Unverzichtbar im Menschenrechtsrat und uneins über neue Pflichten
Deutschland spielt im UN-System für Menschenrechtsschutz eine positive Rolle. In der eigenen Regierung bleiben Konflikte aber ungelöst, etwa bei neuen Standards für die Wirtschaft.
Progressive Mehrheiten für die Menschenrechte sind international nicht mehr einfach zu gewinnen. Die Zahl autoritärer Staaten hat zugenommen, Demokratien haben in vielen Ländern Schwierigkeiten. Im Menschenrechtsrat, dem zentralen Gremium zur weltweiten Stärkung des Menschenrechtsschutzes, reichte lange Zeit die Mehrheit der Europäer und Lateinamerikaner mit ein oder zwei zusätzlichen Stimmen aus anderen Regionen aus, um Mehrheiten zu sichern. Diese Arbeit ist schwieriger geworden.
Deutschland ist dabei in der Zwischenzeit zu einem der wichtigsten Unterstützer von Menschenrechten auf dieser Ebene geworden und ist herausgefordert, diese Rolle beizubehalten und zu stärken. Allerdings gibt es Bereiche, in denen eine konsequenter an Menschenrechten orientierte Politik der Bundesregierung wünschenswert wäre. Über Trends, Stärken und Zögerlichkeiten der letzten Zeit reflektiert dieser Beitrag.
Verlässlicher Player auf der Weltbühne
Im Menschenrechtsrat gehört Deutschland zu den Ländern, die sich stabil und verlässlich für eine Erhaltung und Stärkung des Menschenrechtsschutzsystems einsetzen. Seit fast zwei Dekaden unterstützt Deutschland beispielsweise wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte – darunter die Resolution zum Recht auf Wohnen, das Mandat der Sonderberichterstatterin zum Recht auf Wasser und im Rahmen der Welternährungsorganisation eine verbesserte Umsetzung des Rechts auf Nahrung.
Die derzeit laufende Reformdiskussion über die UN-Vertragsausschüsse nutzen teilweise autoritäre Staaten dazu, deren Arbeit finanziell einzuschränken beziehungsweise durch viele Vorgaben zu schwächen. Hier unterstützt Deutschland das System der Vertragsausschüsse, die das Rückgrat des UN-Menschenrechtsschutzsystems darstellen. Sie überprüfen durch Expertengremien, ob Staaten ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen nachkommen. Dieses System ist wichtig, da hier international überprüft wird, was Staaten auf nationaler Ebene machen. Es schafft in gewissem Ausmaß Transparenz und Rechenschaft. Die Schlussfolgerungen und gegebenenfalls Empfehlungen (Concluding Observations) der Ausschüsse können nationale Parlamenten und die Zivilgesellschaft nutzen, um ihre eigenen Regierungen öffentlich zur Rechenschaft zu ziehen und zu menschenrechtskonformer Umsetzung aufzufordern.
Dabei gibt es auch deutsche Unterstützung für innovative Initiativen bei der nationalen wie internationalen Umsetzung von Menschenrechten. So hat Deutschland beispielsweise nach seiner Überprüfung im UN-Kinderrechtsausschuss 2014 national eine Empfehlung des Ausschusses aufgenommen und eine eigene Monitoring-Stelle zur UN-Kinderrechtskonvention eingerichtet. Es ist auch international aktiv in der Unterstützung der Arbeit des neuen UN-Ausschusses zur Überwachung der UN-Konvention gegen das Gewaltsame Verschwindenlassen. Zum zweiten Mal wird eine deutsche Expertin im Ausschuss sitzen. Der Ausschuss wurde darin unterstützt, Leitlinien für die Suche nach Verschwundenen zu erarbeiten.
In der Bundesregierung bleiben alte Widerstände bei bestimmten Menschenrechtsthemen ungebrochen.
Michael Windfuhr Deutsches Institut für MenschenrechteNeben dieser regelmäßigen und stabilen Unterstützung für Menschenrechtsthemen im UN-System bleiben in der Bundesregierung alte Widerstände bei bestimmten Menschenrechtsthemen ungebrochen: Trotz positiver Aussagen im Koalitionsvertrag, gelingt es der Großen Koalition nicht, sich zur Ratifizierung des Individualbeschwerdeverfahrens zum Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte durchzuringen. Die Angst, dass das Streikverbot für deutsche Beamte vor dem UN-Ausschuss zu einem Thema werden könnte, verhindert eine Zustimmung. Während Deutschland Individualbeschwerden zu allen anderen Menschenrechtskonventionen zulässt, scheint dies im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte immer noch nicht durchsetzbar.
Sehr zurückhaltend und ablehnend ist Deutschland auch bei anderen neuen Menschenrechtsthemen. Zwar ist die Sorge vor einer zu schnellen und weiteren Proliferation neuer Menschenrechtsinstrumente verständlich, da ihre praktische Umsetzung oft nicht ausreichend überwacht und durchgesetzt werden kann. Prinzipiell decken die beiden zentralen Menschenrechtsverträge – der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie der Pakt über bürgerliche und politische Rechte – alle Menschenrechtsthemen ab.
