Wenigstens eine Mahlzeit
In der indischen Hauptstadt Delhi unterstützt die Organisation Jan Pahal, als Teil des Netzwerkes, mit dem die Welthungerhilfe zusammenarbeitet, tausende Tagelöhner*innen und Saisonarbeiter*innen mit regelmäßigen Mahlzeiten. Sie haben aufgrund der Ausgangssperre ihre Einkünfte, oft auch ihr Dach über dem Kopf verloren. Fotoreporter Florian Lang begleitete die Teams. Sein Bericht erlaubt einen Blick auf Lebensrealitäten, deren Härte die Corona-Krise schonungslos enthüllt.
Wenigstens etwas Positives hat die Ausgangssperre: Varun ist glücklich, bei seinem Vater sein zu dürfen.
Florian Lang FotoreporterMir fallen ein Vater und sein Sohn auf. Sie sitzen etwas abseits und wir kommen ins Gespräch. Rikscha-Fahrer Madan Mohan lebt eigentlich auf der Straße, doch dort darf er sich im Moment nicht aufhalten. Da seine Frau starb, lebt sein siebenjähriger Sohn Varun in einem Waisenhaus im Zentrum von Delhi. Wenigstens etwas Positives hat die Ausgangssperre: Varun ist glücklich, bei seinem Vater sein zu dürfen.
Lockdown im Slum: Kein Abstand, keine Perspektive
Am Nachmittag kommen wir in eine Siedlung am Stadtrand von Delhi, an der Grenze zum Nachbarstaat Uttar Pradesh. Auf einer weiten staubigen Fläche leben hier rund 1.000 Menschen in Hütten aus Bambuspfählen, Plastik-Planen, Stoffresten und Wellblech. Dazwischen türmen sich Kleidungsabfälle, Schaumstoff-Reste, alte Matratzen und Plastik.
Das Einzige, was sie haben, sind die täglichen Mahlzeiten von Jan Pahal.
Florian Lang FotoreporterDie Bewohner*innen verdienen ihren Lebensunterhalt als Kabari-Walas, Müllsammler*innen, die wiederverwertbaren Abfall aus den Haushalten abholen, sortieren und verkaufen und so Teil eines informellen Recycling-Systems sind. Jetzt aber können die Männer und Frauen weder in die Wohnsiedlungen, um dort Abfall zu sammeln, noch kommen die Abnehmer*innen für ihre Ware in den Slum.
Die meisten der Bewohner*innen sind offiziell in ihren Heimatorten registriert. Lebensmittelrationen an den staatlichen Ausgabestellen stehen ihnen deshalb nicht zu. Das einzige, was sie haben, sind die täglichen Mahlzeiten von Jan Pahal. Als das Team beginnt, riesige Töpfe aus dem Minibus zu hieven, strömen zunächst Männer und Kinder herbei und reihen sich in der sengenden Mittagshitze auf.
Noch bevor die Situation chaotisch wird, ziehen die Mitarbeiter*innen mit Kalkstaub Kreise auf dem Boden. Der Versuch sicherzustellen, dass die Menschen Abstand wahren. Doch das ist wohl die einzige Situation im Alltag der Bewohner*innen, in der sie auf Distanz gehen – gehen können.
Florian Lang FotoreporterGeduldiges ausharren, bis der Lockdown vorüber ist
Unser nächstes Ziel ist eine Obdachlosenunterkunft in Dwarka im Südwesten von Delhi. Im Schatten einer aufgespannten Plane kochen zwei Mitarbeiter von Jan Pahal Reis und Dal für rund 500 Menschen. Hier leben unter anderem Wanderarbeiter*innen. Sie wurden beim Versuch irgendwie in ihre Dörfer zurückzukehren von der Polizei aufgegriffen und hierher gebracht.
Viele der Plastiksandalen vor dem Schlafsaal zeugen von langen Fußmärschen, ein Paar roter Flip-Flops wurde notdürftig zusammengeflickt, an den Fersen sind große Löcher in die Sohlen getreten.
Florian Lang FotoreporterWas mir besonders auffällt, ist die Duldsamkeit der hier Gestrandeten. Streit gibt es nur ab und an um die Steckdosen zum Laden der Mobiltelefone, der einzigen Möglichkeit, mit der Familie in Kontakt zu bleiben. Und bei Temperaturen bis zu 43 Grad geht es um die begehrten Schlafplätze unter den Ventilatoren. Auch aus einem weiteren Grund:
'Wenn wir nicht an Corona sterben, dann fressen uns die Moskitos!', sagt einer der Arbeiter, und das nur halb im Scherz. Denn Malaria und Denguefieber sind in Delhi eine reelle tödliche Gefahr.
Florian Lang FotoreporterDer Bericht des Fotoreporters Florian Lang erschien in voller Länge im Welthungerhilfe-Spendermagazin, Ausgabe 3/2020.