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30.10.2017 | Blog

Geld allein ist nicht alles

Für eine Welt ohne Hunger bis 2030 ist es dringend an der Zeit die Weichen zu stellen: Der „Global Nutrition Summit“ der in Mailand stattfindet, könnte ein richtungsweisender Gipfel werden und dringend benötigte finanzielle Zusagen von Gebern sicherstellen. Aber Geld ist nicht alles.

Detailaufnahme von verschiedenen unkultivierten Nahrungsmitteln aus dem Wald.
Ohne den politischen Willen von Geber- und Empfängerländer, Hunger in seinen strukturellen Ursachen zu bekämpfen und für nachhaltige und gesunde Ernährungssysteme einzutreten, können finanzielle Zusagen keine nachhaltige Wirkung entfalten. © Roland Brockmann/Welthungerhilfe
Simone Welte Team Sector Strategy, Knowledge & Learning

Für den 4. November 2017 werden mehr als 200 Repräsentanten von Staaten, internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen in Mailand erwartet. Sie sind alle in den Palazzo Reale im Zentrum von Mailand geladen um am „Global Nutrition Summit“ (GNS) teilzunehmen. Dieser Gipfel soll nach Aussage der Veranstalter ein Zeichen setzen für mehr weltweite Anstrengung im Kampf gegen Hunger, Unter- und Fehlernährung.

Politische und finanzielle Zusagen einfordern

Der GNS möchte an die Ergebnisse des „Nutrition for Growth“ Gipfels 2013 von London anknüpfen, gemachte Fortschritte im Bereich Ernährung bilanzieren und neue politische und finanzielle Zusagen von Geberländern und -organisationen einfordern. Angesichts der der Zahlen, die im September 2017 im Welternährungsbericht (SOFI) der FAO veröffentlicht wurden, ist dies auch dringend notwendig: weltweit leiden 38 Millionen Menschen mehr an Hunger als noch in 2015.

815 Millionen Menschen sind chronisch unterernährt und zwei Milliarden Menschen leiden an verstecktem Hunger.

Welternährungsbericht (SOFI) der FAO

Gleichzeitig gelten weltweit fast 13% der Erwachsenen und 6% der Kinder unter 5 Jahren als überernährt – der Trend ist steigend. Der Weltagrarbericht bildet kurzfristige Trends ab: Der jetzt verzeichnete Anstieg der Zahlen mangelernährter Menschen ist vor allem auf vermehrte gewaltsame Konflikte und Naturkatastrophen wie Fluten und Dürren zurück zu führen.

Der im Oktober 2017 vorgestellte Welthungerindex zeichnet den langfristigen Trend der Entwicklung der globalen Ernährungssituation. Kurzfristige Ereignisse haben hier weniger Gewicht, daher zeichnet der WHI in diesem Jahr noch ein positiveres Bild als der Welternährungsbericht. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer konnten die Ernährungssituation ihrer Bevölkerung signifikant verbessern, dennoch ist die Ernährungssituation in 52 der 119 Länder, für die der WHI berechnet wurde, ernst, sehr ernst oder gravierend.

Angesichts steigender Zahlen Hungernder und vieler Länder mit einer schlechten Ernährungssituation stellt sich die Frage, welche Ergebnisse der Global Nutrition Summit liefern sollte? Welche Zusagen erwarten wir als Nichtregierungsorganisation von diesem Ernährungsgipfel? Und vor allem, welche Akzente sollte die deutsche Bundesregierung in Mailand setzen?

1. Mehr in Ernährungssicherung investieren aber dabei die strukturellen Ursachen von Hunger nicht ausblenden

Gut wäre es, wenn die Delegierten von Naomi Hossain lernen würden, die den diesjährigen Essay des Welthungerindex verfasst hat. Sie nimmt die Machtungleichheit im globalen Ernährungssystem in den Blick und sieht die ungleiche Verteilung von Hunger und Fehlernährung in einem sozialen, politischen und ökonomischen Machtgefälle begründet.

Frauen, Minderheiten, indigene Menschen, Landbewohner*innen und die Armen verfügen am wenigsten über politische und ökonomische Gestaltungsmöglichkeiten und sind am stärksten von Hunger, Mangelernährung und Übergewicht betroffen. Um für die vulnerablen Gruppen das Recht auf Nahrung zu verwirklichen, fordert sie zivilgesellschaftliche Teilhabe aller an der Gestaltung lokaler, eigenständiger Ernährungssystemen.

Das ist die Gruppe, die das Gros an Lebensmittel produziert. Es ist aber auch eine der Gruppen, die am stärksten von Ausgrenzung, Hunger und Armut betroffen ist.

Zusagen des – per Definition auf Gewinnmaximierung abzielenden – Privatsektors sollten mit Skepsis zur Kenntnis genommen werden. Die Regierungen von Geberländern, allen voran die deutsche Bundesregierung, sollten in den entsprechenden Foren auf nationaler und internationaler Ebene, verbindliche Regeln einfordern für das Engagement der Privatwirtschaft in Entwicklungsländern. Die Macht der Agrar- und Lebensmittelindustrie muss im Zaum gehalten werden und die Menschen in Entwicklungsländern müssen durch verbindliche Menschenrechts-, Sozial- und Umweltstandards vor Ausbeutung geschützt werden.

