
Vielfalt und Zusammenhalt schenken Hoffnung
Zainab erinnert sich an jedes einzelne Jahr im Libanon: Sieben sind es genau. Sieben Jahre, seitdem die syrische Lehrerin nicht mehr arbeiten konnte; sieben Jahre seitdem sie ihre Heimatstadt Homs in Trümmern zurückgelassen hat.
Heute ist sie 38, hat – gemeinsam mit ihrem Mann – drei Kinder und lebt in Libanons Bequaa Ebene. Eigentlich nur eine kurze, ungefähr dreistündige Fahrt von Homs, aber in ihre Heimat traut sie sich weiterhin nicht zurück. Ihre jüngste Tochter Asanat, die zweieinhalb Jahre alt ist, war noch nie in Syrien. Ihre älteren Kinder können sich kaum an die Heimat erinnern.
Kein Staat hat im Verhältnis zu seiner Einwohner*innenzahl mehr syrische Geflüchtete aufgenommen als der Libanon. Knapp 1,5 Million registrierte Geflüchtete aus Syrien finden hier Schutz. Dabei steht das Land kurz vor einem wirtschaftlichen Kollaps. Zu einer rasant steigenden Inflation kommen die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Große Teile der lokalen Bevölkerung kann ihren Lebensunterhalt nicht mehr sichern, auch die Lage der Geflüchteten verschlechtert sich und soziale Spannungen nehmen zu. Ein Landwirtschaftsprojekt der Welthungerhilfe im Bequaa-Tal wirkt dem entgegen, stärkt lokale Märkte und schafft Existenzgrundlagen.

Ich bekomme Hilfe von zwei syrischen Familien. Gemeinsam bewirtschaften wir die Felder und die Gewächshäuser und lernen voneinander.
Zein Kassem Raad Teilnehmer des ProjektesAuf dem Land ist die Armut am Größten
Zainab fühlt sich im Libanon zwar sicher, doch sie gibt auch zu, dass es nicht einfach ist. Der Wunsch nach Syrien zurückzukehren ist groß, eines Tages hofft sie darauf. „Meine Kinder gehen hier nicht zur Schule, was heißt, dass ich sie selbst unterrichte. Natürlich würde ich gerne Vollzeit arbeiten, aber wir leben hier als Geflüchtete. Es gibt wenige Arbeitsmöglichkeiten und die wirtschaftliche Situation ist selbst für die Libanesen nicht einfach.“
Wie unter einem Brennglas zeigen sich die großen Probleme des Libanons in Bequaa, Libanons wichtigste Region für Landwirtschaft. Ein Bürgerkrieg und nachfolgende Krisen haben den Agrarsektor schwer zurückgeworfen. Rund 40 Prozent der Landarbeitenden leben in Armut, es trifft sie schlimmer als jede andere Berufsgruppe. Seit aber Tausende Familien aus Syrien hierher flohen, hat sich der Druck auf Ressourcen und Jobs noch um ein Vielfaches erhöht. Baalbek-Hermel heißt der Verwaltungsbezirk, in dem das fruchtbare Tal liegt.
Verbesserte Chancen für die libanesische und syrische Bevölkerung
Es fehlt hier jedoch an allem, um das Potenzial der Region auszuschöpfen. Die Betriebe sind für ausreichende Gewinne zu klein, es gibt weder Informationen über effektive Landwirtschaft noch Finanzierungsmöglichkeiten für Investitionen. Dabei wäre es so wichtig, mehr Nahrungsmittel anzubauen, denn um die gesamte Nachfrage zu decken, muss der Libanon bis zu 80 Prozent seines Bedarfes importieren. Ein Projekt der Welthungerhilfe mit der libanesischen Organisation LOST, unterstützt vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wirkt dem entgegen. Es zielt darauf ab, die Chancen und Lebensbedingungen libanesischer und syrischer Gemeinden zu verbessern, die Rentabilität der Landwirtschaft zu erhöhen und soziale Spannungen abzubauen.
Seit einigen Wochen nimmt Zainab an einem Kurs zur Nahrungsmittelverarbeitung teil. Hier lernt sie, Lebensmittel einzulegen oder einzukochen, die sie dann über die nächsten Monate aufbewahren und verkaufen kann. Dadurch erhält sie einen kleinen monatlichen Lohn. Insgesamt 100 Frauen werden in der Bekaa-Ebene von LOST ausgebildet.

