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  • Wirtschaft & Menschenrechte
  • 04/2020
  • Roman Herre

Kein Ende in Sicht: die globale Jagd nach Land

Nur scheinbar ist das internationale Land Grabbing abgeflaut. Zunehmend tummeln sich Akteure der Finanzwirtschaft auf den Märkten. Sie sind weniger sichtbar.

Plantagen in Mosambik.
Eine Luftaufnahme von Plantagen und Parzellen in Mosambik. Staatliche und private Großprojekte für Agrarland und Aufforstung dringen immer weiter vor. © Robin Hammond

Seit einigen Jahren ist zu hören, der Landraub – auch Land Grabbing genannt – sei mehr oder weniger zum Erliegen gekommen. Zumindest suggerieren das mediale Berichterstattung und einschlägige Internetseiten. So hat die globale Dokumentationsplattform Land Matrix zwischen 2017 und 2020 zwar knapp 500 neue Fälle von Landnahmen verzeichnet. Das ist eine Erhöhung der dort dokumentierten Fälle in den letzten drei Jahren um 40 Prozent. Jedoch ist die Gesamtfläche der dokumentierten Landdeals minimal um 2,6 Prozent auf 50 Millionen Hektar gestiegen. Ist also tatsächlich eher weniger los in Sachen Landraub und Menschenrechtsverletzungen?

Eine Abnahme von Land Grabbing ist nicht in Sicht. Dass der Raub unvermindert weitergeht, zeigen andere Quellen, wie objektive Satellitenbilder zu Entwaldungsprozessen. In Paraguay beispielsweise war das Departement Boqueron, das fast dreimal so groß ist wie Nordrhein-Westfalen, bis ins Jahr 2000 weitgehend von dem Trockenwald Chaco bedeckt. Dort zeigt sich eine konstant hohe Entwaldungsrate: Bis heute werden allein hier jährlich 150.000 Hektar Wald zerstört – und das, wohl gemerkt, ausschließlich für Großfarmen.

Landkonflikte mit bäuerlichen und indigenen Gemeinden sind in Boqueron trauriger Alltag, auch wenn Medien darüber weitgehend schweigen. In elf Jahren, von 2007 bis 2018, wurden über zwei Millionen Hektar Trockenwald zerstört, und die Entwaldungsraten sind in den vergangenen Jahren ansteigend. Ähnliche Dynamiken sind in Brasilien, Myanmar und weiteren Ländern zu beobachten.

Neue Akteure sind eher „unsichtbar“

Ein wichtiger Grund, der Land Grabbing weniger sichtbar macht, ist ein deutlich verändertes Spektrum von Akteuren. Zu Beginn der neuen „Jagd nach Ackerland“ waren viele neue Investoren mit spektakulären Botschaften unterwegs – aus Deutschland etwa die damaligen Biosprit-Spekulanten Prokon (10.000 Hektar in Tansania) oder Flora Ecopower (56.000 Hektar in Äthiopien). Letztere versprachen, die ländliche Bevölkerung durch ihre Landentwicklung „aus der Steinzeit in die Moderne“ zu katapultieren.

Man erinnere sich an dieser Stelle, wie aus entwicklungspolitischen Kreisen wie der GIZ auf Kritik an diesen Unterfangen reagiert wurde: Man solle nicht alles gleich schlechtreden, hieß es. Endlich gebe es Perspektiven für die arme Landbevölkerung. Jedoch ist nichts von den Biosprit-Hoffnungen geblieben. Auch die beiden genannten Firmen gibt es in der Form nicht mehr. Landraub und Vertreibung wurden dagegen sehr real.

Viele solcher eher freibeuterisch handelnder Entwickler sind verschwunden. Sie haben vor allem der professionellen Finanzwirtschaft Platz gemacht. Um bei Deutschland zu bleiben: Heute mischen der Versicherungsgigant Münchner Rück, die Entwicklungsbank DEG oder die Ärztepensionskasse aus Westfalen (ÄVWL) bei den globalen Landgeschäften mit.

Ein Bewässerungsprojekt für den Anbau von Biomasse in Südafrika. Über Luft- und Satellitenaufnahmen lassen sich Veränderungen in der Landnutzung bestens nachverfolgen. © Wynand Uys via Unsplash

Die DEG ist beispielsweise mit 15 Prozent Anteilseigner der Investmentfirma PAYCO S.A. in Luxemburg, deren 100-prozentige gleichnamige Tochter der zweitgrößte Landbesitzer in Paraguay ist. Diese kontrolliert dort heute etwa 145.000 Hektar Land – auch im oben genannten Trockenwald Chaco. Die ÄVWL wiederum hat in einen 2 Mrd. US-Dollar schweren Fonds investiert, der weltweit Ackerland aufkauft. 133.000 Hektar wurden durch den Fonds in den letzten Jahren allein in Brasilien aufgekauft. Ihre Botschaften sind deutlich weniger spektakulär, eher verschwiegen. Und waren Landwirtschaft und Ackerland vor zehn Jahren noch größeren Pensionsfonds und Staatsfonds vorbehalten, so steigen nun auch vermehrt kleinere Fonds und Investoren ein.

Inwieweit der Boom von "grünen" Finanzprodukten, wie "Green Bonds" zu Land Grabbing beiträgt, ist aktuell schwer zu sagen. Sicher ist jedoch, dass solche Bonds – wie etwa der Green Bond von Amundi und der IFC Amundi Planet Emerging Green One (EGO) – komplexe Finanzierungskaskaden und -netze schaffen. Die konkreten Wirkungen von Finanzierungen vor Ort werden nicht mehr nachvollziehbar.

