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  • Agrar- & Ernährungspolitik
  • 04/2024
  • Dr. Harry Konrad Hoffmann, Jörg Schindler

Die politische Steuerung der Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ – und was wir daraus lernen können

Zehn Jahre danach: Was zeichnet die SEWOH-Initiative in Sachen Governance, Strategie und politischer Wirkung in Partnerländern aus? Eine Studie nähert sich den Fragen – und den Lehren für Entwicklungspoltiik.

Gerd Müller spricht mit Menschen in der Elfenbeinküste.
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller gewann mit seiner Initiative "Eine Welt ohne Hunger" internationale Glaubwürdigkeit. Hier besucht er eine Karakoplantage in der Elfenbeinküste. © Ute Grabowsky / photothek /BMZ

Weniger als 100 Tage nach seinem Amtsantritt kündigte der ehemalige Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller, Anfang Februar 2014 im Bundestag die Gründung einer „Sonderinitiative für eine Welt ohne Hunger“ an – die SEWOH war geboren. Diese Sonderinitiative war in vielerlei Hinsicht bahnbrechend: Es war das erste Mal in der Geschichte des Ministeriums (BMZ), dass sektorale Strukturen wesentliche Gestaltungshoheit bekamen, und es wurde noch nie zuvor ein so großes Budget in nur einen Sektor kanalisiert. In zwei Amtszeiten gelang es dem Minister, ca. 12 Mrd. Euro (1,5 Mrd. pro Jahr) in die globale Bekämpfung von Hunger und Mangelernährung zu investieren, was in etwa dem Haushalt des Saarlandes für die Jahre 2024 und 2025 entspricht. Dementsprechend groß war auch das Portfolio: Im Jahr 2019 bestand die SEWOH aus über 300 Projekten in 13 Schwerpunkt- und 15 weiteren Ländern mit einem klaren Fokus auf Afrika.

Nach dem Wechsel der Bundesregierung wurde die SEWOH 2022 neu aufgestellt und in die „Sonderinitiative Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme“ überführt. Sie wurde somit in ihrer bisherigen Form beendet. Eine umfassende Wirkungsanalyse der SEWOH steht noch aus. TMG Research hat sich in einer qualitativen Studie(1) den folgenden Fragen genähert: Was zeichnet die SEWOH aus, wie wurde die SEWOH politisch gesteuert, und was können wir hieraus für zukünftige Prozesse in der Entwicklungszusammenarbeit lernen?

Die politischen Prozesse der SEWOH

Das Instrument einer „Sonderinitiative“ mit eigenem Haushaltstitel war neu für das BMZ, auch wenn andere Sonderinitiativen, wie z.B. die „Sonderinitiative zur Stabilisierung und Entwicklung in Nordafrika, Nahost“ schnell folgten. Die SEWOH – die mit Abstand wichtigste und größte dieser Sonderinitiativen – wurde schnell und mit sehr viel Verve von Bundesminister Gerd Müller persönlich aufgesetzt, der zuvor über acht Jahre parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) war. Folglich brachte er landwirtschaftliche Fachkompetenz bzw. eine entsprechende sektorale Sichtweise mit. Diese war mit klaren Wertvorstellungen gepaart: „Hunger ist Mord“ sagte er wörtlich dem "Deutschlandfunk" 2019. Diese Aspekte, gekoppelt mit einem familiären Hintergrund in der Landwirtschaft – er bezeichnete sich als „Sohn eines Kleinbauern“ – führte zu dem manifesten Willen, vor allem unmittelbar vor Ort gegen diese globale Ungerechtigkeit aktiv zu werden. Das internationale politische Parkett war für ihn nur in zweiter Ebene relevant.

So wurde die Sonderinitiative auch aufgesetzt: Projekte und Programme waren die wesentlichen Aktivitäten, Aktion stand im Mittelpunkt(2). Da die Bundesrepublik vergleichsweise gut aus der globalen Finanzkrise herausgekommen und das Thema der Hungerbekämpfung in der Kanzlerinnenpartei breit anschlussfähig war, waren die notwendigen finanziellen Mittel verfügbar.

