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  • Krisen & Humanitäre Hilfe
  • 08/2020
  • Louis Dorvilier, Marie Dargentre

Wie der Kongo gegen mehr als eine Krise kämpft

Dem zehnten Ebola-Ausbruch folgt der elfte, Covid-19 breitet sich aus, und die Masern-Epidemie wird vergessen. Ein Lagebericht.

Das Krankenhaus in Beni. Die Region im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo war von der 2018 bis 2020 grassierenden Ebolafieber-Epidemie am stärksten betroffen. Jetzt gibt es einen neuen Herd im Nordwesten. © World Bank / Vincent Tremeau

Die Menschen in der Demokratischen Republik Kongo haben gerade mit einer dreifachen Gesundheitskrise zu kämpfen. Seit neuestem wird die Bevölkerung in der nordöstlichen Provinz Equateur mit Impfstoff und Medikamenten zur Behandlung des Ebola-Fiebers versorgt. Der neue Ebola-Ausbruch ist der elfte im Kongo. Dabei ist der zehnte Ausbruch noch nicht vorbei: Im Osten des Kongo, etwa 1200 Kilometer entfernt, sind seit August 2018 mehr als 2200 Menschen daran gestorben. Im Osten kommt eine Masernepidemie hinzu, mit bisher mehr als 5600 Toten. Und auch die Zahl der bekannten Corona-Infektionen steigt. Congo liegt mit 3 745 bestätigten Fällen auf Platz 20 in Afrka. Stand Mitte August gab es 60 Tote. Die Führung des Landesbüros der Welthungerhilfe in Goma schildert die Lage.

Gesundheitssystem überfordert außerhalb der Städte

Die Lage ist komplex. Die meisten Städte verfügen über eine recht gute Gesundheitsinfrastruktur und medizinisches Personal, das in den besten europäischen oder amerikanischen Schulen gut ausgebildet wurde. Das Hauptproblem liegt außerhalb der Städte, in den ländlichen Gebieten, wo es an Versorgung mangelt, weil die Straßeninfrastruktur ebenso schlecht ist wie die Gesundheitseinrichtungen. In dem Sinn ist das Land insgesamt eindeutig nicht dafür gerüstet, all die Krankheitsepidemien wie Ebola, Cholera und jetzt Corona aufzuhalten. Auf dem Land ist der Zugang zu Gesundheitsdiensten aufgrund von Unsicherheit sowie von Mangel an Geld, Personal und Medikamenten weiter eingeschränkt. Nur sehr wenige Straßen sind während der Regenzeit befahrbar, und die Gesundheitszentren in den von Konflikten betroffenen Gebieten sind völlig überfordert.

Wie viele Intensivbetten es im Land gibt, darüber gibt es keine spezifischen Angaben. Aber es stehen nur 50 Beatmungsgeräte zur Verfügung . Andere Regierungen haben Unterstützung geschickt, darunter China, die Europäische Union, die USA, und wahrscheinlich auch andere. Viele NGOs und UN-Organisationen, wie UNICEF und die WHO, sind ebenfalls an den Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie beteiligt.

Neue Covid-19-Labore erst nach Protest

Das Epizentrum der Covid-19-Infektionen in der DR Kongo ist nach wie vor Kinshasa. Das Virus breitet sich aber in vielen anderen Regionen schnell aus. Am 22. Juli hat Präsident Felix Antoine Tshisekedi jedoch den Ausnahmezustand für beendet erklärt. Nun sind Bars, Restaurants, Hotels, Geschäfte und öffentliche Verkehrsmittel wieder geöffnet. Grenzen, Flughäfen, Clubs, Kirchen und Schulen sollten Mitte August wieder öffnen. Die Befürchtung, dass die Fälle in vielen Provinzen und Städten im ganzen Land zunehmen werden, scheint sich zu bewahrheiten. Die Infektionszahlen steigen.

Seit dem Protest von Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege gegen die unangemessene Reaktion der Regierung wurden die Städte Bukavu und Goma mit neuen Laboren ausgestattet, um mehr Menschen auf das Coronavirus zu testen. Die Zentralregierung und die Provinzen haben die Abstandsregeln und die Hygienemaßnahmen verlängert, um die Ausbreitung einzudämmen. Es ist aber schwieriger geworden, diese durchzusetzen, wenn der Ausnahmezustand ausläuft und die Polizei über kein Instrument der Durchsetzung mehr verfügt.

Die Befürchtung, dass die Covid-19-Fälle in vielen Provinzen und Städten im ganzen Land zunehmen werden, scheint sich zu bewahrheiten.

Louis Dorvilier Landesdirektor Welthungerhilfe

Jetzt verstärken viele internationale NGOs ihre Mobilisierungs-, Präventions- und Informationsaktivitäten rund um Covid-19, um die Dringlichkeit von Vorsorge und Hygiene in der breiten Öffentlichkeit hoch zu halten.

