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  • Wirtschaft & Menschenrechte
  • 04/2024
  • Theresa Heering
Schwerpunkt

Wie der Food Security Standard das Recht auf Nahrung gewährleistet

Mit dem Siegel für Ernährungssicherheit können Unternehmen prüfen, ob für die Beschäftigten in der Lieferkette grundlegende Menschenrechte gewahrt werden.

Eine Arbeiterin sortiert Teeblätter vor der Weiterverarbeitung in einer Fabrik in Ruanda. © A'Melody Lee / World Bank

Die FSS-Zertifizierung ermöglicht es Unternehmen, ihr Engagement zur Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten durch einen unabhängigen Kontrollprozess nachzuweisen. Die Prinzipien und Kriterien des Food Security Standard (FSS) ergänzen bestehende Zertifizierungssysteme für Nachhaltigkeit, indem sie das Menschenrecht auf Nahrung auf ganzheitliche Weise abdecken. Die wichtigsten Fragen:

Wozu benötigen wir einen Food Security Standard? 

Ob Avocado, Südfrüchte, Palmöl, Kaffee oder Kautschuk – wenn wir diese Produkte kaufen, bleiben uns die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bäuer*innen, die sie produzieren, oft verborgen. Dabei sind gerade am Anfang vieler Lieferketten landwirtschaftlicher Produkte aus dem Globalen Süden die Missachtung und Verletzung des Rechts auf Nahrung weit verbreitet. 

So leiden derzeit rund 735 Millionen Menschen an Hunger und über 2 Milliarden sind mangelernährt. Hunger und Unterernährung grassieren vor allem in den ländlichen Regionen armer Länder. Grundlegende Menschen- und Arbeitsrechte werden dort häufig nicht respektiert. Die Einkommen sind minimal, es gibt keine ausreichende medizinische Versorgung und die soziale Sicherung sowie der Zugang zu sauberem Wasser können nicht gewährleistet werden. 

Verbraucher*innen fordern inzwischen immer öfter Transparenz in Bezug auf die Einhaltung von Menschenrechten in Lieferketten. Doch das Menschenrecht auf Nahrung hat es bislang nicht explizit in das bereits verabschiedete Lieferkettengesetze geschafft. Auch bei freiwilligen Nachhaltigkeitszertifizierungen für Exportgüter widmete sich bisher kein Standard umfassend der Frage, ob die Produktion landwirtschaftlicher Betriebe im globalen Süden mit dem Menschenrecht auf Nahrung von Kleinbäuer*innen und Landarbeiter*innen in Einklang steht. Dabei sind hungernde Bäuer*innen und Arbeiter*innen ein eindeutiges Signal dafür, dass Betriebe ihre Sorgfaltspflichten nicht ausreichend erfüllen. 

Genau hier setzt der Food Security Standard (FSS) an: Es ist ein Baustein, der mit jedem Nachhaltigkeitsstandard und Zertifizierungssystem im Agrarsektor kombiniert werden kann und es ermöglicht, die Umsetzung des Rechts auf Nahrung genau zu überprüfen. 

Der FSS unterstützt die Akteure von Lieferketten in allen Betriebsgrößen und -formen dabei, ihre Sorgfaltspflichten nachzuweisen. Deutsche und europäische Unternehmen, die unter die Lieferkettengesetze fallen, können damit nachweisen, dass Menschenrechte geachtet werden. Für Produzent*innen, Arbeiter*innen und Kleinbäuer*innen und umliegende Gemeinden können potenzielle Risiken identifiziert und Abhilfe- bzw. Präventionsmaßnahmen geschaffen werden. Damit werden ihre Arbeits- und Lebensbedingungen langfristig verbessert und die Marktchancen gestärkt. 

Wie funktioniert der FSS? 

Der FSS hilft Unternehmen dabei, das Recht auf Nahrung von Bäuer*innen und Landarbeiter*innen zu achten und so soziale Verantwortung direkt am Anfang der Lieferkette zu praktizieren. Der Standard eignet sich für sämtliche landwirtschaftlichen Produkte, für Nahrungs- und Futtermittel ebenso wie für Biomasse, die für die Energiegewinnung oder zur Verwendung in der Kosmetik- oder der chemischen Industrie angebaut wird. 

