Die 17 Nachhaltigkeitsziele im Überblick.
SDG Halbzeitbilanz – so steht es um die Nachhaltigkeitsziele
Stagnation im Angesicht multipler Krisen – Zwischenbilanz der 17 Nachhaltigkeitsziele und Rückblick auf den SDG-Gipfel 2023 vom 18. bis zum 19. September in New York
Zur Halbzeit der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) trafen sich die Staats- und Regierungschef*innen und Minister*innen am 18. und 19 September 2023 zum SDG-Gipfel in New York. Seit der Unterzeichnung der Agenda 2030 im Jahr 2015 findet der SDG-Gipfel alle vier Jahre im Rahmen der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA) statt, in diesem Jahr mehr denn je inmitten drängender globaler Herausforderungen wie der russischen Invasion in der Ukraine, den Folgen der Coronavirus-Pandemie und der zunehmend spürbaren Klimakrise. Nur 12 Prozent der Ziele für nachhaltige Entwicklung sind derzeit auf Kurs.
Der jüngste wissenschaftliche Bericht der UN zu diesem Thema fasst die Halbzeitbilanz der Agenda 2030 als "Stagnation angesichts zahlreicher Krisen" zusammen (Global Sustainable Development Report (GSDR 2023), Quelle: un.org). Ziel der Politiker*innen beim Gipfel war es daher eine Erklärung zu beschließen, wie sie diese schlechte Bilanz in Zukunft drehen wollen, um die SDGs bis 2030 doch noch zu erreichen.
Was sind die 17 Nachhaltigkeitsziele?
Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Englisch: Sustainable Development Goals, kurz SDGs) sind ein Aufruf an alle Länder weltweit, den Wohlstand zu fördern und gleichzeitig unseren Planeten zu schützen. Zu den 17 formulierten Zielen gehören unter anderem die Beseitigung extremer Armut und Hunger, Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen (WASH) für alle, Bildung und Geschlechtergerechtigkeit sowie Nachhaltigkeit, wozu etwa Maßnahmen gegen die Auswirkungen des Klimawandels und Innovation in der Wirtschaft gehören.
193 Länder haben sich dazu verpflichtet, diese Agenda bis 2030 umzusetzen und so jeder Person auf der Welt ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Die Projekte der Welthungerhilfe haben die Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele stets im Blick.
Halbzeitbilanz der 17 Ziele
Für die Beendigung von Hunger, die unter das zweite SDG der Agenda fällt, zeichnet der jüngste "State of Food Security and Nutrition 2023"-Bericht (SOFI) ein besorgniserregendes Bild: 735 Millionen Menschen leiden an Hunger, und Schätzungen zufolge werden es im Jahr 2030 immer noch rund 600 Millionen sein. In absoluten Zahlen ist dies sogar etwas mehr als 2015, als die Agenda 2030 verabschiedet wurde.
Zwar haben Covid-19, der russische Angriffskrieg in der Ukraine und deren Folgen eine Rolle gespielt, aber die Welt war auch vor diese Krisen schon nicht auf dem richtigen Weg (GSDR 2023). Vor diesem Hintergrund ist die für den SDG-Gipfel versprochene Orientierung, wie Regierungen uns wieder auf Kurs bringen wollen, dringend erforderlich.
SDG-Gipfel 2023: Die Ergebnisse
Das wichtigste Ergebnis des Gipfels ist eine politische Erklärung, die in mancher Hinsicht über ihre Vorgängererklärung von 2019 hinausgeht. Sie unterstreicht, dass wir unseren Kampf gegen den Hunger beschleunigen und ganze Ernährungssysteme in Betracht ziehen müssen. Am wichtigsten ist vielleicht, dass sie das Menschenrecht auf Nahrung festschreibt. Das ist ein kleiner Erfolg für diejenigen, die sich seit Jahren für einen an den Menschenrechten orientierten Ansatz bei der Bekämpfung aller Formen von Hunger und Übergewicht einsetzen.
Wer allerdings anlässlich der SDG Halbzeitbilanz konkrete finanzielle Zusagen erwartet hat, wird enttäuscht sein: Sie haben es nicht in das Abschlusspapier geschafft. Immerhin werden die Geberländer aufgefordert, ihre Zusagen für die Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit zu erfüllen: Mindestens 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) sollen für die öffentlichen Mittel für Entwicklungsleistungen (ODA) aufgewendet werden.
