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04.12.2012 | Blog

Frierende Kinder und Schüsse

Sandra Schuckmann-Honsel vom Nothilfeteam der Welthungerhilfe bloggt aus dem Atma Camp in Syrien.

Sandra Schuckmann-Honsel Team Humanitarian Directorate

Rüdiger Ehrler und ich sind untergekommen in der türkischen Stadt Reyhanli, sie liegt fünf Kilometer entfernt von der syrischen Grenze. Von dort aus leiten wir die Nothilfemaßnahmen der Welthungerhilfe ein. Wir nehmen Kontakt zu lokalen Entwicklungsorganisationen sowie zu den türkischen Behörden auf. Dort erfahren wir, dass es auf türkischer Seite momentan 15 Flüchtlingslager mit insgesamt 112.000 Flüchtlingen gibt. Die Versorgung dort ist professionell organisiert und entspricht internationalen Standards. Auch auf syrischer Seite sollen sich spontane Lager mit tausenden Flüchtlingen gebildet haben – hier leben die Menschen unter katastrophalen Bedingungen.

Zu Besuch in einem syrischen Flüchtlingscamp

Die Sicherheitslage in Syrien wechselt täglich. Nachdem es gestern mit dem Grenzübertritt ins hügelige Umland nicht geklappt hat, gelingt es uns heute, die Menschen im Atma Camp in Syrien zu besuchen. Am Eingang des Lagers treffen wir auf Mohammed, der am Vormittag aus Aleppo angekommen ist. Er spricht gutes Englisch und bietet sich uns direkt als Übersetzer an.

Da es seit Tagen geregnet hat, ist der Boden aufgeweicht und schlammig. Binnen Minuten sind wir von einer Kindergruppe umgeben. Sie sind barfuß oder laufen in Sandalen und tragen teilweise nur leichte, eher sommerliche Kleidung – und das bei Außentemperaturen von etwa 10°C! Ihre Mütter erzählen uns später, dass es Sommer war, als sie flohen. Nun leben die Menschen hier in Zelten, die teilweise mit Matten oder Matratzen ausgestattet sind.

Einige Familien haben Decken, andere nicht. Ich stelle mir vor, wie die Kinder mit ihren nackten Füßen und Sommerkleidung auch nachts nicht richtig warm werden und frieren. Erkältungen und Lungenentzündungen sind da vorprogrammiert.

Ein Blick in den Kochtopf einer Flüchtlingsfamilie

Die Flüchtlinge laden uns ein, uns hinzusetzen. Eine Frau zeigt uns, was sie bei der morgendlichen Essensausgabe für zwei Personen bekommen hat: ein kleines Brot, dazu eine Plastiktüte mit zehn Oliven, ein Päckchen Marmelade, Käse und Butter à 15 Gramm. Das reicht gerade für eine Person, geschweige für eine fünfköpfige Familie. Einige Familien haben kleine Öfen mitgebracht, auf denen einmal pro Tag etwas gekocht wird. Da die Menschen keiner Arbeit nachgehen und daher kein Einkommen haben, sind die wenigen Mahlzeiten sehr einseitig. Wir dürfen in den Kochtopf gucken und sehen Blumenkohl und ein paar Tomaten.

Die sanitäre Lage im Atma Camp ist völlig unzureichend: Die wenigen Toiletten werden nur von den Frauen und Mädchen benutzt – und für die heißt es: lange Anstehen. Wasser wird zwar in Tanks von türkischen Bauern gegen Bezahlung ins Lager gebracht, die meisten Familien können sich aber nur wenig Wasser leisten. Im Schnitt kauft eine Familie pro Tag einen 50-Liter-Eimer. Das Wasser dient als Trinkwasser, zum Kochen, zum Waschen von Kleidung und für die eigene Körperhygiene.

Schüsse auf das Atma Camp

Die Menschen im Flüchtlingslager blicken in eine ungewisse Zukunft: Einige erhoffen sich den Grenzübertritt auf die türkische Seite und damit bessere Lebensbedingungen. Andere möchten bleiben und ihr Heimatland nicht verlassen. Eine Bäuerin erzählt uns, dass sie Erde aus ihrem Dorf als Erinnerung mitgebracht hat. Auf der Rückfahrt diskutieren Rüdiger und ich, wie wir den betroffenen Familien am effektivsten helfen können.

Als wir am nächsten Vormittag beim Frühstück sitzen, hören wir Schüsse. Später wird in den Medien über den Angriff berichtet: das Camp, das wir gestern besuchten, wurde beschossen. Es ist das erste Mal, dass das Lager beschossen wird. Niemand weiß, von wem die Schüsse abgegeben wurden und wem sie gelten. Im Fernsehen sehen wir Bilder von Menschen, die in Panik umherlaufen und versuchen sich in Sicherheit zu bringen. Genau vor solchen Zuständen sind die Menschen geflüchtet und nun holt sie diese Situation wieder ein. Ich denke an all die, denen wir gestern begegnet sind, die uns von ihren Lebensbedingungen erzählt haben: an die Familien, die Kinder und an Mohammed, unseren Übersetzer.

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