerbrechlicher Risikoschutz

Landnahme verschärft die Ungleichheit besonders verwundbarer Gruppen. Es nimmt ihnen die wirtschaftliche Basis

Frau steht an Stacheldrahtzaun.
Blick über den Stacheldraht: Frauen sind die verwundbarste Gruppe, wenn es um Landrechte geht. © Jason Taylor/ILC

Die Weltbank und andere internationale Entwicklungsakteure sehen die Armutsbekämpfung auf einem eher guten Weg. Die kritische Überprüfung der Daten zeigt dagegen ein weit weniger positives Bild. Die Errungenschaften sind regional sehr unterschiedlich verteilt. Und es gibt Hinweise darauf, dass sich die Fortschritte verlangsamen. Die Schwelle zu extremer Armut ist mit 1.90 Dollar sehr tief angesetzt, womit auch jene, die knapp darüber landen, kaum einen würdevollen Lebensstandard erreichen.

Nicht zuletzt, und darum soll es im vorliegenden Artikel gehen, ist die Welt mit einer drastischen Zunahme von Ungleichheit konfrontiert.

Weltweit sind vor allem ländliche Räume von Armut geprägt.1 Etwa 80 Prozent der extrem Armen leben auf dem Land (De la O Campos 2018). Sie sichern ihre Existenzen hauptsächliche durch unterschiedliche Formen der Landwirtschaft. Es sind auch diese Haushalte, die den durch die Klimaerwärmung zunehmenden Anbaurisiken – Dürren, Extremereignisse wie flutartiger Regen oder Windstürme – besonders ausgesetzt sind. Land gewinnt damit an Bedeutung für die wirtschaftliche Basis von Individuen und Haushalten.

Wer gesicherten Zugang zu Land hat, oder verbriefte Landrechte besitzt, erweitert seinen Handlungsspielraum. Er oder sie hat die Wahl, von verfügbaren Optionen Gebrauch zu machen. Risiken – etwa die einer vermehrt spezialisierten, auf kommerzielle Verwertung ausgerichteten Produktion – können mit eigenem Land besser abgefedert werden. Das sehen auch die Banken so: der Zugang zu Kredit bleibt häufig jenen vorbehalten, die einen Landtitel als Sicherheit einbringen können. 

Faktor Land entscheidet über Ungleichheit

Land spielt eine herausragende Rolle im Aufbau von Resilienz. Es ist somit naheliegend zu vermuten, dass der Faktor Land – Zugang, Besitz, Nutzungsrechte – bei der Herausbildung von Ungleichheit wesentlich ist.

Die Mehrheit der ländlichen Betriebe bewirtschaften kleinste Flächen. 84 Prozent der Höfe bearbeiten Flächen unter zwei Hektar auf 12 Prozent der globalen Landwirtschaftsfläche. Die restlichen 88 Prozent der Fläche bewirtschaften demnach jene 16 Prozent jener Farmen, die mehr als zwei Hektar besitzen (Lowder 2016). Zusätzlich stützen sich die meisten Kleinstbetriebe auf gemeinschaftlich genutzte Güter, wie etwa Wald, extensive Weiden oder Gewässer.

Häufig sind diese Ressourcen über traditionelle Landrechte gesichert und die Nutzung ist kollektiv geregelt. Es ist typischerweise diese Art von risikodiversifizierenden Wirtschafts- und Ernährungssicherungsstrategien, die es der ländlichen Bevölkerung überhaupt ermöglichen, ihre Existenz längerfristig auch unter äußerster materieller Knappheit abzusichern. Derart gemeinschaftlich ausgehandelte und regulierte Güter wurden durch die Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom als „Common Pool Resources“ beschrieben und analysiert (Ostrom 1990).

Es sind genau diese Strategien, die den großen Landnahmen als erstes zum Opfer fallen. Und mit ihnen verschärfen sich die Ungleichheiten zwischen Klassen, Kasten, ethnischen Gruppen und den Geschlechtern. Es sind die weniger Privilegierten, die in höherem Maße darauf angewiesen sind, auf die in Form von Allmenden verwalteten Güter zurückzugreifen.

Öffentliche Güter ziehen Kapital an

Öffentliche Güter, so genannte «Commons» sind oft unter traditionellem Recht gesichert, eine Rechtsform, die für den modernen Staat nicht in jedem Fall bindend ist.2 Dazu kommt, dass es genau diese, extensiv genutzten Flächen sind, die bevorzugt ausländisches Kapital anziehen. Jedoch bedeutet eine Registrierung dieser Gemeinschaftsgüter nicht zwingend eine Verbesserung der schwächer gestellten Gesellschaftsgruppen.

Wo keine doppelte Landtitelvergabe möglich ist, wird typischerweise der Mann registriert. Damit sind es die Frauen, die den Zugang und das Nutzungsrecht auf Ländereien einbüßen, die vormals für die Ernährungssicherung zur Verfügung standen. Kompensationszahlungen – falls sie ausgerichtet werden – erreichen fast ausschließlich Männer. Und der Wert von Geld zerfällt ungleich schneller als der Gegenwert in Form von Land (Doss, Meinzen-Dick 2018).

