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  • Wirtschaft & Menschenrechte
  • 10/2021
  • Sven Biermann

FiTI: Wie Fischerei transparenter werden kann

Unwissen über Quoten und Fangrechte erschwert Aufsicht, Rechenschaftspflichten und öffentlichen Dialog. Das ist der Ansatz der marinen Schwester von EITI. Mauretanien machte den Anfang.

Fischerboote in Mauretanien. Vertreter der Kleinfischerei sitzen bei der Transparenzinitiative FiTI mit am Tisch. © FiTI via Facebook

Die Islamische Republik Mauritanien am Westrand der Sahara ist bekannt für ihre reichen Fischgründe. Seit Generationen ist die marine Fischerei eine Quelle für Beschäftigung, Einkommen und Ernährungssicherung der mauretanischen Bevölkerung. Neben der Rohstoffindustrie ist die Fischerei von zentraler Bedeutung für die Wirtschaft. Alleine die Exporte werden inzwischen auf einen Wert von über 1 Mrd. Dollar pro Jahr geschätzt. Der Reichtum an Meeresressourcen – etwa 200 Fischarten können kommerziell genutzt werden – zieht neben den lokalen handwerklichen Fischern auch ausländische, industrielle Flotten an, etwa aus der Europäischen Union und China. Damit wachsen allerdings auch die Sorgen, ob die Fischereiressourcen nachhaltig bewirtschaftet werden.

Diese Sorgen gibt es nicht nur in Mauretanien. Jahrthundertelang war im Fischfang – sei es für den eigenen Konsum, in der Freizeit oder als kommerzielle Aktivität – die Frage der Nachhaltigkeit dieser natürlichen Ressource kein Thema. Die Fischbestände erneuerten sich mit Leichtigkeit. Doch dies ist heute nicht mehr so. Laut dem jüngsten Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) über den Zustand der weltweiten Fischerei und Aquakultur (2020) werden bereits mehr als 34 Prozent der weltweiten Fischbestände auf biologisch nicht nachhaltigem Niveau befischt. Dieser Anteil hat sich in den vergangenen 40 Jahren verdreifacht!

Zwar hat sich mittlerweile ein klares Verständnis für die Notwendigkeit einer nachhaltigen Fischerei gebildet, d.h. eine Fischerei, die die Umwelt schont, wirtschaftlich erträglich und sozial gerecht ist. Aber ein verbessertes Verständnis führt nicht automatisch zu verbesserten Maßnahmen.

Der Mangel an grundlegender Transparenz könnte ein Grund für alle negativen Aspekte des globalen Fischereisektors sein - IUU-Fischerei, Flottenüberkapazitäten, Überfischung, schädliche Subventionen, Korruption, schlechte Managemententscheidungen usw.

Welternährungsorganisation (FAO), State of the World Fisheries Report 2010

Mauretanien gab Anfang 2015 selbst den Startschuss für eine globale Initiative für mehr Transparenz in der marinen Fischerei. Dahinter stand die Idee, die Transparenz des Sektors nicht nur national sondern auf globaler Ebene zu verbessern. Nach dem Vorbild der Initiative für Transparenz in der Rohstoffwirtschaft (EITI) wurde bei einer ersten Sitzung in Berlin die Fisheries Transparency Initiative (FiTI) ins Leben gerufen. Unter der Führung von Professor Peter Eigen an der dort ansässigen gemeinnützigen HUMBOLDT-VIADRINA Governance Platform wurde in einer zweijährigen globalen Multi-Akteurs-Konsultation das erste und bis heute einzige globale Rahmenwerk erstellt, das definiert, welche Fischerei-relevaten Informationen von nationalen Behörden online veröffentlicht werden sollten.

An diesem Rahmenwerk, dem sogenannten FiTI Standard, waren Vertreter*innen von Regierungen, industriellen Fischereibetrieben, handwerklichen Fischereiverbänden, Organisationen der Zivilgesellschaft und zwischenstaatliche Organisationen wie die Weltbank, die Europäische Kommission und die FAO beteiligt. Während das Verfahren bewusst an dem der EITI angeleht ist, geht der eigentliche Tranzparenzansatz in der Fischerei deutlich über den EITI-Ansatz – nämlich Transparenz zur Bekämpfung von Korruption – hinaus. So war allen Beteiligten klar, dass es deutlich mehr Informationen bedarf, um abschätzen zu können, ob der Fischereisektor nachhaltig bewirtschaft wird.

So deckt der FiTI-Standard insgesamt 12 thematische Bereiche des Fischereimanagements ab:

Wichtig ist hierbei zu betonen, dass nicht erwartet wird, dass beteiligte Länder von Anfang an über vollständige Daten für jeden der 12 Bereiche verfügen. Stattdessen müssen nationale Behörden die ihnen vorliegenden Informationen offenlegen. Wo erhebliche Lücken bestehen, müssen diese aufgezeigt und Verbesserungen im Lauf der Zeit nachgewiesen werden. Die Teilnahme an der FiTI soll keine aufwändige und kostspielige Forschungstätigkeit sein. Sie ist vielmehr so konzipiert, dass jedes Land teilnehmen und daran wachsen kann.

