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28.07.2017 | Blog

Von jetzt an reden wir mit

Die Alpakazüchter aus Castrovirreyna in den peruanischen Anden haben nicht mehr genug Weideflächen und Wasser für ihre Tiere. Denn beim Bau eines gigantischen Bewässerungssystems achteten weder die Regierung noch Investoren oder Großunternehmer auf Bedürfnisse und Rechte der Züchter.

Dorfbewohner stehen vor einer Kirche.
Die Dorfgemeinschaft wehrt sich gegen Eingriffe in ihre Naturräume und ihr Leben. © Karin Desmarowitz
Constanze Bandowski Journalistin

Hilda Machuca strickt. Pullover, die die Menschen hier auf eisigen 4.500 Metern gut gebrauchen können. Wenn sie die Kosten für die Wolle abzieht, bleiben ihr beim Verkauf 13 Euro für die Arbeit einer ganzen Woche. „Früher habe ich nie gestrickt“, sagt die kleine Frau. „Früher hat uns die Alpakazucht ernährt.“  Jahrhundertelang war dies die einzige, aber sichere Einkommensquelle der Quechua-Familien. Denn auf den kargen Höhen der Anden wächst kaum etwas anderes als Kartoffeln, Gerste oder Weidegras für die Alpakas. Auch wenn das Leben hart war, konnten die Familien früher vom Verkauf der Tiere, der Wolle und des Fleisches leben. „Wir waren arm, aber wir mussten nie hungern“, erinnert sich Hilda Machuca.

Früher verdiente sie ihr Geld mit der Alpakazucht

Hilda Machuca, eine ehemalige Alpakazüchterin.
Hilda Machuca, 60 Jahre, verdient ihr Geld jetzt auch mit Stricken. © Karin Desmarowitz

Doch dann beschloss die peruanische Regierung, die industrielle Landwirtschaft an der Pazifikküste auszubauen. Gigantische Wassermassen mussten für die riesigen neuen Felder herangeschafft werden, und so entstand auf 4.500 Metern eine Staumauer am See Choclococha. Von dort fließt das Wasser nun über einen 53 Kilometer langen Kanal an die Küste und sorgt für einen Boom beim Gemüseanbau, zumeist für den Export.

Für Hilda Machuca und die anderen Alpakafarmer ein folgenschwerer Eingriff: „Durch den Bau des Staudamms kann das Wasser nicht mehr natürlich versickern, der Wasserspiegel stieg so weit an, dass unser Dorf überschwemmt wurde und wir – ohne Entschädigung – ein neues Dorf oberhalb errichten mussten.“ Weil der Kanal jetzt sämtliche Wasserressourcen an die Küste schleust, verdorren nun die Weiden in der Umgebung, den Alpakas geht das Futter aus und den Kleinbauern vertrocknen die Ernten. Hilda Machuca hat Angst, dass sie ihre sowieso schon um ein Drittel kleiner gewordene Herde ganz verlieren wird.

Nur wenige profitieren vom Wasser

Ein Kanal zieht sich durch Weideflächen.
Der Kanal zur Küste zerschneidet die Weideflächen und zieht das Wasser von den Feldern ab. © Karin Desmarowitz

„Dies ist ein klarer Fall von Wasserenteignung“, sagt Welthungerhilfe-Mitarbeiter Javier Alarcón. „Wir werden den Menschen helfen, zu ihrem Recht zu kommen“. Huancavelica gehört zu den ärmsten Regionen des Landes, obwohl sie reich an Bodenschätzen, Wasser und Holz ist. „Doch davon haben bisher nur die privaten Exportunternehmen profitiert. Kleinbauern hingegen kämpfen um ihr Land und damit ums Überleben“, erklärt Javier Alarcón.

Die Armutsrate liegt bei knapp 50 Prozent und die Schere zwischen Arm und Reich klappt immer weiter auf. Große Teile der Bevölkerung bleiben vom Aufschwung ausgeschlossen, denn die  industrialisierte Landwirtschaft  geht nicht zugunsten, sondern zulasten der Kleinbauern und Angehörigen indigener Gemeinschaften – Menschen wie Hilda Machuca. Ihnen will die Welthungerhilfe gemeinsam mit dem Peruanischen Zentrum für soziale Studien (CEPES) helfen, ihre Lebensgrundlage aus der Landwirtschaft und Viehzucht auf ein starkes Fundament zu stellen. Nicht wie in früheren Projekten mit Material oder Trainings, sondern durch Unterstützung dabei, gehört zu werden, politisch Einfluss zu nehmen und ihre Rechte einzufordern.