Die Erklärung fordert Geberländer außerdem auf, mindestens 0,2 Prozent ihres BNE für die sogenannten am wenigsten entwickelten Länder (least developed countries, LDCs) bereitzustellen. So soll sichergestellt werden, dass die Hilfe dort ankommt, wo sie am dringendsten benötigt wird. Die beiden Ziele gibt es bereits seit den 1970er Jahren, aber im Schnitt werden sie nicht erreicht. Dass sie in der Erklärung vorkommen, unterstreicht, dass wir neben anderen Ressourcen auch öffentliche Entwicklungsfinanzierung benötigen, um die SDGs zu verwirklichen.
Außerdem verpflichteten sich die Staaten in der Erklärung, den vom Generalsekretär António Guterres vorgeschlagenen SDG-Stimulus voranzutreiben, bisher allerdings ohne konkrete Zahlen zu nennen. Guterres Ziel ist es, jährlich 500 Mrd. USD zu mobilisieren, hauptsächlich über multilaterale Entwicklungsbanken, um die hohen Kosten von Schulden für ärmere Länder zu bekämpfen. Dies kann beispielsweise durch die Umwandlung kurzfristiger Darlehen mit hohen Zinsen in langfristige Kredite mit niedrigeren Zinssätzen geschehen.
Dass der Stimulus in der Erklärung geblieben ist, ist interessant: Der Nachrichtendienst Devex hatte im Vorfeld des Gipfels berichtet, dass die USA und eine kleine Gruppe ihrer Verbündeten die Macht der UN bei der Finanzreform einschränken wollten und deshalb versuchten, den Stimulus aus dem endgültigen Text herauszustreichen.
Alles in allem ist in einer zunehmend gespaltenen und multipolaren Welt eine einstimmig angenommene politische Erklärung, die ein erneutes Bekenntnis zur Agenda 2030 enthält, ein Lichtblick. Natürlich kann eine Erklärung der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die nach internationalem Recht nicht bindend ist, nicht das einzige Instrument zur Beschleunigung der Fortschritte bei den SDGs sein. Dennoch ist sie ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und ein Text, der von Staats- und Regierungschefs als Richtschnur genutzt werden sollte.
Agenda 2030 Halbzeitbilanz: Von der politischen Absicht zum Handeln
Letztlich hängt der Erfolg des Gipfels aber von der tatsächlichen Umsetzung ab. Die politische Erklärung muss in Maßnahmen, Gesetze und Politik umgesetzt werden, die die Situation hungernder Menschen verbessern, die Ernährungssysteme umgestalten und das Menschenrecht auf Nahrung verwirklichen.
Zur Halbzeit der Agenda 2023 mit ihren 17 Zielen zeigt sich ein ernüchterndes Bild.
Auf einer übergeordneten Ebene bedeutet dies, dass die Rechenschaftspflicht für die Agenda 2030 verbessert werden muss: Viele SDG-Indikatoren bleiben unzureichend, weil Daten fehlen und Begriffe wie „nachhaltig“ nicht definieren (z.B. Indikator 2.4.1: Anteil der landwirtschaftlichen Fläche, die produktiv und nachhaltig bewirtschaftet wird). Wir wissen also teilweise nicht, wo wir bei den Zielen stehen. Dann ist es auch schwer, Lücken aufzuzeigen und Prioritäten zu setzen. Außerdem zeigen Untersuchungen, dass die Regierungen die SDGs besser in ihrer Politik verankern müssen.
Parlamente und die Zivilgesellschaft spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Regierenden zur Verantwortung zu ziehen. Sie müssen in Entscheidungen einbezogen werden. Eine Möglichkeit wäre, nicht nur nationale, sondern auch subnationale und branchenspezifische Pläne zu entwickeln, um die Stagnation zu überwinden, wie der wissenschaftliche Bericht der UN zu den SDGs empfiehlt (GSDR 2023). Die Pläne sollten auch deshalb branchenspezifisch sein, um sicherzustellen, dass der Privatsektor, der eine zentrale Rolle bei der Wahrung von Wohlstand und dem Schutz des Planeten spielen sollte, seinen Teil der Verantwortung für die Agenda 2030 übernimmt.
Was muss jetzt konkret getan werden? Die Freiwilligen Leitlinien zur Unterstützung der schrittweisen Verwirklichung des Rechts auf angemessene Nahrung, die nächstes Jahr 20 Jahre alt werden, bieten eine Orientierungshilfe. In Leitlinie 8 wird beispielsweise betont, dass die Staaten den Zugang zu Ressourcen wie Land, Wasser oder Vieh erleichtern sollten, wobei den spezifischen Problemen schutzbedürftiger Gruppen besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. In mehr als 100 Ländern etwa wird Frauen nach wie vor das Recht verweigert, den Besitz ihrer Ehemänner zu erben, was ihren Zugang zu Land stark einschränkt.
