Fördermaßnahmen der Welthungerhilfe und ihrer Partner vor Ort im Jemen.
Bürgerkrieg im Jemen: Hintergründe des Konflikts
Im Jemen herrscht ein Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung. Die seit November 2023 andauernden Angriffe der Huthis auf die internationale Schifffahrt im Roten Meer und Golf von Aden haben potentiell positive Dynamiken in diesem seit nunmehr neun Jahren andauernden Konflikt eingefroren. Islamwissenschaftlerin und Vorstandsvorsitzende des "Center for Applied Research in Partnership with the Orient" (CARPO) Marie-Christine Heinze analysiert den Konflikt und stellt die aktuelle Situation im Jemen dar.
Seit 2014/15 leiden die Menschen im Jemen unter einem Bürgerkrieg, der, geführt mit internationaler Beteiligung, laut Angaben der Vereinten Nationen zu einer der größten humanitären Katastrophe unserer Zeit geführt hat. Nach einem mehrmonatigen Waffenstillstand zwischen April und Oktober 2022 und einer fortgesetzten relativen Waffenruhe auch ohne formales Abkommen, haben sich die Kriegshandlungen vor allem auf die wirtschaftliche Ebene verlagert. Darunter leiden vor allem die Menschen im Land und so ist die humanitäre Lage weiterhin katastrophal.
Der Bürgerkrieg im Jemen: Vorgeschichte
Seit der Einnahme der Hauptstadt Sanaa durch die Huthi-Rebellen im September 2014, in manchen Regionen jedoch schon seit 2011 und davor, tobt im Jemen ein gewaltsamer Konflikt um politische Macht und den Zugang zu Ressourcen. Im Januar 2015 trat Präsident Abd Rabbuh Mansur Hadi unter zunehmendem Druck der Huthis, die im Herbst 2014 gemeinsam mit Anhänger*innen des 2011 gestürzten Präsidenten Ali Abdallah Salih die Hauptstadt eingenommen hatten, zurück und floh in der Folge aus der Hauptstadt nach Aden, wo er von seinem Rücktritt zurücktrat.
In Saudi-Arabien bat er um Unterstützung im Kampf gegen die Rebellen und im März 2015 griff das Königreich dann an der Spitze einer Koalition aus sunnitisch regierten arabischen Staaten, der „saudisch-geführten Koalition“, in den Konflikt ein. Wichtigster Partner in dieser Allianz sind die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), mit deren militärischer Unterstützung es lokalen südjemenitischen Kräften im Sommer 2015 gelang, Aden und große Teile des Südens von den Huthi/Salih-Milizen zu befreien. Im Dezember 2017 töteten die Huthis ihren Verbündeten Ali Abdallah Salih und bauten seitdem einen hoch repressiven Polizeistaat im Norden des Landes auf.
Aktuell steht den Huthis eine Allianz aus unterschiedlichen, zum Teil miteinander verfeindeten, Kräften gegenüber. Deren wichtigste Repräsentanten sind seit dem von Saudi-Arabien forcierten Rücktritt von Präsident Hadi im April 2022 im Präsidialen Führungsrat (auch: Präsidialrat) unter dem Vorsitz von Rashad al-Alimi vertreten. Die Zusammenarbeit in diesem Rat gestaltet sich jedoch als schwierig, denn die hier vertretenen Kräfte haben alle ihre eigene Agenda.
Dies gilt ganz besonders für viele südjemenitischen Kräfte, allen voran der von den VAE unterstützte Südübergangsrat, der mittelfristig die Unabhängigkeit des Südjemens („Südarabien“) vom Nordjemen anstrebt (bis zur Vereinigung 1990 waren diese beiden Landesteile eigenständige Republiken).
Ein Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran?
Das Eingreifen der Saudis in den Konflikt ist (neben innenpolitischen Gründen) vor allem mit der Unterstützung der Huthis durch den Iran zu begründen. Man wollte verhindern, dass an der Südflanke des Königreichs ein weiteres Land unter den Einfluss des regionalen Erzrivalen gerät. Das sunnitisch-wahhabitisch geprägte Saudi-Arabien, dessen Militär weitaus schwächer ist als das des Iran, fühlt sich zunehmend von pro-iranischen und schiitischen Gruppierungen umzingelt, so u.a. in Syrien, dem Irak, Bahrain und dem Libanon. Das Erstarken iranischen Einflusses, so befürchtete man im Königreich, schwäche die regionale Rolle Saudi-Arabiens und damit auch die Stabilität des Königshauses. Der Iran unterstützt die Huthis schon seit vielen Jahren, u.a. finanziell, logistisch und auch in zunehmendem Maße durch die Lieferung von Waffen. Die Huthis sind jedoch entgegen saudischer Wahrnehmung kein von Iran aus gesteuerter Akteur; sie nehmen zwar Ratschläge aus dem Iran an, haben aber auch immer wieder entgegen solcher iranischen Empfehlungen gehandelt.
