Der Welthunger-Index berechnet und bewertet die globale Hungersituation.
Hungerkrise oder Hungersnot?
Tausende sterben, wenn wir Hungersnöte nicht verhindern. Wie und wann entstehen Hungersnöte? Und wie geht die Welthungerhilfe gegen Hunger vor?
733 Millionen Menschen hungern aktuell weltweit. Das sind etwa 9% der Weltbevölkerung oder jeder 11. Mensch. In einer Zeit vielgestaltiger Krisen ist die Entwicklung hin zu einer Welt ohne Hunger praktisch zum Stillstand gekommen. Die Auswirkungen des Klimawandels und die Folgen der Pandemie, zahlreiche Konflikte und die schwache Konjunktur haben soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten verschärft. Krisen und Kriege nehmen zu – und damit auch die Gefahr einer Hungersnot.
Ab wann spricht man offiziell von einer Hungersnot?
Wie der Begriff Nothilfe, so ist auch der Begriff Hungersnot abhängig von gewissen Kriterien. Grundsätzlich wird die Bezeichnung verwendet, wenn Hunger in einer Region extreme Ausmaße annimmt. Der IPC unterscheidet dabei fünf Phasen der Ernährungsunsicherheit. Vor einer Hungersnot wird meist von einer Hungerkrise gesprochen.
Die Fünf Phasen der Ernährungsunsicherheit
Phase 1: Minimal
Haushalte sind in der Lage, den Grundbedarf an Nahrungsmitteln und Non-Food-Produkten zu decken, ohne dabei atypische oder nicht nachhaltige Strategien zum Beschaffen dieser verfolgen zu müssen.
Phase 2: Angespannt
Haushalten steht ein minimal angemessenes Angebot an Nahrungsmitteln zur Verfügung. Einige wesentliche Non-Food-Produkte sind jedoch ohne atypische oder nicht nachhaltige Strategien nicht erschwinglich.
Phase 3: Krise
Haushalte haben entweder nur einen eingeschränkten Zugang zu Nahrungsmitteln, der sich in einer hohen Unterernährung widerspiegelt oder sind kaum in der Lage, den Mindestbedarf an Nahrungsmitteln zu decken, ohne dabei wesentliche Ressourcen zu Sicherung des Lebensunterhalts zu erschöpfen.
Phase 4: Notfall
Haushalten stehen so wenige Nahrungsmittel zur Verfügung, dass eine akute Unterernährung besteht, die sich in erhöhter Sterblichkeit widerspiegelt. Oder sie sind zwar in der Lage, den Mindestbedarf an Nahrungsmitteln größtenteils zu decken, jedoch nur durch den Einsatz von Notfallstrategien und dem Verkauf von Vermögenswerten.
Phase 5: Hungersnot
Haushalte haben trotz Notfallstrategien einen extremen Mangel an Nahrungsmitteln und Non-Food-Produkten, der sich in extrem kritischer Unterernährung, Verelendung und sehr hoher Sterblichkeit widerspiegelt. Phase 5, die Hungersnot (engl. Famine), ist laut des IPC dann erreicht, wenn:
- mindestens 20 % der Bevölkerung einer Region weniger als 2100 Kilokalorien pro Tag essen kann.
- mindestens 30 % der Kinder einer Region unter akuter Unterernährung leiden.
- mindestens zwei von 10.000 Menschen in einer Region täglich aufgrund von Nahrungsmittelmangel sterben.
Eine Hungersnot entsteht schleichend. Auch wenn Phase 5 selten erreicht wird, bedeutet das nicht, dass die Menschen vorher nicht in Not sind. Oft haben sie bereits mehrere Monate ums Überleben gekämpft, bevor eine Hungerkrise in den Medien für Schlagzeilen sorgt. Deshalb müssen wir vorausschauend handeln, so dass die Phase der Hungersnot erst gar nicht erreicht wird.
Wo drohen Hungersnöte?