Grundlage der erfolgreichen Mobilisierung der für die SEWOH notwendigen Mittel war der innenpolitische Fokus des Ministers. Er formierte ein breites Bündnis innenpolitisch relevanter Stakeholder. Dazu zählten auch Akteursgruppen, die bisher kaum Kontakt zur etablierten Entwicklungszusammenarbeit hatten. So lud Gerd Müller z.B. deutsche Landmaschinenhersteller, deutsche Hersteller von Dünger und Agrarchemikalien, oder auch den deutschen Bauernverband ein, die SEWOH mitzugestalten. Und dies Hand in Hand mit dem Ministerium und den klassischen Akteuren der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), aber auch zivilgesellschaftlichen Organisationen und kirchlichen Umsetzungsstrukturen.

BMZ-Broschüre 2017: One World - No Hunger, green Innovation Centers for the Agriculture and Food Sector © BMZ 2017

Diese Anbindung verschiedenster Organisationen wurde nur dadurch möglich, dass das Projektportfolio der SEWOH breit war und so die verschiedensten Ansätze unter seinem Dach vereinte. In einzelnen Interviews wurde von einem Blumenstrauß, im Grunde ja ein Sammelsurium(3)gesprochen oder hervorgehoben, dass die Ansätze der SEWOH teilweise wenig strategisch ausgerichtet waren(4). Das politische Versprechen war Innovationsfähigkeit. Man probiert Sachen aus und man arbeitet mit Akteursstrukturen zusammen, die mit alternativen, vorhandenen Instrumenten so nicht erreicht werden können(5).

Auf internationaler politischer Ebene nahm die SEWOH durchaus eine Vorbildfunktion ein, da die Themen der SEWOH wie Hunger, Mangelernährung und ländliche Entwicklung durch sie wieder politisches Gewicht bekamen: Die machen da was, die machen mehr als andere – okay, das ist vielleicht doch ein wichtiges Thema(6). SEWOH war ein erfolgreiches Flagship(7)bzw. ein Flagship branding(8) der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit von 2014-2022.

Die Hürden der SEWOH

Dieser Veränderungswille, gepaart mit den hierfür nötigen Ressourcen war eine wesentliche Grundvoraussetzung für die erreichten Wirkungen der Initiative. Allerdings gab es auch einige fundamentale Herausforderungen, auf die der Minister traf, oder die sich durch Struktur und Wirkrichtung der SEWOH ergaben.

Agrarpolitische Expertise im BMZ

Zum ersten war das BMZ zum Start der SEWOH 2014im Agrarbereich nicht mehr gut aufgestellt, das Thema [war] eigentlich seit Mitte der 1990er-Jahre mehr oder weniger abgemeldet(9). Dies führte dazu, dass der Aufbau entsprechender Expertise und personeller Ressourcen sehr schnell gehen musste um z.B. die Implementierung der zentral wichtigen „Grünen Innovationszentren“ (die Zielvorgabe war, bis Ende 2015 zehn dieser Zentren aufzubauen)(10) durchzuführen. Allerdings hätte manches an Kenntnis vielleicht auch langfristiger oder langsamer […] aufgebaut werden können(11)– was einer nachhaltigeren Verankerung des Themas im Ministerium sicher dienlich gewesen wäre.

Hausinterne Friktionen

Bedeutsamer war der Aspekt, dass erstmalig in der Geschichte des BMZ sektorale Strukturen eigene Umsetzungskapazitäten bekamen. Historisch liegt die faktische Gestaltungshoheit der länderbezogenen bilateralen Zusammenarbeit(12) im Regionalbereich des BMZ, während sektoralen Strukturen die entsprechende inhaltlich-konzeptionelle (Aus)Gestaltung(13)obliegt. Die SEWOH änderte diese traditionelle Aufgabenteilung schnell und radikal, es kam zu internen Friktionen im deutschen System (14). Eine solche Umgestaltung der Budgetallokation hätte, um wirklich langfristig tragfähig zu sein, wohl auch einer entsprechenden Umstrukturierung im Ministerium bedurft. Dr. Gerd Müller aber wollte schnell sichtbare Wirkungen in den Partnerländern, hierfür nahm er eine Abkürzung(15)und verzichtete auf Umstrukturierungen, die mühsam und zeitintensiv gewesen wären.  