Der FSS besteht aus fünf Säulen, 17 Prinzipien und 35 Kriterien, die die Leitlinien zum Recht auf Nahrung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) in praxisnahe Werkzeuge übersetzen. Er spiegelt damit die Vielzahl an Faktoren wider, die das Recht auf angemessene Ernährung beeinflussen. 

Um zu überprüfen, ob das Recht auf Nahrung garantiert wird, prüfen Auditoren: Haben Arbeiter*innen und Kleinbäuer*innen das ganze Jahr über genug zu essen? Sind die Löhne angemessen? Haben sie Zugang zu Bildung, einer Basis-Gesundheitsversorgung, zu Rechtssicherheit? Können Mütter ihre Kinder während der Arbeitszeit stillen? Werden die Trinkwasserquellen der umliegenden Gemeinden nicht beeinträchtigt? 

Die Summe der Daten und Antworten ergibt ein genaues Bild von der jeweiligen lokalen Ernährungslage. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, können Betriebe mit Blick auf Ernährungssicherheit und soziale Nachhaltigkeit zertifiziert werden. Produzent*innen können damit nachweisen, dass sie ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten und das Recht auf Nahrung auf Anbauebene eingehalten haben. 

Welche Rolle spielt der Privatsektor bei der Verwirklichung des Rechts auf Nahrung? 

Für die Umsetzung des Rechts auf Nahrung ist es unerlässlich, dass Regierungen die dafür nötigen rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen schaffen. Ein wichtiger Akteur wird allerdings oft übersehen: die Privatwirtschaft. Dieser Sektor ist nicht nur verpflichtet, die Menschenrechte zu schützen und zu ihrer Verwirklichung beizutragen. Er verfügt auch über sehr wirkungsvolle Hebel, Ernährungssicherheit in landwirtschaftlichen Betrieben für Landarbeiterinnen und Kleinbäuerinnen umzusetzen und wirkt sich damit potenziell auf umliegende Gemeinden aus. Der FSS richtet sich deshalb gezielt an die Verantwortung des Privatsektors. 

Lieferkettengesetze erhöhen Informations– und Berichtspflichten der Betriebe. Wer soll diese Zusatzkosten bezahlen? Ist das nicht eine zusätzliche Hürde für arme Länder? 

Im Zuge der verschiedenen europäischen Regelungen (und des deutschen LkSG) zu Sorgfaltspflichten in Lieferketten kommen zusätzliche Kosten auf Unternehmen zu, die mit Zertifikaten und Audit nachweisen müssen, dass sie ihre Pflichten einhalten. Der FSS ist eine Ergänzung zu diesen Zertifizierungen, der einen erheblichen zusätzlichen Nutzen bietet – und im besten Fall Kosten und Aufwand durch die gleichzeitige Prüfung mit dem Hauptstandard minimiert. 

Das schafft Transparenz zu menschenrechtlichen Fragestellungen in Lieferketten, die es zuvor bei vielen Unternehmen nicht gab. Die aufkommenden Regelungen verlangen, dass ein Unternehmen weiß, aus welchem Land es welche Ware bezieht, wer sie produziert und letztendlich auch unter welchen Bedingungen die Herstellung erfolgt. Das ist aufwändig, aber längst überfällig, denn wer seine Ware als nachhaltig bezeichnen will, sollte wissen, woher die Rohstoffe kommen und ob in der Produktion relevante Menschenrechte eingehalten wurden. 

Unternehmen sollten die neuen Anforderungen nicht nur durch das Erstellen von Zertifikaten belegen müssen, sondern sich auch an den Kosten für Maßnahmen beteiligen, um diese Anforderungen zu erfüllen. Dafür ist auch eine Zusammenarbeit über die gesamte Lieferkette notwendig. 

Lieferkettenakteure sollten bei der Umsetzung unterstützt werden. Im Norden geht es vor allem darum, Unternehmen zu beraten, damit sie Risiken realistisch wahrnehmen und zu Lösungen beitragen. Im Süden, wo die Ressourcen geringer sind, brauchen Produzent*innen Unterstützung, damit sie den Anforderungen gerecht werden können. 

Im Zentrum aller Bemühungen sollte stehen, dass die Maßnahmen denen helfen, die geschützt werden sollen: Kleinbäuer*innen, Arbeiter*innen und betroffene Gemeinden in Exportländern. 