Die saudisch-geführte Koalition wurde auf internationaler Ebene lange von den USA und auch Großbritannien militärisch unterstützt. In beiden Ländern wuchs jedoch in den letzten Jahren der Widerstand gegen diese Unterstützung, auch vor allem vor dem Hintergrund der humanitären Lage im Jemen. Deutschland hat sich im Einklang mit UN-Sicherheitsratsresolution 2216 vom April 2015 ebenfalls deutlich auf Seiten der international anerkannten Regierung positioniert und (mit Unterbrechungen) auch immer wieder Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate genehmigt. Amnesty International hat berichtet, dass sie unter anderem auch in den Händen von VAE-unterstützten Milizen landen, denen Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.
Deutschland unterstützt den UN-Sondergesandten Hans Grundberg in seinen Bemühungen um eine Erneuerung des Waffenstillstands und eine allgemeine Wiederbelebung des Friedensprozesses. Die Bundesrepublik ist außerdem einer der größten internationalen Geldgeber im Bereich der humanitären Hilfe für den Jemen. Darüber hinaus ist Deutschland eines der wenigen Länder, das seine Entwicklungszusammenarbeit mit dem Jemen durch den gesamten Krieg hindurch aufrechterhalten hat.
Jemen: Aktuelle humanitäre Situation vor Ort
Das Factsheet fasst die aktuelle Lage im Jemen sowie die Arbeit der Welthungerhilfe vor Ort zusammen und gibt einen Ausblick auf die Zukunft.
Seit Beginn des Krieges hat sich die humanitäre Lage im Jemen weiter dramatisch verschlechtert. Laut Angaben der Vereinten Nationen gibt es derzeit 4,5 Millionen Binnenflüchtlinge. Über 18 Millionen von insgesamt ca. 30,5 Millionen Menschen benötigen humanitäre Unterstützung. Circa 17,6 Millionen Menschen haben keinen sicheren Zugang zu Nahrung. Fast die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren leiden an moderater bis schwerer akuter Unterernährung.
Jemen: „Armenhaus der arabischen Welt“
Die Gründe für die katastrophale humanitäre Lage im Jemen sind vielfältig und komplex. Allen voran sind die schlechte wirtschaftliche Lage und die Politisierung des Finanzsystems zu nennen. Mehr als 50 Prozent aller Jemenit*innen haben seit Beginn des Konfliktes ihre Arbeit verloren – und dies in einem Land, das schon vorher als „Armenhaus der arabischen Welt“ bezeichnet wurde. Darüber hinaus hat die Verlagerung des Konfliktes auf die wirtschaftliche Ebene zu zahlreichen finanzpolitischen Entscheidungen geführt, die sich massiv auf die Stabilität der Währung (vor allem in den Gebieten unter der Kontrolle der international anerkannten Regierung), die Situation des Privatsektors (und damit seiner Fähigkeit, Arbeitskräfte einzustellen), auf Lebensmittelpreise und die Kaufkraft der Bevölkerung ausgewirkt haben. Überall im Jemen sind daher zwar Lebensmittel auf den Märkten vorhanden, es kann sie sich jedoch kaum jemand leisten.
Friedensprozess: Neue Hoffnung, große Herausforderungen
Am 10. März 2023 verkündeten Saudi-Arabien und der Iran in China die baldige Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen ihren beiden Ländern. Angesichts der Rolle dieser beiden Staaten im Jemen-Konflikt versprachen sich vergangenes Jahr viele Beobachter*innen von dieser Annährung der beiden regionalen Kontrahenten auch neue Dynamiken für dessen friedliche Lösung. Im Rahmen dieses Abkommens soll Iran zugesichert haben, die Huthis nicht mehr zu Angriffen auf saudisches Territorium zu ermutigen und keine Waffen mehr an die Huthis zu liefern. Auch die schon seit Längerem andauernden Gespräche zwischen Saudi-Arabien und den Huthis machen vielen Hoffnung auf einen neuen Impetus für den lange Zeit brachliegenden Friedensprozess. So besuchte im April 2023 erstmals eine saudische Delegation die von den Huthis kontrollierte Hauptstadt Sanaa. Im September vergangenen Jahres reiste dann eine hochrangige Delegation an Huthi-Repräsentanten nach Riad.