Jedes Jahr liefert der Welthungerindex (WHI) Daten zur Ernährungslage in betroffenen Ländern. Aufgrund verschiedener Indikatoren wird für jedes Land ein WHI-Wert berechnet, der in eine von fünf Kategorien fällt. Ziel des WHI ist es, für eine bessere Sichtbarkeit und ein verbessertes Verständnis der weltweiten Hungersituation zu sorgen. Seine Zahlen geben Aufschluss darüber, ob Maßnahmen zur Hungerbekämpfung in bestimmten Ländern Wirkung zeigen. Zudem lässt sich auch zu erkennen, in welchen Regionen der Hunger Überhand nimmt oder ob eine Hungersnot droht.
Die Kriterien zur Berechnung des WHI-Wertes sind Unterernährung (prozentualer Anteil der Bevölkerung), Auszehrung bei Kindern (Anteil von Kindern unter 5 Jahren), Wachstumsverzögerung bei Kindern (Anteil von Kindern unter 5 Jahren) und die Kindersterblichkeit (Rate von Kindern unter 5 Jahren). Aus einem dreistufigen Berechnungsverfahren ergibt sich ein WHI-Wert auf einer Skala von 1 bis 100, der die Hungersituation für jedes Land wie folgt einordnet:
- Niedrig (9.9 oder geringer)
- Mäßig (10.0 - 9.9)
- Ernst (20.0 - 34.9)
- Sehr ernst (35.0 - 49.0)
- Gravierend (50.0 oder höher)
Laut den aktuellen Ergebnissen des WHI wird die Hungersituation in sechs Ländern als sehr ernst eingestuft: Zentralafrikanische Republik, Demokratische Republik Kongo, Lesotho, Madagaskar, Niger und Jemen. Diese Einschätzung basiert auf den Werten des WHIs. In einigen Ländern liegen nicht ausreichend Daten vor, um einen WHI-Wert zu berechnen. Auf Basis bekannter Daten wurde die Situation jedoch in drei weiteren Ländern als sehr ernst eingestuft: In Burundi, Somalia und dem Südsudan. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass es gerade in diesen Ländern zu Hungersnöten kommen kann, wenn nichts an der Situation geändert wird.
Wie entstehen Hungersnöte?
Eine Hungersnot entsteht dann, wenn Ursachen, die weltweit für Hunger sorgen, sich entweder akkumulieren oder im Einzelnen zuspitzen. So kann eine Region wie beispielsweise Somalia in Ostafrika gleichzeitig von einem Krieg und gravierenden Ernteausfällen betroffen sein. In Kombination kann das auf lange Sicht zu einer Verschärfung der Nahrungsmittelknappheit bis hin zur Hungersnot führen.
Was sind Ursachen für weltweiten Hunger?
Bewaffnete Konflikte und Kriege sind Beschleuniger für Ernährungsunsicherheit. Oft kommt es durch Kämpfe zu Engpässen und aufgrund der Sicherheitslage gelangt auch keine Nahrung von außen ins Land. In Gaza zum Beispiel sind aktuell mehr als 2 Millionen Menschen von einer katastrophalen Ernährungsunsicherheit betroffen. Eine Hungersnot steht unmittelbar bevor. Ein Drittel der Bevölkerung Gazas befindet sich bereits in IPC-Phase 5.
Auch Menschen auf der Flucht haben einen eingeschränkten Zugang zu Nahrung und müssen häufig Hunger leiden. Gleichzeitig ist Nahrungsmittelknappheit oft selbst ein Fluchtgrund.
Hunger wird auch durch den Klimawandel verstärkt und ist dadurch ein wesentlicher Faktor für weltweiten Hunger. Vor allem Menschen in armen Ländern sind zunehmenden Wetterextremen schutzlos ausgeliefert. Dürren, Stürme oder Starkregen bedrohen Haus und Hof der Menschen und stürzen sie häufig in existenzielle Krisen. Auch Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Tsunamis können binnen kürzester Zeit die Lebensgrundlage vieler Menschen zerstören und sie abhängig von humanitärer Hilfe machen.
