Dieses Fallbeispiel ist dem NGO-Report „Tech for Good: Möglichkeiten und Grenzen digitaler Instrumente in der Entwicklungszusammenarbeit von Nichtregierungsorganisationen“ entnommen
Bits und Bohnen
Mit der digitalen Erfassung und Zertifizierung der Kakaoproduktion trägt die Welthungerhilfe in Sierra Leone dazu bei, Einkommen von Kakao-Bauern zu steigern und die Transparenz in der Lieferkette zu erhöhen. Das Beispiel zeigt Möglichkeiten, aber auch Tücken digitaler Instrumente in der Entwicklungszusammenarbeit.
Der Kakao, der von kleinbäuerlichen Betrieben in Sierra Leone produziert wird, geht oft durch die Hände vieler Zwischenhändler*innen, bevor er internationale Märkte erreicht. Die undurchsichtige Preispolitik dieser Agent*innen trägt dazu bei, dass die Landwirt*innen selbst meist nur einen Bruchteil der Erlöse sehen. Ein weiteres Problem ist die fehlende Zertifizierung, die den Zugang zu Handelsmärkten einschränkt.
Um diese Schwierigkeiten anzugehen, versucht die Welthungerhilfe, den Zugang zum Weltmarkt für kleinbäuerliche Betriebe sowie lokale Kakao-Handelsunternehmen zu erleichtern. Die Einkommen von 30.000 Landwirten*innen sollen durch die Zertifizierung lokaler Kakaohändler*innen, der Agenten und des Kakaos selbst erhöht werden. Ziel des Projektes ist es, nachhaltige Handelsbeziehungen zwischen Bäuer*innen und Händler*innen zu schaffen. Gleichzeitig wächst der Druck, gerade aus Europa, den Ursprung der Ware rückverfolgen zu können.
Digitale Erfassung der Akteure
Ein Element des Projekts ist ein Tracing- und Mapping-System (TMS), das Landwirt*innen, Betriebe und deren Kakaoproduktion digital erfasst. Die Applikation, die als webbasierte und mobile Lösung abrufbar ist, wurde von der ghanaischen Softwarefirma Farmerline entwickelt. Obwohl die Welthungerhilfe die treibende Kraft hinter der TMS-Entwicklung war, ist das System im engen Austausch mit drei lokalen Handelspartnern entstanden, die dieses projektunabhängig einsetzen und nutzen.
Das TMS hat drei Ziele erreicht
- Erstens wurde die tatsächliche Anzahl aktiver Landwirt*innen erstmals ermittelt.
- Zweitens wurden die Felder digital erfasst und ihre Größe und Lage bestätigt.
- Drittens wurde so die Lieferkette transparent.
Handelsunternehmen erhalten nun Daten über die teilnehmenden Farmen sowie über die Quantität und Qualität des Kakaos. Die kleinbäuerlichen Betriebe profitieren unmittelbar, da sie ein Feedback über ihre Produkte erhalten. Die Registrierung stärkt außerdem die Bindung zwischen Produzent*innen und Käufer*innen und bekräftigt die Abnahmegarantie. Damit erhöht das TMS den generellen Organisationsgrad des bisher sehr zersplitterten Kakaosektors in Sierra Leone.
Datenschutz: Einwilligung per Fingerabdruck
Inzwischen wurden 20.000 Farmer*innen nach ihrer Zustimmung im System mit Foto registriert. Der Welthungerhilfe war es wichtig, bei den Teilnehmenden ein Bewusstsein dafür zu schaffen, an wen und warum sie ihre Daten weitergeben. Wer nicht schreiben kann, hat die Möglichkeit, per Fingerabdruck seine Einwilligung zu geben. Außerdem können die Farmer*innen ihre Daten jederzeit einsehen und auch eine Änderung einfordern.
Weil die Internetverbindung in Sierra Leone immer noch eine große Herausforderung darstellt, funktioniert das System auch offline. Die Synchronisierung erfolgt, sobald eine Internetverbindung vorhanden ist.
