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  • Agrar- & Ernährungspolitik
  • 02/2024
  • Prof. Dr. Peter Dannenberg

Krise als Zukunftschance: Ist die Landflucht der Jugend in Afrika zu stoppen?

Investitionen in die Modernisierung und landwirtschaftliche Transformation kann die Abwanderung junger Menschen aus ländlichen Räumen verringern. Aber Versprechen dürfen sich nicht als Trugbilder erweisen.

In Mali ist mit Unterstützung der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB) eine moderne Getreidemühle mit attraktiven Arbeitsplätzen entstanden. © AfDB via Flickr

Während die Urbanisierung in den westlichen Volkswirtschaften und weiten Teilen Lateinamerikas und Asiens bereits weit fortgeschritten ist und die Bevölkerung mehrheitlich in Städten lebt, liegt dieser Anteil in Afrika derzeit noch bei rund 43 Prozent, wenn auch mit rasch steigender Tendenz.  Wanderungsprozesse sind in den ländlichen Räumen Afrikas dabei kein neues Phänomen, sondern stellen insbesondere für Individuen und Gruppen in prekären Situationen eine wichtige Strategie dar, ihre Lebensgrundlagen zu verbessern. Die Abwanderung in große Städte ist dabei nur ein Weg unter vielen.  Auch zeitlich begrenzte Migration und die Entstehung multilokaler Haushalte sind weit verbreitet.

Ursächlich sind hierbei individuelle Überlegungen zur Verbesserung der eigenen Lebenssituation, aber auch grundsätzliche sich verändernde ökologische, soziokulturelle, oder ökonomische Rahmenbedingungen, wie z.B. Umweltdegradation, Wertewandel, oder Einkommensperspektiven. Diese können dann entsprechend auch größere Wanderungsbewegungen auslösen. Während auch in Afrika, wie in weiten Teilen der Welt, der Trend zum Leben in der Stadt geht, finden diese Wanderungen oft nicht in die primären urbanen Zentren der jeweiligen Länder statt, sondern fokussieren sich in weiten Teilen auf die relativ kleineren Städte in den jeweiligen Nahräumen der ländlichen Bevölkerung.

Anders als etwa in Europa zu Zeiten der Industrialisierung stellt sich hierbei das Problem, dass die so wachsende Bevölkerung in vielen Städten Afrikas nicht in einem entsprechend anwachsenden sekundären und später tertiären Sektor eine Beschäftigung findet. Vielmehr leben und arbeiten viele Menschen auch in den Städten in informellen und prekären Beschäftigungsverhältnissen. Dies ist auch insofern problematisch, da oft in erheblichen Maßen in den ländlichen Räumen verbliebene Familienmitglieder von den Einkommen der in die Städte gewanderten Bevölkerungsschichten abhängig sind. Manche der abgewanderten Menschen kehren auch daher in die ländlichen Räume zurück.

Warum bleiben?

Doch welche Perspektiven gibt es für die weiterwachsende Bevölkerung, wenn sie in den ländlichen Räumen bleiben? Langfristig werden wesentliche Beschäftigungsperspektiven der ländlichen Bevölkerung voraussichtlich außerhalb der Landwirtschaft liegen. Aktuell gibt es jedoch gerade in peripheren ländlichen Räumen meist nur einfache Handwerksbetriebe und Dienstleistungen (ggf. mit Ausnahme des Tourismus). Das heißt, die Landwirtschaft und die verbundenen Wirtschaftsbereiche wie z.B. der Handel mit Agrarprodukten, werden auf absehbare Zeit weiterhin die zentrale Lebensgrundlage für große Teile der ländlichen Bevölkerung bleiben.

Luftbild von Parzellen, auf denen Haushalte in einem Dorf in Gambia auf Gemeinschaftsland Gemüse für die Selbstversorgung anbauen. © AfDB via Flickr

Die Landwirtschaft selbst ist dabei oft durch eine starke Subsistenzausrichtung, niedrige Einkommensaussichten und schwere körperliche Arbeit gekennzeichnet, die gerade die jüngere Bevölkerung abschreckt. Aktuell scheint jedoch ein neues Moment möglich, das der Landwirtschaft in Afrika einen Schub geben und sie auch für jüngere, tendenziell abwanderungswillige, Menschen wieder interessant machen könnte.

