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  • Wirtschaft & Menschenrechte
  • 04/2024
  • Nandini Sharma
Schwerpunkt

An der Seitenlinie: Höchste Zeit, EU-Gesetz mit dem Globalen Süden abzustimmen

Bei der Entstehung des europäischen Lieferkettengesetzes fehlte die Stimme der Schwellenländer als zentrales Glied der globalen Wertschöpfung. Vorschläge für einen Aktionsplan zu einer besser koordinierten Umsetzung.

Teepflücker in den Nilgiri Bergen. In Indien gibt es in diesem Sektor zahlreiche Nachhaltigskeitsinitiativen zum Schutz von Arbeiterinnen und Umwelt. © James Anderson, World Resources Institute, via Flickr

Im April 2024 wird die EU-Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit (CS3D) mit der Zustimmung des Europäischen Parlaments als Gesetz in Kraft treten. Der endgültigen Verabschiedung gingen viele Monate Verhandlungen und wichtige Zwischenschritte voraus, darunter die Zustimmung durch den EU-Ministerrat und den Rechtsausschuss des EU-Parlaments.

Die EU-Richtlinie wird selbst in ihrer abgeschwächten Version als wichtiger Schritt in die richtige Richtung angesehen. Das liegt vor allem an der klaren Formulierung der Absicht und des Ziels, das darin besteht, "das Potenzial des Binnenmarktes besser zu nutzen, um zum Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen, indem potenzielle oder tatsächliche nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt in den Tätigkeitsketten der Unternehmen verhindert und gemildert werden".

Der vorgeschlagene Gesetzesentwurf sendet die Botschaft an die Beteiligten der Wertschöpfungsketten, dass die Verantwortung und Rechenschaftspflicht der Unternehmen in Umfang, Ausmaß und Bedeutung bleibend zunehmen werden. Er stuft Unternehmen als wichtige Mitwirkende an einer nachhaltigen Entwicklung und dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft ein und trägt zugleich Sorge, dass sie weder absichtlich noch unabsichtlich Schaden anrichten.

Wie bei jedem anderen Gesetz gibt es jedoch auch bei der EU-Richtlinie Bereiche, die einer weiteren Prüfung und Verbesserung bedürfen. Ein Schlüsselaspekt, der aufgrund seiner vollkommenen Abwesenheit besonders auffällt, ist die Stimme und Rolle des "globalen Südens" im Entstehungsprozess. Die Schwellenländer, die in der Regel das Ende der globalen Wertschöpfungsketten bilden, haben zwar einiges zu verlieren, sind aber nicht vertreten.

Einige mögen das damit rechtfertigen, dass die Richtlinie in ihrer derzeitigen Form ab 2029 nur für folgende Unternehmen gilt: EU-Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von mehr als 450 Mio. Euro sowie Nicht-EU-Unternehmen, die in der EU 450 Mio. Euro Umsatz erwirtschaften (ohne Schwellenwert für die Zahl der Beschäftigten).

Eine Textilfabrik in Kambodscha. Verheerende Zustände in asiatischen Großnähereien gaben einen ersten Anstoß für die Debatte über nachhaltige Lieferketten. © Chhor Sokunthea / World Bank

Es wird geschätzt, dass fast 5.300 Unternehmen in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen werden. In der Praxis wird ihre Zahl jedoch weitaus höher sein, da sich im Geltungsbereich – wenn auch indirekt – klare Erwartungen auch an Akteure wie Tochtergesellschaften und Geschäftspartner in der Wertschöpfungskette richten. Die Richtlinie wird das Verhalten der Unternehmen gegenüber Lieferanten, Investoren, Regulierungsbehörden, Verbrauchern, Kunden usw. beeinflussen.

Partizipation im Entstehungsprozess

So wie die Qualität eines starken und effizienten Werkzeugs oder Gerätes wesentlich davon abhängt, wie es geschmiedet wurde, bestimmt dieser Entstehungsprozess auch die Wirksamkeit und Stärke eines Gesetzes. Engagement und Konsultation sind wichtige Stichworte in einem Prozess, der durch einen inklusiven und partizipativen Charakter die verschiedenen und sogar divergierenden Perspektiven einbringt und berücksichtigt.

