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13.10.2022 | Blog

Pakistan nach der Jahrhundertflut: Hunger, Krankheiten und Obdachlosigkeit

Aisha Jamshed ist seit 2020 Landesdirektorin der Welthungerhilfe in Pakistan. In diesem Gastbeitrag, der am 22. September im Kölner Stadt-Anzeiger erschienen ist, berichtet sie über die Situation in den von der Flutkatastrophe betroffenen Regionen und fordert die Öffentlichkeit auf, mehr Verantwortung zu übernehmen und humanitäre Arbeit zu unterstützen.

Die Auswirkungen von Überschwemmungen in dem Dorf Hassan Ghono im Distrikt Sujawal.
Die Auswirkungen von Überschwemmungen in dem Dorf Hassan Ghono im Distrikt Sujawal. In solchen Gebieten in der Provinz Sindh konnten die Welthungerhilfe und ihre lokalen Partnerorganisationen vor Ort schnell reagieren, indem sie das Wasser abpumpten, um die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern. Zudem werden Lebensmittelpakete und Trinkwasser verteilt und Notunterkünfte gebaut. © RDF / Welthungerhilfe
Aisha Jamshed Landesbüro Pakistan

Die Menschen in Pakistan haben gelernt, mit extremen Wetterlagen umzugehen. Denn Hitzewellen, starker Regen und Dürren wechseln sich im Jahresverlauf regelmäßig ab. Doch die Regenmengen, die der Monsun dieses Jahr gebracht hat, sprengten jede Vorstellungskraft. Seit 50 Jahren hat es im August nicht so viel geregnet, in manchen Provinzen fiel sieben bis acht Mal so viel Regen wie sonst üblich – nun steht ein Drittel des Landes unter Wasser.

Wie praktisch jede*r Pakistani hatte auch ich Angst um Familie und Freunde. So war die Familie meines Schwagers in ihrem Haus eingeschlossen, ich konnte sie tagelang nicht erreichen und wusste nicht, ob sie noch lebten. Meine Erleichterung darüber, dass ihnen nichts Schlimmes passiert ist, wich schnell der Sorge, wie humanitäre Hilfe für die Millionen Flutopfer geleistet werden kann. Die Gedanken an das Ausmaß der Katastrophe lassen mich nachts wachliegen.

33 Millionen Menschen, so viele wie zusammengenommen in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen leben, sind von den Überschwemmungen betroffen, 1.500 Menschen starben. Etwa 13.000 Kilometer Straße, das entspricht der Gesamtlänge aller Autobahnen in Deutschland, wurden zerstört, mehr als 930.000 Nutztiere sind ertrunken. Wasser und Schlamm haben 1,9 Millionen Häuser beschädigt oder zerstört.

Hinter jeder Zahl verbirgt sich ein Schicksal, wie das der Familie von Ahmed*, die die Welthungerhilfe in der besonders betroffenen Provinz Sindh unterstützt. Die Flut hat ihnen alles genommen: eines ihrer fünf Kinder ist ertrunken, ihr Haus wurde zerstört, das Feld auf dem Ahmed Weizen angebaut hat ist weggespült. Jetzt campieren sie am Straßenrand, sie haben nichts zu essen, keine Schlafplätze, keine Privatsphäre. Sie trinken Wasser, von dem sie wissen, dass Leichen darin schwammen. Die Familie wird in den nächsten Monaten nicht nach Hause zurückkehren können, solange das Wasser nicht abfließt. Die Kinder werden auf absehbare Zeit nicht zur Schule gehen, ohne Einkommen droht die Verschuldung. Das Leben von Ahmeds Familie wird ein täglicher Kampf, wenn sie nicht hungrig zu Bett gehen wollen.

