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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 10/2022
  • Tirivangani Mutazu
Schwerpunkt

Die Überschuldung armer Länder: Gründe und Auswege aus der Krise

Die G7 lassen es an entschlossenem politischen Handeln mangeln, um die Knoten der Schuldenkrisen im globalen Süden zu lösen – trotz der Verschärfung durch Covid, Russlands Krieg und den Klimawandel

Demonstrierende stören in Washington eine Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) über Umschuldung. © #CancelTheDebt Kampagne via Twitter

Entwicklungsländer, insbesondere in Afrika, haben Schulden aufgenommen, um ihre Entwicklungspläne zu finanzieren. Schulden an sich sind nichts Schlechtes, denn sie können für Investitionen in verschiedene Wirtschaftssektoren verwendet werden, z.B. für Infrastrukturprojekte wie Straßen, Eisenbahnen, Dämme und Energieprojekte, wodurch die Wirtschaftsleistung gesteigert wird. Problematisch wird es jedoch, Schulden aufzunehmen und Geld zu verleihen, ohne die wirtschaftliche Kapazität, die nationale Gesetzgebung, die Transparenz und die Rechenschaftsmechanismen der Schuldnerländer zu berücksichtigen.

Nach Angaben der UNCTAD haben die Auslandsschulden der Entwicklungsländer mit 11,1 Billionen US-Dollar im Jahr 2021 den höchsten jemals verzeichneten Stand erreicht und sind damit mehr als doppelt so hoch wie im Jahr 2009 (4,1 Billionen US-Dollar) und fast fünfmal so hoch wie im Jahr 2000 (2,1 Billionen US-Dollar). Im Jahr 2021 erreichte die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer 31 % ihres BIP, da auch die Kosten für den Schuldendienst weiter steigen. 

Die Geschichte der Schuldenkrise der Entwicklungsländer in den 1970er und 1980er Jahren erinnert auch daran, warum eine umsichtige Schuldenaufnahme und Kreditvergabe wichtig sind. Die internationale Gemeinschaft hat damals unter Führung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank (WB) zwei wichtige multilaterale Entschuldungsinitiativen ins Leben gerufen: die Initiative für hochverschuldete arme Länder (HIPC) und die Multilaterale Entschuldungsinitiative (MDRI). Die HIPC-Initiative wurde 1996 gegründet und 1999 erweitert; sie wurde umfassend überarbeitet, die Kriterien wurden geändert und ein Schuldenerlass wurde an die Armutsbekämpfung geknüpft.

Im Jahr 2005 kam die MDRI hinzu, die darauf abzielte, die Schulden der HIPC-Länder zu reduzieren und einen Schuldenerlass an die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele zu knüpfen. Mit der MDRI gewährten die multilateralen Institutionen einen 100-prozentigen Schuldenerlass für förderungswürdige Schulden. HIPC und MDRI gelang es, die Schuldenlast der am stärksten verschuldeten armen Länder auf ein Niveau zu senken, das als "tragfähig" gilt. Doch mehr als 40 Prozent der von HIPC/MDRI begünstigten Länder sind derzeit überschuldet oder hochgradig davon bedroht .

So erfolgreich und wichtig die HIPC- und MDRI-Initiativen auch waren, so müssen wir heute leider feststellen, dass diese Lösungsversuche nicht ausreichten, um das Schuldenproblem der armen Länder vollständig zu lösen. Trotz der Erleichterungen sind viele arme Länder heute aus verschiedenen Gründen wieder in eine neue Schuldenkrise gerutscht.

Warum die Verschuldung so stark angestiegen ist

Trotz des hohen Risikos nehmen die Entwicklungsländer weiterhin Kredite auf. In der Vergangenheit waren die offiziellen Gläubiger vor allem die reichen westlichen Länder und multilaterale Institutionen wie die Weltbank (WB) und der Internationale Währungsfonds (IWF).  Heutzutage schulden die Länder jedoch einem breiteren Spektrum von Gläubigern Geld, zu denen nun auch China, Indien, die Türkei und multilaterale Institutionen wie die Afrikanische Export-Import-Bank und die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) gehören. Zwischen 2019 und 2021 stieg die Staatsverschuldung in Subsahara-Afrika (SSA) von einem Vor-Pandemie-Niveau von 51 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf ein Pandemie-Niveau von 61 Prozent des BIP. Die Verschuldungslage in den meisten Entwicklungsländern hat sich durch den Krieg zwischen Russland und der Ukraine noch verschärft. Der Dreifach-Effekt hoher und steigender Zinssätze, steigender Lebensmittel- und Kraftstoffpreise und der Covid-19-Folgen haben die Staatshaushalte belastet und die Länder weiter in die Verschuldung getrieben.