Dennoch hat es sich historisch als hilfreich erwiesen, Konventionen speziell zu einzelnen Personengruppen oder Problematiken zu erarbeiten, da sie helfen, ein vertieftes Verständnis spezifischer Diskriminierungs- und Verletzungstatbestände zu entwickeln. Beispiele sind die UN-Kinderrechtskonvention, die UN-Behindertenrechtskonvention oder die UN-Anti-Folterkonvention. Problemlagen verändern sich stetig und der Bedarf einer klaren Beschreibung menschenrechtlicher Verpflichtungen entsteht in neuen Kontexten immer wieder.
So wurde seit 2014 in einer Arbeitsgruppe des Menschenrechtsrates eine Erklärung für Kleinbauernrechte erarbeitet und 2018 verabschiedet. Hintergrund der Erklärung ist die zunehmende Konfliktivität in ländlichen Regionen bei der Nutzung natürlicher Ressourcen. Ziel der Erklärung ist es, einen Zugang gerade ärmerer, benachteiligter Bevölkerungsgruppen zu Land, Saatgut, Wasser und anderen Gemeingütern abzusichern – und zwar gegenüber anderen kommerzielleren Nutzungsinteressen. „Landgrabbing“ ist dabei nur ein Stichwort von vielen.
Deutschland hat sich bei der Verabschiedung letztendlich enthalten, da es von Seiten der Bundesregierung rechtliche Bedenken gegen einige Absätze des Textes gab. Zugleich ist eine Unterstützung der Anliegen der Erklärung von außerordentlicher Bedeutung. Gerade der neue Bericht des Weltklimarates vom August zum Thema Land hat auf die herausragende Bedeutung einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Flächen gerade mit den dort lebenden Personen weltweit eindrücklich hingewiesen.
Einen sehr abwartenden Umgang hat die Regierung gegenüber einer anderen Initiative im UN-Menschenrechtsrat: dem unter Federführung von Ecuador und Südafrika diskutierten Entwurf eines Vertrags zu verbindlichen Regeln im Themenfeld Wirtschaft und Menschenrechte. Hintergrund ist der enorme Bedeutungsgewinn, den Liefer- und Wertschöpfungsketten in den letzten zwei Jahrzehnten auch aufgrund der Marktöffnungen im Zuge der Globalisierung und durch Handelsabkommen bekommen haben.
Derzeit liegt der erste Entwurf des Vertrags vor und wird im Herbst im Menschenrechtsrat verhandelt. In der Großen Koalition gibt es bislang keine Mehrheit für die Idee, verbindliche Regeln für menschenrechtliche Sorgfalt für Unternehmen zu erarbeiten.
Entscheidung an ein Monitoring delegiert
Die Diskussion über diese Frage entzweit die Koalition auch im Rahmen der nationalen Umsetzung der UN-Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte. Die Bundesregierung hatte 2016 einen Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) zur Umsetzung dieser 2011 im Menschenrechtsrat angenommenen UN-Leitprinzipien erarbeitet, der insgesamt dem Thema eine große Beachtung gebracht hat. Neben zahlreichen Unterstützungsangeboten für Unternehmen sollen ab 2020 ausgewählte Brancheninitiativen unterstützt werden, in denen Unternehmen und andere Stakeholder zusammenarbeiten, um Menschenrechten in den globalen Lieferketten eine bessere Beachtung zu garantieren.
Da die Bundesregierung sich nicht für oder gegen eine gesetzliche Regelung entscheiden konnte, wird die Entscheidung im NAP an ein Monitoring-Verfahren delegiert: Sollten bis 2020 nicht die Hälfte aller Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden ein Verfahren menschenrechtlicher Sorgfalt etabliert haben, soll es eine gesetzliche Regelung geben. Ein entsprechendes Monitoring-Verfahren wurde im Juli 2019 gestartet. In jedem Fall hat die NAP-Umsetzung viele deutsche Unternehmen für die Thematik sensibilisiert, und manche haben sich auf den Weg der Umsetzung gemacht.
Alte Ärgernisse, vor allem in Fragen der Kohärenz, bleiben mit Blick auf menschenrechtliche Aspekte bestehen. So hatte Deutschland angekündigt, seine zweijährige Rolle als Mitglied im UN-Sicherheitsrat zu nutzen, um sich für Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie für Menschenrechtsbelange stark zu machen. Gerade in Anbetracht dieser Ankündigung und angesichts eines Koalitionsvertrages, der ausschließt, Rüstungsgüter in Länder zu liefern, die den Krieg im Jemen unterstützen, ist es unverständlich zu sehen, dass Deutschland de facto Rüstungsgüter im Umfang von mehr als einer Milliarde Euro an Länder liefert, die den Krieg im Jemen unterstützen.
