Zehn Jahre Welthunger-Index
Zehn Jahre Welthunger-Index – eigentlich kein Grund zum Feiern. Denn das heißt ja, dass Hunger und Mangelernährung immer noch ein relevantes Problem sind.
16. Oktober: Welternährungstag.
Wir haben vor Kurzem den Welthunger-Index 2015 (WHI) zusammen mit den Mitherausgebern IFPRI (Internationales Forschungsinstitut für Ernährungs- und Entwicklungspolitik) und Concern Worldwide in Berlin und Mailand vorgestellt.
Andererseits heißen zehn Jahre Welthunger-Index auch, dass dieser Index, der einen Überblick über die Hungersituation auf globaler, regionaler und nationaler Ebene gibt, ein wichtiges Instrument ist. Wir schaffen damit Aufmerksamkeit für den Skandal, dass Hunger und Unterernährung noch immer in Kauf genommen werden. Mit dem Welthunger-Index bewerten wir die Erfolge und Rückschläge in der Hungerbekämpfung und lenken das Augenmerk auf die Regionen, in denen der Handlungsbedarf am größten ist. Wir fragen, woran es liegt, dass einige Länder in den vergangenen 15 Jahren große Fortschritte gemacht haben und sich in anderen nur wenig verändert hat.
Bewaffnete Konflikte und Hunger
Einen Grund, der dabei eine große Rolle spielt, schauen wir uns in diesem Jahr genauer an: bewaffnete Konflikte. Der Welthunger-Index zeigt, dass die Ernährungssituation in den Ländern, die sich im Krieg befinden oder in denen gewaltsame Konflikte noch nicht lange zurückliegen, in der Regel dramatisch schlecht ist.
Gerade aus vielen der Länder, in denen zurzeit Krieg herrscht, lagen aber in diesem Jahr keine Daten zu Hunger und Unterernährung vor, so dass kein Index-Wert berechnet werden konnte. Sie tauchen auf unserer Hunger-Karte als graue Flecken auf – die Demokratische Republik Kongo, Somalia, Südsudan und Syrien zum Beispiel. Es ist fatal, dass in diesen Ländern, von denen wir annehmen müssen, dass die Hungersituation gravierend ist, keine oder nur unzureichende Daten erhoben werden können. Sie wären wichtig, als Orientierung für Politiker und Hilfsorganisationen wie der Welthungerhilfe, damit die Unterstützung tatsächlich denjenigen zukommt, die sie am dringendsten benötigen.
Bei den Verantwortlichen für Ernährungssicherung in der Europäischen Kommission hängt unsere WHI-Karte im Büro und wird als ein Kriterium zur Entscheidung genutzt, wie viel Geld für Ernährungssicherungsprogramme in welche Länder fließt.
Der Welthunger-Index ist ein Instrument – aber wie alle Instrumente beweist sich sein Wert erst, wenn es auch genutzt wird.
Andrea SonntagWelthunger-Index: Regierungen in die Pflicht nehmen
In den Ländern, die im WHI-Ranking ganz oben stehen – in denen also die Hungersituation besonders ernst ist – sorgt die Veröffentlichung des Welthunger-Index jedes Jahr für Aufregung. Regierungen versuchen, ihr schlechtes Abschneiden zu rechtfertigen oder stellen es sogar in Frage – dabei nutzt der WHI nur öffentlich verfügbare Daten, die durch die Länder, mit Unterstützung durch UN-Organisationen, selbst erhoben werden.
Nach Erscheinen des ersten Welthunger-Index 2006 war Indiens schlechtes Ranking Anlass für eine Parlamentsdebatte, in der verschiedene Ministerien zum offensichtlichen Verbesserungsbedarf an ihren Programmen zur Bekämpfung von Hunger und Mangelernährung Stellung nehmen mussten.
Auch die Zivilgesellschaft in diesen Ländern nutzt den Welthunger-Index, um Rechenschaft und ein stärkeres Engagement von ihrer Regierung einzufordern. Und die Welthungerhilfe tut das natürlich auch. Wir nehmen die Veröffentlichung des WHI jedes Jahr zum Anlass, um politische Entscheidungsträger, die Zivilgesellschaft und auch Vertreter der Privatwirtschaft miteinander ins Gespräch zu bringen. Sowohl in Berlin und Brüssel, als auch in unseren Partnerländern, zum Beispiel zum Thema Landgrabbing (WHI 2012).
Konsum und Ernährungssicherheit
Zurzeit arbeiten wir auch daran, dass Zertifizierungssysteme für Biomassenutzung (Beispiel: www.gras-system.org) den Welthunger-Index als Kriterium im Rahmen des Zertifizierungsprozesses aufnehmen.
Das hieße, dass zum Beispiel bei der Zertifizierung von Plantagen, aus denen das Palmöl für Cremes und Schokoriegel stammt, nicht mehr nur Umweltkriterien oder Arbeitsstandards eine Rolle spielten, sondern auch die Ernährungssituation der Menschen, die auf den Plantagen arbeiten oder in ihrem Umfeld leben. So wird es in Zukunft hoffentlich für Unternehmen und Politiker immer schwieriger, sich um die Frage zu drücken, welche Auswirkungen die Produktion von Rohstoffen für unseren Konsum auf die Ernährungssicherheit der Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern hat.