Landwirtschaftliche Transformation in Krisenzeiten

Die aktuelle landwirtschaftliche Situation ist durch eine weltweite Krise gekennzeichnet, die sich u.a. durch schwankende bzw. steigende Preise von Agrarzulieferprodukten und teilweise unsichere Lebensmittelversorgung auszeichnet. Die Krise hat sich im Kontext gestörter globaler Lebensmittelwertschöpfungsketten entwickelt. Diese Probleme sind auch für Menschen in den ländlichen Räumen Afrikas und ihr Auskommen oftmals herausfordernd.

Allerdings führen sie auch dazu, dass aktuell sowohl viele nationale Regierungen als auch internationale Investoren die Landwirtschaft wieder als einen zentralen Wirtschaftssektor wahrnehmen und in diesen investieren. Einige Länder setzen aktuell z.B. Programme zur Förderung der Ernährungssicherheit und der Ernährungssouveränität, also der Unabhängigkeit von Lebensmittelimporten auf, die entsprechend die eigene Landwirtschaft fördern sollen. Dies geschieht etwa im Rahmen des Comprehensive African Agricultural Development Programme (CAADP) der Afrikanischen Union.

Gleichzeitig zeichnet sich auch in Afrika mittlerweile eine digitalgetriebene Modernisierung der Landwirtschaft ab, bei der zunächst einfache Lösungen die Situation der Landwirte deutlich verbessern, darunter digitale Selbsthilfegruppen (etwa beim Wissensaustausch von Anbaumethoden oder zum Umgang mit Ungeziefer), digitale Bezahlsysteme und digitale Plattformen zum Einkauf von Zulieferprodukten und zum Verkauf der eigenen Produkte.  Zudem drängen weitere neue Technologien in die afrikanische Landwirtschaft (z.B. im Bereich der Sensorik).

In der Vergangenheit entpuppten sich solche Investitions- und Modernisierungsversprechen leider schon häufiger als Trugbilder, die – wenn überhaupt – nur wenigen inländischen oder ausländischen Akteuren zugute kamen. Es stellt sich also die Frage:  Wie kann es nun gelingen, dass diese Maßnahmen auch tatsächlich der ländlichen Bevölkerung zugutekommen?

Bäuerlicher Betrieb als Business

Gerade für junge Menschen ist es wichtig, dass die Landwirtschaft ein angemessenes Einkommen generiert, aber darüber hinaus auch weitere Perspektiven bietet und nicht als eine „archaische Plackerei“ wahrgenommen wird. Ein – in Europa oft romantisierter – kleinbäuerlicher Selbstversorgungsbetrieb ist nicht das, worin viele junge Menschen in Afrika ihre Zukunft sehen. Ein Business, mit dem man Geld verdienen und Wachstum generieren kann, ist deutlich attraktiver. Die Entwicklung von Bauern zu selbstständigen Geschäftsleuten mit guter landwirtschaftlicher aber auch betriebswirtschaftlicher Schulung und dem Zugang zu einem Grundstock von modernen technologischen Möglichkeiten und finanzieller Unterstützung kann hier ebenso helfen wie eine weiterführende Bildung.

Landwirt*innen in Ghana können sich über Apps austauschen und vernetzen.
Eine Smartphone-App zum Austausch von Informationen von Farmern in Ghana. © pr

Allerdings haben Universitäten in den Großstädten oft den Nachteil, dass sich selbst in agrarwissenschaftlichen Studiengängen die Lehre oft zu praxisfern gestaltet. Häufig orientieren sich die Absolventen nach einem Aufenthalt in der Stadt dort auch beruflich und kehren nicht mehr in die ländlichen Regionen zurück. Die Stärkung ländlicher und kleinstädtischer praxisorientierter Bildungseinrichtungen in Kooperation mit Praktikern vor Ort kann hier eine Alternative bieten. Auch bei finanzieller Unterstützung und im Technologietransfer bleiben lokale und integrative Partnerschaften mit der Einbindung von lokalem Wissen, aber auch der Zugriff auf internationale Netzwerke und Expertise wichtig.  Neben dem Technologietransfer stellt auch Empowerment einen wichtigen Ansatz dar. Dies kann z.B. durch den Aufbau von Interessenvertretungen, Selbsthilfegruppen und marktorientierten Gruppen, den Aufbau von Netzwerken, Mentoring-Partnerschaften und der Schulung von Führungskräften erfolgen.

