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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 02/2024
  • Marina Zapf

Weltweit verstreut: Diaspora-Gemeinschaften und ihre Funktion

In den globalen Wanderungsprozessen unterscheiden sich Diaspora-Gruppen durch ihr bleibendes Zugehörigkeitsgefühl zum Heimatland. Ihr Engagement bietet auch entwicklungspolitisch Potenzial.

Der Begriff Diaspora – altgriechisch für „Zerstreuung“ – bezeichnet Bevölkerungsgruppen, die fern von ihrer Heimat über mehrere fremde Länder verstreut als religiöse, nationale oder ethnische Minderheiten leben. Heute wird der Begriff überwiegend als Synonym für Gruppen von Migrierten verwendet, die aus demselben Herkunftsland stammen: vertriebene oder freiwillig migrierte Gemeinschaften der ersten oder späteren Generationen, die allerdings transnationale Verbindungen und Identitäten zu einem früheren Heimatland pflegen.

Ein zentrales Merkmal von Diaspora-Gemeinschaften ist somit der aktive und freiwillige Rückbezug auf diese Heimat in Form von Verbindungen zu Verwandten, aber auch durch politisches oder wirtschaftliches Engagement. Als Proxy für ihre Messung dienen Schätzungen über den internationalen Bestand an Migranten (s. Grafik). Insgesamt ist dieser in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich gestiegen – auch wegen größerer Konflikte wie in Syrien (2015) oder Venezuela (2020). Nur fünf Herkunftsländer stellen mit 58,7 Millionen Menschen ein Fünftel der weltweit verstreuten Migranten.

Die Annäherung über Auswandererpopulationen bleibt suboptimal, weil Diaspora-Gemeinschaften nicht nur Migrierte umfassen, sondern auch deren Nachkommen, und weil Diaspora sich über das Kriterium des Ortswechsel hinaus entscheidend über das Gefühl der Zugehörigkeit definiert. Einige Länder und internationale Organisationen haben Register über die im Ausland lebenden Staatsangehörigen oder führen anhand bestimmter Migrationskorridore Erhebungen, Kartierungen und Schätzungen zur Diaspora durch. Kein Land verfügt aber über umfassende Informationen – obwohl sich bekannterweise weltweit 200.000 Organisationen von Diaspora und Migranten formiert haben.

Die Positionierung zwischen Heimat- und Aufnahmeländern verleiht einer Diaspora einzigartige Chancen, aber auch Herausforderungen. In der Fachwelt gilt sie als bedeutsame Kraft für wirtschaftlichen Fortschritt in Entwicklungsökonomien. Sie biete eine wichtige Quelle von Kapital für die Heimat – vor allem in finanzieller Hinsicht, aber auch in menschlicher und sozialer Dimension, durch den Transfer von Informationen und Wissen. Ob dabei Vor- oder Nachteile von Brain Drain oder Brain Gain überwiegen, hänge stark von der Fähigkeit der Ursprungsländer ab, sich die Talente ihrer Exilgemeinden zunutzen zu machen, heißt es in einer übergreifenden Studie über die Ökonomie von Diaspora

Die meisten Länder mit einer signifikanten Auswandererzahl haben politische Programme für ihr Engagement entwickelt (Mahieu 2019). Als ein wegweisendes Beispiel gelten die Philippinen, wo ursprünglich eine Initiative des Präsidenten Auswanderer zum wirtschaftlichen Engagement ermutigte. Nach der in der Grafik dargestellten IOM-Erhebung verfügen etwa die Hälfte von 92 erfassten Ländern über Gesetze bezüglich der Diaspora oder Auswanderung; drei Viertel haben dafür eine eigene Behörde, mehr als ein Drittel binden die Diaspora formell in Entwicklungspläne ein; und etwa 50 Prozent erlauben der Diaspora die Beteiligung an Wahlen.

Auch afrikanische Herkunftsstaaten haben längst begonnen, Diaspora-Gruppen durch eigene Institutionen in ihre Politiken zu verankern. Die Afrikanische Union (AU) will Diaspora-Repräsentanten als "sechste Region" des Kontinents erfassen und rief ein Direktorat für Bürger und Diaspora-Gruppen ins Leben. Gemeinsame Interessen mit Aufnahmeländern zeichnen sich ab, wenn Herkunftsstaaten an der Einbindung von zivilgesellschaftlichen Diaspora-Engagement in Fragen der nachhaltigen Entwicklung, der humanitären Hilfe oder Friedensprozessen interessiert sind. So unterhält Frankreich eigene Entwicklungsprogramme. Die USA haben 2023 einen Advisory Council on African Diaspora Engagement gegründet. Die EU fördert mit der European Union Global Diaspora Facility ein Pilotprojekt zum entwicklungspolitischen Engagement der Diaspora.

Wirtschaftlicher Brückenschlag

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass sich der Handel zwischen der neuen und der alten Heimat von Migranten um so stärker intensiviert, je größer die Diaspora ist. So hat die albanische Exilgemeinschaft wesentlich dazu beigetragen, die landwirtschaftlichen Exporte aus dem Land zu steigern. Verschiedene Länder mit großen chinesischen Zuwanderergemeinden entwickelten über Jahrzehnte engere Handelsbeziehungen mit der Volksrepublik und erzielten dadurch ein erhöhtes Wirtschaftswachstum. Vergleichbare Ergebnisse erbrachten Studien über israelische Diaspora-Gemeinschaften. In beiden Fällen gilt die starke kulturelle Bindung zur ursprünglichen Heimat als bedeutender Faktor.

Verbindungen und Netzwerke von Unternehmern und Arbeitskräften in Ursprungs- und Aufnahmeländer gelten als ausschlaggebend für engere Handelsbeziehungen. Auswanderer sind häufiger in der Exportwirtschaft tätig als Einheimische, so eine Stude von 2020, obwohl ihr Weg in die Selbstständigkeit oftmals schwieriger ist. Doch können sie mit vorteilhaften Kenntnissen über Marktchancen und Geschäftspraktiken in ihrer Heimat punkten. Diaspora-Netzwerke haben so das Potenzial, Informations- und Kommunikationshürden leichter zu überwinden. Im Zeitalter der Digitalisierung gelte dies besonders für mittelständische Unternehmen.

Hohe Transaktionskosten gelten als Hindernis für stärkere Investitionen aus der Diaspora in Heimatländern, wobei die Bereitschaft zu investieren Forschungen zufolge stark von der Größe der Gemeinschaft und der anhaltenden kulturellen Nähe abhängt. Zugleich gibt es positive Korelationen zwischen aktiven Diaspora-Gemeinden und Freihandelsverträgen, wobei Freihandel Migration fördert, und Migranten-Gemeinschaften häufig politische Vereinbarungen mit vorantreiben.

Insgesamt gilt die Forschung in die wirtschaftliche Bedeutung von transnationalen Diaspora-Gemeinschaften als ausbaufähig. Am besten messbar sind Rücküberweisungen, die sich indes auch nicht zwischen Diaspora und anderen Formen der Migration unterscheiden lassen. Aber die so genannten Remittances erreichten formell und informell 2022 mindestens ein Volumen von geschätzten 1000 Mrd. Dollar, davon 647 Mrd. Dollar in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen.

Marina Zapf, Journalistin, berichtet seit 20 Jahren aus Berlin über Themen der Außen, Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik.
Marina Zapf Team Welternährung.de

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