Die Hauptursachen für die Verschlechterung der Schuldentragfähigkeit in armen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas sind sowohl extern als auch intern. Zu ihnen gehören die folgenden:

Strategien der verschuldeten Länder für den Schuldenabbau

Die Bürgerinnen und Bürger des Globalen Südens sehen mit großer Sorge das Risiko einer weiteren Schuldenkrise, wie sie in den späten 1980er und 1990er Jahren in vielen Entwicklungsländern auftrat. Die Regierungen von Gläubigerstaaten müssen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Regierungen verschuldeter Länder müssen verstehen, wie der internationale Kontext und die politische Ökonomie ihre Schuldenentscheidungen beeinflusst. Die beste Strategie für arme Länder besteht darin, ihren fiskalischen Spielraum zu erweitern. Traditionelle Quellen der Entwicklungsfinanzierung wie ausländische Direktinvestitionen und öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) sind unzuverlässig und unzureichend.

Wollen arme Länder sich aus der gegenwärtigen Schuldenkrise befreien und sich von den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und des russischen Krieges in der Ukraine erholen, müssen sie  ernsthaftere Anstrengungen unternehmen, um aus der Abhängigkeit herauszukommen, die durch die derzeitige globale Finanzarchitektur entstanden ist – und nicht nur eine Reform dieser Architektur fordern, sondern sie vollständig auseinandernehmen.

Die verschuldeten Länder müssen neue und innovative Finanzierungsquellen und -mechanismen erschließen, z.B. Rücküberweisungen, Erlöse aus der Eindämmung illegaler Finanzströme, Diaspora-Fonds und besser ausgehandelte Rohstoffverträge. Diese innovativen Quellen würden, wenn sie richtig genutzt werden, die Abhängigkeit von externen Ressourcen erheblich verringern. Die Regierungen müssen zudem ausreichend investieren, um Strategien und Maßnahmen zur Mobilisierung inländischer Ressourcen zu verbessern.

Die Regierungen mit hoher öffentlicher Inlandsverschuldung müssen mit ihren Parlamenten den nationalen Rechtsrahmen stärken, damit Transparenz und Rechenschaftspflicht bei der Aushandlung, Aufnahme und Verwaltung von Staatsschulden gewährleistet sind, wie es in der Afrikanischen Anleihecharta gefordert wird.

Die Regierungen müssen beim Abbau und der Verwaltung ihrer Schulden auf eine größere Transparenz und Rechenschaftspflicht hinarbeiten. Die Verschuldung erfüllt in vielen Fällen nicht den beabsichtigten Zweck. Korrupte Praktiken im Umgang mit Verbindlichkeiten nehmen zu, was vor allem die künftigen Generationen belastet. Nur die Transparenz und Zugänglichkeit von Schuldeninformationen ermöglicht es den Bürgern, die Kreditvergabe und -aufnahme einer Prüfung zu unterziehen. Informationen über Darlehen an Regierungen oder staatliche Bürgschaften müssen innerhalb von 30 Tagen nach Unterzeichnung in einem öffentlich zugänglichen Register offengelegt werden. Es müssen regelmäßig umfassende Schuldenberichte erstellt werden. Es darf keinen Raum für versteckte Schulden geben, wie es in Mosambik der Fall war.

Ein Mural der vier Präsidenten von Mosambik von 1975 bis heute. Ganz rechts Filipe Nyusi, er hat eine umfangreiche strategische Partnerschaft mit Chinas Staatschef Xi Jinping geschlossen. © Cornelius Kibelka via Flickr CC BY-SA 2.0

In den meisten verschuldeten Ländern leisten Aufsichtsorgane wie Parlamente, Strafverfolgungsbehörden, Rechnungsprüfer, Justiz und Finanzermittlungsstellen aus unterschiedlichen Gründen keine ordentliche Arbeit. Das liegt unter anderem an einer schwachen Leistungsfähigkeit, an der absichtlichen Umgehung ihrer gesetzlichen Aufgaben und der politischen Vereinnahmung einiger dieser Stellen.