Bessere Preise durch Zusammenhalt
Ein ernstes Problem für viele Bauernfamilien in ländlichen Gebieten ist ihr begrenzter Zugang zu lokalen Märkten und fehlendes Vernetzen mit anderen Produzierenden. Oft müssen sie ihr Gemüse zu niedrigen Preisen verkaufen, in manchen Fällen sogar einen Teil der Ernte wegwerfen. Die meisten Bäuer*innen sind von einer einzelnen Person abhängig, die den Handel mit den Produkten übernimmt und die Preise frei bestimmen kann. Mit der Gründung von Bauerngenossenschaften und Netzwerken helfen die Welthungerhilfe und LOST den kleinbäuerlichen Betrieben, ihre Marktposition durch gemeinsame Ein- und Verkäufe zu verbessern. Ihre Produkte werden wettbewerbsfähiger.
Die Welthungerhilfe und ihre Partner unterstützen Menschen in Syrien, der Türkei und dem Libanon.
„Wir arbeiten mit Landwirt*innen, die von uns saisonweise Samen und Düngemittel erhalten. Den landwirtschaftlichen Ertrag kaufen wir den Bäuer*innen dann gerne zum Teil wieder ab, um daraus die eingelegten Lebensmittel herzustellen. Das hilft uns, aber ebenso den Landwirt*innen. Wir gestalten unsere Programme so, dass wir die Menschen praktisch vom Anfang bis zum Ende hin unterstützen; sozusagen vom Feld auf die Gabel“, erzählt Tarek Chibli, Projektmanager bei LOST.
Libanesische wie auch syrische Landwirt*innen werden in effizienten und rentablen Anbautechniken geschult. Sie lernen neue Produkte kennen und werden ermutigt, ihre Sortenvielfalt zu erhöhen, um die Felder das ganze Jahr über bewirtschaften zu können, mehr und hochwertiger zu ernten und dadurch zuverlässig bessere Einkommen zu erzielen. „Mehrere Sorten bedeuten auch eine Art Risikomanagement im Falle eines Ernteausfalls“, erläutert Projektteilnehmer Osmen Dib Bayen. Und seine Nichte Najeya Mhamad Bayen ergänzt: „Bevor wir an diesem Projekt teilgenommen haben, pflanzten wir unsere Tomaten auf dem Feld. Jetzt benutzen wir das Gewächshaus. Das macht die Arbeit sehr viel einfacher und außerdem sind wir nicht vom Wetter abhängig.“
Mehr Zusammenarbeit – weniger Vorurteile
Für Zainab ist der Lebensmittelverarbeitungs-Kurs vor allem aus zwei Gründen wichtig. ,,Das ist jetzt das erste Mal in sieben Jahren, dass ich wieder eine Arbeit habe,’’ sagt sie, und schiebt dabei frische grüne Tomaten in ein Einmachglas. „Gleichzeitig lerne ich hier auch neue Leute kennen. Einige stammen ebenfalls aus Syrien, andere kommen aus Baalbek, der Stadt, in der wir jetzt wohnen. Wir verstehen uns gut und haben uns zum Teil auch privat angefreundet. Für mich bedeutet das Integration. Ich fühle mich dadurch mehr zu Hause.”
Zainab hat sich entschlossen, ihr eigenes Geschäft zu eröffnen, sobald sie den Kurs ab-geschlossen hat. „Produktentwicklung und Marketing gehören ebenfalls zu unserem Un-terricht, was mir helfen wird, mich selbstständig zu machen,” sagt die dreifache Mutter.
Wie es für die Familie langfristig weitergeht, ist, so sagt Zainab, unklar. „Momentan bleiben wir erst einmal hier in Baalbek,” meint sie entschlossen. „Ich hätte nicht gedacht, nochmal in einem anderen Beruf zu arbeiten, aber vielleicht ist das jetzt ein Neuanfang,” meint die syrische Lehrerin lachend.
So hilft die Welthungerhilfe im Libanon
- Libanesische und syrische Landwirt*innen erhalten Schulungen zu effizienten und rentablen Anbautechniken.
- Neue Produkte sorgen für Sortenvielfalt und dadurch zu zuverlässigeren Ernten.
- Bauerngenossenschaften ermöglichen Wettbewerbsfähigkeit.
- Verbesserung des sozialen Zusammenhalts und des psychologischen Wohlbefindens in den Zielgemeinden
- Landwirtschaftliche Ausbildung von libanesischen und syrischen Jugendlichen
- Insgesamt werden 12.500 Personen direkt von dem Projekt profitieren.