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  • Wirtschaft & Menschenrechte
  • 06/2022
  • Nathan Oxley

Eine besondere Beziehung: Wie Populisten ländliche Anliegen ausbeuten

In aller Welt profitieren populistische Parteien und Politiker von ihrer Zuwendung zur ländlichen Bevölkerung. Ob die jedoch Nutzen daraus zieht, ist eine andere Frage.

Brasiliens indigene Gemeinschaften übergaben dem Parlament 2013 eine Liste mit politischen Anliegen. © Agencia Brasil / Creative Commons 3.0 Brazil License

Autoritäre populistische Politik hat in den vergangenen Jahren weltweit bemerkenswert an Boden gewonnen. Populistische Politiker*innen haben Armut, Ungleichheit, Neid und Verbitterung sowie verbreitete Unsicherheit ausgenutzt, um Rückhalt zu finden und Machtpositionen zu übernehmen. Die Probleme, die sie für sich instrumentalisierten, machen sich besonders in ländlichen Gegenden bemerkbar. Deswegen appellieren autoritäre Anführer auch direkt an die Menschen in solchen eher bäuerlichen Gegenden – und finden bei ihnen wichtige Unterstützung.

In den Debatten über die Frage, warum diese Menschen solche Politik befürworten, spielt die Frage, welche Bedeutung die ländliche Herkunft hat, hingegen selten eine Rolle. Und wenn doch, wird sie zu vereinfacht dargestellt, oder sie beschreibt die Sorgen der Landbevölkerung nur in Stereotypen. Um dem autoritären Populismus entgegenzutreten, müssen wir allerdings verstehen lernen, warum er auf dem Lande auf solche Zustimmung stößt, und welche politischen Alternativen es dazu gibt.

Was ist autoritärer Populismus?

Zwar unterscheiden sich Politik und Kultur von Land zu Land und von Region zu Region, aber bei dem Begriff „autoritärer Populismus“ lassen sich gemeinsame Merkmale erkennen. So wird von Populist*innen beansprucht, „das Volk“ bzw. dessen Interessen zu vertreten, wobei üblicherweise „nicht zugehörige“ Gruppen ausgegrenzt werden. Die politische Basis der Populisten ist dabei klassenübergreifend. Die traditionellen politischen und wirtschaftlichen „Eliten“ und ihr kultureller Kosmopolitismus werden verachtet. Den zur eigenen Bevölkerung „nicht Zugehörigen“ tritt man mit Hass und Unterdrückung entgegen. Politischen Gegenspielern im Ausland wird unterstellt, eine „Bedrohung“ zu sein; sie werden mal als skrupellose Handelspartner, mal als potenzielle Terroristen, kriminelle Netzwerke oder als Immigrant*innen-Karawanen denunziert.

Rechtspopulistische Parteien, die durchaus unterschiedliche Werte und Botschaften vertreten, haben in der Vergangenheit bei vielen Hoffnung geweckt, weil sie Jobs, Investitionen und Erneuerung versprachen. Sie verknüpften dies mit einer nationalistischen, gegen Einwander*innen gerichteten Rhetorik, die für all jene verlockend klang, die sich unter Druck geraten fühlten. Das Ergebnis war häufig katastrophal.

Was macht den Populismus in ländlichen Regionen attraktiv?

Es erscheint merkwürdig, dass Menschen Wahlentscheidungen treffen, die nicht „rational“ sind, oder dass sie Politiker*innen und Bewegungen unterstützen, die gegen ihre Interessen arbeiten oder gar eine Politik betrieben haben, die den Wähler*innen geschadet hat. Aber ein solcher Blick übersieht, welche Rolle die Identität, Zugehörigkeit und Gemeinschaft bei der Herausbildung politischer Entscheidungen Einzelner spielen kann – und er blendet aus, wie effektiv Populist*innen des rechten wie des linken Lagers an solche Gefühle und die ihnen zugrunde liegenden Erfahrungen appellieren.

Populist*innen haben eine ganze Reihe von Problemen in ländlichen Regionen ausgenutzt – es sind Probleme, die durch den Neoliberalismus, die Verschärfung wirtschaftlicher Ungleichheit und die Konzentration von Reichtum und Einkommen nicht nur zu stagnierenden oder sinkenden Löhnen geführt haben. Sie haben auch gewerkschaftliche Rechte ausgehöhlt, Klein- und landwirtschaftlichen Betrieben geschadet, den öffentlichen Sektor ruiniert und drastische Kürzungen von Sozialleistungen ausgelöst.

In ländlichen Gebieten sind diese Probleme besonders deutlich spürbar, was oft Neidgefühle gegenüber wohlhabenderen Gegenden oder vermeintlich „Fremden“ im eigenen Land und jenseits davon erweckt. Die Unzufriedenheit mit dem status quo in weitgehend abgehängten Landregionen oder kleinen Orten ist in allen Schichten mit Händen greifbar. Wenn Arbeitsplätze und ein Auskommen fehlen, wird nicht selten vermeintlich „Fremden“ die Schuld zugewiesen, zum Beispiel Immigrant*innen, die in abgehängten Regionen in der Landwirtschaft arbeiten. In solchen Regionen zieht der Verlust an wirtschaftlichem Leistungsvermögen oft Drogenmissbrauch, körperliche wie psychische Erkrankungen und wachsende Verzweiflung nach sich.