Unser Konsumverhalten mitverantwortlich für Hunger
Menschen in Armut sind häufiger von Hunger betroffen. Wer in Armut lebt, hat nur mangelnden Zugang zu Nahrungsmitteln, Land oder Produktionsgütern und lebt oft von der Hand in den Mund. Kinder sind besonders von Hunger betroffen. Mangelernährung hat gravierende Folgen für ihre körperliche und geistige Entwicklung. Ohne Essen sinkt auch die Arbeitskraft und damit das Potenzial, sich durch eigene Arbeit selbst aus ihr zu befreien. Armut ist der fundamentalste Grund für Hunger.
Korruption und schlechte Regierungsführung sorgen besonders in Entwicklungsländern für Hunger. Oft bereichert sich eine politische Elite selbst, anstatt in die Infrastruktur oder die Wirtschaft zu investieren.
Auch unser Konsumverhalten, insbesondere die Verschwendung von Lebensmitteln und Ressourcen sind mitverantwortlich für Hunger auf der Welt. Generell sind ausreichend Lebensmittel vorhanden. Ein großer Teil davon wird jedoch beispielsweise als Tierfutter verwendet, damit das überaus große Angebot an Fleischprodukten in Industrieländern überhaupt aufrechterhalten werden kann. Dazu wird ein Drittel der Lebensmittel ungenutzt weggeworfen. Lebensmittel, die viele Menschen satt machen würden. Auch in Entwicklungsländern verderben Lebensmittel oft aufgrund schlechter Lagerung oder mangelnder Infrastruktur, was die Transporte erschwert.
Hungersnöte bekämpfen und verhindern
Bricht eine Hungersnot aus, greift das Team der Welthungerhilfe mit schneller Nothilfe ein. Speziell ausgebildete Teams sind rund um die Uhr einsatzbereit und können in kurzer Zeit vor Ort helfen. Oberste Priorität dabei hat die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Artikeln des täglichen Grundbedarfs. Das Ziel der Überlebenshilfe muss dabei sein, mittelfristig die Selbstversorgung der Menschen wiederherzustellen.
Die Erfahrung der Welthungerhilfe zeigt, dass Prävention effizienter ist als Reaktion. Wer dafür sorgt, dass Nothilfe gar nicht erst in Anspruch genommen werden muss, hilft nachhaltig. Das bedeutet, die Ursachen für Hunger, sofern möglich, schon vorher zu bekämpfen und die Resilienz der Menschen zu stärken, um Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Maßnahmen zur Prävention von Hungersnöten sind:
- Investitionen in den ländlichen Raum
- Aufbau katastrophensicherer Infrastruktur
- Diplomatische Arbeit in Konfliktgebieten
- Armutsbekämpfung
- Erhalt der Biodiversität
- Flüchtlingshilfe
- Anpassung an den Klimawandel
- Stärkung der Zivilgesellschaft
Quellen
- Böhm, A., https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-04/hungersnot-coronavirus-covid-19-un-armut/komplettansicht, 2020.
- World Food Program, https://www.wfp.org/news/wfp-chief-warns-hunger-pandemic-covid-19-spreads-statement-un-security-council, 2020.
- Böhm, A., Frehse, L., Grefe, C., https://www.zeit.de/2020/22/hungersnot-corona-pandemie-globaler-sueden/komplettansicht, 2020.
- Integrated Food Security Phase Classification, http://www.ipcinfo.org/ipcinfo-website/resources/resources-details/en/c/1129202/, 2013.
- Aktion gegen den Hunger, https://www.aktiongegendenhunger.de/aktuelles/fuenf-fakten-ueber-die-hungersnot, 2017
- Welthungerhilfe, https://www.welthungerhilfe.de/informieren/loesungen/nothilfe-struktur/, 2020.
- Welthunger-Index, https://www.globalhungerindex.org/de/results.html, 2020.
- Welthungerhilfe, https://www.welthungerhilfe.de/fileadmin/2020-covid-19-policy-brief-folgen-minimieren.pdf, 2020.
- Janson, M., https://de.statista.com/infografik/15511/anzahl-der-unterernaehrten-personen-weltweit/, 2020.
- Fews.Net, 2020.
- CARE, https://www.care.de/care-hilfe/themen/hunger-bekaempfen/ursachen-von-hunger, 2020.
- Universität Hamburg, https://www.uni-hamburg.de/newsroom/presse/2019/pm107/pm-107-19.pdf, 2019.