Der Zugang zu natürlichen Ressourcen ist geregelt

Der Boden dafür ist bereitet: 2012 hat Peru die Freiwilligen Leitlinien der Vereinten Nationen für die verantwortungsvolle Verwaltung von Land und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern unterschrieben. Diese verpflichten den Staat unter anderem, Umweltstudien durchzuführen und die Bevölkerung in die Planung von Projekten einzubeziehen. Die Leitlinien sind das erste völkerrechtliche Instrument, das weltweit den gerechten Zugang zu natürlichen Ressourcen regelt.

Alpakas auf einer Weide.
Die Alpakas finden kaum noch Wasser, ihre Weiden verdorren. © Karin Desmarowitz

Wer aber die eigenen Rechte einfordern will, muss sie zuerst einmal kennen. Das haben sich die Welthungerhilfe und CEPES zur Aufgabe gemacht. Aufklärungskampagnen informieren die Bewohner darüber, was ihnen gesetzlich zusteht. Workshops leiten sie dabei an, eigene Pläne vorzulegen und sich mit vereinter Stimme gegenüber Verantwortlichen stark zu machen. Eine Datenplattform über Landbesitz und -nutzung sowie die Vernetzung mit anderen Organisationen bringt für alle Transparenz darüber, was in der Region geschieht.

Ohne Perspektive ziehen junge Menschen fort

Gemeinsames Handeln ist dringend notwendig, denn das Landwirtschaftsministerium hat den Ausbau des Bewässerungssystems von Huancavelica beschlossen, unter anderem ist ein weiterer Kanal vorgesehen. Hilda Machuca ist entsetzt: „Schon jetzt sind unsere Weidegründe durch den Kanal zerschnitten, durstige Tiere und sogar Menschen ertrinken, weil das Ufer nicht gesichert ist. Das Land verdorrt immer weiter, die Landwirtschaft wirft nichts mehr ab, und junge Leute ziehen in die Stadt, weil sie hier keine Perspektive sehen“.

Die Bewohner wissen nun, dass sie im Recht sind und nicht alles hinnehmen müssen. Dass dies konstruktiv und friedlich verläuft, darauf arbeiten die Workshops der Welthungerhilfe und ihrer Partner hin. Ein erster Meilenstein ist bereits erreicht: Seit  August 2015 kommen Regierungsvertreter mit Kleinbauern, Unternehmern und Vertretern der Gemeinden an einem Runden Tisch ins Gespräch.

Ihre Stimmen werden zum ersten Mal gehört

Dorfbewohner auf einer Weide.
Die Dorfbewohner an dem Ort, an dem früher ihr Dorf stand. Weil es überschwemmt wurde, mussten sie umziehen. © Karin Desmarowitz

Pedro Cabrera leitet das Umweltamt der Regionalregierung von Huancavelica und ist voll des Lobes für das Projekt: „CEPES hat es geschafft, dass wir uns offen austauschen und einander besser verstehen. Wir können in den Gemeinden unsere Anliegen erklären, im Gegenzug hören wir die Vorschläge der Bauernvertreter und binden diese in unsere Aktivitäten ein.“

Hilda Machuca und die anderen 5.000 Quechua-Familien im Projektgebiet haben berechtigte Hoffnung, dass ihre Stimme zum ersten Mal in der peruanischen Geschichte gehört wird. Dass ihre dringenden Forderungen nach  einem  nachhaltigen Wassermanagement ernstgenommen werden. Zum Beispiel, dass die Wasserquellen und Hochmoore ihrer Heimat besser geschützt werden, nicht das gesamte Wasser kommerziell abgezweigt wird und ihre Tiere wieder genügend fruchtbare Weiden finden. Hilda Machuca und ihre Nachbarn können das Rad nicht zurückdrehen – aber sie haben genügend Wissen und Selbstvertrauen gewonnen, um aktiv an der Gestaltung der Zukunft mitzuwirken.

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