Und durch Vermischung staatlicher und privater Geldgeber, wie bei BMZ- oder KfW-Finanzierungen öffentlich-privater Entwicklungsfonds (etwa AATIF oder MEF) werden menschenrechtliche Verpflichtungen der Staaten zudem massiv untergraben. Beispielsweise werden Informationen über Entwicklungsfinanzierungen mit dem Hinweis auf das Bank- oder Geschäftsgeheimnis verweigert. Im Englischen wird auch von "Distancing Accountability", einem Sich-Entfernen von Rechenschaftspflichten, gesprochen.

Arbeiter auf einer von Unique Wood Paraguay entwickelten Eukalyptusplantage. © Unique Wood Paraguay

Entwicklungspolitik auf Kuschelkurs

Ein weiterer Grund dafür, dass es still geworden ist um das Phänomen, liegt sicherlich auch in dem schrittweise veränderten Umgang der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) mit großen Landinvestitionen. Noch Anfang der 2000er wurden sie entwicklungspolitisch rundweg abgelehnt. Landkonzentration wurde – zumindest auf dem Papier – mit Umverteilung von Land bekämpft. So erklärte das Entwicklungsministerium (BMZ) 2001 in ihrem "Aktionsprogramm 2015" zur weltweiten Halbierung extremer Armut Agrarreformen zur gerechteren Landverteilung als eine von zehn Handlungsprioritäten. Und zu Beginn der Diskussionen um Land Grabbing zeigte auch Deutschland noch klare Kante: "Uneingeschränkte Achtung der Menschenrechte auf Nahrung und Wasser", betonte das Positionspapier des BMZ.

Mittlerweile hat sich die staatliche Entwicklungspolitik jedoch einen Investorenjargon angeeignet. Zwar wird Land Grabbing im Sinne von Raub weiter klar abgelehnt. Jedoch werden viele großflächige Landinvestitionen nicht mehr als Land Grabbing verstanden. Heute begrüßt man im Rahmen einer veränderten Entwicklungsdebatte fast alle Investitionen. Davon werden Jobs erhofft, Technologietransfer oder verbesserte Infrastruktur. Daneben versucht die Entwicklungszusammenarbeit eher, negative Auswirkungen auf die eigentliche Zielgruppe – die arme ländliche Bevölkerung – zu minimieren, als deren Situation und Bedürfnisse – auch nach Land – in den Mittelpunkt zu stellen.

Zugleich ist die internationale Entwicklungszusammenarbeit auch selbst Landinvestor geworden. Sie gibt Gelder in Fonds, legt Fonds auf oder ist über Entwicklungsbanken Kreditgeber. Beispiele sind der genannte Fall PAYCO sowie Investitionen in Sambia oder dem Kongo, bei denen Entwicklungsfonds oder Entwicklungsbanken keine Probleme sehen, wenn durch riesige Agrarinvestitionen der lokalen Bevölkerung Zugang zu überlebenswichtigem Land genommen wird. Ein weiteres Beispiel für die verlorene Abgrenzung ist Olam International, einer der größten Agrarkonzerne der Welt. Laut eigenen Jahresberichten hat der Konzern seinen Landbesitz in den letzten zwei Jahren von 2,4 Millionen auf 3 Millionen Hektar erhöht. Olam ist in mehreren Projekten Partner des BMZ und wird umfangreich von der bundeseigenen KfW-Bank finanziert.

Engagierter Einsatz für gerechte Landverteilung fehlt

Eine Landpolitik auf Basis der Menschenrechte stellt hingegen arme ländliche Gruppen in ihr Zentrum. Sie steht auf drei Säulen: Erstens Anerkennung von legitimen Landrechten der lokalen Bevölkerung. Wichtig ist dabei die Bevorzugung marginalisierter Gruppen. Zweitens ­– und gerade im Kontext von 13 Jahren Land Grabbing – Rückgabe von Land, dort wo es zu illegitimen Landnahmen gekommen ist. Und drittens Umverteilung von Land in Kontexten hoher Landkonzentration und Landlosigkeit.

Angesichts von Landbesitzzahlen wie bei Olam oder Payco benötigt es zudem zwingend eine Debatte um Höchstgrenzen von Landbesitz, die durch lokale, nationale und gegebenenfalls auch regionale Institutionen zusammen mit der ländlichen Bevölkerung festgelegt werden könnten. Landmärkte haben sich internationalen Finanzinvestoren schrittweise geöffnet. Die Digitalisierung wird dies weiter verstärken, indem sie den Zugriff auf Landdaten und den Kauf beziehungsweise Verkauf von Land auf einem globalen digitalen Markt schrittweise ermöglicht. Hier einen "freien" Landmarkt zu beschwören, birgt gewaltigen sozialen Sprengstoff, da es absurd ist zu glauben, die lokale Bevölkerung könne sich in einem unbegrenzten wirtschaftlichen Wettbewerb um Land gegen mächtige Finanzinvestoren durchsetzen.

Menschenrechtlich gesehen ist die Regulierung dieser in Landgeschäften engagierten mächtigen Finanzakteure sehr schwierig. Aber auch das sollte nicht davon abhalten, alles dafür in die Waagschale zu werfen. Das Menschenrecht auf Nahrung muss dafür die grundlegende Norm sein. Die daraus abgeleiteten UN-Landleitlinien von 2012 sowie die 2018 von der UN-Vollversammlung verabschiedete Erklärung zu den Rechten von Bäuerinnen und Bauern sind wichtige Referenzen, auf die Politik sich beziehen kann. Das Grundgerüst ist also vorhanden.

Roman Herre von FIAN Deutschland
Roman Herre FIAN Deutschland

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