Mehr zur Situation in der Demokratischen Republik Kongo.
Aufbau ohne Ende
Im von Kriegen und Gewalt geplagten Kongo ist Wiederaufbau nicht einfach. Mit unermüdlichem Einsatz leistet Welthungerhilfe-Mitarbeiter Georg Dörken dort trotzdem seit Jahrzehnten humanitäre Hilfe - mit Erfolg.
Der Krieg kommt zu Fuß die Straße hinauf. In Gestalt eines vielleicht zwölfjährigen Jungen. Die Kalaschnikow baumelt ihm am Hals, seine Arme liegen auf dem Lauf und dem Kolben. Es ist eine kurze, unwirkliche Begegnung.
Der Kindersoldat fühlt sich sicher, weil die Regierungstruppen der Demokratischen Republik Kongo die Region Masisi nicht kontrollieren. Hier, in diesem wunderschönen Landesteil im Osten, haben die „Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas“, kurz FDLR, das Sagen. Oder besser: Irgendein Ableger davon. Jedenfalls eine Hutu-Miliz.
Die meisten Menschen in den Dörfern sind ebenfalls Hutus, Flüchtlinge oder deren Nachfahren. 1994 waren Hutus verantwortlich für den Genozid an den Tutsis im benachbarten Ruanda. Nachdem dort eine Tutsi-Rebellenarmee militärisch die Oberhand gewonnen hatte, flohen viele Hutus hierher.
Gewalt und Kriege sind Hungertreiber
In dem Land, das etwa so groß ist wie Westeuropa und in dem geschätzt 80 bis 90 Millionen Menschen leben, dürfte es keinen Mangel geben. Es ist reich an Bodenschätzen wie Kupfer, Coltan, seltene Erden und Erdöl. Das Klima lässt mehrere Ernten zu.
Aber seit Jahrzehnten toben hier Gewalt und Kriege, in die sich selbst Nachbarländer wie Uganda oder Ruanda eingemischt haben. Die Rohstoffe sind auch ein Fluch. Sie werden geraubt, illegal verkauft und unter unmenschlichen Bedingungen gefördert.
Seit 2001 herrscht hier Präsident Joseph Kabila. Sein Vater war sein Vorgänger und wurde von eigenen Leibwächtern ermordet. Kabila gilt als extrem korrupt. Sein Vermögen wird auf 15 Milliarden Dollar geschätzt. Die längst fälligen Wahlen hat er immer wieder hinausgeschoben. Das destabilisiert das Land zusätzlich. Mehr als 120 Rebellengruppen verschiedener Ethnien kämpfen um Macht und Geld. Sie rauben, morden, vergewaltigen.
Georg Dörken hat trotzdem immer wieder von vorn angefangen. Er hat dazu beigetragen, dass die Millionenstadt Goma nach einem Vulkanausbruch wieder einen Flughafen bekam, hat Fähren bauen lassen und Hutu-Flüchtlinge beschützt. Er sieht sich als humanitärer Helfer.
„Humanitäre Hilfe gilt uneingeschränkt“, sagt er. Als seine Frau und die beiden Kinder noch mit ihm im Kongo waren, wurde die Familie 1996 Zeuge eines Artilleriegefechts und erlebte mehrfach Evakuierungen. Irgendwann ging es nicht mehr. Doch Dörken konnte sich nicht lösen, kam allein in den Kongo zurück.