Menschenrechtlich denken lenkt Blick auf Benachteiligte
Es gibt zahlreiche weitere Politikfelder, deren Regelungen große Auswirkungen auf die Umsetzung von Menschenrechten in Deutschland und/oder anderen Teilen der Welt haben. Diese systematisch menschenrechtlich zu durchdenken würde helfen, den Blick auf die Konsequenzen für besonders benachteiligte oder diskriminierte Bevölkerungsgruppen zu richten und genau darüber nachzudenken, welche menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschland zufallen, welche anderen Ländern, und welche Verantwortung beispielsweise privaten Akteuren zukommt. Im Menschenrechtskonzept des Entwicklungsministeriums (BMZ), das derzeit überarbeitet wird, ist dies im Gegensatz zu anderen Politikfeldern bereits systematischer verankert.
Mögliche negative Folgen zeigen exemplarisch eine Agrarpolitik, die vor allem auf großflächige Futtermittelimporte aus Lateinamerika setzt, oder eine Verkehrspolitik, die nachwachsende Rohstoffe wie Palmöl in großen Mengen für Biosprit nachfragt. Ein Menschenrechtsansatz ist in vielen Politikfeldern zentral, da er Kriterien für gute Regierungsführung etabliert, die ihrerseits der Zivilgesellschaft, Parlamenten etc. in diesen Ländern helfen können, die eigene Regierung zur Rechenschaft zu ziehen und sensibler für Betroffene zu machen.
Keine negative Bilanz also insgesamt für Menschenrechte in den internationalen Beziehungen: Deutschland kommt zukünftig eher eine noch größere Bedeutung zu in der Verteidigung von Menschenrechten und dem Menschenrechtsschutzsystem. Dem stellt sich die Politik bislang auch. Daneben stehen die genannten ungelösten Themen und die Forderung nach Politikkohärenz ebenso wie die Notwendigkeit einer größeren Offenheit für neue Herausforderungen: in Politikfeldern, in denen Menschenrechte als zentrales Gestaltungselement besser genutzt werden sollten, wie beispielsweise bei den Regeln zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, beim Schutz der Rechte Älterer oder bei der Umsetzung der Agenda 2030.
Was sagt der Koalitionsvertrag
- "Wir brauchen eine entschlossene und substanzielle Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik aus einem Guss.“ ... "Darüber hinaus werden wir die menschenrechtliche Kohärenz zwischen den einzelnen Politikfeldern verbessern und die Menschenrechtsarchitektur in Deutschland stärken."
- "Wir wenden uns „entschlossen gegen die zunehmende und gezielte Einschränkung von Zivilgesellschaften („Shrinking Spaces“), die sich für Demokratie, Rechtstaatlichkeit und die Einhaltung der Menschenrecht einsetzen.“ (Unterkapitel „Menschenrechte, Krisenprävention und humanitäre Hilfe")
- "Wir streben die Ratifikation des Zusatzprotokolls zum Sozialpakt der Vereinten Nationen sowie der ILO-Konvention 169 zum Schutz der indigenen Völker an."
- "Wir setzen uns für eine konsequente Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) ein, einschließlich des öffentlichen Beschaffungswesens. Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen."
- "Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, dass in allen EU-Handels-, Investitions- und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen verbindliche soziale (u. a. ILO-Kernarbeitsnormen), menschenrechtliche und ökologische Standards und konkrete Beschwerde-, Überprüfungs- und Reaktionsmechanismen vereinbart werden."
- "Die EU-Verordnung zum Handel mit Konfliktmineralien werden wir zügig in nationales Recht mit starken Durchsetzungsbestimmungen umsetzen und uns auf europäischer Ebene für die Abschaffung der Freigrenzen und Ausweitung auf die gesamte Lieferkette einsetzen."
- „Wir schänken die Rüstungsexporte für Drittländer weiter ein, die weder NATO noch EU-Mitgliedsländer sind, noch diesen gleichgestellt. Ergänzend zu den Kleinwaffengrundsätzen vom Mai 2015 sollen Kleinwaffen grundsätzlich nicht mehr in Drittländer exportiert werden. Wir schärfen noch im Jahr 2018 die Rüstungssexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 und reagieren damit auf die veränderten Gegebenheiten. Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind. Firmen erhalten Vertrauensschutz, sofern sie nachweisen, dass bereits genehmigte Lieferungen ausschließlich im Empfängerland verbleiben.
- "Wir wollen diese restriktive Exportpolitik mit Blick auf den Jemen auch mit unseren Partnern im Bereich der europäischen Gemeinschaftsprojekte verabreden. Auf dieser Basis streben wir ebenfalls eine gemeinsame europäische Rüstungsexportpolitik an und wollen den gemeinsamen Standpunkt der EU fortentwickeln."