Ein Beispiel dafür ist der von Indien entwickelte nationale Rahmen für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln mit dem Titel "National Guidelines on Responsible Business Conduct" (aktualisierte Fassung der National Voluntary Guidelines on Social, Environmental and Economic Responsibilities of Business, 2011; NVGs), der 2019 vom Ministerium für Unternehmensangelegenheiten der Bundesregierung veröffentlicht wurde. Der Zeitplan für die Entwicklung des ursprünglichen Leitfadens verlief parallel zur Entwicklung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGPs), die ebenfalls 2011 verabschiedet wurden. Die Arbeiten an dem nationalen Rahmen leitete ein Ausschuss zur Ausarbeitung der Richtlinie (der verschiedene Interessengruppen vertrat) – unterstützt von einem umfassenden Konsultationsprozess in ganz Indien.

Frauen trocknen Chilis in Karnakata. Indiens Markt für Gewürze wächst stark und wird immer mehr zum globalen Geschäft. © Asian Development Bank cc-by-2.0 via Wikimedia

Während die NVGs freiwillig waren, wurde die Offenlegung und Berichterstattung darüber von der obersten Marktaufsichtsbehörde SEBI schrittweise vorgeschrieben. Der Leitfaden wurde später aktualisiert, um ihn an die SDGs und die UNGPs anzupassen. Das aufwändige Verfahren, das bei der Fortentwicklung angewandt wurde, trug wesentlich zum Mainstreaming der nationalen Leitlinien bei. Die weitere Verbreitung der NVG wurde durch einen gut geplanten Prozess der Bewusstseinsbildung und des Kapazitätsaufbaus befördert. Heute sind die 1.000 größten Unternehmen (gemessen an der Marktkapitalisierung) verpflichtet, nach dem Format der Unternehmensverantwortungs- und Nachhaltigkeitsberichterstattung zu informieren. Für kleine und mittlere Unternehmen wurde eine abgespeckte Version entwickelt.

An der Seitenlinie

Ein genauer Blick auf die zeitlichen Abläufe bei der Entwicklung der EU-Richtlinie, beginnend mit der Veröffentlichung des vorgeschlagenen Textes durch das Europäische Parlament (EP) und die Europäische Kommission im März 2021 bzw. im Februar 2022, zeigt uns allerdings, dass der globale Süden größtenteils an der Seitenlinie saß – als Empfänger von Informationen (oft versetzt mit verwirrenden Nachrichten und Unklarheiten über die nächsten Schritte).

Nach der endgültigen formalen Zustimmung des EP und der Mitgliedstaaten wird die Richtlinie nun am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft treten. Danach bleibt den  EU-Mitgliedstaaten zwei Jahre, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. (In Deutschland durch Anpassung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetztes, LkSG) Beginnend mit den großen Unternehmen wird sie dann ab 2027 schrittweise gelten.   

Von jetzt bis 2027, wenn die EU-Richtlinie von den Unternehmen umzusetzen ist, kann und muss viel getan werden, um eine reibungslose Einführung und Umsetzung der Sorgfaltspflichtengesetze zu gewährleisten. Denn in Ermangelung eines klar umrissenen Entwicklungsplans (im Rahmen eines vorgeschalteten Konsultationsprozesses) werden die Gesetze zwangsläufig auf Skepsis stoßen und etwa als Form von Protektionismus und Handelshemmnisse gesehen werden. Dies kann im Gegenzug die Akzeptanz der Richtlinie durch die Akteure der Wertschöpfungsketten und die Bemühungen um ihre Anwendung beeinträchtigen.

Um das Ziel der Richtlinie, den Aufbau gerechter und nachhaltiger globaler Wertschöpfungsketten, zu erreichen, wird es wichtig sein, vorausschauend die folgenden Schritte zu prüfen:

(1) Erstellung eines Aktionsplans, in dem die Übernahme der EU-Richtlinie in den Lieferketten (die sich ausnahmslos im globalen Süden befinden) beschrieben wird. Mit:

(2) Bewusstseinsbildung und Aufbau von Kapazitäten

(3) Unterstützung bei der Bewältigung der Veränderungen, mit denen die Lieferanten in ihrem lokalen Umfeld konfrontiert sind

(4) Anerkennung der nationalen Ordnungsrahmen und Richtlinien in Schwellenländern. Dazu

Wohl gibt es eine breite Anerkennung der Notwendigkeit und Bedeutung eines EU-weiten Sorgfaltspflichtengesetzes, das Unternehmen und Menschenrechte in den Mittelpunkt stellt. Es ist jedoch die Herangehensweise an die Einbindung und Annahme  des Gesetzes, die über seine Wirksamkeit in den kommenden Jahren entscheiden wird.

 

Nandini Sharma Centre for Responsible Business, New Delhi

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