Nationaler Aktionsplan: Quotenlogik für die Achtung der Menschenrechte
Was sagt es über Deutschland aus, wenn Standards zur Achtung der Menschenrechte von Erfüllungsquoten einer Firmenbefragung abhängig gemacht werden? Ein Kommentar
Mit einem Fragebogen, der an etwa 1800 große deutsche Unternehmen gesendet wurde, will die Bundesregierung aktuell prüfen, inwieweit diese Prozesse zur Achtung der Menschenrechte in ihren Auslandsgeschäften umsetzen. Zivilgesellschaft und Gewerkschaften kritisieren nicht nur die verwässerte Methodik der Befragung, sondern auch die hinter dem Ansatz stehende Logik, die Frage nach verbindlichen Regeln zur Achtung der Menschenrechte von Erfüllungsquoten abhängig zu machen.
Kinderarbeit auf Plantagen, ausbeuterische Arbeitsbedingungen in der Textil- und Lederproduktion, Zerstörung von Lebensgrundlagen im Rohstoffabbau: Menschenrechtsverstöße im weltweiten Wirtschaften sind keine Seltenheit – auch in den Lieferketten deutscher Unternehmen. Mit ihrem Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (2016-2020) will die Bundesregierung Unternehmen zum Handeln bewegen. Dabei setzt sie zunächst auf das Prinzip Freiwilligkeit: Sie formuliert die Erwartung an große Unternehmen, dass diese Prozesse zur Achtung der Menschenrechte in ihren Auslandsgeschäften einführen und bietet ihnen Unterstützungsmöglichkeiten an.
"Flexibler Umgang" mit Firmen hat sich durchgesetzt
Die laufende Unternehmensbefragung (Monitoring), die durch ein Konsortium unter der Leitung der Beratungsgesellschaft Ernst & Young durchgeführt wird, soll nun prüfen, ob mehr als die Hälfte der großen Unternehmen mit über 500 Mitarbeitenden bereits solche Prozesse umsetzen. Stellt sich bis 2020 heraus, dass diese Quote nicht erfüllt wird, so sollen laut Nationalem Aktionsplan gesetzliche Maßnahmen erwogen werden.
Hoch umstritten war und ist die Methodik der Befragung. Langwieriges Gezerre zwischen den Ministerien zögerte dieses Frühjahr den Start des Monitorings hinaus. Durch massiven Druck konnte sich das Bundeswirtschaftsministerium mit seiner Forderung nach einem „flexibleren Umgang“ mit den Unternehmen durchsetzen. Neben den Kategorien „Erfüller“ und „Nicht-Erfüller“ der Anforderungen wurden Zwischenkategorien von „Fast-Erfüllern“ und „Bald-Erfüllern“ eingeführt. Sie schaffen eine Grauzone, die dem Wirtschaftsministerium später als Argument gegen eine gesetzliche Regulierung dienen kann.
Undurchsichtiges Verfahren
In der Befragung gewertet werden nur jene Unternehmen, die sich an der Befragung freiwillig beteiligen. Dass Unternehmen, die sich bereits für Sorgfaltspflichten engagieren, den Fragebogen lieber ausfüllen, ist dabei zu erwarten. Zunächst war vorgesehen, diesem Verzerrungseffekt durch einen Vergleich von antwortenden und nicht-antwortenden Unternehmen Rechnung zu tragen – auf Grundlage öffentlich zugänglicher Dokumente. Doch auch dieser Vergleich ist nun nicht mehr vorgesehen. Er soll lediglich zu einem späteren Zeitpunkt erwogen werden. Auch eine externe Kontrolle der Plausibilität der Antworten ist nicht geplant.
Für Belustigung in der Internetgemeinde sorgte im Juli 2019 eine kuriose Aussage des „Team Bürgerdialog“ des Wirtschaftsministeriums. „Ziel des BMWi in den letzten Monaten“, hieß es im Kontext eines kritischen Beitrags der TV-Sendung „Monitor“ zur Unternehmensbefragung,„war es, eine Präjudizierung eines (negativen) Ergebnisses durch ein zu hohes und unrealistisches Ambitionsniveau und durch versteckte Fallstricke zu vermeiden und ein aussagekräftiges Ergebnis des Monitorings zu ermöglichen.“So amüsant die komplizierte Sprachwahl für einen Dialog mit Bürger*innen sein mag, so bitter ist doch die Aussage dahinter: Anforderungen sollen heruntergeschraubt werden, um zum gewünschten (positiven) Ergebnis zu gelangen.
Die hartnäckige Einflussnahme auf die Befragungsmethodik im Interesse der Gesetzesgegner*innen irritierte auch jene Ministerien, die sich für strengere Bewertungskriterien eingesetzt hatten. So äußerte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller in einem Fernsehinterview Erstaunen darüber, „welcher Widerstand aus organisierten Kreisen der Wirtschaft“ gegen ein konsequentes Monitoring mobilisiert wurde.
UN-Ausschuss rügt Handlungslogik
Doch was sagt es überhaupt über Deutschland aus, wenn die Frage nach verbindlichen Standards zur Achtung der Menschenrechte von Erfüllungsquoten abhängig gemacht wird? Ein Bericht des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte rügte im Oktober 2018 diese Handlungslogik: Verbindliche gesetzliche Maßnahmen von der Erreichung einer Quote abhängig zu machen, könne zu Regelungslücken führen.
Menschenrechte beziehen sich auf die unveräußerlichen Rechte des Individuums. Selbst wenn nur eine Minderheit von Firmen Menschenrechte missachtet, haben Betroffene ein Recht auf Entschädigung und Wiedergutmachung. Diesem Grundsatz folgend fordert ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis in der Initiative Lieferkettengesetz (lieferkettengesetz.de) einen starken und wirksamen gesetzlichen Rahmen auch unabhängig vom Ergebnis der Unternehmensbefragung.
Im geltenden Koalitionsvertrag der Bundesregierung wird der Bezug zwischen Lieferkettengesetz und einer 50 Prozent-Quote nicht explizit hergestellt. Dort heißt es, dass die Bundesregierung „auf nationaler Ebene gesetzlich tätig“ wird, falls sich die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen als unzureichend erweist.
Das anhaltende Fortbestehen von Menschenrechtsverstößen in den Lieferketten deutscher Unternehmen, das frustrierend langsame Vorankommen in freiwilligen Initiativen wie dem Textilbündnis und nicht zuletzt die Tatsache, dass eine wachsende Zahl von Unternehmen (z.B. BMW, Daimler, Tchibo oder Vaude) inzwischen verbindliche Regeln befürworten und als Ermöglichungsfaktor ihres menschenrechtlichen Engagements begreifen, sollten Anlass genug sein, dem Prinzip Freiwilligkeit im kommenden Jahr ein Ende zu setzen.
UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten
Langfristig sind internationale Regeln des Wirtschaftens wünschenswert. In Genf findet im Oktober die fünfte Verhandlungsrunde zu einem verbindlichen UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten (UN-Treaty) statt. Der dort diskutierte Vertragsentwurf sieht vor, dass alle Vertragsstaaten Lieferkettengesetze einführen und den Zugang zu Recht für Betroffene erleichtern. Die Bundesregierung ist vor Ort zwar vertreten, wird sich dem Vernehmen nach aber erneut nicht inhaltlich äußern. Sie lässt damit eine große Chance verstreichen, globalisierte Wirtschaft auf Basis der Menschenrechte mitzugestalten.