Ernteausfälle bedrohen immer wieder die Ernährungssicherheit vieler Menschen.
Für die Zukunft besser gerüstet
Im Norden Sierra Leones trägt die Welthungerhilfe mit ihren Partnerorganisationen dazu bei, den Problemkomplex aus Geldmangel, ertragsarmer Landwirtschaft und Mangelernährung nachhaltig zu überwinden.
In Kaliyereh, einem kleinen Dorf in der Provinz Falaba im Norden Sierra Leones blickt Gbola Mansaray von der Terrasse ihres kleinen Hauses auf den riesigen, alten Mangobaum, den Treffpunkt des Dorfes. Unter ihm finden Versammlungen statt, wird über Probleme diskutiert und vor allem besprochen, wie sich der Ort mit seinen knapp 500 Einwohner*innen besser für die Zukunft aufstellen kann. „Einfach ist das Leben hier nicht“, sagt die 60-Jährige, die sieben Kinder und sieben Enkel hat.
Die Einkommen in Sierra Leone sind gering, rund die Hälfte der Bevölkerung hat nicht genügend zu essen, infolgedessen sind fast 30 Prozent der Kinder unter fünf Jahren chronisch unter- und mangelernährt. Die Folgen der Coronapandemie haben die wirtschaftliche Lage noch weiter verschlechtert. Im Süden und Norden des Landes ist die Armutsrate mit zwei Dritteln der Bevölkerung besonders hoch.
Ausgewogene Ernährung in der Theorie und Praxis
Im Wohnraum des Hauses stehen zwei große Reissäcke. Auf einem liegt ein tiefer Plastikteller, mit dem Gbola Mansaray die Tagesration abmisst. Für 16 Personen gibt es täglich zwei volle Teller. „Wenn es nicht reicht, dann gehe ich in den Wald und suche wilde Yams“, erzählt sie. Die in Westafrika beliebte Knolle schmeckt gekocht ähnlich wie mehlige Kartoffeln. Doch einer Mahlzeit nur aus Reis und Yams fehlen Proteine und Vitamine, weiß Gbola Mansaray. Für sie ist ein ausgewogenes, nährstoffreiches Essen zentral: „In Fortbildungen haben wir gelernt, wie wichtig Fisch, Fleisch, Eier und Gemüse sind.“
Diese Schulungen haben Mitarbeiter*innen von MADAM organisiert, der nationalen Partnerorganisation der Welthungerhilfe. Neben der Theorie geht es auch um Praktisches, denn ausgewogenes Essen ist auch eine Frage der Verfügbarkeit. Die Familien erhalten Gemüsesaatgut, Tipps für effektiven Anbau sowie Kleintiere für die Zucht.
Ihr erworbenes Wissen gibt Großmutter Gbola Mansaray nun gerne an andere Frauen weiter. „Mir ist es vor allem wichtig, dass Schwangere besser essen. Isst die Mutter gut, hat sie größere Chancen, ein gesundes Kind auf die Welt zu bringen“, sagt sie und schaut dabei ihre älteste Tochter Bambeh Marah an. Die heute 30-Jährige lebt mit ihrer Familie im Haus nebenan. „Als meine Tochter klein war, war es für mich schwierig, überhaupt genügend Essen zu beschaffen“, erinnert sie sich. Das soll heute keiner Mutter mehr passieren.
Deshalb haben 20 Frauen gemeinsam einen Gemüsegarten angelegt. 15 Minuten zu Fuß dauert der Weg dorthin, durch einen kleinen Wald und über Grasland. Die Gruppe hat Paprika, Wassermelonen, Gurken, Bohnen und Okraschoten ausgesät, doch von der erhofften Ernte ist nichts zu sehen. Heuschrecken haben vor einigen Wochen das ersehnte Gemüse in kürzester Zeit weggefressen. Dabei war alles so gut vorbereitet.
Öko-Dünger selbstgemacht
Gleich neben dem Garten gibt es eine neue Wasserstelle für die regelmäßige Bewässerung des Gemüses. Wie die Frauen selbst Dünger herstellen können, hat ihnen Sewa Unisa Samura gezeigt. Der Agrar-Experte von MADAM betreut die Aktivitäten in Kaliyereh und organisiert Fortbildungen. „Chemischen Dünger zu kaufen, wäre ökologisch nicht empfehlenswert, viel zu teuer und aufwendig. Und zudem muss man dazu bis nach Kabala fahren“, sagt Sewa Unisa Samura.