Ferner ist es wichtig, dass der Ernährungsgipfel in Mailand klar benennt, dass es wesentlicher struktureller Anpassungen unserer Ernährungssysteme in Industrie- und Entwicklungsländern bedarf, um Hunger und alle Formen der Fehlernährung zu überwinden. Regierungen müssen sich stärker für funktionierende Ernährungssysteme einsetzen und für einen fairen Welthandel sorgen. Ebenfalls stehen Veränderung von Konsummustern, vor allem in den Industrieländern, auf der Prioritätenliste.

2. Geld ist nicht alles – es muss auch richtig investiert werden: Sektorübergreifende, nachhaltige Ansätze

Mehr Geld für Ernährung ist zur Erreichung von „Null Hunger“ bis 2030 sicher nötig, denn ein „Weiter wie bisher“ wird allen Prognosen und Berechnungen (IISD, Weltbank, FAO) nach nicht zum Ziel führen. Es geht allerdings nicht nur um die Quantität, sondern auch um die Qualität: Die Grundlage sollten sektorübergreifende Investitionen bilden: in nachhaltige, ressourcenschonende und angepasste Anbaumethoden, die zu einer Diversifizierung der landwirtschaftlichen Produktion und der Ernährung sowie zu einer erhöhten Resilienz gegenüber ungewöhnlichen Wetter- und anderen Ereignissen führen.

Ein Ansatz, mit dem die Welthungerhilfe gute Erfahrungen gemacht hat, ist LANN+: „Linking Agriculture and Natural Resource Management towards Nutrition Secrurity“. Bei diesem Ansatz werden Interventionen in unterschiedlichen Sektoren in Projekten mit einander verlinkt und tragen besser zu einer nachhaltigen Verbesserung der Ernährungssituation der Zielgruppe bei.

Dieser Ansatz und andere auf multisektorale, ernährungssensitive Veränderungen abzielende Lösungen, haben in unseren Projektgebieten zu dauerhaften Verbesserungen geführt. Diese Projektansätze sind, zugegebener Maßen komplex. Es wäre allerdings naiv zu glauben, dass vielschichtige Probleme wie Hunger und Fehlernährung durch einfache oder gar rein technische Lösungen sich auflösen ließen.

3. Hunger ist ein vielschichtiges und komplexes Problem das einer komplexen Antwort bedarf

Von vielen Akteuren werden Hunger und Fehlernährung auf Kalorien- und Nährstoffmengen reduziert und auf die Frage, wie die Menschen diese in bedarfsgerechter Menge bekommen. Im Zentrum stehen sogenannte „kosteneffektive Ansätze“ wie die Fortifizierung, die Supplementierung und die Biofortifizierung. Die Fortifizierung setzt Mineralien oder Vitamine Lebensmittel zu. Die Gabe von Mineralien oder Vitaminen durch Tabletten oder Präparate ist die Supplementierung. Die dritte Variante ist die Biofortifizierung – Mineralien und Vitaminen werden durch konventionelle oder gentechnische Züchtung oder durch den Einsatz mineralhaltigen Dünge- und Pflanzenschutzmittel in Pflanzen angereichert.

Ohne in Absprache zu stellen, dass die gezielte Gabe von Nährstoffen in bestimmten humanitären Notsituationen oder um den temporär erhöhten Nährstoffbedarf von Schwangeren und Stillenden zu decken, sinnvoll ist, bergen diese Ansätze Nachteile. Die Herstellung dieser Produkte steigert die Gewinne großer Unternehmen und nützt nicht den ärmsten der Armen.

Eine Politik, die auf diese Ansätze abstellt, fördert, dass wenige, einseitig angereicherte Produkte angebaut und konsumiert werden und dass durch konventionelle Düngung und Pflanzenschutz Mineralien in Lebensmittel kommen, die auch z.B. durch nachhaltige Anbautechniken dort ankommen könnten. Wenn landwirtschaftliche Produktionsmittel überhaupt verfügbar sind, dann müssen sie gekauft werden. Mit Geld, dass in den Haushalten der ärmsten der Armen immer knapp ist.

Allen kosteneffektiven Ansätzen ist gemein, dass nur einzelne oder einige wenige Mineralstoffe oder Vitamine in den Lebensmitteln oder Pflanzen angereichert werden. Dabei ist Mangelernährung fast immer ein Mangel an mehreren Nährstoffen und nicht nur an einem oder wenigen Vitaminen oder Mineralien. Nachhaltiger wäre es, eine Ernährung auf Grundlage einer diversifizierten Ernährung aus unterschiedlichen Nahrungsmitteln, nicht Nährstoffen, für alle zu ermöglichen.

Aus unserer täglichen Projektarbeit wissen wir, wie schwierig es ist, das Recht auf Nahrung umzusetzen – insbesondere, wenn die politischen und strukturellen Rahmenbedingungen nicht förderlich bzw. eher negativ sind.

Der GNS ist sicher kein Gipfel, der all diese Herausforderungen angehen kann. Aber er kann durchaus ein Gipfel werden, der sich klar zu nachhaltigen Ansätzen in der Bekämpfung von Hunger und Fehlernährung bekennt. Die deutsche Bundesregierung hat in den Augen der Zivilgesellschaft die dringende Aufgabe, dies in ihrem politischen Statement zu betonen und für die nötigen strukturellen Anpassungen und für sektorübergreifende Investitionen in nachhaltige Ernährungssysteme zu werben.

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