Warum ist Transparenz wichtig für den Fischereisektor?

Es gibt viele Ansätze, um eine nachhaltige Fischerei zu erreichen. Die öffentliche Verfügbarkeit von glaubwürdigen Informationen ist jedoch von entscheidender Bedeutung. Denn selbst im Informationszeitalter herrschen viele Zweifel, Unsicherheiten und sogar Geheimnisse darüber, was im Fischereisektor geschieht. Wie ist der Zustand der Fischbestände? Welche Schiffe dürfen unter welchen Bedingungen fischen? Wie viel wird gefangen? Wie viel wird für das Recht zu fischen gezahlt? Wer ist der wirtschaftliche Eigentümer? Ohne Antworten auf diese grundlegenden Fragen ist die Fähigkeit von Regierungen, die Fischgründe effizient und nachhaltig zu bewirtschaften, stark beeinträchtigt. Wirksame Aufsicht, Rechenschaftspflichten und ein öffentlicher Dialog werden erschwert.

Weibliche Mitglieder des Afrikanischen Dachverbands für handwerkliche Fischerei demonstrieren für ökologisch nachhaltige und sozial gerechte Fischerei. © FiTI via Facebook

Transparenz sollte auch nicht dahingehend missverstanden werden, dass nur ins Rampenlicht gerückt wird, wie Regierungen (oder Unternehmen) sich verhalten, damit Probleme wie illegale Fischerei oder Korruption bekämpft werden können. Ein relativ unterschätzter Wert der staatlichen Transparenz besteht darin, die Sichtbarkeit des gesamten Fischereisektors zu erhöhen – also auch von Akteuren, die oft ignoriert oder vernachlässigt werden. Dies sind Teilsektoren (z. B. die handwerkliche Fischerei) oder Gruppen (z. B. Frauen), die wesentlich zum Lebensunterhalt und zur Ernährungssicherheit beitragen, aber in öffentlichen Debatten und bei der Politikgestaltung oft vernachlässigt werden.

Dass es an solchen Informationen nach wie vor mangelt, dürfte im Jahr 2022, das von der UN-Generalversammlung zum Jahr der handwerklichen Fischerei und Aquakultur ausgerufen wurde, besonders deutlich hervorgehoben werden.

Afrikanische Länder als Vorreiter

Im Vergleich zu den Sektoren fossiler oder mineralischer Ressourcen ist die marine Fischerei nur sehr langsam auf die Transparenzwelle aufgesprungen. So hat die erwähnte EITI seit knapp 20 Jahren international Unterstützer gewonnen. Dennoch sind auch im Fischereisektor beachtliche Fortschritte in der Transparenz erzielt worden. So haben in diesem Jahr die Seychellen und Mauretanien als erste Länder überhaupt ihren Rechenschaftsbericht, den sogenannten FiTI-Bericht, öffentlich vorgelegt.

Diese Berichte sind nicht nur Meilensteine für die beiden Länder, sondern auch für alle , die seit Jahrzehnten für mehr Offenheit und Partizipation in der Fischerei eintreten. Sie ermöglichen es, dass eine ganze Reihe von bisher unbekannten Informationen, wie etwa Fischereiverträge mit Drittstaaten, zum ersten Mal öffentlich zugänglich werden. Beide Berichte gewähren Einblick, welche Informationen den nationalen Behörden überhaupt zur Verfügung stehen, ob diese für die breite Öffentlichkeit zugänglich sind und – wenn ja – ob sie als vollständig oder lückenhaft angesehen werden. Liefert die Wirtschaft z.B. nicht zeitnah ihre Fanginformationen an die Regierung, wird auch das in dem Bericht ersichtlich.

Die Veröffentlichung der beiden Berichte inmitten einer weltweiten Pandemie darf als bemerkenswerte Leistung gesehen werden. Noch bemerkenswerter war jedoch die Art und Weise, wie sie erstellt wurden. Nach einem der Grundprinzipien der FiTI benötigt Transparenz Vertrauen, um wirksam zu sein: Informationen sollten fair und unvoreingenommen sein und nicht einer bestimmten politischen Agenda oder wirtschaftlichen Interessen dienen. Daher haben nicht die jeweiligen Regierungen die Berichte alleine erstellt. Sie beruhen vielmehr auf kollektiven Bemühungen von nationalen Multi-Akteurs-Gruppen (MAG).

Diese setzen sich zu gleichen Teilen aus Vertreter*innen der Regierung, des Wirtschaftssektors und der Zivilgesellschaft zusammen. Die MAG der Seychellen besteht aus 12 Mitgliedern, die mauretanische aus 15. Jede Gruppe hat nicht nur die veröffentlichten Inhalte überprüft. Es wurden auch klare Handlungsempfehlungen formuliert, wie die Transparenz im Fischereisektor ihres Landes noch weiter zu verbessern ist. Die Regierungen sind angehalten, diese umzusetzen und darüber in den jährlichen Folgeberichten Rechenschaft abzulegen.