Gesundheitskrisen gehören zum Alltag der Haushalte

Die Haushalte spüren die Krise vor allem auf wirtschaftlicher Ebene, da wegen Corona die Grenzen geschlossen wurden und deswegen die Preise auf den meisten Märkten in der Provinz Nord-Kivu gestiegen sind. Ein Shutdown ist in der DRK nicht möglich, so dass sich das tägliche Leben nicht wesentlich verändert hat. Es ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Menschen an Gesundheitskrisen gewöhnt sind, und obwohl Covid-19 für viele in Europa eine dramatische Erfahrung ist, wird sie hier nicht wirklich so empfunden.

Andere NGOs haben interessante Analysen zur "Gemeinschaftswahrnehmung" und zu Gerüchten durchgeführt. Sie zeigen, dass viele Menschen glauben, Covid-19 sei vollständig von "weißen Menschen" erfunden worden, um ihre Anwesenheit in der DRK nach Ebola zu rechtfertigen. Sie scheinen auch zu glauben, dass es sich um eine "Ausländerkrankheit" handelt, oder dass sie von der Regierung oder vom Ausland eingeschleppt wurde, um ihre Nation zu schwächen. Das gilt sowohl für Menschen, die von Projekten der Welthungerhilfe profitieren, wie für Menschen außerhalb unserer Projekte – obwohl es hier einen Unterschied geben müsste.   

Ein Projekt der Welthungerhilfe in der DR Kongo: In einem Schulungsgarten werden Methoden des Gemüseanbaus vermittelt. Hier wird Knoblauch angebaut. © Kai Loeffelbein / Welthungerhilfe

Kontaktsperren erschweren NGO-Arbeit

Die von uns geleistete Unterstützung steht nicht immer im Zusammenhang mit der Gesundheitskrise. Unsere Einsätze sind komplexer und schwerer geworden, weil wir durch unsere eigenen Sicherheitsvorkehrungen für Mitarbeiter und Teilnehmer sowie durch Kontaktsperren der Regierung eingeschränkt sind. Es ist schwieriger, mit großen Gruppen von Gemeindemitgliedern oder Vertriebenen zu arbeiten. Zum Beispiel ist es verboten, mehr als 20 Personen auf einmal zu versammeln, was sich natürlich auf alle unsere Verteilungsaktionen, Schulungen und Gemeindetreffen auswirkt – und auf unsere Aktivitäten zum sozialen Zusammenhalt, die in den Konfliktregionen benötigt werden. Der Bedarf an humanitärer Hilfe ist von den UN-Organisationen für 2020 inzwischen von 15,6 auf 25,6 Millionen Notleidende hochgestuft worden.

Komplette Shutdowns gibt es weder in der DR Kongo noch in den meisten afrikanischen Ländern, mit Ausnahme Ruandas. Die meisten Haushalte haben weder Strom noch einen Kühlschrank, sie könnten zu Hause nicht mehrere Tage ohne Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs überleben. Teile der Hauptstadt Kinshasa wurden unter Quarantäne gestellt, aber es scheint, dass die Menschen sich immer noch frei bewegen oder in Geschäfte gehen können.

In Goma, so sich das WHH-Koordinationsbüro befindet, sind Masken in öffentlichen Räumen vorgeschrieben, und die Polizeikräfte haben die Menschen recht gut dazu gebracht, diese Regel zu befolgen. Die meisten Menschen auf den Straßen tragen Masken. In anderen Städten und in ländlichen Gebieten gibt es keine Maskenpflicht. Auf öffentlichen Plätzen entfiel sie ab dem 22. Juli. Auch nur noch wenige Unternehmen setzen sie durch.

Wenig Lärm um Rückkehr von Ebola...

Die Zentralregierung und die Koordinationsstelle zum Kampf gegen Ebola haben das Ende des 10. Ausbruchs im Land ausgerufen. Inzwischen gibt es einen bestätigten 11. Ebola-Ausbruch, der derzeit in der Provinz Equateur unter Beobachtung steht. Über die jüngste Entwicklung herrscht weitgehende Stille. Ein Umstand, der durch die Dringlichkeit der Reaktionen auf die Corona-Krise verschärft wird.

...und Schweigen über die Masern-Epidemie

Es ist ernsthaft und definitiv zu befürchten, dass der Fokus auf die Bekämpfung von Covid-19 zu einer fortgesetzten Vernachlässigung anderer vermeidbarer Krankheiten wie Masern oder Cholera führt.Ebola hat schon die Aufmerksamkeit der Medien gebunden. Und das hat sich negativ auf die humanitäre Hilfe und die strukturelle Finanzierung des Gesundheitssystems in der DR Kongo ausgewirkt. Die Mittel und Kampagnen zur Bekämpfung anderer Krankheiten einschließlich Masern [9] – obwohl die Todesziffer bei Masern viel höher ist –  sind sehr begrenzt. Je mehr Covid-19 sich ausbreitet, desto mehr befürchten wir, dass sich das wiederholt und die Mittel für die anderen Krankheiten weiter reduziert werden.

Louis Dorvilier, Landesdirektor der Welthungerhilfe in der D. R. Kongo.
Louis Dorvilier Welthungerhilfe D.R. Kongo
Marie Dargentre, Head of Programmes, Welthungerhilfe Goma office, DR Congo
Marie Dargentre Welthungerhilfe

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