Das Ergebnis der SEWOH

Das Ergebnis ist zwiespältig: In den Regionen und auf lokaler Ebene wurden Projekte zur Hungerbekämpfung schnell und erfolgreich implementiert. Aber das Bonmot, dass Projekte sehr selten scheitern, aber auch nur sehr selten erfolgreich transferiert werden („projects never fail, projects never scale)(16), bestätigte sich auch im SEWOH-Kontext. In einzelnen Partnerländern wurden die SEWOH-Vorhaben deshalb wahrgenommen […] wie ein Raumschiff von einem fremden Stern, das in den einzelnen Ländern landete und dann irgendwo ganz viel Geld abwarf, dies aber häufig neben dem normalen Portfolio und auch ungenügend abgesprochen und schlecht koordiniert(17). Das konstante Ringen um Macht und Ressourcen zwischen den regionalen und sektoralen Bereichen des BMZ lag auch darin begründet, dass die SEWOH als Rivale bei der Budget-Allokation gesehen wurde(18). Das faktische Ignorieren dieser Bruchlinie seitens der Hausleitung ermöglichte es zwar, die SEWOH schnell und groß aufzusetzen, hinderte die Initiative aber daran, ihr volles Potenzial auszuschöpfen, denn die Entwicklungszusammenarbeit, ob man sie nun aus regionaler oder aus sektoraler Perspektive betrachtet, braucht ein Sowohl-als-auch.(19)

Fokus auf Programme und Projekte

Die SEWOH war von Anfang an als Multiakteursansatz konzipiert, eine Vielzahl verschiedener Akteure sollte ihre jeweiligen komparativen Stärken auf dem breiten Feld der Initiative ausspielen (können). Dies bedeutete aber auch die beschriebene Fokussierung auf Aktion, auf Projekte und auf Sichtbarkeit (sowohl innenpolitisch wie bezüglich anderer Geber) – und weniger auf tendenziell schwierige politische Aushandlungsprozesse: Im Fokus stand die operative Ausrichtung, ohne dass man das Thema ein bisschen grundsätzlicher, politischer angegangen wäre(20).

Dieses Vorgehen hatte verschiedene Vorteile, wie etwa die Einbindung einer breiten Expertise, die Generierung von politischem Rückhalt in Deutschland und – auch durch letzteres – die Mobilisierung von Ressourcen. Diese Fokussierung entspricht der „klassischen Art“ der deutschen EZ, die deutsche Philosophie […], auf der Mikro-Ebene [durch Projekte] zu experimentieren und dann auf der Meso- und vor allem auf der Makroebene [politisch] zu aggregieren(21).

Dagegen wurde ein Versuch, dazu beizutragen, das Ernährungssystem auch politisch in den Partnerländern wie auf globaler Ebene zu transformieren, um einen wirklich systemischen Wandel herbeizuführen, durch die SEWOH nicht unternommen: Ein begleitender politischer Dialog […], um mit Einzelbeispielen Veränderungen zu initiieren (22), fehlte. Diese wenig vorhandene Steuerung, die weitgehende Abwesenheit von politischer Governance wurde für die beteiligten Akteure herausfordernder, je länger die SEWOH andauerte. Spätestens mit dem Beginn der Prozesse, welche in den „United Nations Food Systems Summit 2021“ mündeten, wurde diese Leerstelle offensichtlich.

Die Transformation der Ernährungssysteme ist ein politischer Prozess, und die deutsche Entwicklungspolitik hatte zwar die finanzielle, nicht aber die politische Themenführerschaft innerhalb der Gebergemeinschaft übernommen. Der Fokus auf Projekte und Programme hat in den Partnerländern viele erfolgreiche Projekte gefördert und relevante Akzente gesetzt, eine dauerhafte Überführung der entsprechenden Ergebnisse in Strukturen und Prozesse – und damit ein systemischer Wandel der Ernährungssysteme – wurde aber somit weder angestrebt noch erreicht.