An der Westküste Afrikas verladen Hafenarbeiter den morgendlichen Fang in gekühlte LKW. © FAO/John Wessels

Neben diesen beiden Vorreiterstaaten haben sich auch die Regierungen von Senegal, Cabo Verde und vor kurzem auch Madagaskar öffentlich dazu verpflichtet, die Transparenz in ihrem Fischereisektor durch die FiTI zu erhöhen. Das internationale FiTI-Sekretariat, das Exekutivorgan der Initiative mit Sitz auf den Seychellen, arbeitet außerdem mit Interessensgruppen in anderen Ländern zusammen, darunter Peru, Ecuador, Mexiko, São Tomé und Príncipe, Mauritius, die Komoren und der Libanon.

Transparenz ist kein Selbstläufer!

Tatsächlich profitieren immer noch viele Akteure von einem Mangel an Transparenz. So wurde in Namibia 2019 der so genannte Fishrot-Skandal aufgedeckt, in dem der ehemalige Fischereiminister und der Generalstaatsanwalt gegen Schmiergelder vom isländischen Fischereikonzern Smaherji in Millionenhöhe widerrechtlich Fischereirechte vergaben. Beide wurden von den USA in diesem Jahr auf eine Sanktionsliste gesetzt und mit Einreiseverboten belegt. Gäbe es keine eklatanten Verstöße gegen bewährte Praktiken im Fischereimanagement, wäre es nicht nötig, auf Transparenz zu bestehen!

In einer Zeit, in der die Meere neben Überfischung bereits durch Einflüsse des Klimawandels und Umweltverschmutzung zunehmend bedroht sind, kommt Covid-19 erschwerend hinzu. Schwere Belastungen der wirtschaftliche Situation vieler Küstenstaaten – etwa durch einen starken Einnahmerückgang im Tourismussektor – nähren Befürchtungen, dass nach kurzfristigen wirtschaftlichen Gewinnen gegriffen wird (zum Ausgleich krisenbedingter Ausgaben), während die langfristige Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft Schaden nimmt. Dies gilt auch für die Fischerei, etwa durch die Vergabe neuer Fangquoten.

Bei einer Veranstaltung der Zivilgesellschaft trägt eine Frau ein Schild mit der Forderung nach Transparenz. © FiTI via Facebook

Transparenz muss daher deutlich mehr Priorität gewinnen! Ein erster wichtiger Schritt besteht darin, mit dem Trugschluss aufzuräumen, dass Transparenz eine lästige und vor allem freiwillige Aufgabe ist. Die Bereitstellung von staatlichen Informationen wird zunehmend zur rechtlichen Verpflichtung, die sich zum Beispiel aus den mittlerweile weitverbreiteten Gesetzen über die Informationsfreiheit ergibt. Sie bedeuten, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, Umweltinformationen (und somit auch über den Fischereisektor) zu erhalten.

Fehlen die Anreize für mehr Transparenz?

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass ein rein traditionelles Argument einer "guten Regierungsführung" alleine nicht ausreicht, um die Bedeutung (und damit die politische Priorität) der Transparenz zur Stärkung einer nachhaltigen Meeresfischerei hervorzuheben. Der Aspekt von öffentlichen Informationen muss daher stärker mit dem Gedanken eines Wertbeitrages verknüpft werden. Es könnten z.B. marktorientierte Anreizsysteme geschaffen werden – etwa mit Strategien, wonach große Seafood-Beschaffer bevorzugt in transparenten Staaten einkaufen und Anleger dort bevorzugt investieren.

Solche Anreize fehlen derzeit noch komplett. Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich Wertbeiträge ausdrücklich nicht nur an finanziellen Aspekten ausrichten dürfen: Gerade der Beitrag der handwerklichen Fischerei zur Ernährungssicherheit eines Landes ist ein gleichberechtigter Aspekt, der mehr Beachtung finden muss.

Nach anfänglichen Startschwierigkeiten ist die Inititive inzwischen ein etablierter Player. In den Jahren 2018/19 wurde die FiTI nur durch eine Finanzierung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) vor dem Aus bewahrt. Nun schafft sie in Zusammenarbeit mit verschiedenen Regierungs- und Nichtregierungspartnern ein Umfeld, in dem staatliche Informationen im marinen Fischereisektor gefordert, verstanden, genutzt und belohnt werden. So kann Transparenz ein erster wichtiger Schritt sein, um sicherzustellen, dass unsere Meere auch in Zukunft eine Quelle des Einkommens, der Ernährung, der Erholung und des Staunens bleiben.

Sven Biermann Fisheries Transparency Initiative (FiTI)

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