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27.02.2019 | Blog

Bits und Bohnen

Mit der digitalen Erfassung und Zertifizierung der Kakaoproduktion trägt die Welthungerhilfe in Sierra Leone dazu bei, Einkommen von Kakao-Bauern zu steigern und die Transparenz in der Lieferkette zu erhöhen. Das Beispiel zeigt Möglichkeiten, aber auch Tücken digitaler Instrumente in der Entwicklungszusammenarbeit.

Ein Mann prüft eine Kakaofrucht, die an einem Baum hängt.
Mohammed ist Kleinbauer aus dem Dorf Tibor in Sierra Leone. Hier prüft er die Reife der Kakaofrucht. (Das Bild stammt nicht aus dem im Text beschriebenen Projekt). © Kai Löffelbein/Welthungerhilfe

Der Kakao, der von kleinbäuerlichen Betrieben in Sierra Leone produziert wird, geht oft durch die Hände vie­ler Zwischenhändler*innen, bevor er internationale Märkte erreicht. Die undurchsichtige Preispolitik dieser Agent*innen trägt dazu bei, dass die Landwirt*innen selbst meist nur einen Bruchteil der Erlöse sehen. Ein weiteres Problem ist die fehlende Zertifizierung, die den Zugang zu Handelsmärkten einschränkt.

Dieses Fallbeispiel ist dem NGO-Report „Tech for Good: Möglichkeiten und Grenzen digitaler Instrumente in der Entwicklungszusammenarbeit von Nichtregierungsorganisationen“ entnommen

Um diese Schwierigkeiten an­zugehen, versucht die Welthungerhilfe, den Zugang zum Weltmarkt für kleinbäuerliche Betriebe sowie lokale Kakao-Handelsunternehmen zu erleichtern. Die Einkommen von 30.000 Landwirten*innen sollen durch die Zertifizierung lo­kaler Kakaohändler*innen, der Agenten und des Kakaos selbst erhöht werden. Ziel des Projektes ist es, nachhaltige Handelsbeziehungen zwischen Bäuer*innen und Händler*innen zu schaffen. Gleichzeitig wächst der Druck, gerade aus Europa, den Ursprung der Ware rückverfolgen zu können.

Digitale Erfassung der Akteure

Ein Element des Projekts ist ein Tracing- und Mapping-System (TMS), das Landwirt*innen, Betriebe und deren Kakaoproduktion digital erfasst. Die Applikation, die als webbasierte und mo­bile Lösung abrufbar ist, wurde von der ghanaischen Soft­warefirma Farmerline entwickelt. Obwohl die Welt­hungerhilfe die treibende Kraft hinter der TMS-Entwicklung war, ist das System im engen Austausch mit drei lokalen Handelspartnern entstanden, die dieses projektunabhängig einsetzen und nutzen.

Das TMS hat drei Ziele erreicht

Handelsunternehmen erhalten nun Daten über die teilnehmenden Farmen sowie über die Quantität und Qualität des Kakaos. Die kleinbäuerlichen Betriebe profitieren unmittelbar, da sie ein Feedback über ihre Produkte erhalten. Die Registrierung stärkt außer­dem die Bindung zwischen Produzent*innen und Käufer*innen und bekräftigt die Abnahmegarantie. Damit erhöht das TMS den generellen Organisationsgrad des bisher sehr zersplitterten Kakaosektors in Sierra Leone.

Männer verladen Säcke mit Kakaobohnen auf einen Lastwagen
In Kenema, Sierra Leone, werden Kakaobohnen nach der Röstung in Säcken auf einen Lastwagen geladen, der den Kakao zum Hafen in Freetown bringt. © Kai Löffelbein/ Welthungerhilfe

Datenschutz: Einwilligung per Fingerabdruck

Inzwischen wurden 20.000 Farmer*innen nach ihrer Zu­stimmung im System mit Foto registriert. Der Welthunger­hilfe war es wichtig, bei den Teilnehmenden ein Bewusst­sein dafür zu schaffen, an wen und warum sie ihre Daten weitergeben. Wer nicht schreiben kann, hat die Möglichkeit, per Fingerabdruck seine Einwilligung zu geben. Außerdem können die Farmer*innen ihre Daten jederzeit einsehen und auch eine Änderung einfordern.

