Hunger erhöht das Risiko für bewaffnete Konflikte – und umgekehrt.
Eine Brücke gegen den Hunger
In Liberia arbeitet die Welthungerhilfe gemeinsam mit der Bevölkerung an der Verbesserung der Landwirtschaft. Und sie baut Motorradpisten, Brücken, Krankenhäuser und treibt den technologischen Fortschritt voran. Was das mit der Bekämpfung von Hunger zu tun hat? Das zeigen die Beispiele von Menschen, deren Ernährung genau dadurch gesünder und sicherer geworden ist.
Vera und Jutay haben „Schwein gehabt“. Doch es ist weit mehr als das sprichwörtliche Glück, was ihr Leben veränderte: eine Chance, die sie nutzten, harte Arbeit und Hoffnung, dass ein besseres Leben doch möglich ist. Die 33-jährige Vera lebt mit ihren Kindern in Zwedru, der Hauptstadt des Grand Gedeh County im Südosten Liberias. Von ihrem blechgedeckten Haus aus zeigt sie auf einen mit Bambusstäben und Palmstroh errichteten Bau, dessen Bewohner*innen sich lautstark selbst vorstellen. Es sind Schweine, die neugierig schauen, wer zu Besuch kommt.
2021 erhielt Vera die Gelegenheit, an einem Ausbildungsprogramm der Welthungerhilfe teilzunehmen. Sie wählte Landwirtschaft mit dem Schwerpunkt Schweinezucht. „Es gibt nur wenige Menschen in Zwedru, die Schweine züchten“, sagt sie. „Ich war überzeugt, dass uns dies zu einem besseren Leben verhelfen wird.“
Schweinezucht sichert Existenzen
Bereits seit 2003 führt die Welthungerhilfe Projekte in Liberia durch. Der Schwerpunkt liegt dabei vor allem im Südosten, der ärmsten Region des Landes. In Grand Gedeh, River Gee und Maryland, wo den meisten Menschen sauberes Wasser, sanitäre Einrichtungen, Nahrungsmittel, Energie und Ausbildungsmöglichkeiten fehlen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist von chronischer Unterernährung bedroht, über ein Viertel muss mit weniger als zwei Euro pro Tag auskommen.
Es gibt nur wenige Menschen in Zwedru, die Schweine züchten. Ich war überzeugt, dass uns dies zu einem besseren Leben verhelfen wird.
Vera Zulu Schweinezüchterin aus Zwedru„Ich habe eine Welt des Wissens entdeckt“, sagt Schweinezüchter Jutay. „Rassen, Aufzucht, Pflege, Ernährung und Gesundheit – das hat mich völlig fasziniert.“ Zehn Monate dauerte die Ausbildung. An ihrem Ende erhielten alle Teilnehmenden zwei Ferkel – eine Sau und einen Eber. Ein gutes Jahr später hat Jutay bereits eine Herde von 20 Tieren, und auch bei Vera wuselt ein Dutzend Ferkel über den Hof. Das Geld, das sie nun mit dem Verkauf ihrer Schweine erzielen, reicht zum Leben und für die Schulgebühren von Veras Kindern und Jutays Brüdern.
Als „Schreckgespenst“ bezeichnet Jutay die Arbeitslosenquote von 80 Prozent im Land. „Das war immer die Sackgasse für meinen Traum von einer besseren Zukunft.“ 70 Prozent der liberianischen Bevölkerung sind wie er und Vera jünger als 35 Jahre. Ein riesiges Potenzial – das weitestgehend brach liegt im ewigen Kreislauf von fehlender Qualifikation, Arbeitslosigkeit, Armut, Ernährungsunsicherheit und schlechter gesundheitlicher Versorgung.
Folgen des Bürgerkriegs sind noch heute spürbar
In den 1950er-Jahren galt Libera als fortschrittlichstes Land in Afrika und hatte – nach Japan – das höchste Wirtschaftswachstum der Welt. Um zu verstehen, warum das Land heute zu den ärmsten in dieser Welt zählt, lohnt ein kurzer Blick in die jüngere Geschichte. 1989 begann ein grausamer Bürgerkrieg zwischen Volksgruppen und Warlords um Macht und Rohstoffe. Er dauerte 14 Jahre und forderte geschätzt 250.000 Todesopfer bei damals 3,5 Millionen Einwohner*innen. Die Infrastruktur wurde zerstört, die Wirtschaft brach zusammen, das halbe Land war auf der Flucht.
Auch über 20 Jahre danach ist ein großer Teil der Infrastruktur noch nicht wieder aufgebaut. Gerade als Liberia begann, sich von den Folgen des Bürgerkriegs zu erholen, brach 2014 eine Ebola-Epidemie aus. 5.000 Menschen starben, Felder lagen brach, es gab kein Futter für die Tiere und noch weniger Arbeit.
Warentransport sicherer gestalten
Für Vera geht es jetzt aufwärts. Ihr größtes Problem ist nicht mehr Hunger, sondern gutes Futter für ihre Schweine. In Zwedru gibt es nicht genug, in der Elfenbeinküste schon. Diese liegt Luftlinie nicht einmal 30 Kilometer entfernt, aber die ohnehin schon schlechten, unbefestigten Straßen sind in der Regenzeit kaum befahrbar. In der nahe gelegenen Grenzgemeinde Janzon werden Waren daher fast nur mit Motorradtaxis transportiert, die zumindest manövrierfähig sind. Zuweilen weichen sie gar auf Buschpfade aus, um zum Ziel zu kommen. Doch nicht ohne Preis. Beinahe täglich überschlagen sich Motorräder auf der Strecke – immer wieder auch mit tödlichem Ausgang für die Passagier*innen.
