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  • Wirtschaft & Menschenrechte
  • 04/2024
  • Dr. Lothar Harings, Max Jürgens , Stefanie Beermann
Schwerpunkt

Welche Rolle Zertifikate und Standards in lieferkettenbezogenen Sorgfaltspflichten spielen

Mit der Zahl von Auflagen für unternehmerische Risikoanalysen wächst auch die Bedeutung von Instrumenten zur Kontrolle, um Verstößen vorzubeugen – und Abhilfe zu schaffen.

Zu fairen Löhnen bei den Kaffeebauern vor Ort beitragen, Zulieferer auswählen, die gefährliche Abfälle umweltgerecht entsorgen, Holz aus nachhaltig bewirtschafteten Quellen beziehen – viele Unternehmen betrachteten die Gewährleistung von Menschenrechten und Nachhaltigkeit in der Lieferkette als optionale Kriterien ihrer Geschäftsbeziehungen. Durch die Einführung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) sind deutsche Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden in Deutschland gesetzlich verpflichtet worden, sowohl im eigenen Unternehmen als auch bei ihren Zulieferern umwelt- und menschenrechtliche Risiken zu identifizieren, zu bewerten und gegen Verletzungen von bestimmten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Rechtspositionen vorzugehen.

Auf Ebene der Europäischen Union (EU) werden aktuell zahlreiche Legislativvorhaben besprochen und verabschiedet, die sich direkt oder indirekt mit lieferkettenbezogenen Sorgfaltspflichten beschäftigen. Dazu gehören die EU-Entwaldungs-Verordnung (EUDR), die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die bereits 2023 verabschiedet wurde, sowie die Verordnung zum Verbot der Bereitstellung von Produkten, die unter Zwangsarbeit hergestellt wurden (EU Forced Labour Ban oder EU Forced Labour Regulation, FLR).

Allen genannten Vorschriften – LkSG, EUDR, CSDDD, CSRD, FLR – ist gemein, dass sie direkt oder indirekt die Einhaltung bestimmter Rechtspositionen, beispielsweise von Arbeitnehmerrechten, entlang der Lieferkette fordern. Im Kontext der Regelungswerke nehmen Zertifikate und Standards eine zentrale Rolle ein.

Das LkSG als Ausgangspunkt

Im Rahmen des LkSG ist zu unterscheiden zwischen den geschützten Rechtspositionen und den unternehmensintern zu ergreifenden Sorgfaltspflichten. Die in internationalen Übereinkommen in der Anlage zum LkSG aufgeführten Rechtspositionen geben – vereinfacht ausgedrückt – das Ziel der Sorgfaltspflichten vor. Im Kontext des LkSG können freiwillige menschenrechts- oder umweltbezogene Standards in Form von Kontrollen und Audits laut der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 19/28649, S. 48) bei der Umsetzung der Sorgfaltspflichten unterstützen, insbes. bei der Durchführung von Präventionsmaßnahmen. Je nach Ausgestaltung eines Standards können diese eine Gewähr für die Einhaltung bestimmter geschützter Rechtspositionen und der Umsetzung von Sorgfaltspflichten für das zertifizierte Unternehmen bieten. Auch der Umsetzungsprozess zur Erreichung eines Standards kann einzelne Sorgfaltspflichten – insbesondere zur Prävention und Abhilfe von Verstößen – erfüllen.

Produktbezogene Sorgfaltspflichten der Entwaldungs-Verordnung EUDR

Die EUDR trat am 29. Juni 2023 in Kraft. Die darin enthaltenen Sorgfaltspflichten müssen ab dem 30. Dezember 2024 eingehalten werden (für kleine und Kleinstunternehmen erst ab 30. Juni 2025). Relevante Rohstoffe und relevante Erzeugnisse dürfen nach der EUDR nur dann in der EU in Verkehr gebracht werden, auf dem Unionsmarkt bereitgestellt werden oder aus der EU ausgeführt werden, wenn sie (1) entwaldungsfrei sind, (2) gemäß den einschlägigen Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes erzeugt wurden und (3) für sie eine Sorgfaltserklärung vorliegt.