Regierungen müssen einen nachhaltigen finanzpolitischen Rahmen schaffen, um die Ausgabenverschwendung einzudämmen und Haushaltsdefizite und die wachsende Verschuldung zu verringern – auch wenn dies bedeutet, dass die Projekte zur Entwicklung der Infrastruktur zurückgefahren werden müssen. Mega-Infrastrukturprojekte sind auf Fremdfinanzierung angewiesen und haben extrem lange Amortisationszeiträume. Die Umsetzung rechtsverbindlicher Haushalts- und Schuldenregeln, die vorgeben, wann und in welcher Höhe Kredite aufgenommen werden dürfen, ist für das Schuldenmanagement von zentraler Bedeutung. Für Verstöße müssen Sanktionen vorgesehen werden. Ein gutes Beispiel ist der Fall der versteckten Schulden in Mosambik. Dort wurde beschlossen, dass Schulden, die von der Regierung oder von Politikern auf versteckte oder nicht gesetzeskonforme Weise angehäuft wurden, nicht zurückgezahlt werden dürfen.

Die Beziehung zwischen Kreditnehmern und Kreditgebern muss gestärkt werden. Die Gläubiger sollten verantwortungsvoll Kredite vergeben und nicht die schwache Infrastruktur und die schwachen Gesetze ausnutzen, um die Schuldnerländer auszubeuten.  

Die Strategien der Gläubiger

Nach dem Ausbruch der weltweiten Covid-19-Pandemie hat die internationale Gemeinschaft, vor allem die G7, die G20, der IWF und die Weltbank, Anträge auf finanzielle Soforthilfen, Schuldenerlasse, Aussetzung des Schuldendienstes und Streichung der Schulden unterstützt, um Haushaltsspielräume zu schaffen und es den Ländern zu ermöglichen, den Kampf gegen Covid und die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen zu bewältigen.

Im August 2021 gab der IWF Sonderziehungsrechte (SZR) im Wert von 650 Mrd. Dollar an seine Mitglieder aus. Die SZR verschafften den verschuldeten Ländern Erleichterung bei der Rückzahlung ihrer Schulden, beim Kauf dringend benötigter Importe wie Impfstoffe und andere medizinische Ausrüstungsgegenstände sowie bei der Bewältigung des wirtschaftlichen Schocks durch Covid. Doch der IWF muss eine weitere größere Emission in Erwägung ziehen, damit sich die armen Länder schneller von den Auswirkungen der Pandemie und den Spillover-Effekten des russischen Krieges  sowie der sich verschärfenden Klimakrise erholen können.

Die G20 haben den Gemeinsamen Rahmen für Schuldenbehandlungen (Common Framework) eingeführt, der über die Debt Service Suspension Initiative der Weltbank hinausgeht und den Ländern, die dies beantragen, einen umfassenderen Schuldenerlass für ihre bilateralen und privaten Auslandsschulden gewähren soll. Die G7 lassen es jedoch an entschlossenem politischen Handeln fehlen, um die unzulängliche Lösung von Schuldenkrisen anzugehen – und das, obwohl verschuldete arme Länder mit engem fiskalischen Spielraum durch die Covid-Pandemie, Russlands Krieg und den Klimawandel noch anfälliger geworden sind.

Bei der Umsetzung des Gemeinsamen Rahmens sind keine Fortschritte zu verzeichnen, da er die Beteiligung privater Gläubiger nicht erzwingen kann. Nach seinen Regeln "kann eine Umschuldung nur dann erfolgen, wenn eine Regierung in der Lage ist, eine vergleichbare Vereinbarung mit bilateralen und kommerziellen Gläubigern zu erzielen, was bedeutet, dass die Weigerung privater Gläubiger, mitzuspielen, den gesamten Prozess zum Scheitern bringen kann".