Durchwachsene politische Bilanz

Es ist ein Verdienst der SEWOH, die Themen Hunger, Mangelernährung und ländliche Entwicklung wieder zurück auf internationale politische Bühnen geführt zu haben. Weniger gelungen ist dagegen, die Vorhaben der SEWOH über die Zeitspanne ihrer Vorhaben hinaus zu verankern oder in Prozesse zur Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme der Partnerländer zu überführen. Die SEWOH hat in ihrer Laufzeit beachtliche politische Pflöcke einschlagen können, allem voran im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaften. Dort wurde 2015 die sogenannte Elmau Deklaration verkündet, das Ziel 500 Millionen Menschen bis 2030 von Hunger zu befreien. Doch bleibt dieses Ziel weit hinter den Erwartungen zurück. Es ist sogar zu befürchten, dass es zwischen 2015 und 2030 keinerlei positive Veränderungen bei den Hungerzahlen geben wird (23). So bedeutsam die Elmau-Deklaration auf politischer Ebene war, hatte sie doch auf operativer Ebene nur sehr begrenzt Veränderungen zur Folge. Eine transformative Wirkung im Sinne einer „tiefgreifenden strukturellen Systemveränderung“(24) hatte die SEWOH  darüber hinaus nur sehr begrenzt. Dazu hätte es neben finanzieller Impulse auch strategischer politischer Ansätze bedurft.

Fazit/Lehren aus der SEWOH

Um eine Führungsrolle einzunehmen, braucht man eine Strategie. Es ist Klarheit in dem erforderlich, was man tun will(25) – und letzteres blieb, abgesehen von dem Meta-Ziel der Hungerbekämpfung, in wesentlichen Teilen der SEWOH unklar. Auf politischer Ebene ist es leider nicht gelungen, in den Hauptpartnerländern der SEWOH einen politischen Aufbruch in der Landwirtschaftspolitik zu initiieren(26)hierfür hätten die Themen […] stärker in den politischen Dialog in den Partnerländern aufgenommen werden(27)müssen.

Eine Ableitung hieraus ist, dass eine politischere Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der Bekämpfung von Hunger, Mangelernährung und ländliche Entwicklung erforderlich ist. Dies kann auch bedeuten, längerfristig in eher risikobehaftete politische Transformationsprozesse zu investieren, etwa im Bereich des „Institution buildings“, und weniger in Projekte mit klar umrissenen Zielen und zeitlicher Begrenzung. Das setzt begleitende politische Dialoge, Offenheit und Vertrauen voraus – eine Herausforderung unter sich verändernden Rahmenbedingungen mit schrumpfenden Budgets(28) und einer Vielzahl von Krisen (4Cs)(29) in einer multipolaren Welt, in der sich viele Partnerländer ihre Kooperationspartner aussuchen können.  

Dr. Harry Konrad Hoffmann TMG Research gGmbH
Jörg Schindler TMG Research

(1)  TMG_2024_Zur_Governance_der_Transformation.pdf (ctfassets.net)  - 18 ausgewiesene Expert*innen wurden befragt, entsprechende Zitate werden im Text kursiv wiedergegeben

(2) Alexander Müller, TMG

(3) Michael Windfuhr, DIMR

(4) Mathias Mogge, Welthungerhilfe

(5) Hendrik Denker, BMZ

(6) Ebd.

(7) Dr. Leonard Mizzi,

(8) Mathias Mogge, Welthungerhilfe

(9) Hendrik Denker, BMZ

(10) Dr. Stefan Schmitz, Crop Trust (ehemalig BMZ)

(11) Michael Windfuhr, DIMR

(12) Dr. Stefan Schmitz, Crop Trust (ehemalig BMZ)ebd.

(13) Ebd.

(14) Ebd.

(15) Michael Windfuhr, DIMR

(16) Wie Transformationen und gesellschaftliche (umweltbundesamt.de)

(17) Hendrik Denker, BMZ

(18) Dr. Michael Brüntrup, IDOS

(19) Dr. Andreas Quiring, Andreas Hermes Akademie

(20) Mathias Mogge, Welthungerhilfe

(21) Michael Brüntrup, IDOS

(22) Michael Windfuhr, DIMR

(23) „Projections show that by that time, approximately 600 million people will be hungry – 7% of the world’s population.  This will be the same proportion as in 2015 and there will be no progress on SDG2.“ UN Secretary-General Call to Action (unfoodsystemshub.org)

(24) Transformation - Lexikon der Geographie (spektrum.de)

(25) Michael Windfuhr, DIMR

(26) Dr. Stefan Schmitz, Crop Trust (ehemalig BMZ)

(27) Christel Weller-Molongua, GIZ

(28) Regierung: Mittel für Entwicklungspolitik sollen drastisch gekürzt werden - Politik - SZ.de (sueddeutsche.de)

(29) Summary Report - The Transformation of Agri-Food Systems in Times of Multiple Crises - March 2023 (ctfassets.net)

 

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