Stattdessen haben die Frauen ein Loch ausgehoben und füllen es schichtweise mit organischen Abfällen, Wasser und Tierkot. Nach einigen Wochen wird die Masse umgerührt und fertig ist der Biodünger. Nun warten die Frauen, dass die nächste Saat auf ihrem Feld angeht.
In der gesamten Region Falaba erreicht das Projekt rund 24.000 Menschen mit Aktivitäten wie landwirtschaftlichen Schulungen, dem Bereitstellen von Saatgut, dem Bau von Brunnen, neuen Baumschulen, dem Fördern der Kleintierzucht und von Kooperativen.
Bei ihrem größten Gemeinschaftsprojekt heben Mitglieder der Bauernorganisation von Kaliyereh auf einer sumpfigen Grasfläche etwa einen Meter tiefe und einen halben Meter breite Gräben aus. Hier in den Binnentalsümpfen sollen künftig wieder Reis und Cassava angebaut werden. Die Flächen wurden bereits vor mehr als 90 Jahren zum Nahrungsmittelanbau genutzt, gerieten mit der Zeit jedoch in Vergessenheit, unter anderem weil ein zehnjähriger Bürgerkrieg Sierra Leone erschütterte.
Für den Notfall vorsorgen
Nun werden in Reihen Gräben gezogen, die Wasser speichern. Bei starken Regenfällen verhindern sie, dass die Felder überschwemmt werden und Ernten verloren gehen. Hat es dagegen lange nicht geregnet, bilden die Gräben ein Wasserreservoir, erklärt Sewa Unisa Samura. Sein Ziel für Kaliyereh lautet: „Es muss gelingen, dass die Familien nicht nur einmal im Jahr, sondern zweimal ernten. Das bringt ihnen Sicherheit.“
Gbola Mansaray ist besorgt, dass die Bemühungen des Dorfes ohne stabile Zäune zunichte gemacht werden könnten. Viehherden könnten die Ernten zertrampeln und wegfressen. In Sierra Leone ist das Grasen auf freier Fläche erlaubt, bis heute ziehen die Fulani, ein immer noch nomadisierendes Hirtenvolk, mit ihren Rinderherden durch die Region. Da die Bevölkerung wächst und Land knapper und kostbarer wird, nehmen Konflikte zu. Um diese zu vermeiden, halten Jugendliche Nachtwache auf den bestellten Feldern. Eine dauerhafte Lösung ist das nicht, doch noch fehlt die Finanzierung für Zäune, und die Dorfbewohner*innen sind darüber mit dem Projektteam im Gespräch.
Eine Dorfbank unterm Mangobaum
Zurück im Dorf ist es Zeit für ein Treffen der Spar- und Kreditgruppe. Die ersten Einwohner*innen haben sich bereits auf Holzbänke und Plastikstühle unter den Mangobaum gesetzt und warten darauf, dass Gbola Mansaray die große, hellblaue Metallkiste aus ihrem Haus schleppt. Diese ist mit drei Schlössern gesichert, denn darin befinden sich die Ersparnisse des gesamten Dorfes. Immer freitags zahlt jedes Gruppenmitglied zwölf Leone ein, umgerechnet 55 Cent, was Kassierer Foray Marah sorgfältig notiert. Die Teilnahme an einer Spargruppe berechtigt dazu, einen Kredit zu beantragen, der mit Zinsen zurückgezahlt werden muss.
Die nächste Bank ist viele Autostunden entfernt, ohnehin hat die Landbevölkerung ohne Sicherheiten wie eingetragene Grundstücke keine Chance, überhaupt ein Darlehen zu erhalten. Gbola Mansaray ist noch nie in einer Bank gewesen, sie wisse auch gar nicht, wie das dort funktioniere, sagt sie. Die eigene Dorfbank unterm Mangobaum hat sie indes schon zweimal in Anspruch genommen, um Schulgeld für ihre beiden Kinder Ansumana und Kumba zu zahlen.
So hat das Projekt Auswirkungen auf viele Bereiche des Alltags. Es ist eine Chance für Menschen wie Gbola Mansaray, die hoffentlich bald sagen können: „Das Leben ist leichter geworden.“
Eine Reportage von Katrin Gänsler. Sie ist freie Journalistin in Cotonou, Benin. Das Projekt der Welthungerhilfe in Sierra Leone besuchte sie im April.
Eine erweiterte Fassung dieses Texts ist zuerst im Welthungerhilfe-Magazin erschienen (Ausgabe 03/2023).