Die betroffenen, sog. „relevanten Erzeugnisse“ umfassen Erzeugnisse aus Rindern, Kakao, Kaffee, der Ölpalme, Kautschuk, Soja und Holz und sind in Anhang I der EUDR genannt. „Entwaldungsfrei“ bedeutet, dass die Erzeugerflächen nach dem 31. Dezember 2020 nicht entwaldet wurden. Im Falle von Holz darf es zudem auch nicht zu einer Waldschädigung nach dem 31. Dezember 2020 gekommen sein.

Zu den im Erzeugerland zu beachtenden „einschlägigen Rechtsvorschriften“ gehören nationale gesetzliche Bestimmungen wie Landnutzungsrechte, Umweltschutzvorschriften, forstbezogene Vorschriften, Arbeitnehmerrechte, völkerrechtlich geschützte Menschenrechte im Allgemeinen sowie nationale Steuer-, Korruptionsbekämpfungs-, Handels- und Zollvorschriften.

Kautschuklappen aus einer Ernte in Malaysien. Die Lieferkette des Rohstoffs ist anfällig für Verstöße gegen Menschenrechte und Umweltstandards. © Nafise Motlaq / World Bank

Unternehmen – mit Ausnahme von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die auf dem Unionsmarkt Erzeugnisse bereitstellen, sogenannte KMU-Händler – müssen eine Sorgfaltserklärung an ein Informationssystem der EU übermitteln. Die Sorgfaltserklärung enthält zahlreiche Daten zum Erzeugnis, darunter das Erzeugerland und die Geolokalisierung aller Grundstücke, auf denen die relevanten Rohstoffe erzeugt wurden. Mit der Sorgfaltserklärung muss zudem bestätigt werden, dass bestimmte Sorgfaltspflichten seitens des Unternehmens eingehalten wurden und dass die Rohstoffe von entwaldungsfreien Grundstücken stammen und gemäß den einschlägigen Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes erzeugt wurden. Unternehmen haften für die Richtigkeit der in der Sorgfaltserklärung gemachten Angaben – bei Verstößen drohen unter anderem Bußgelder, die Einziehung der relevanten Erzeugnisse, die Aussprache eines Importverbots oder der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Gerade im Rahmen der Gewährleistung der Einhaltung einschlägiger Rechtsvorschriften im Erzeugerland sind Standards und Zertifikate ein wichtiger Baustein, damit EU-Unternehmen zukünftig ihren Sorgfaltspflichten nach der EUDR nachkommen und eine Sorgfaltserklärung ausstellen können. Audits werden zudem explizit als Risikominimierungsmaßnahmen in Art. 11 EUDR genannt.

Kompromissvorschlag zur EU-Richtlinie CSDDD

Am 15. März 2024 hat der Rat der Europäischen Union die CSDDD im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) bestätigt. Es wird damit gerechnet, dass die Richtlinie in Kürze verabschiedet wird. Danach folgt ein meist zweijähriger Umsetzungszeitraum für nationale Gesetzgeber – für Deutschland zur Abwandlung des LkSG. Ähnlich dem deutschen LkSG gibt die Richtlinie Wirtschaftsbeteiligten vor, eine Reihe von Sorgfaltspflichten in Bezug auf die Lieferkette umzusetzen. Zwar ist der Anwendungsbereich der CSDDD nicht so weitgehend wie der des LkSG. Dennoch werden zahlreiche Unternehmen innerhalb der EU zukünftig die Sorgfaltspflichten aus der CSDDD zu beachten haben und bestimmte Pflichten in der Lieferkette weitergeben. Dazu gehört auch die Gewährleistung der Einhaltung einer Reihe von geschützten Rechtspositionen bei Zulieferern, die mithilfe von Standards oder Zertifikaten dargelegt werden kann. Durch die CSDDD dürfte sich daher der Bedarf an Zertifizierungsprozessen erhöhen, insbesondere vor dem Hintergrund einer verschärften zivilrechtlichen Haftung.