Zugang zu Märkten heißt: Hunger beseitigen
Nun steht er auf dieser Straße, die 33 Kilometer lang ist. „Feeder Road“ nennt er sie. Solche nicht geteerten, aber befestigten Straßen sind wichtig, sie verbinden die Dörfer mit den lokalen Märkten. „Wir haben festgestellt, dass nach dem Bau die Preise, die Bauern etwa für Bohnen erzielen konnten, manchmal um das Siebenfache gestiegen sind. Das führt dazu, dass mehr angebaut wird, Schulgeld gezahlt werden kann und junge Leute nicht aus Not zu den Milizen gehen.“
Etwa einmal im Monat müssen die Mitarbeiter der Welthungerhilfe aus der Gegend verschwinden, weil die Auseinandersetzungen zwischen Regierungssoldaten und der Hutu-Miliz eskalieren. Grundsätzlich lässt die FDLR die Straßenbauer aber gewähren. Faly Rahainsoson, der Bauleiter und ein alter Freund Dörkens, ruft auf Deutsch fröhlich „Guten Tag“ und sagt auf Französisch: „Wir schicken, bevor wir anfangen, unsere Sicherheitsleute in die Dörfer. Sie reden mit den Rebellen. Wir erklären ihnen, dass wir Arbeitsplätze schaffen und dass unsere Arbeit gut für ihre eigenen Leute ist. Dann lassen sie uns in Ruhe.“
Faly Rahainsoson, der aus Madagaskar kommt, in Hannover studiert hat und schon seit neun Jahren im Kongo arbeitet, schaut auf seine Baumaschinen, die teuer und hier sehr selten sind. „Wenn wir uns zurückziehen müssen, damit wir nicht zwischen die Fronten geraten, schaffen wir die Maschinen ins Dorf.“ Dort müssen sie bewacht werden. „Die Wächter bekommen so viel, als ob sie an der Straße bauen würden.“ Drei Dollar am Tag. Bezahlte Arbeit ist hier noch knapper als sauberes Trinkwasser.
Dort wo gekämpft wird, verkommen die Verkehrsadern
Mehrere Frauen und Männer bauen mit Hacken und Schaufeln die Kurve der Straße aus. „Wir wollen unbedingt, dass die Straße bald fertig wird“, ruft eine Frau. Und dann? Wer soll sich später um ihren Erhalt kümmern? „Die Welthungerhilfe“, sagt die Arbeiterin. „Die muss bleiben. Sonst geht das hier alles wieder den Bach runter.“ Vor Jahren wurde mit europäischem Geld die Nationalstraße von Goma bis südlich von Lobito gebaut. Hunderte Kilometer. Der Teil von Goma bis ins 80 Kilometer entfernte Kitchanga ist schon wieder kaputt. „Entscheidend ist, ob die Straßen durch Unruhegebiete führen oder nicht“, sagt Georg. „Dort wo ständig gekämpft wird, verkommen auch die Verkehrsadern.“
Die Regierungstruppen sollen für Ruhe und Ordnung sorgen. Aber sie sind schlecht ausgerüstet, und die Soldaten bekommen oft keinen Lohn. Deshalb ist ihre Bereitschaft hoch, sich kaufen zu lassen oder die Zivilbevölkerung zu terrorisieren. Und dann ist da noch Monusco, die Blauhelm-Mission für die Demokratische Republik Kongo. Seit 1999 ist sie im Land. Vor kurzem wurden in der Umgebung 15 tansanische UN-Soldaten ermordet, vermutlich von muslimischen Milizen. „Die UN-Soldaten hatten lange Zeit ein schwaches Mandat“ erzählt Georg.
Zwar schafften sie es, Goma von Rebellen zu befreien. „Aber wenn man sich die Kampfkraft der UN-Truppen anschaut, dann ist sie gegenüber den Rebellen und Milizen viel zu gering.“ Ungefähr 16.000 Soldaten aus Dutzenden Ländern sind in der Demokratischen Republik Kongo. Auch sie schauen gespannt auf die Wahl im Dezember und meinen: Wer immer der Nachfolger von Joseph Kabila werde, er sei mit Sicherheit ebenfalls korrupt.
Auf der im Bau befindlichen Straße im Hutu-Rebellengebiet kommen immer wieder Frauen vorbei. Vorläufig bleiben sie das wichtigste „Transportmittel“. Mit Säcken, die ein Stirnband haben, schleppen die Frauen, die man hier „Mama Toyota“ nennt, kilometerlang schwerste Lasten. Männer laufen manchmal Arme schlenkernd hinterdrein. Auch so ein Missstand, der nicht verschwinden will. „Der Kongo ist meine zweite Heimat geworden“, sagt Georg, „aber vieles hier schmerzt schon sehr.“
Zuerst erschienen in der Märkischen Oderzeitung.