Eine fundamentale Transformation ist erforderlich, damit unser Ernährungssystem gerecht und nachhaltig wird.
Ernährungssysteme: Hungrig nach Wandel
Unser Ernährungssystem muss von Grund auf erneuert werden
Unser weltweites Ernährungssystem (Food System) ist weder gerecht noch nachhaltig oder krisenfest. Das verdeutlichen u.a. die steigenden Hungerzahlen infolge der Corona-Pandemie und Klimakrise. Das Paradoxe daran: Weltweit werden mehr Lebensmittel produziert als je zuvor. Doch nur wer Geld hat oder selbst ausreichend Nahrungsmittel produziert, kann sich gesunde Lebensmittel leisten. Alle anderen Menschen hungern oder ernähren sich schlecht. 733 Millionen Männer, Frauen und Kinder hungern weltweit. 148 Millionen Kinder unter fünf Jahren zeigen Wachstumsverzögerungen auf, ein Indikator für chronische Unterernährung. Ein Viertel der Weltbevölkerung ist übergewichtig – und täglich werden es mehr, mit schweren Folgen für die Gesundheitssysteme.
Der Weg der nicht nachhaltig produzierten Lebensmitteln vom Acker bis auf den Teller schadet massiv der Umwelt, verursacht ein Drittel der gesamten Treibhausgasemissionen, beschleunigt den Verlust der Artenvielfalt und treibt so die Klimakrise voran. Um Fehler in unserem Ernährungssystem und damit den Welthunger zu beseitigen, müssen sich unsere Ernährungssysteme grundlegend ändern. Hierbei geht es weniger um technische Lösungen als um strukturelle Veränderungen. Auch die Privatwirtschaft ist verpflichtet, aktiv zur Bekämpfung von Armut und Fehlernährung sowie zum Schutz der Umwelt beizutragen.
Was ist ein Ernährungssystem?
Ernährungssysteme sind komplex: Sie umfassen den Weg der Lebensmittelherstellung vom Feld bis hin zu den Mahlzeiten, die wir täglich zu uns nehmen. Dabei geht es um vier Bereiche:
- die landwirtschaftliche Erzeugung von Lebensmitteln,
- die Verarbeitung,
- Verpackung, Transport und Verteilung sowie
- der Handel und Konsum bis hin zur Zubereitung und dem Verzehr von Nahrung.
Wie diese unterschiedlichen Bereiche im Detail funktionieren, hängt jeweils von politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Rahmenbedingungen ab. Sie entscheiden auch darüber, ob Produktionsrisiken in der gesamtem Lieferkette fair verteilt werden. Ein gerechtes, nachhaltiges und krisenfestes Ernährungssystem nimmt die gesamten Abläufe in den Blick und sorgt dafür, dass das Menschenrecht auf Nahrung für alle Menschen weltweit umgesetzt wird.
Eine genauere Erläuterung der Grafik finden Sie im Artikel "Unser Ernährungssystem läuft nicht rund" des Fachjournals Welternährung.
Forderungen der Welthungerhilfe an die Bundesregierung im Hinblick auf den UN-Gipfel zu Ernährungssystemen.
Es gibt ein Menschenrecht auf Nahrung
Jeder Mensch hat das Recht auf angemessene, ausreichende und gesunde Nahrung – so steht es in der Menschenrechtserklärung von 1948 und in Artikel 11 des UN-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. 162 Staaten haben sich völkerrechtlich dazu verpflichtet, das Menschenrecht auf Nahrung zu achten, zu schützen und zu gewährleisten; ärmere Länder im Globalen Süden ebenso wie Industriestaaten. Die Umsetzung des Nachhaltigkeitsziels Zero Hunger bis 2030 der Vereinten Nationen ist also in erster Linie eine Frage des politischen Willens.
Wie engagiert sich die Welthungerhilfe für ein gerechtes Ernährungssystem?
Die Welt produziert mehr Lebensmittel als je zuvor. Aber unser globales Lebensmittelsystem ist nicht in der Lage, eine gesunde, nachhaltige und erschwingliche Auswahl für alle zu bieten.
Um ungerechte und nicht nachhaltige Strukturen im weltweiten Ernährungssystem zu überwinden und so das Ziel Zero Hunger bis 2030 zu erreichen, fordert die Welthungerhilfe einen grundlegenden Systemwechsel auf allen Ebenen. In eigenen Programmen und Projekten stärkt sie die bäuerliche, nachhaltige und resiliente Landwirtschaft. Zusammen mit ihren Partnern unterstützt sie zivilgesellschaftliche Organisationen, damit diese sich für die Verwirklichung des Menschenrechts auf Nahrung in ihren Ländern einsetzen können. Regionale Verwaltungen sowie Regierungen sollen bei der Umsetzung in die Pflicht genommen werden. Und es gibt erste Erfolge: In Peru und Bolivien gelten inzwischen rechtliche Rahmenbedingungen, die die nachhaltige Produktion gesunder Lebensmittel fördern sollen. Dazu gehören zum Beispiel Zertifizierungsverfahren für offizielle Bio-Label.
Das Food System Framework der Welthungerhilfe
Die Transformation von lokalen Ernährungssystemen ist eine dringliche Notwendigkeit, um Zero Hunger zu erreichen – und sie ist möglich. Im Mai 2023 hat die Welthungerhilfe einen operativen Orientierungsrahmen zum Thema „Transformation von lokalen Ernährungssystemen“ veröffentlicht. Dabei werden neben einem Zielbild sechs Phasen vorgestellt, die aufzeigen, wie systemische Veränderungsprozesse lokal angestoßen, umgesetzt und in einem iterativen Prozess nachgehalten werden können. Ferner findet sich in dem Dokument die Einführung eines „Systems Marker“ für Programme und Projekte der Welthungerhilfe. Dieser Marker wird uns zukünftig dabei helfen, unsere Interventionen sektorübergreifend wie folgt zu klassifizieren: (a) system-transformative; (b) system responsive; (c) system uninformed.
In Deutschland und Europa engagiert sich die Welthungerhilfe für nachhaltige Ernährungssysteme sowie nachhaltigen Konsum.
Quellen und weiterführende Informationen:
- Lisa Maria Klaus, 02/2021: „Unser Ernährungssystem läuft nicht rund“. In: Welternährung: www.welthungerhilfe.de/welternaehrung.
- Marion Aberle, Erwin Northoff, 02/2021: „Dieser Gipfel darf sich nicht in ideologischen Grabenkämpfen verlieren”, Interview mit Prof. Dr. Joachim Braun. In: Welternährung: www.welthungerhilfe.de/welternaehrung.
- Prof. Dr. Insa Theesfeld, Elia Carceller, 04/2021: „Lebensmittel gehen alle an: Ernährungssysteme als Gemeingut begreifen?“. In: Welternährung: www.welthungerhilfe.de/welternaehrung.
- Welthungerhilfe/terre des hommes, 05/2021: „Kompass 2021 - Zur Wirklichkeit der deutschen Entwicklungspolitik“.
- WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2020): „Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration“, Berlin: WBGU.
- World Food Programme, 2021: „Food Systems“. In: www.wfp.org/food-systems.