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„Ich dachte oft an den Krieg - jetzt träume ich von einer besseren Zukunft“
In den letzten Jahren sind viele Menschen aus dem Südsudan vor dem Bürgerkrieg nach Uganda geflohen. Im Flüchtlingscamp Bidi Bidi schaffen Ausbildungsmöglichkeiten jetzt Perspektive – und eine neue Lebenslust.
In der Flüchtlingssiedlung Bidi Bidi in Uganda stehen die Menschen bei Betty Gire Schlange. Die 29-Jährige ist weit und breit die einzige Schneiderin und der Andrang groß.
Betty trägt selbst eines ihrer bunten, geschneiderten Kleider. Sie hat tatsächlich auch großes Talent – das sagen ihr die Dorfbewohner*innen immer wieder – und darauf ist sie stolz, daran hat sie Freude. Grinsend sitzt sie hinter ihrer Nähmaschine. Neben ihr warten mehrere Kund*innen – alle hoffen, dass Betty ihnen noch ein bisschen Zeit widmen kann.
„Ich liebe meinen Job“, erzählt Betty. „Eigentlich träume ich noch von viel mehr: Ich möchte mein Geschäft erweitern, mich weiterbilden und meinen Kindern dann die beste Ausbildung bieten. Sie sollen Doktoren und Pilotinnen werden“, lacht sie. Aber dann wird sie wieder ernst. „Seit meiner Ausbildung habe ich so viel Freude und Perspektive gefunden. Ich bin dafür dankbar, aber ich trage auch die Erinnerungen schwierigerer Zeiten mit mir.“
Die Flucht aus dem Südsudan
Betty kommt ursprünglich aus dem Südsudan. Das ostafrikanische Land hat erst 2011 seine Unabhängigkeit erlangt, aber seit 2016 herrscht dort effektiv Bürgerkrieg. Mehr als 2,3 Millionen Menschen sind geflohen; die Hälfte dieser Flüchtlinge leben – so wie auch Betty – im benachbarten Uganda.
„Die Rebellen haben unser Dorf überfallen“, erinnert sich Betty, die zu diesem Zeitpunkt einen Säugling und zwei Mädchen im Kindergartenalter hatte. „Überall wurden Menschen erschossen und Häuser ausgeraubt und niedergebrannt. Frauen wurden vergewaltigt und viele Familien starben auf der Flucht, besonders Kinder. Sie hatten kein Wasser und keine Nahrungsmittel und waren erschöpft. All das habe ich gesehen; diese Bilder lassen mich bis heute nicht los. Ich hatte solche Angst um unser Überleben.“
Betty schaffte es nach mehreren Tagen Flucht zu Fuß nach Uganda; ihren Ehemann ließ sie zurück. „Er wollte nicht mit uns kommen; er wollte sich nicht um seine Familie kümmern“, erzählt Betty leise. Mehr geht sie darauf nicht ein. Seitdem zieht sie ihre Kinder alleine groß. Auch Bettys Eltern leben in Bibi Bidi, somit hat die junge Mutter und Geschäftsfrau ein wenig Unterstützung.
Mittlerweile leben fast 200.000 geflüchtete Menschen in Bidi Bidi. Betty hat sich hier ein kleines Lehmhaus gebaut, aber seitdem sie letztes Jahr ihre Berufsausbildung abgeschlossen hat, hofft sie, bald ein größeres Haus zu bauen. Täglich hat sie mindestens sechs Kund*innen – für jedes Kleidungsstück braucht sie ungefähr ein bis zwei Stunden.
Ausbildung im Trainingszentrum der Welthungerhilfe
Die junge Schneiderin hat ihre Ausbildung im Trainingszentrum der Welthungerhilfe abgeschlossen. Dort werden Flüchtlinge und Menschen aus Uganda zusammen unterrichtet. „Beispielsweise können Schüler*innen hier handwerkliche Berufe erlernen wie das Tischlern oder Schneidern“, erklärt Sam Isaac, Leiter des Zentrums. „Die Ausbildung dauert sechs Monate und geht direkt in ein Praktikum über“, fügt er hinzu.
Ich habe so viele Pläne und momentan scheint es so, dass sich diese realisieren lassen, solange ich hart dafür arbeite.
Betty Gire ist aus dem Südsudan geflohen und hat sich in Uganda ein neues Leben aufgebaut.Der Ausbildungsplatz zur Maßschneiderin war letztes Jahr in Bidi Bidi ausgeschrieben und Betty war eine der ersten Bewerber*innen, erzählt sie. Während ihrer Ausbildungszeit konnte sich Bettys Familie um die Kinder kümmern – heute spielen diese nach der Schule meistens direkt vor dem Schneiderladen ihrer Mutter.
Motivation und Kraft hatte Betty schon immer, doch die Ausbildung hat ihr nochmals neuen Antrieb gegeben, erzählt sie. Auch andere Schüler*innen sehen das so.
Ein Ort der Begegnung
Die 19-jährige Leticia Faith ist eine von ihnen; sie ist derzeit Schülerin im Ausbildungszentrum der Welthungerhilfe. Wie Betty lernt auch sie das Schneidern. „Schon als Kind wollte ich immer Schneiderin werden. Jetzt ist es nicht nur ein Traum“, sagt sie, während sie im Klassenzimmer vor ihrer Nähmaschine sitzt.
Leticia kommt aus Uganda; vor ihrer Ausbildung kannte sie eigentlich niemanden aus dem Südsudan persönlich. „Am Anfang war das ein bisschen schwierig, weil wir andere Sprachen sprechen“, gibt Leticia zu. „Mittlerweile haben wir uns angefreundet und sogar gegenseitig unsere Sprachen gelernt. Ich habe jetzt so viele neue Menschen in meinem Leben“, sagt sie.
Leticia möchte nach ihrer Ausbildung ihr eigenes Geschäft eröffnen. Zuvor war sie meist zu Hause; selbst die Schule hatte sie ursprünglich nicht beendet.
„Jedes Semester kommen 70 Prozent unserer Azubis aus Flüchtlingsländern – meist aus dem Südsudan und dem Kongo – und 30 Prozent aus Uganda“, erklärt Leiter Sam Isaac. „Integration ist einer der wichtigsten Aspekte hier. Wir kämpfen hier gegen Diskriminierung, wir vermitteln Toleranz und Akzeptanz für alle.“
Ähnlich wie Leticia hat auch Betty das gemeinsame Miteinander erfahren: Die anderen Azubis waren herzlich und offen.
Eine neue Perspektive
Neben ihrer Familie und der Arbeit, denkt Betty nun oft über die nächsten Jahre nach – und auch die Hoffnung, eines Tages wieder in ihre geliebte Heimat zurückkehren zu können. „Vor der Ausbildung dachte ich noch oft an den Krieg zu Hause, an meinen Mann und an die Schwierigkeiten hier. Jetzt träume ich von einer besseren Zukunft.“