Ein Fleckchen Schatten im Flüchtlingscamp
Hilfspakete mit Werkzeug und Zeltplanen sind in Syrien angekommen.
Jürgen Mika koordiniert für die Welthungerhilfe Nothilfe-Einsätze nach Krisen und Katastrophen. Aktuell kümmert er sich um die Verteilung von Hilfsgütern in Syrien. In seinem Bericht schildert er den langen und mühsamen Weg der Hilfsgüter zu den Flüchtlingen im Grenzgebiet zur Türkei.
In so vielen Ländern habe ich schon gearbeitet und humanitäre Hilfe geleistet. Oft unter sehr schwierigen Bedingungen. Transport und Logistik sind in Krisen- und Katastrophengebieten nicht immer einfach. Hier an der türkisch-syrischen Grenze kommen aber noch andere Schwierigkeiten hinzu - vor allem die ungewisse Sicherheitslage ist ein großes Problem. So können ausländische Hilfsorganisationen nur unter Einschränkungen die dringend benötigten Hilfsgüter an Flüchtlinge verteilen. Es herrscht Bürgerkrieg und die Grenzübergänge werden stark kontrolliert.
Hilfsgüter-Lieferung in die "green zone"
Die Hilfsgüter über die Grenze nach Syrien zu transportieren, ist schwierig und nicht ungefährlich. Vergangene Woche haben wir zwei LKWs aus Bonn über die türkisch-syrische Grenze gebracht - gefüllt mit Plastikplanen, Kisten mit Werkzeug, Seife, Windeln, Töpfe, Taschenlampen, Moskitonetzen und Spielzeug für Kinder.
Wir fuhren die LKWs direkt zur Grenzstation, zur sogenannten "green zone", dem Niemandsland an der Grenze zu Syrien. Dort wird die Ladung zunächst von Zollbeamten überprüft und dann von uns auf andere Transportmittel umgeladen. Alles per Hand, da es am Grenzübergang keinen Gabelstapler gibt. Schon nach den ersten zehn Minuten läuft mir der Schweiß in Strömen hinunter. Der Laderaum gleicht einer Sauna und ich komme mir vor, als hätte ich in meinen Klamotten geduscht. Erst spät am Abend haben wir es geschafft: Alle Hilfsgüter konnten die Grenze zu Syrien passieren. Wir Helfer müssen jedoch die "green zone" in die entgegengesetzte Richtung verlassen – wir fahren zurück zu unserem Büro in die Türkei.
Verteilung im Flüchtlingscamp
Nach der erfolgreichen Verladung der Hilfsgüter nach Syrien braucht es noch ein paar Tage Zeit und intensive Vorbereitung, bis wir sie an Flüchtlinge in Camps, Sammelunterkünften und bei Gastfamilien verteilen können. Es wird viel zwischen der Türkei und Syrien hin und her kommuniziert: Wie ist die Sicherheitslage? Welcher Verteilungsort? Wie viele ausländische Helfer dürfen dabei sein? Darf man fotografieren?
Dann ist es endlich soweit: Grünes Licht auch für uns Helfer. Nur eine Stunde später sind wir an der Grenzstation - genau im abgesprochenen Zeitplan. Unser Kontaktmann wartet schon in der "green zone" und nimmt uns mit über die Grenze. Die türkischen Wachbeamten stempeln unsere Pässe, auf der syrischen Seite werden wir ebenfalls überprüft und von Männern mit Waffen in Tarnkleidung beobachtet. Wir besteigen einen Minibus und los geht’s, ca. 200 Meter bis zur nächsten Kontrollstation. Erneut überprüfen uns hier bewaffnete Männer und schließlich dürfen wir passieren.
Weit und breit kein Schatten im Flüchtlingscamp
Ein paar Minuten später kommen wir beim Flüchtlingscamp an und die Verteilung beginnt. Die Empfänger der Kisten und Zeltplanen werden anhand von Listen aufgerufen und erhalten ihre Hilfsgüter direkt vom LKW. Trauben von Kindern umringen uns. 220 Familien, insgesamt 1.153 Menschen leben in diesem Flüchtlingscamp. Eigentlich ist dies hier ein Sportplatz mit sandigem, trockenem Boden, umgeben von Mauern. Weit und breit kein Baum oder ein grünes schattiges Plätzchen – ziemlich trostlos und brütend heiß.
Die Verteilung läuft reibungslos. Mit den mitgebrachten Planen, Seilen und Werkzeugen können die Familien ein Schattendach über ihre Zelte bauen. Die Kisten mit Töpfen, Tellern, Handtüchern und Seife kommen sehr gut an. Besonders die Kinder freuen sich über das Spielzeug. Schon wird der erste Ball herumgekickt. Er rollt mir zwischen die Füße, ich kicke zu meinem Kollegen…und Tooor???…Nein! Keine Chance bei einer solchen Übermacht an Kindern.
Beim Abschied aus dem Camp erfahren wir, dass soeben ein Baby in einer mobilen Klinik zur Welt gekommen ist. Damit steigt die Zahl der Menschen im Flüchtlingscamp auf 1.154.