Berichtspflichten aus der CSR-Richtlinie

Die CSRD ist bereits länger in Kraft und muss von Deutschland bis Juli 2024 in nationales Recht umgesetzt werden. Sie gibt Unternehmen auf, über Nachhaltigkeitsbelange in ihren Geschäftsberichten Auskunft zu erteilen. Die Berichte müssen – in Parallelität zur finanziellen Berichterstattung – durch Wirtschaftsprüfer testiert werden. Zwar enthält die CSRD keinen Katalog an Sorgfaltspflichten, die in Bezug auf Zulieferer zu erfüllen wären. Da aber über die generelle Menschenrechtslage in der Lieferkette Bericht erstattet werden muss, werden auch hier Standards und Zertifikate an Bedeutung gewinnen. Denn ein erteiltes Zertifikat mit Menschenrechtsbezug kann darüber Auskunft geben, ob und inwiefern die Lieferkette von (potentiellen) Verstößen betroffen ist.

Importverbote auf Grundlage der Zwangsarbeits-Verordnung FLR

Im März 2024 hat das EU Parlament bekanntgegeben, dass sich Kommission, Rat und Parlament politisch auf einen Verordnungsentwurf zum Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten geeinigt haben. Die FLR soll noch im Laufe des Jahres 2024 verabschiedet werden und wird voraussichtlich 2027 in Kraft treten.

Die FLR enthält keine neuen lieferkettenbezogenen Sorgfaltspflichten. Sie verbietet aber das Inverkehrbringen in die EU, das Bereitstellung auf dem Unionsmarkt und die Ausfuhr von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten. Die FLR setzt dadurch eine neue Rechtsfolge für den Fall, dass sich Risikoanalyse oder Abhilfemaßnahmen als unzureichend erweisen: Führen die bestehenden Sorgfaltspflichten (beispielsweise aus der CSDDD oder dem LkSG) nicht zu einer Beendigung von Zwangsarbeit in der Lieferkette, kann beispielsweise die Einfuhr bzw. das Bereitstellen von Produkten auf dem Unionsmarkt verboten werden. Hinsichtlich der Verhinderung von Zwangsarbeit führt die FLR also de facto eine Erfolgspflicht ein – Zwangsarbeit muss in der Lieferkette ausgeschlossen werden.

Um die Verkehrsfähigkeit der eigenen Produkte nicht zu gefährden, müssen Unternehmen daher Zwangsarbeitsrisiken in der Lieferkette genau analysieren und ausschließen. Die Risikoanalyse und Abhilfemaßnahmen im Bereich der Zwangsarbeitsrisiken gewinnen dadurch erheblich an Bedeutung.

Zwar muss der Nachweis von Zwangsarbeit in der Lieferkette durch die EU Kommission bzw. die nationalen Behörden geführt werden. Unternehmen werden jedoch in die Untersuchungen einbezogen und können dadurch eigene Nachweise der Einhaltung des Zwangsarbeitsverbots beibringen – beispielsweise durch umgesetzte Standards und Zertifikate.

LkSG, EUDR, CSDDD, CSRD, FLR – und Zertifikate?

Die Prüfung der Einhaltung einschlägiger Rechtsvorschriften soll in allen genannten Regelwerken direkt (LkSG, EUDR, CSDDD) oder indirekt (CSRD und FLR) u.a. durch eine Risikoanalyse realisiert werden, in der abstrakte Risiken erfasst und anschließend konkret nachverfolgt werden. Sobald Risiken konkret identifiziert sind, müssen Präventions- und Abhilfemaßnahmen ergriffen werden (LkSG, EUDR, CSDDD).

Ein Zertifikat, das bestimmte geschützte Rechtspositionen im Rahmen eines Audits durch einen unabhängigen Auditor bei dem betroffenen Zulieferer vor Ort abprüft, bietet eine relativ hohe Gewähr dafür, dass das abstrakt festgestellte Risiko konkret nicht vorliegt. Die Ressourcen der Risikoanalyse können dadurch auf andere, als potentiell risikobehaftet identifizierte Zulieferer fokussiert werden. Das schont nicht nur personelle und finanzielle Kapazitäten, es führt auch zu einer Konzentration von Maßnahmen bei Zulieferern, bei denen tatsächlich konkrete Risiken bestehen.