Die Gespräche zwischen den Huthis und Saudi-Arabien ebenso wie das Abkommen zwischen dem Königreich und Iran werden getragen von dem Interesse Saudi-Arabiens, sich vor dem Hintergrund seiner nationalen innenpolitischen Ambitionen ein möglichst stabiles sicherheitspolitisches Umfeld zu schaffen. Dazu gehört auch, sich baldmöglichst aus dem teuren und aussichtslosen Engagement im Jemen unter Wahrung der wichtigsten nationalen Interessen, d.h. die Sicherheit des eigenen Territoriums und der Seewege, herauszuziehen.
Gespräche zwischen Saudi-Arabien und den Huthis können jedoch ebenso wenig den Jemen-Konflikt beenden wie Gespräche zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Denn im jemenitischen Bürgerkrieg sind zahlreiche weitere Akteure involviert, die aktuell an keinem Verhandlungstisch sitzen: allen voran die derzeit im Präsidialrat versammelten Repräsentanten der anti-Huthi-Koalition mit ihren jeweils eigenen, oft antagonistischen Interessen. Den Krieg im Jemen können nur die jemenitischen Konfliktakteure beenden, möglichst in einem vom UN-Sondergesandten koordinierten und möglichst inklusiven Prozess, der einen nachhaltigen Frieden für den Jemen garantiert.
Die Bemühungen des UN-Sondergesandten für den Jemen, Hans Grundberg, für seine ‚Roadmap zum Frieden‘ – ebenso wie die Gespräche zwischen Saudi-Arabien und den Huthis – sind jedoch durch die im Kontext des Gaza-Krieges begonnenen Angriffe der Huthis auf die internationale Seeschifffahrt im Roten Meer und Golf von Aden seit November 2023 extrem erschwert worden. Zwar hat Grundberg versucht, seine Bemühungen von den Entwicklungen im Roten Meer zu entkoppeln, musste jedoch in seinem Briefing vor dem UN Sicherheitsrat am 14. März 2024 eingestehen, dass der „Raum für Mediation komplexer geworden“ ist und dass „das, was regional passiert, sich auf den Jemen auswirkt – und was im Jemen passiert sich auf die Region auswirkt.“
Stimmen aus der Zivilgesellschaft
Es gibt zahlreiche mutige und engagierte Männer und Frauen, die sich für den Frieden in ihrem Land einsetzen. In den von ihnen kontrollierten Gebieten schränken die Huthis jedoch schon seit Jahren die Handlungsmöglichkeiten der lokalen Zivilgesellschaft durch illegale Festnahmen und Entführungen, Folter, Bedrohungen und Einschüchterungen sowie die Vorgabe, alle zivilgesellschaftlichen Aktivitäten bei einer extra hierfür eingeführten Behörde zu registrieren, ein. Vor allem in der Zivilgesellschaft engagierte Frauen werden auf speziellen Listen geführt und bei Reisen ins Ausland am Flughafen in Sanaa oftmals langen Befragungen unterzogen. Auch in den Gebieten außerhalb der Kontrolle der Huthis müssen zivilgesellschaftliche Aktivitäten immer öfter genehmigt werden – vor allem in Gebieten unter der Kontrolle des Südübergangsrats. Darüber hinaus sehen sich hier solche Akteur*innen durch Milizen und Sicherheitskräfte wie den mit dem Südübergangsrat affiliierten „Sicherheitsgürtel“ ebenso bedroht wie durch die allgemein schlechte Sicherheitslage und fundamentalistische Akteure, die vor allem das Engagement von Frauen zu begrenzen versuchen.
In allen Regionen sind zivilgesellschaftliche Akteure des Weiteren mit der Herausforderung konfrontiert, finanzielle Unterstützung für friedensfördernde Aktivitäten angesichts des internationalen Fokus auf humanitäre Unterstützung zu generieren – auch wenn in letzter Zeit ein bereits seit Langem von jemenitischen Expert*innen geforderter Übergang zur Entwicklungszusammenarbeit zu verzeichnen ist. Internationale humanitäre Akteur*innen sollten sich daher in der Pflicht sehen, ihre Leistungen mit langfristig wirkenden Entwicklungs- und Stabilisierungsmaßnahmen im Lichte des HDP-Nexus zu verknüpfen. Essen an Schulen würde sich beispielsweise nicht nur positiv auf die derzeit dramatische Lage im Bildungssystem auswirken, sondern auch das Rekrutieren von Kindersoldat*innen verhindern, von denen sich viele den Milizen auf beiden Seiten anschließen, um Zugang zu regelmäßigen Mahlzeiten zu erlangen.