Welthunger-Index: Rang 99 von 121 untersuchten Ländern

Schon vor den Überschwemmungen war die Hunger-Situation in Pakistan laut Welthunger-Index ernst, das Land belegte Rang 99 von 121 untersuchten Ländern. Die Ernährungslage wird sich jetzt noch weiter verschlechtern, denn die Ernte ist zerstört und die Nahrungsmittelpreise steigen derzeit alle zwei Tage. Konnte sich eine sechsköpfige Familie noch vor einem halben Jahr für umgerechnet 20 Euro einen Monat lang mit Weizen, Reis, Hülsenfrüchten, Zucker und Speiseöl versorgen, kostet dasselbe Paket heute 35 Euro.

Die Welthungerhilfe unterstützt zusammen mit ihren lokalen Partnerorganisationen Flutopfer u.a. mit Nahrungsmitteln und mit dem Nötigsten für das tägliche (Über-)Leben, z.B. Küchenutensilien, Hygieneartikeln, Planen, Decken, Wasserfilter. Wir pumpen Wasser ab und verteilen Saatgut, damit Bauern aussäen können, wo das Wasser abgelaufen ist. Wenn Krankheiten wie Cholera ausbrechen, helfen wir mit Bargeld, damit die Menschen sich Medikamente oder einen Arztbesuch leisten können. Für diese Hilfen wurden bislang etwa 2,5 Millionen Euro mobilisiert.

Ich bin froh zu sehen, dass es in Deutschland Solidarität mit den Menschen in Pakistan gibt. Und wir sind dankbar für jede noch so kleine Spende. Vielleicht ist es auch die Erfahrung der Flutkatastrophe im Ahrtal, die viele Menschen in Deutschland, trotz aller Ängste um die eigene Situation, solidarisch mit den Flutopfern in Pakistan sein lässt.

Wir dürfen die Menschen nicht im Stich lassen.

Aisha Jamshed

Die Auswirkungen des Klimawandels sind eine zentrale Ursache für Hunger und Armut.

Sorge bereitet mir aber die zu geringe internationale Aufmerksamkeit und Unterstützung zur Bewältigung der Flutfolgen. Das gigantische Ausmaß der Überschwemmungen ist auch auf den Klimawandel zurückzuführen, zu dem Pakistan selbst kaum beiträgt: Das Land ist gemessen an der Einwohnerzahl das fünfgrößte Land der Erde und liegt auf Rang 10 des globalen Katastrophenrisiko-Rankings – trägt aber weniger als 1 Prozent zum globalen CO2-Ausstoss bei.

Wenn wir davon sprechen, dass wir in einem globalen Dorf leben, müssen wir füreinander einstehen. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Die Länder, die maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich sind, müssen Verantwortung übernehmen und anerkennen, dass Pakistan und andere von der Klimakrise besonders betroffene Gemeinschaften finanzielle Unterstützung für die Bewältigung der Folgen und für die Anpassung brauchen. Dann können wir in Pakistan und anderswo vorausschauend handeln, Katastrophenfolgen minimieren und mit Wetterextremen noch besser umgehen. Wir dürfen die Menschen nicht im Stich lassen.

Die Unterstützung der Welthungerhilfe in Pakistan

Die Welthungerhilfe führt gemeinsam mit ihren lokalen Partnerorganisationen Nothilfemaßnahmen in den Provinzen Sindh, Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa und Punjab durch. So erhalten die betroffenen Menschen lebensnotwendige Dinge wie Moskitonetze, Eimer mit Trinkwasserfilter, Küchenutensilien, Kanister, Solarlampen und Hygieneartikel. Wir stellen auch Lebensmittelpakete und Lebensmittelgutscheine zur Verfügung. Menschen, die derzeit auf der Straße leben müssen, erhalten Plastikmatten, Planen und Bambusrohre, mit denen sie sich Notunterkünfte bauen können. Die Welthungerhilfe und ihre Partner helfen auch bei der Entwässerung von Städten und unterstützen die Landwirtschaft mit Saatgut und Werkzeugen.

* Name geändert

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