Perspektiven schaffen  

Zwei Initiativen sehr unterschiedlicher Maßstabsebene sollen hier beispielhaft illustrieren, wie agrarorientierte Entwicklungsanstrengungen jungen Menschen in ländlichen Räumen Perspektiven eröffnen können:

Die ACADES Youth Farmers Association ist eine ursprünglich von malawischen Hochschulabsolventen gegründete Bottom-Up-Initiative, die mittlerweile durch die malawische Regierung und die Weltbank finanziell unterstützt wird.  ACADES investiert in Jugendliche und Kleinbauern mit dem Ziel, die Lebens- und Einkommensperspektiven im Agrarbereich attraktiv zu gestalten. Im Zentrum stehen dabei die Ausrüstung und Modernisierung der Produktionsmittel. Typische Maßnahmen umfassen die Bereitstellung von Werkzeugen und Finanzmitteln, den Aufbau von Lagerkapazitäten und Saatgutproduktion sowie umfangreiche Schulungen und Hilfe zur Selbsthilfe insbesondere in organisierten Gruppen.

Letztere werden hierbei insbesondere bei gemeinsamen Spar- und Investitionsmaßnahmen sowie der gemeinsamen – und damit im Idealfall verhandlungsstärkeren – Erschließung kommerzieller Märkte unterstützt. Die Initiative beinhaltet auch eine spezifische Förderung für Frauen.  In den vergangenen Jahren hat ACADES über 20.000 Kleinbauern organisiert, über 7.000 Landwirten Finanzmittel zur Verfügung gestellt, über 12.000 Landwirte mit Märkten versorgt und über 14.000 Landwirte geschult.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) fördert einen modernen Agrarbereich als Chance für junge Afrikaner, sich eine attraktive Existenz in ländlichen Räumen aufzubauen – und nicht abwandern zu müssen. Dies adressiert die GIZ etwa in ihrem GlobalvorhabenBeschäftigung im ländlichen Raum mit Fokus auf Jugendliche". Als wesentliche Hebel werden dabei in verschiedenen Vorhaben (darunter in Kenia, Burkina Faso und Mosambik) die Bereiche Bildung und Ausbildung, Zugang zu Finanzmitteln, Vernetzung mit anderen Unternehmen (z.B. in Kooperativen), Verbesserung des Marktzugangs, Zugang zu Landrechten, Zugang zu technischem Equipment und geschlechterspezifische Förderung (Empowerment) gesehen, die möglichst zusammen unterstützt werden sollen.

Ziel ist es auch hier, sich aus einer eher selbstversorgerorientierten Landwirtschaft in Richtung moderner Geschäftsmodelle, auch über den engeren Landwirtschaftssektor hinaus, zu entwickeln. Entsprechend zielen die GIZ-Vorhaben auch auf die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Bereichen Agrarzulieferprodukte, Dienstleistungen, Verarbeitung, Vertrieb, Marketing und Einzelhandel. Die GIZ hat im Rahmen dieser und ähnlicher Projekte zwischen 2009 und 2020 zusammen mit anderen Partnern über zwei Millionen Menschen in Afrika ausgebildet oder geschult und rund 850.000 Arbeitsplätze geschaffen. 

Dabei gilt es Problembereiche nicht zu ignorieren. Eine Modernisierung der Landwirtschaft kann gegebenenfalls auch eine Substitution von Arbeit darstellen, wie wir es im Zuge der Mechanisierung in Deutschland gesehen haben. Vielfach ungeklärt bleiben auch Fragen bezüglich möglicher struktureller Abhängigkeiten der Landwirtschaft, die bei vergangenen Modernisierungs-, Kommerzialisierungs- und Integrationsmaßnahmen oft Probleme darstellten. Diese betreffen z.B. Eigentums- und Nutzungsrechte von Saatgut und digitalen Daten oder Abhängigkeitsverhältnisse der Produzenten von Käufern in kommerziellen Wertschöpfungsketten. Auch kann eine Intensivierung der Landwirtschaft in Konflikt zu ökologischer Nachhaltigkeit geraten. Transparente, demokratische und (wissenschaftlich) evaluierte Prozesse sind daher äußerst wichtig.

Fazit

Viele der hier beschriebenen Ansätze sind weder neu noch frei von Risiken. Neue finanzielle und weitergefasste Fördermöglichkeiten, neue Bottom-Up Initiativen und die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung lassen jedoch in der aktuellen Krise ein großes Potenzial erkennen, diese Ansätze zu nutzen, um Perspektiven im Agrarbereich auch für die junge Bevölkerung zu schaffen und sie somit in den ländlichen Räumen zu halten.

Prof. Dr. Peter Dannenberg Universität zu Köln

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