Die Produktion von Früchten und Gemüse ist ein Sektor, in dem der Food Security Standard (FSS) schon zertifiziert wird. © Aaron Minnick | World Resources Institute

Wo wird der FSS bereits angewandt, welche Erfahrungen wurden bisher gemacht? 

Viele Agrarbetriebe können den Ansprüchen einer Vollzertifizierung nicht auf Anhieb genügen. Für sie bietet der Food Security Standard (FSS) einen alternativen Weg – das Food Security Sensitive Management (FOSSEM). Es ermöglicht einen schrittweisen und individuell anpassbaren Ansatz zur Umsetzung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten und kann zu einer vollständigen Zertifizierung führen. So werden auch solche Betriebe und Kleinbäuer*innen nicht ausgeschlossen, die einen längeren Weg vor sich haben, um das Recht auf Nahrung ganzheitlich zu erfüllen. 

Die Nachfrage des FSS vor dem Hintergrund aktueller Gesetzgebungen steigt und der Standard ist auch bereits in konkreter Anwendung. Unabhängige Vollzertifizierungen mit gültigen FSS-Zertifikaten erlangten bislang drei Betriebe: ein Palmölproduzent in Kolumbien sowie zwei Kaffeeproduzenten in Honduras und Vietnam. Vorbereitende Prüfungen (Assessments) wurden zuletzt im Obst- und Gemüseanbau in Äthiopien (2023) und auf einer Kaffeefarm in Uganda (2024) durchgeführt. Davor wurden Projekte in Kambodscha für die Kautschuk-Lieferkette, in Kenia für Kaffee, in Sambia für Baumwolle und in Bolivien für Zuckerrohr angestoßen. Weitere Assessments fanden 2019 in Ölpalmenplantagen in Indonesien und Malaysia statt. 

In der Zertifizierungswelle, mit der zu rechnen ist, dürfte im Zuge der Umsetzung der neuen Sorgfaltspflichten als Richtschnur für die Einhaltung grundlegender Menschenrechte der FSS an Zulauf und Bedeutung gewinnen. Die Nachfrage des FSS kommt dabei nicht nur aus dem globalen Norden, sondern auch aus dem Süden, wo der Nutzen offensichtlich auch erkannt wurde. 

In einer Waschanlage im Norden Ruandas sortiert eine Arbeiterin Kaffeebohnen. © A'Melody Lee / World Bank

Wie lässt sich der Standard in den Erzeugerländern und bei Unternehmen umsetzen? Gibt es rechtliche Möglichkeiten? 

Das deutsche Lieferkettengesetz, die europäische Lieferkettenrichtlinie und die Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten geben klar vor, dass international garantierte Rechte geachtet und somit alle Risiken für Menschenrechtsverletzungen ausgeschlossen werden müssen. Um dieses Risiko auszuschließen, bedarf es praktischer und leicht umsetzbarer Instrumente, dazu zählen auch Nachhaltigkeitsstandards. Der FSS kann als Nachweis dienen, um bei erfolgreicher Zertifizierung das Risiko für Hunger auszuschließen. 

Wer hat den FSS entwickelt? 

Der FSS wurde 2017 als gemeinsames Projekt des Zentrums für Entwicklungsforschung (Universität Bonn, Deutschland), mit der Welthungerhilfe (Bonn, Deutschland) und WWF (World Wide Fund for Nature, Berlin, Deutschland) entwickelt und wird durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe  gefördert. 

Dabei wurden die FSS-Kriterien, -Indikatoren und die zugehörigen Instrumente in Zusammenarbeit mit lokalen Produzent*innen und internationalen Zertifizierungssystemen (ISCC – International Sustainability & Carbon Certification, RSPO – Roundtable on Sustainable Palm Oil, Cotton made in Africa, UTZ/Rainforest Alliance) im Rahmen von Pilot-Audits in ernährungsunsicheren Regionen Afrikas, Lateinamerikas und Asiens erfolgreich getestet. Heute setzen Welthungerhilfe und Meo Carbon Solutions, eine Kölner Beratungsfirma für Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen, den FSS gemeinsam um. 

Theresa Heering Policy & External Relations

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