Verloren im Wust der Klimarettungsversuche
Das Ende der Gipfeltage in Kopenhagen naht – und das im wahrsten Sinne: Man droht sich zu verlieren, und das in allem.
Da wäre zum einen der furchtbare Abkürzungswust, der im Zweiseiter „post-2012“ der EU auftaucht, einem Papier mit den wichtigsten Zielen für ein Klimaabkommen nach dem Kyoto-Protokoll von 1997: CDM, AAU, REDD, MRV, HFC oder LULUCF. Und das sind längst nicht alle Kürzel.
Da sind die vielen Verhandlungsstränge, die keiner mehr überblicken kann. Wie zum Beispiel dieser: “Die AWG-LCA hat der COP im Rahmen des FCCC (FCCCAWGLCA2009L.7Add1) einen Entscheidungsentwurf zum Thema Adaption vorgelegt. Will heißen: Es hat sich eine spontane Arbeitsgruppe gebildet, die ein Papier erarbeitet hat. Das muss alles noch zusammengeführt, verhandelt und eingearbeitet werden.
Mindestens genauso schlimm wie die Abkürzungen sind die vielen eckigen Klammern. Darin steht, was umstritten ist. Und es steht viel in eckigen Klammern. Zum Beispiel in FCCCAWGLCA2009L.7Add1: Die globale durchschnittliche Temperatur sollte nicht über [2 Grad][1,5 Grad] steigen. Oder: Die entwickelten Länder sollten ihre Treibhausgase um [75-85][mindestens 80-95][mehr als 95] Prozent bis 2050 reduzieren.
Unüberschaubar auch die Masse an Dokumenten, Zielen, Zusagen, Positionen. Die verhandelnden Beamten, die bis sieben Uhr morgens an Formulierungen feilen. Die Pressevertreter, die den Stand der Verhandlungen einer breiten Öffentlichkeit erklären müssen. Die Nichtregierungsorganisationen, die in den Dokumenten nach der Einlösung ihrer Forderungen forsten.
Aber irgendwie muss der Prozess organisiert werden, wenn die ganze Welt darüber verhandelt, wie man die Zukunft rettet. Die Zukunft vor allem der Menschen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben und am meisten darunter leiden. Der Eisbär auf der schrumpfenden Scholle ist zum Symbol für den Klimawandel geworden. Auch in Kopenhagen sieht man ihn immer wieder als Attrappe.
Aber für viele Menschen in den Entwicklungsländern schwindet die Scholle ebenso schnell. Kleinbauern in Afrika erleben die dritte oder vierte Trockenzeit hintereinander. Während man sich in Russland über den auftauenden Frostboden freut, in Nordamerika die Erträge steigen und an der Mosel erste Versuche mit Olivenanbau gemacht werden, drohen in Afrika Ernteeinbussen von 50 Prozent innerhalb der nächsten zehn Jahre. Stürme und ansteigender Meeresspiegel bedrohen die Existenz von Millionen Menschen.
Gleichzeitig wollen sich auch die armen Länder entwickeln. Aber Erschließung von Land und Aufbau von Industrie heißt auch Gefahr für das Klima. Darum argwöhnen manche im Süden, mit Klimaschutz wolle man sie klein halten. Den Wald im Süden retten und im Norden weiter Emissionen hinaus blasen. Es ist viel Misstrauen zu spüren in Kopenhagen, die Bitterkeit der krassen Ungleichheit zwischen Nord und Süd.
Immerhin: Kopenhagen ist in diesen Tagen ein Ort, in denen Positionen, Meinungen, Erfahrungen ausgetauscht werden. Wo man die Mächtigen direkt an ihre Verantwortung erinnern kann. Ein Zusammenschluss von Jugendlichen, die elf Millionen Unterschriften weltweit gesammelt haben, halten Schilder in die Höhe: Fair, ehrgeizig, verbindlich. Eine faire Finanzierung für die Entwicklungsländer, ehrgeizige Ziele für die Reduzierung von Treibhausgasen, ein verbindliches Abkommen, dessen Vereinbarungen auch überprüft werden können. Nehmen das die verhandelnden Minister wahr, die immer mit einer Traube von Menschen und ein paar Kameras im Schlepptau durch die Hallen eilen?
Die Nervosität steigt in Kopenhagen. Die größte Klimakonferenz, die es je gab. Jahrelange Verhandlungen. Widerstände, wirtschaftliche Interessen, widerstreitende Meinungen. Spätestens am Freitag kommen die Staats- und Regierungschefs. Bis dahin soll ein Abkommen stehen, das mehr enthält als Worte, die zwar nicht mehr in eckigen Klammern stehen, aber trotzdem nichts bedeuten.
Lieber Gruß aus Kopenhagen von
Marion Aberle