Weil die Internetverbindung in Sierra Leone immer noch eine große Herausforderung darstellt, funktioniert das System auch offline. Die Synchronisierung erfolgt, sobald eine Internetverbindung vorhanden ist.

Entwicklung mit lokalen Partnern

Die Welthunger­hilfe hat bei der Entwicklung der technischen Kompo­nente bewusst auf einen Partner aus Westafrika gesetzt. Unter ähnlichen Bedingungen hat Farmerline in Ghana einen Informationsservice für Farmer*innen eingerichtet. Da das Unternehmen zu Projektbeginn noch relativ klein war, lief es zunächst holprig, nach dem Motto „Learning by Doing“. Daniel Scholler, der für die Welthungerhilfe am Projektmanagement beteiligt war, betont aber, dass die Beauftragung des Software-Entwicklers trotzdem die völ­lig richtige Entscheidung war. Solche Erfahrungen fördern nicht nur Süd-Süd-Kollaboration. Die Entwickler kannten sich auch bereits mit den technischen Anforderungen für einen ähnlichen Kontext aus und hatten Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Kakaoproduzent*innen. Sie konnten so einen wichtigen Beitrag zur Projektgestaltung leisten. Dies trug zugleich dazu bei, dass auch die lokalen Partner Farmerline von Beginn an ernst nahmen.

Herausforderung Akkulaufzeit

Als große technische Herausforderung erwies sich die Akkulaufzeit: Die für die Ladezwecke vorhandenen Power­banks reichten nicht aus. Die Projektbeteiligten erhielten deswegen Geld, um die Geräte in mit Kleingeneratoren be­triebenen Ladestationen in den Dörfern aufzuladen. Auch die Wetterbedingungen stellten die Geräte auf die Probe. Beide Beispiele zeigen: Bereits bei der Projektentwicklung ist darauf zu achten, welche Technologien den jeweiligen äußeren Bedingungen und Anforderungen standhalten.

Eine Gruppe von Menschen steht zusammen und lernt die Anwendung der TMS Software.
Praktische Schulung im Feld: Workshop zum Einsatz des Tracing- und Mapping-System (TMS) in Sierra Leone 2015. © Richard Fritz/ Welthungerhilfe

Soziale Faktoren so wichtig wie funktionierende Technik

Waren es zu Beginn eher technische Probleme, mit denen das Projekt zu kämpfen hatte, so zeigte längerfristig die menschliche Komponente ihre Tücken. Nicht jeder erfreute sich an der gestiegenen Transparenz des Sektors. Die Daten wurden von Zwischenhändler*innen teilweise manipuliert, denn diese profitieren davon, wenn möglichst viel ihrer ver­kauften Ware als zertifiziert registriert ist. Hier erwies sich, dass Technologie die Prozesse erleichtern, soziale oder kulturelle Faktoren und Interessen aber weder ersetzen noch umgehen kann. Deswegen werden im Rahmen des Projektes nun Workshops ausgerichtet, die den Zwischen­händler*innen die Vorteile des Systems aufzeigen. Für den langfristigen Erfolg des Projektes ist ihre Akzeptanz un­erlässlich.

Klein anfangen, Geduld mitbringen

Wenn er heute etwas anders machen könnte, sagt Daniel Scholler, würde er deswegen das Projekt klei­ner anfangen und erst mit der Registrierung einiger weni­ger Landwirt*innen beginnen. Für andere Projekte empfiehlt er, sich nicht von der technischen Komponente ablenken zu lassen. Das Wichtigste bleibe weiterhin, wie das Projekt koordiniert, umgesetzt und überwacht wird (die Management-Komponente). Weiterhin gilt es, Geduld mitzubringen. Auch wenn der Druck von Geldgebern steigt: Die Umsetzung von Digitalprojekten erfordert eine realisti­sche Zeitplanung, meist länger als zunächst erhofft. Außer­dem empfiehlt Scholler, so nah wie möglich an bestehenden Abläufen zu bleiben. Erfolgreiche Projekte bauen meistens auf dem auf, was bereits in der analogen Welt geschieht. Sie nehmen Probleme in Angriff, die auf dem analogen Weg nicht – oder nicht effizient oder kostengünstig – lösbar sind.

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