Für eine Übergewinnsteuer auf die Profiteure der Ernährungskrise
Die Giganten des Getreidehandels ziehen enormen Nutzen aus dem steigenden Welthunger: Höchste Zeit, sie zu entmachten.
Im Jahr 2022 sind Volkswirtschaften ins Taumeln geraten, hat sich die Inflation beschleunigt und sind globale Nahrungsmittelpreise nach oben geschossen. Aber wie es aussieht, haben zwei Wirtschaftssektoren in diesem Zeitraum das große Los gezogen: die Energiekonzerne und die mit Getreide handelnden Unternehmen.
345 Millionen Menschen leben derzeit in akuter Ernährungsunsicherheit - vor der Pandemie waren es noch 135 Millionen. Ärmere Verbraucher in reichen Ländern haben Mühe, Mahlzeiten auf den Tisch zu bringen. Gefährdete Bevölkerungsgruppen in ärmeren, von Nahrungsmittelimporten abhängigen Ländern wie dem Libanon, Jemen, Sudan oder Somalia stehen vor großen Entbehrungen.
Plötzliche Unterbrechungen der Versorgung, verursacht durch die Corona-Pandemie und den Überfall auf die Ukraine, waren der Funke, der dieses Hunger-Inferno entflammen ließ. Aber der Zunder war schon vorher da, bestehend aus den erheblichen Schwächen unserer Nahrungsmittelsysteme: Da wären die große Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten, eingefahrene/ungeeignete Produktionsweisen, finanzielle Spekulation, die Spirale von Armut und Verschuldung. Die dysfunktionalen Getreidemärkte und die sprudelnden Profite des Getreidehandels sind ein Symptom dieser Schwächen.
Vier Konzerne beherrschen seit Jahrzehnten den Welthandel mit Getreide, ihr Marktanteil wird auf 70 bis 90 Prozent geschätzt. Man nennt sie kurz „die ABCD“ (gemeint sind Archer-Daniels-Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus). Inzwischen schließen Chinas Staatsbetrieb COFCO und einige andere asiatische Unternehmen zu ihnen auf. Steigende Nahrungsmittelpreise haben diesen Getreide-Giganten emporschießende Profite eingebracht. Cargill berichtete, dass die jährlichen Einnahmen des Unternehmens im Steuerjahr 2022 (Ende Mai) um 23 Prozent auf die Rekordsumme von 165 Mrd. Dollar gewachsen sind. Archer-Daniels-Midland verzeichnete im zweiten Quartal 2022 die höchsten Profite seiner Geschichte.
Unverhältnismäßige Profite
Mitten in einer von den Nahrungsmittelpreisen verursachten Krise ist solche Profitmacherei auf keinen Fall gerechtfertigt und ein klarer Hinweis auf ein eklatantes Marktversagen. Sie eskalierte, obwohl es große öffentliche wie private Getreidereserven gibt. Der Anstieg der Profite, die die Getreidehändler machen, steht in keinem Verhältnis zu ihrem Beitrag zur Schaffung von Ernährungssicherheit oder von Nachhaltigkeit. Die ABCD haben eine Verantwortung sicherzustellen, dass Nahrungsmittel zu den Menschen gelangen, die sie brauchen, und sie dabei so erschwinglich zu machen wie möglich. Stattdessen haben sie das Geld in ihre Tasche gesteckt. Das Problem liegt darin, dass es bei ihren Getreidevorräten kaum Transparenz gibt – und auch keine Gewissheit, dass sie dem Bedarf entsprechend in den Handel kommen.
Die Profitmacherei zeigt, dass es ein Problem gibt, aber um es zu beheben, müsste man das zugrunde liegende System reparieren, an dessen Entstehung die ABCD nicht unbeteiligt waren. Wir erleben alle die Konsequenzen eines globalisierten Just-in-time-Handelssystems für Nahrungsmittel, das leicht an einem beliebigen Punkt unterbrochen werden kann. Dieses Handelssystem ist hochspezialisiert, linear und für den raschen Umschlag großer Mengen optimiert - unter der Voraussetzung, dass die Bedingungen stabil sind. Es ist für die ABCD auch effizienter, Handel mit nur wenigen standardisierten Getreidesorten, austauschbaren Produkten, von spezialisierten Produktionsgebieten und auf zentralisierten Verschiffungsrouten zu betreiben.