In Janzon startete die Welthungerhilfe ein Projekt, in dem sie zunächst Jugendliche handwerklich ausbildete und sie im Anschluss beim Bau von Motorradpisten unterstützte. Die dabei entstandenen sieben und zwei Kilometer langen Pisten dienen seither als wichtige Verkehrsadern für die 17 Dörfer und ihre 6.000 Bewohner*innen.
Was in Janzon die überschwemmten Straßen sind, ist gute 100 Kilometer weiter südlich der Gee River. Er trennt die Stadt Feloken im Maryland County vom River Gee County. Früher hangelten sich hier Männer, Frauen und Kinder über eine morsche, schwankende Hängebrücke. Mehrfach starben Menschen, als die Brücke nach heftigen Regengüssen zusammenbrach. Seit Februar 2023 rauscht der River Gee unter einer 22 Meter langen stabilen Betonbrücke hindurch. Es ist das Ergebnis eines weiteren Projektes der Welthungerhilfe, umgesetzt mit einer lokalen Baufirma: 22 Meter für mehr Sicherheit, mehr Einnahmen, mehr verfügbare Nahrungsmittel und auch besseren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen.
Das Gesundheitssystem wiederaufbauen
Dass die Krankenhäuser in Liberia zu selten aufgesucht werden, liegt nicht nur an der zerstörten Infrastruktur und am niedrigen Einkommen. Während des Ebola-Ausbruchs versagten die öffentlichen Kliniken komplett. Katastrophale Hygienebedingungen und mangelhafte Organisation führten zum weitverbreiteten Gedanken: „Ich gehe nicht ins Krankenhaus, da werde ich noch kränker.“ Aus Angst, sich mit Ebola anzustecken, blieben auch Erkrankungen wie Malaria, Lungenentzündung und schwerer Durchfall oft unbehandelt.
Zudem haben nur gut die Hälfte der Menschen in Grand Gedeh Zugang zu einer gut erreichbaren Gesundheitseinrichtung. Deshalb begann die Welthungerhilfe mit dem Bau von insgesamt acht Kliniken und sorgt auch hier für Entwicklung. Das größte ist das Bezirkskrankenhaus von Grand Gedeh in Zwedru. Wasserversorgungssysteme, Solarenergie für die Stromversorgung, biomedizinische Geräte sowie die Schulung der Fachkräfte sollen den notwendigen hygienischen und fachlichen Standard herstellen. Mehr als 120.000 Menschen in Grand Gedeh und den Nachbarbezirken werden davon profitieren. Die Klinik hat spezielle Bereiche für Frauen: neben Gynäkologie und Geburtshilfe auch gesonderte Dienste zur Familienplanung.
Ausbildung, Gesundheit und Infrastruktur stützen den Aufschwung der lokalen Landwirtschaft, der so dringend notwendig ist, um Arbeit zu bieten, vor allem aber, um eine ausreichende Verfügbarkeit an Nahrungsmitteln für die Bevölkerung vor Ort zu sichern. Klimabedingte Ereignisse wie Überschwemmungen und Trockenzeiten erschweren neben allem anderen die Produktion.
Amenu bedeutet: „Wir werden es schaffen“
So auch für die 889 Mitglieder der landwirtschaftlichen Amenu Kooperative in Zleh Town. Eine unter den 60 Prozent Frauen ist Yamah. Seit über fünf Jahren baut sie Reis an. Den größten Teil der jährlichen Ernte zwischen 30 und 50 Kilo aß die Familie selbst. Die Erlöse aus dem Verkauf des kleinen Überschusses reichten jedoch nicht, um den Haushalt und die Ausbildung ihrer drei Kinder zu finanzieren, geschweige denn, um in den Geschäftsbetrieb zu investieren.
Die Welthungerhilfe setzte 2023 gemeinsam mit der Genossenschaft das während des Bürgerkriegs zusammengebrochene Bewässerungssystem instand, schulte die Landwirt*innen, besorgte widerstandsfähiges Saatgut und finanzierte drei Motorhacken, um mehr Land mit weniger Arbeit bewirtschaften zu können. „Vorher war die Bewässerung mit der Hand eine unüberwindbare Herausforderung“, erzählt Yamah. „Jetzt können wir zweimal im Jahr ernten, haben mehr Essen auf dem Tisch und mehr Geld übrig.“ Im Januar 2024 lag Yamahs Ernte bereits deutlich über 100 Kilo.
Nachhaltige Ernährungssicherheit bedeutet Entwicklung, den Aufbau von Wissen, das Stärken von Hoffnung, Selbstbewusstsein, Mut und Kraft, um das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen. Die Familie von Jutay staunt täglich über das Wachstum der Schweineherde. „Es wird jetzt wieder fröhlich gelacht bei uns im Haus“, sagt Jutay. Und Vera will ihre Farm ausbauen „und dort Menschen aus meiner Gemeinde beschäftigen.“ In der Amenu Kooperative kehren Hunderte neue und ehemalige Landwirt*innen auf die Höfe zurück. Als älteste Bauernvereinigungen des Landes startet die Kooperative Amenu mit modernen Ansätzen nochmal neu durch. „Amenu" bedeutet in der lokalen Sprache: „Wir werden es schaffen.“
Abraham Nyorkor arbeitete bis März 2024 im Team der Welthungerhilfe in Liberia.