Leitlinie 3.8 betont, wie wichtig es ist, dass Regierungen die Zivilgesellschaft und andere Schlüsselakteure, einschließlich Kleinbäuer*innen und den Privatsektor, einbeziehen. Wenn eine Regierung etwa eine neue Politik für Düngemittelsubventionen beschließt, muss sie die am stärksten Betroffenen, die Hersteller und Anbieter von Düngemitteln und die Zivilgesellschaft miteinbeziehen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Subventionen diejenigen Landwirte erreichen, die sie wirklich brauchen; dass sie zum richtigen Zeitpunkt in der Saison gewährt werden und dass diese vor dem Hintergrund agrarökologischer Alternativen und der Bodengesundheit diskutiert werden. Partizipation ist eine Frage der Gerechtigkeit und ein Schlüsselelement, um sicherzustellen, dass die Maßnahmen wirksam sind und akzeptiert werden.
SDG-Zwischenbilanz: Menschenrecht auf Nahrung muss Priorität haben
Es liegt in erster Linie in der Verantwortung der Regierungen und der kontinentalen Zusammenschlüsse wie der Europäischen und der Afrikanischen Union, das Menschenrecht auf Nahrung und seine Verwirklichung zu priorisieren. Alle Regierungen, müssen sicherstellen, dass sie die Ungleichheiten innerhalb ihres Landes angehen und auch die notwendigen Investitionen in die Landwirtschaft und in ländliche Gebiete tätigen. Die Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union haben beispielsweise versprochen, mindestens 10 Prozent ihres Staatshaushaltes in die Landwirtschaft zu investieren. Ein Anteil, der ebenso wie das 0,7-Prozent-Ziel der öffentlichen Entwicklungsleistungen nur selten erreicht wird.
Kürzungen bei Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe kosten Menschenleben
Auf der anderen Seite müssen die Geber ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen. Dazu gehören die oben erwähnten 0,7- und 0,2-Prozent-Ziele. Das erste erfüllt Deutschland derzeit noch, das zweite wird nicht erreicht. Das jüngste Haushaltsgesetz, das die Bundesregierung dem Parlament vorgelegt hat, sieht jedoch Haushaltskürzungen ab 2024 vor, darunter eine Kürzung um 1 Milliarde Euro bei der humanitären Hilfe und der Krisenprävention. Dabei handelt es sich um Mittel, die häufig an die am wenigsten entwickelten Länder gehen.
Kürzungen gefährden das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele
Diese geplanten Kürzungen werden unmittelbare Folgen für Menschen in Not haben. So könnte die Welthungerhilfe zum Beispiel in Niger nicht mehr in dem Maße Nahrungsmittelhilfe verteilen und den Zugang zu sauberem Wasser verbessern, wie sie es jetzt tut. Niger ist stark vom Klimawandel betroffen, und derzeit sind über vier Millionen Menschen in Niger dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Um weiterhin als verlässlicher Partner wahrgenommen zu werden, müssen die deutsche Regierung und andere einkommensstarke Länder daher kurz-, mittel- und langfristig eine stabile Entwicklungsfinanzierung sicherstellen. Dazu gehört auch, dass sie ihrer historischen Verantwortung für die Klimakrise gerecht werden.
Darüber hinaus ist es dringend erforderlich, die hohen Schuldenkosten in den Griff zu bekommen und erschwingliche Finanzierungsquellen bereitzustellen, wie im Rahmen des SDG-Stimulus geplant. Viele einkommensschwache Länder geben derzeit einen großen Teil ihres Budgets für Zinszahlungen aus. Eine geringere Zinslast ist für diese Länder ist eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau etwa von Sozialversicherungssystemen. Diese sind wiederum nötig, damit Menschen über ein ausreichendes Einkommen verfügen, um ihre Lebensmittel zu bezahlen, auch wenn sie krank oder arbeitslos werden.
Und schließlich müssen die Vereinten Nationen und die Unterzeichnerstaaten der Agenda 2030 ihre Vision einer besseren Welt am Leben erhalten. Dafür gilt es vor allem von politischen Absichtserklärungen zu Handlungen überzugehen. Mit ausreichendem politischen Willen, internationaler Zusammenarbeit und finanziellen Mitteln ist es noch möglich, das Ruder herumzureißen. Der für September 2024 geplante Zukunftsgipfel, den Namibia und Deutschland gemeinsam veranstalten, wird der nächste wichtige Meilenstein sein, um die Staats- und Regierungschefs zur Verantwortung zu ziehen.