G7 Finanzminister und Notenbankgouverneure beim Treffen auf dem Petersberg im Mai 2022 © Bundesministerium der Finanzen / Photothek

In einem Brief an die G7-Finanzminister unter der deutschen Präsidentschaft schrieben die zivilgesellschaftlichen Organisationen von Global Debt, dass "eine der Prioritäten des G7-Finanzstrangs unter der deutschen Präsidentschaft zwar darin besteht, nachhaltige Schuldenbehandlungen für schuldengefährdete Länder zu erreichen und die Umsetzung des Gemeinsamen Rahmens der G20 zu verbessern. Wir bedauern aber zutiefst, dass das Treffen der G7-Finanzminister im Mai 2022 und der G7-Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Juni 2022 nicht für ernsthafte und umfassende Diskussionen darüber genutzt wurden, wie die Umschuldungsprozesse einschließlich des Gemeinsamen Rahmens verbessert werden können. Während das Kommuniqué der G7-Finanzminister vom 19. Mai 2022 die Dringlichkeit anerkennt, den multilateralen Rahmen für die Umschuldung zu verbessern, sehen wir mit Besorgnis, dass keine konkreten Maßnahmen im Rahmen der G7-Möglichkeiten ergriffen wurden, während Appelle an die Beteiligung des Privatsektors an Umschuldungen nur wiederholt wurden, ohne dass eine Reforminitiative ergriffen wurde".

Inzwischen reiht Sambia sich in eine wachsende Liste afrikanischer Länder ein, die formell IWF-Programme beantragt haben. Unter den drei afrikanischen Ländern (Sambia, Äthiopien, Tschad), die den gemeinsamen Rahmen beantragt haben, ist Sambia das erste Land, das einen Schuldenerlass erhält. Die Bewilligung einer erweiterten Kreditfazilität in Höhe von 1,3 Mrd. Dollar durch den IWF für Sambia stieß auf gemischte Reaktionen seitens verschiedener Interessengruppen auf nationaler, regionaler und globaler Ebene. Die politischen Entscheidungsträger Sambias sind der Ansicht, dass mit Hilfe dieses Kredits bedeutende Erfolge zu erwarten sind.  Nach ihrer Ansicht wird Sambia in der Lage sein, seine nicht mehr tragbaren Schulden umzustrukturieren, die gesamtwirtschaftliche Stabilität wieder herzustellen und die Tragfähigkeit der Schulden zu gewährleisten.

Darüber hinaus will ein IWF-Programm das allgemeine Vertrauen in die Wirtschaft stärken, was die Budgethilfe, das Vertrauen der Investoren und die Kreditwürdigkeit Sambias erhöhen soll.  Die afrikanischen Bürgerinnen und Bürger haben jedoch Angst vor Sparmaßnahmen und wachsender Ungleichheit, die gewöhnlich mit IWF-Programmen einhergehen.

Die Schlüssel zur Lösung der Schuldenkrise

Die derzeitigen Initiativen zum Schuldenerlass, zur Umschuldung und zur Reprofilierung (d.h. ein hoch verschuldetes Land kann Gläubiger um Aufschub der Tilgung bitten), gehen nicht weit genug, um die strukturellen und systemischen Probleme der globalen Schuldenarchitektur anzugehen. Die Initiativen sind nach wie vor unzureichend, um einerseits den unmittelbaren fiskalischen Bedarf der Entwicklungsländer mit niedrigem und mittlerem Einkommen und andererseits auch die langfristige strukturelle Reform der globalen Schuldenarchitektur in Anbetracht der Entwicklung der Gläubigerlandschaft und der Verbreitung von Schuldtiteln anzugehen. Die derzeitigen Initiativen werden zudem durch die fehlende vollständige Beteiligung aller Gläubiger, d.h. der internationalen Finanzinstitutionen sowie der kommerziellen und privaten Gläubiger, untergraben.

Der Vorschlag der UNCTAD, der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung, eine internationale Schuldenbehörde für Entwicklungsländer einzurichten, die umfassende vorübergehende Zahlungsstopps überwachen und finanzielle Lecks wie illegale Finanzströme bekämpfen würde, findet im globalen Süden große Unterstützung. Ein globaler Ansatz für einen gerechten Übergang erfordert fiskalischen Spielraum und eine Umschuldung für die meisten Entwicklungsländer. Schuldentransparenz, gute Regierungsführung und die Zusammenarbeit zwischen Gläubigern und Schuldnern bleiben jedoch der Schlüssel zu jeder Lösung der Schuldenkrise.

Tirivangani Mutazu Afrodad, Harare

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