Aber sobald die unvermeidbaren Schocks eintreffen, drohen diese Systeme zu versagen. Toyota war in den 1960er-Jahren der Pionier für die Just-in-time-Produktion, die später in allen anderen Branchen übernommen wurde. Toyota achtete aber - im Gegensatz zu all seinen Rivalen - darauf, dass seine Lieferketten diversifiziert blieben und seine Produktionsstätten nah an den Absatzmärkten lagen. So vermied das Unternehmen, Schocks zu stark ausgesetzt zu sein. Die wahre Bewährungsprobe für jedes System ist, ob es unter Stress und bei unerwarteten Bedingungen funktioniert, schreibt mein Kollege Ricardo Salvador. Wenn es um die Sicherung der weltweiten Nahrungsmittel-Lieferketten geht, ist Widerstandsfähigkeit oberstes Gebot. Dies gilt vor allem in einer Welt, die immer stärker mit Wetterextremen zu kämpfen hat.
Konzentration von Händlern und Vermögensverwaltern
Das Ausmaß der Monopolisierung der Getreidemärkte trägt auch zum Marktversagen bei. Die weltweiten Getreidemärkte sind noch stärker in wenigen Händen konzentriert als die Energiemärkte und noch weniger transparent. Die Getreide-Giganten haben derartig große Macht über die Märkte und die Ausformulierung staatlicher Politik, dass für sie keinerlei Anreiz besteht, etwas zu ändern oder ihre Macht in mehr Hände zu legen. Diese Charakteristik teilen sie mit vielen anderen Teilbereichen der Nahrungsmittelkette, seien es die Monopole für Saatgut und Agrochemie, die Landwirtschaftsmaschinen oder die Fleischproduktion, wie ein neuer Bericht der ETC Group dokumentiert. Und alle diese Sektoren sind im wesentlichen im Besitz derselben Kapitalanlagegesellschaften (State Street, Vanguard und Blackrock), wie meine IPES-Food-Kollegin Jennifer Clapp ermittelt hat.
Was sollte geschehen?
- Zunächst würde eine einmalige Abschöpfung der Übergewinne der Getreide-Giganten helfen, vorübergehend das Marktversagen zu korrigieren. Dies würde Milliarden einbringen, die für Maßnahmen zur Ernährungssicherheit eingesetzt werden könnten. Das würde dem Modell der Übergewinnsteuer folgen, wie sie auf Rekordprofite der mit fossilen Brennstoffen handelnden Konzerne in Indien, Großbritannien, in Deutschland auf dem Strommarkt und womöglich bald EU-weit erhoben wird oder werden soll.
- Zweitens kommt es wesentlich darauf an, mehr Transparenz auf den Getreidemärkten herzustellen. IPES-Food hat sich immer wieder dafür eingesetzt, dass das Informationssystem für Agrarmärkte (AMIS) der Vereinten Nationen auch Angaben über die Nahrungsmittelvorräte und Handelsdaten der großen Getreidehändler enthält. Damit würden die Versuchung zu spekulieren und das Risiko der Bildung spekulativer Blasen schwinden.
- Drittens muss das Just-in-time-Modell überholt werden. Ernährungssysteme müssen Mengenausfälle in der Produktion oder im Handel unmittelbar ersetzen können. Dazu bedarf es vernetzter, kollektiv verwalteter regionaler Getreidereserven. Außerdem nötig sind regionalisierte Netzwerke für eine größere Vielfalt unterschiedlicher Nahrungsmittel, Pflanzenarten, Sämereien, Handelsnetze, Unternehmen und Produzenten. Der Klimawandel erhöht noch die Dringlichkeit, die Risiken durch Diversität zu streuen.
Letztlich sind die ABCDs von heute die falschen Akteure, um uns vor dieser Preiskrise für Nahrungsmittel und vor dem Klimawandel zu retten. Die Bäuerinnen und Bauern der Welt nutzen mehr als 7000 Pflanzenarten für den Anbau - das sind 6988 mehr als regelmäßig von den ABCD gehandelt werden - und 38 verschiedene Vieharten. Hier findet sich echte Artenvielfalt. Hier sind die nichtglobalisierten Nahrungsmittelketten. Sie stehen zur Verfügung, um uns aus der unsicheren Abhängigkeit von den ABCDs herauszuholen.