Jemen: Wie geht es weiter?
Viel von der weiteren Dynamik im Jemen-Konflikt hängt auch von der weiteren Entwicklung der Situation im Roten Meer ab. Die Huthis haben deutlich gemacht, dass sie ihre Angriffe auf die internationale Seeschifffahrt (insbesondere auf mit Israel verbundene oder nach Israel fahrende Schiffe) erst dann beenden werden, wenn Israel seine Angriffe auf den Gaza-Streifen beendet. Nur wenige langjährige Beobachter*innen des Jemen-Konflikts jedoch schenken diesen Aussagen Glauben. Die Huthis haben ein neues Instrument regionaler und internationaler Machtprojektion für sich entdeckt – und im Jemen Tausende neue Kämpfer rekrutiert.
Die nun nicht mehr saudischen, sondern US-amerikanischen und britischen Luftangriffe auf militärische Ziele im Norden des Landes erlauben es den Huthis, sich erneut als Verteidiger des Landes – und nun auch der Palästinenser*innen im Gaza-Streifen – zu porträtieren. Waren sie Ende letzten Jahres durch den Wegfall des externen Feindes (Saudi-Arabien) und aufgrund der desaströsen humanitären und wirtschaftlichen Lage zunehmend innenpolitisch unter Druck geraten, führt die grundsätzlich pro-palästinensische Haltung in der jemenitischen Bevölkerung nun zu breiter Zustimmung für das Handeln der Huthis – auch in den Landesteilen, die nicht unter der Kontrolle der Huthis stehen.
Ihre neu gewonnene Macht im Roten Meer schafft darüber hinaus ein potentielles weiteres Druckmittel in Verhandlungen mit Riad. Deren erfolgreicher Abschluss – ebenso wie die Wiederaufnahme von inner-jemenitischen Verhandlungen unter der Ägide des UN-Sondergesandten für den Jemen – sind aufgrund der Entwicklungen im Roten Meer in weite Ferne gerückt – und damit auch die Hoffnung auf ein Ende des Leidens der Bevölkerung im Lande. Gleichzeitig zeigt aber das innenpolitische Wiedererstarken auch den einzigen Ausweg aus dem dauerhaften Machtanspruch der Huthis auf: Wenn äußere Gründe wegfallen, wie das vor allem in der zweiten Jahreshälfte 2023 durch zunehmend sichtbaren Dissens trotz aller Repressionen in den Huthi-kontrollierten Gebieten sichtbar wurde, fallen auch die Möglichkeiten für die Huthis weg, von ihren eigenen Fehlern, ihrer Korruption und Repressivität abzulenken. Kurz- und mittelfristig sollte dies also das Ziel internationaler Bemühungen sein.
Inmitten der humanitären Krise im Jemen verbessert die Welthungerhilfe die Lebensbedingungen unter anderem durch die Instandhaltung von Trinkwasserbrunnen und die Installation von Solaranlagen zur Wasserpumpenfunktion.
So hilft die Welthungerhilfe den Menschen im Jemen
Im Gouvernement Lahidsch im Südwesten Jemens, wo besonders viele Binnenvertriebene Schutz suchen, stellen wir gemeinsam mit unserem Partner People In Need (PIN) Trinkwasserbrunnen wieder instand, um die Versorgung der Menschen sicherzustellen. In Schulungen werden sie über wichtige Hygienemaßnahmen aufgeklärt mit Hygieneartikeln wie Seife und Waschmittel versorgt. Zudem finden Ernährungskurse zur Aufklärung über angemessene Nährstoffversorgung für Kinder im Wachstum statt. Frauen bekommen ebenso Ratschläge zum Stillen und zur Krankheitsprävention.
In Kooperation mit den lokalen Behörden konzentrieren wir uns auf Gegenden, die auf die Anlieferung von Trinkwasser angewiesen sind und manchmal wochenlange Verzögerungen erleben. Oft liegt das Problem an der fehlenden Elektrizitätsversorgung, die dazu führt, dass Pumpen außer Betrieb bleiben. Deswegen setzen wir, wo erforderlich, auch neue Solaranlagen ein.
Gleichzeitig bilden wir die Einwohner*innen der Gemeinden aus, um sie zu befähigen, die neuen Wassersysteme eigenständig und langfristig zu warten und instand zu setzen. Dies schließt auch die regelmäßige Überprüfung der Wasserqualität ein.