Entwicklung mit lokalen Partnern
Die Welthungerhilfe hat bei der Entwicklung der technischen Komponente bewusst auf einen Partner aus Westafrika gesetzt. Unter ähnlichen Bedingungen hat Farmerline in Ghana einen Informationsservice für Farmer*innen eingerichtet. Da das Unternehmen zu Projektbeginn noch relativ klein war, lief es zunächst holprig, nach dem Motto „Learning by Doing“. Daniel Scholler, der für die Welthungerhilfe am Projektmanagement beteiligt war, betont aber, dass die Beauftragung des Software-Entwicklers trotzdem die völlig richtige Entscheidung war. Solche Erfahrungen fördern nicht nur Süd-Süd-Kollaboration. Die Entwickler kannten sich auch bereits mit den technischen Anforderungen für einen ähnlichen Kontext aus und hatten Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Kakaoproduzent*innen. Sie konnten so einen wichtigen Beitrag zur Projektgestaltung leisten. Dies trug zugleich dazu bei, dass auch die lokalen Partner Farmerline von Beginn an ernst nahmen.
Herausforderung Akkulaufzeit
Als große technische Herausforderung erwies sich die Akkulaufzeit: Die für die Ladezwecke vorhandenen Powerbanks reichten nicht aus. Die Projektbeteiligten erhielten deswegen Geld, um die Geräte in mit Kleingeneratoren betriebenen Ladestationen in den Dörfern aufzuladen. Auch die Wetterbedingungen stellten die Geräte auf die Probe. Beide Beispiele zeigen: Bereits bei der Projektentwicklung ist darauf zu achten, welche Technologien den jeweiligen äußeren Bedingungen und Anforderungen standhalten.
Soziale Faktoren so wichtig wie funktionierende Technik
Waren es zu Beginn eher technische Probleme, mit denen das Projekt zu kämpfen hatte, so zeigte längerfristig die menschliche Komponente ihre Tücken. Nicht jeder erfreute sich an der gestiegenen Transparenz des Sektors. Die Daten wurden von Zwischenhändler*innen teilweise manipuliert, denn diese profitieren davon, wenn möglichst viel ihrer verkauften Ware als zertifiziert registriert ist. Hier erwies sich, dass Technologie die Prozesse erleichtern, soziale oder kulturelle Faktoren und Interessen aber weder ersetzen noch umgehen kann. Deswegen werden im Rahmen des Projektes nun Workshops ausgerichtet, die den Zwischenhändler*innen die Vorteile des Systems aufzeigen. Für den langfristigen Erfolg des Projektes ist ihre Akzeptanz unerlässlich.
Klein anfangen, Geduld mitbringen
Wenn er heute etwas anders machen könnte, sagt Daniel Scholler, würde er deswegen das Projekt kleiner anfangen und erst mit der Registrierung einiger weniger Landwirt*innen beginnen. Für andere Projekte empfiehlt er, sich nicht von der technischen Komponente ablenken zu lassen. Das Wichtigste bleibe weiterhin, wie das Projekt koordiniert, umgesetzt und überwacht wird (die Management-Komponente). Weiterhin gilt es, Geduld mitzubringen. Auch wenn der Druck von Geldgebern steigt: Die Umsetzung von Digitalprojekten erfordert eine realistische Zeitplanung, meist länger als zunächst erhofft. Außerdem empfiehlt Scholler, so nah wie möglich an bestehenden Abläufen zu bleiben. Erfolgreiche Projekte bauen meistens auf dem auf, was bereits in der analogen Welt geschieht. Sie nehmen Probleme in Angriff, die auf dem analogen Weg nicht – oder nicht effizient oder kostengünstig – lösbar sind.
Dieser Text von Julia Manske und Melanie Stilz ist erschienen im NGO-Report „Tech for Good: Möglichkeiten und Grenzen digitaler Instrumente in der Entwicklungszusammenarbeit von Nichtregierungsorganisationen“, herausgegeben von VENRO im Januar 2019 (S. 22f.).