Sabin Bieri

Der Wert von Geld zerfällt ungleich schneller als der Gegenwert in Form von Land.

Sabin Bieri

All dies bedeutet einen Einschnitt in die weibliche Einflusssphäre innerhalb des Haushalts und der Gemeinschaft und häufig auch eine Entwertung spezifisch weiblicher Kenntnisse und weiblicher Arbeitskraft (Tandon 2013). Bei Enteignungen sind Frauen generell noch schlechter gestellt als vorher.

Auch wenn es inzwischen zahlreiche Studien zu geschlechterspezifischen Auswirkungen von Landnahmen gibt, sind diese Zusammenhänge noch unzureichend untersucht. Levien (2017) trug die Erkenntnisse einiger Forschungsarbeiten, die diese Perspektive anlegten, zusammen. In einer älteren Studie zeigen Carney und Watts (1991, in Levien 2017) am Beispiel von Gambia, dass die Landenteignungen durch den Staat und die anschließende Zuschreibung der Nutzungsrechte auf den Haushalt gerade den Männern größere Verfügungsmacht über die weibliche Arbeitskraft ermöglichte. Die Projektanlage in der untersuchten Fallstudie wurde kaum mit den lokalen Betroffenen diskutiert, schon gar nicht mit Frauen. Die Implementierung verlief über die Einwilligung der Männer.

Die Absprache mit Eliten und/oder einer einheitlicheren sozialen Gruppe fällt leichter als das offene, demokratische Aushandeln von Regeln und Rahmenbedingungen mit einer heterogenen Gemeinschaft. In dem Projekt war eine Schwächung der Landrechte von Frauen die Folge: Sie büßten die Kontrolle über das eigene Einkommen ein. Die staatliche Enteignung mit der Vergabe neu verteilter Landnutzungsrechte an die Männer bedeutete in diesem Fall eine deutliche Benachteiligung von Frauen.

Das Setting weist eine hohe Übereinstimmung mit Landnahmen in anderen Regionen auf. Im Fall von Palmölplantagen in Indonesien kommt Tania Li (2017) zu einem ähnlichen Befund. Die traditionelle Brandrodungswirtschaft baut auf einem egalitären Landrecht sowie einem Erbrecht auf, das weder Söhne noch Töchter bevorzugt. Gemäß Li ist es der Ausschluss der Frauen aus der Politik, der dazu führt, dass Kompensationsmodelle zum Nachteil der Frauen ausgelegt sind.

Enge Verzahnung von Landrechten und Arbeitsverhältnissen

Carney und Watts sprechen von einer Proletarisierung der Frauen innerhalb des Haushalts und verweisen damit auf die enge Verzahnung von Landrechten und Arbeitsverhältnissen. Ähnlich argumentieren auch Rigg und Rosario (2019), mit Bezug auf zahlreiche und unterschiedliche Prozesse, die unter dem landwirtschaftlichen Strukturwandel subsumiert werden. 

Die Verwundbarkeit einer landbasierten Existenz wird in ihrem Beispiel aus Südostasien von einer Lebenssituation mit den Merkmalen klassischer Prekarität abgelöst: Etwa im Rahmen von vertragloser Lohnabhängigkeit, transnationaler Migration, einer Umsiedlung – oder schlicht dem Altern in Gesellschaften ohne soziale Sicherungssysteme.

Das Konzept der Prekarität ist erhellend beim Aufschlüsseln der Folgen von Investitionen in Land. Es beschreibt nicht nur eine materiell unsichere Situation, sondern auch die Auflösung traditioneller Strukturen, Netzwerke und Sicherheiten, die einst Haushalte und Individuen widerstandsfähig gegenüber Krisen gemacht haben.

Wenn Landarbeit zu Lohnarbeit wird: eine Familie beläd einen LKW mit Steinen. © Jason Taylor / ILC

Registrierung versus informelle Regelung

Diese Sicherheiten sollten verstärkt zum Gegenstand entwicklungspolitischer Debatten werden. Die Diskussion um die Vergabe von Landrechten steckt gewissermaßen in einem Patt fest: Die Positionen für eine rasche Registrierung und administrative Sicherung von Landtiteln stehen den Verteidigern von kommunalen und/oder traditionellen, informell geregelten Landrechten gegenüber.

Beide Seiten haben starke Argumente: Ist das Land registriert, erleichtert das die Veräußerung von Parzellen und öffnet damit der Verschuldung von Kleinbauernfamilien und der Spekulation um Land Tür und Tor. Das ändert sich auch nur unwesentlich, wenn eine Registrierung im Namen von beiden Ehepartnern erfolgt. Untersuchungen aus dem südlichen Afrika zeigen, dass bei der Veräußerung von Land nebst ausländischen Investoren auch urbane Eliten zum Zug kommen (Cipollina 2018).