In den USA heißt der Präsident nicht mehr Donald Trump, aber rassistische weiße Gruppierungen wie das Patriot Movement ordnen sich gern der landwirtschaftlichen Kultur zu und schüren Sorgen über den Bestand von ländlichem Grundbesitz und der dazu gehörenden Betriebe. In Brasilien gewann Jair Bolsonaro die Wahl dank umfangreicher Unterstützung der landwirtschaftlichen Konzerne und Industrie, die auf die Abschaffung von Umweltbestimmungen und die fortgesetzte Brandrodung des Amazonas hoffte. In Frankreich und Schweden richten sich nationalistische Parteien zunehmend auf Agrarthemen und die Interessen von Landwirt*innen und Waldbesitzer*innen aus.

Marine Le Pen, hier bei einer Versammlung des damaligen Front National in Paris, ging 2013 auf eine „Tour de France der Vergessenen“. © Blandine Le Cain, CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

Die Gefühle der Ernüchterung und Ausgrenzung, die Menschen in diesen Regionen empfinden, sind das Ergebnis von jahrzehntelanger Vernachlässigung durch den Staat. Dessen neoliberale Politik führte zu Einsparungen, Auslaugung und Ausbeutung. Die Covid-19-Pandemie hat diese Bruchlinien noch verstärkt und die Ungleichheiten, aber auch das Versagen des Neoliberalismus sichtbar gemacht. In der Folge haben sich autoritäre Strukturen unter manchen Bedingungen verstärkt.

Die weitere Entwicklung hängt von den lokalen Gegebenheiten und den historischen Vorgaben ab. Populisten können ihre Anhänger*innen entweder über ethno-nationalistische Argumentationen mobilisieren, etwa wenn globale Migrationsströme für Proteste sorgen, oder über Klassenunterschiede, etwa wenn globaler Handel sich auf die Einkommenssituation auswirkt.

Auch wenn sich autoritäre Politik rühmt, für die Menschen auf dem Land einzutreten, ist das Ergebnis häufig das Gegenteil. Unter manchen Umständen fördert sie die fortgesetzte Rohstoffgewinnung oder die Ausbeutung von Agrarressourcen und reißt dabei immer mehr Land, Wasser und Bodenschätze an sich. Trotz der Behauptungen, die ländlichen Gebiete zu bewahren, erleiden diese Schaden. An anderen Orten entfaltet Politik im Namen von Naturschutz häufig autoritäre, neoliberale Dynamiken und Züge, die Anrainer beispielsweise von der Nutzung angestammter Gebiete abhalten. So formieren sich zwischen Kapital, Eliten und dem Staat häufig ganz neue Bündnisse.

Widerstand und Hoffnung

Trotz des Ausmaßes von Verzweiflung, des Ausgeschlossenseins und der sich verschärfenden Ungleichheit gibt es Zeichen der Hoffnung. Hier und da entstehen auf dem Land und in kleinen Orten emanzipatorische Alternativen. Sie bieten Chancen, eine neue, vorausschauendere Politik zu entwerfen. Die Ausgangsbedingungen können völlig unterschiedlich sein, aber sie sind in der Gemeinschaft verwurzelt, knüpfen an bäuerliches Wissen, Handwerk und Kultur an und ermutigen zu Kollektivität und Solidarität – oft als Spielarten im Umgang mit Gemeingüter (auch Allmende oder Commons genannt). Sehr häufig machen sich solche Alternativen moderne Technik zunutze, um sich zu vernetzen, zu teilen und Solidarität aufzubauen.

Bewegungen wie etwa die für Ernährungssouveränität tragen dazu bei, solche Alternativen zu verbreiten und für ihre Sache zu mobilisieren. Derartige Initiativen können dazu beitragen, eine neue, nachhaltige Wirtschaft aufzubauen, die die Bedrohung durch das Klima-Chaos abwendet. Es sind Bemühungen. die auch als Plattform für eine breiter angelegte politische Konversation dienen, nämlich über Themen weit jenseits von Selbsthilfeprojekten und den sie tragenden lokalen Gemeinschaften: Sie behandeln Fragen wie die systemweite Transformation, Klassenpolitik und politische Macht.

Aber auch hier lauern Probleme. Immer wieder sind Begriffe wie Souveränität, Lokalbezug, Autonomie, die Ablehnung des Staates und der Globalisierung durch rückschrittliche populistische Kräfte gekapert worden. Warum unterstützen Kleinbauern solche politischen Anführer? Zum Teil, weil diese vorgeben, ihnen eine Stimme zu geben und ihnen zu helfen, ihre Sebstständigkeit gegen Störfaktoren wie den globalen Handel oder staatliche Eingriffe zu bewahren. So wurden in Indien beispielsweise Ideen über „natürlichen Anbau“, der auf agrarökologischen Prinzipien beruht, von einem andere ausschließenden Hindu-Nationalismus vereinnahmt. Sie werden aber weiter als Erfolg auf dem Weg zur Nahrungsmittelsouveränität gefeiert.

Eine neue, alternative Politik muss sich sehr bewusst machen, wie solche Argumente ausgenutzt und zu einer Politik verwandelt werden können, die andere ausgrenzt. Lokal verwurzelte Alternativen müssen mit breiteren Debatten über die Wege zur Transformation und zur Vernetzung und Förderung positiver Alternativen verbunden werden.

Dieser zuerst auf der IDS-Website publizierte Text basiert auf dem Vorwort des Buches Authoritarian Politics and the Rural World (Routledge, 2022), herausgegeben von Ian Scoones mit Beiträgen von Marc Edelman, Saturnino M. Borras Jr., Ruth Hall, Wendy Wolford & Ben White. Das Buch baut auf der Arbeit der Emancipatory Rural Politics Initiative des STEPS Centre an der University of Sussex auf.

Nathan Oxley Institute for Development Studies (IDS), Brighton, England

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