Holzlieferketten mit schwieriger Rückverfolgbarkeit. Sägewerksarbeiter in Kisumu, Kenia. © Peter Kapuscinski / World Bank

Gerade im Rahmen der EUDR dürfte sich die Prüfung der Einhaltung der einschlägigen Rechtsvorschriften im Erzeugerland für viele in der EU ansässige Marktteilnehmer schwierig gestalten, da sie regelmäßig nicht über die Ressourcen verfügen, um beispielsweise vor Ort Kontrollen durchzuführen. Anders als im Falle des LkSG und der CSDDD enthält die EUDR einen produktbezogenen Ansatz, der zur Folge hat, dass auch kleinere und mittlere Unternehmen bei der Einfuhr von relevanten Erzeugnissen in die EU alle Sorgfaltspflichten zu erfüllen haben. Zwar sollen KMU von Erleichterungen profitieren, indem sie sich auf bereits ausgestellte Sorgfaltserklärungen berufen können und entsprechend keine eigenständigen Prüfungen vornehmen müssen. Im praxisrelevanten Fall des Imports wird es aber regelmäßig keine vorangegangene Sorgfaltserklärung geben – importierende KMU werden daher genauso von der EUDR betroffen sein, wie alle anderen Importeure.

Entsprechend werden viele Unternehmen auf Drittanbieter zurückgreifen müssen, um konkrete Risiken bei Erzeugern ausräumen zu können oder gegen identifizierte Risiken präventiv vorzugehen. Ähnlich wird es im Rahmen der FLR funktionieren, um Zwangsarbeitsrisiken vollständig und nachweisbar auszuschließen und so einem Einfuhr- oder Bereitstellungsverbot zu entgehen.

Der FSS als Praxisbeispiel

Der Food Security Standard (FSS) wurde von der Welthungerhilfe und dem WWF in Kooperation mit dem Zentrum für Entwicklungsforschung und mit Unterstützung des BMEL als Ergänzung zu bestehenden Zertifizierungsprozessen speziell zur Gewährleistung des Rechts auf Nahrung entwickelt. Wegen der Relevanz des Rechts auf Nahrung für andere Menschenrechte überprüft und gewährleistet eine FSS-Zertifizierung jedoch auch die Einhaltung weiterer Menschenrechte und umweltbezogener Pflichten.

Der FSS sowie dessen Begleitprogramme (Food Security Sensitive Management - FOSSEM, Quick Assessment Tool - QAT) enthalten entsprechend Überprüfungsmechanismen für die Einhaltung einer Vielzahl von Rechtspositionen, deren Einhaltung auch durch die genannten Regelwerke gefordert werden. Dazu gehören beispielsweise Landnutzungsrechte, Umweltschutz, Rechte Dritter, Arbeitnehmerrechte und völkerrechtlich geschützte Menschenrechte (vor allem das Recht auf Nahrung, aber auch Frauenrechte, Recht auf angemessenen Lohn, Koalitionsfreiheit, etc.).

Weitere Informationen zum FSS finden Sie in diesem ausführlichen Beitrag unserer aktuellen Ausgabe: Wie der Food Security Standard Menschenrechte sichert - Welthungerhilfe 

Fazit: Zertifikate als wichtiger Baustein

Mit der wachsenden Anzahl lieferketten- und produktbezogener Sorgfaltspflichten wird die Bedeutung von Zertifikaten und Standards in Zukunft zunehmen. Sie sind aber stets nur ein Baustein der lieferkettenbezogenen Sorgfaltspflichten. Sie adressieren einzelne Dimensionen der Sorgfaltspflichten und müssen in ein breit wirkendes Risikomanagement eingebettet werden. Doch ist Vorsicht geboten: Nicht alle Anbieter von Zertifikaten halten, was sie versprechen! Bei der Auswahl geeigneter Standards ist auf die Durchführung unabhängiger Vor-Ort-Audits zu achten, zudem ist zu prüfen, welche menschenrechts- und umweltbezogenen Risiken überhaupt adressiert werden.

Die Integration von Zertifikaten und Standards wie dem FSS in die Unternehmensstrategie ist ein wesentlicher Schritt zur Erfüllung der Anforderungen des LkSG, der EUDR, der CSDDD, der CSRD und der FLR. Sie bieten nicht nur einen klaren Rahmen für die Einhaltung von Sorgfaltspflichten, sondern stärken auch das Vertrauen der Stakeholder in die soziale und ökologische Verantwortung von Unternehmen.

Dr. Lothar Harings Kanzlei GvW Graf von Westphalen, Hamburg
Max Jürgens Kanzlei GvW Graf von Westphalen, Hamburg
Stefanie Beermann Kanzlei GvW Graf von Westphalen, Hamburg

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