Andererseits besteht im Fall von kollektiven Gütern kaum eine Sicherheit – gerade in Staaten, die ökonomisch einer Investition aus dem Ausland wenig gegenüberzustellen vermögen, und die sich deshalb einer Art staatlichen Großgrundbesitztums bedienen („State Landlordism“, Cipollina 2018, p. 14).

Rechtliche Gleichstellung zu wenig diskutiert

Eine wichtige, zurzeit noch zu wenig diskutierte Strategie in Bezug auf die Stärkung des Landzugangs von gesellschaftlich schwächeren Gruppen besteht in der grundsätzlichen rechtlichen Gleichstellung dieser Gruppierungen. Bei Frauen, deren Zugang und Land häufig über männliche Familienmitglieder vermittelt ist, stehen das Familien-, das Erb- und das Scheidungsrecht im Vordergrund.

Die zivilrechtliche Stellung von gesellschaftlichen Minderheiten muss stärker in den Fokus der Debatte um Landnahmen rücken. Die Möglichkeiten eben dieser Gruppen, sich über die eigenen gesellschaftlichen Ränder hinweg in politischen Debatten Gehör zu verschaffen, ist ebenfalls ein wichtiger Teil von dringend notwendigen Strategien, die die Resilienz von Betroffenen in den Zielländern von großen Landnahmen potenziell erhöhen.

Vermögen erhöhen Druck auf Landressourcen

Nicht zuletzt gilt es aber auch, die Perspektive umzukehren, wie das Graziano Ceddia in einem Artikel zum Zusammenhang von Investitionen und Ungleichheit getan hat (Ceddia 2020). Während bestehende Arbeiten die Verschärfung von Ungleichheit durch Landnahmen in den Blick nehmen, untersucht Ceddia den Zusammenhang zwischen wachsender globaler Ungleichheit – namentlich den Vermögen so genannter „High Net Worth Individuals“ – und Landnahmen.

Aufgrund von Daten aus Asien und Lateinamerika legt er den Schluss nahe, dass mit der Zunahme von großen Vermögen, die investiert werden wollen, der Druck auf Landressourcen massiv angestiegen ist. Direkte Folgen sind Entwaldung und ein Rückgang der Ernährungssicherheit von lokalen Bevölkerungen (Ceddia 2020).

In der gegenwärtigen, instabilen Situation der globalen Wirtschaft wird der Druck auf Land nicht abnehmen, im Gegenteil. Um so mehr sind Analysen gefordert, die den Zusammenhang von Ungleichheit und Landressourcen in den Blick nehmen und kluge Strategien zu entwickeln, um die Widerstandskraft der am meisten exponierten Bevölkerungsgruppen zu stärken – einschließlich gesellschaftlich breiter Stakeholder-Initiativen, die genau diese Bevölkerungssegmente einbinden und ihre Positionen hör- und verhandelbar machen. Nur so wird es der Weltgemeinschaft gelingen, dem Postulat der Agenda 2030, niemanden zurückzulassen, gerecht zu werden.

Fußnoten:

1) Aufgrund der höheren Bevölkerungsdichten leben in Städten mehr Armutsbetroffene als auf dem Land. Relativ gesehen dominiert jedoch die Armut in ländlichen Räumen (Epprecht et al. 2008)

2) Bolivien ist eine Ausnahme. Traditionelle Nutzungsregelungen sind verfassungsrechtlich anerkannt.

Literatur:

Bieri S. 2017. Emancipation from the land – emancipation from unequal structures? Oportunities and pitfalls for women in the rural labour market. UN Women, IFAD, FAO; WFP expert group meeting. Rome, 20-22 September 2017.  (letzter Zugriff: 17.04.20).

Ceddia GM. 2020. The super-rich and cropland expansion via direct investments in agriculture. Nature sustainability 3 (2020), 312-318.

Cipollina et al. 2018. Land inequality and economic growth. A meta-analysis. Sustainability 10(12).

De la O Campos AP et al. 2018. Ending extreme poverty in rural areas. Sustaining livelihoods to leave no one behind. Rome, FAO. (letzter Zugriff: 17.04.20).

Levien M. 2017. Gender and land disposession. A comparative analysis. Journal of Peasant Studies 44(6).

Li TM. 2017. Intergenerational displacement in Indonesia’s oil palm plantation zone. Journal of Peasant Studies 44(6).

Lowder SK, Skoet J and Raney T. (2016b) The number, size, and distribution of farms, smallholder farms, and family farms worldwide. World Development 87: 16-29.

Ostrom E. 1990. Governing the commons. The evolution of institutions for collective action. Cambridge University Press.

Tandon N, Wegerif M. 2013. Promises, power and poverty: Corporate land deals and rural women in Africa. Oxfam Briefing Paper 170, April 2013.  (letzter Zugriff: 17.04.20)

Sabin Bieri
Sabin Bieri Universität Bern, Centre for Development and Environment (CDE)

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