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  • Agrar- & Ernährungspolitik
  • 08/2022
  • Dr. Viviane Yameogo, Dr. Juliet Kariuki

Unterfinanziert und vernachlässigt: Afrika will die Viehwirtschaft stärken

Der Fleischbedarf wächst, und Afrikas Agrarpolitiker schenken den Nutztieren mehr Beachtung. Aber ein Ausbau sollte nachhaltig sein und Kleinbauern nicht schaden. Ein Blick auf drei Länder.

Pastoralisten der Samburu haben Ziegen für den Verkauf vorbereitet. Viehhirten im Norden und in Küstengebieten Kenias werden seit Jahren von Dürre und Hunger heimgesucht. © FAO/Luis Tato 2017

Dem Nutztiersektor in Subsahara-Afrika werden perspektivisch erhebliche Veränderungen vorausgesagt. Die von der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) veröffentlichte Studie „Africa Sustainable Livestock 2050“ schätzt, dass die Nachfrage nach tierischen Lebensmitteln bis zum Jahr 2050 drastisch steigen wird – um 261 Prozent für Rindfleisch und um fast 400 Prozent für Milch. Diese „Revolution der Tierhaltung“ bietet Ländern beispiellose Möglichkeiten, ihre Volkswirtschaften anzukurbeln, ihre Devisenreserven zu erhöhen und die Armut zu verringern. Aber sie birgt auch das Risiko, Ressourcen der Umwelt, menschliche Gesundheit und ausgewogene Ernährung zu schädigen und die Ungleichheit zwischen Bevölkerungsgruppen zu vergrößern.

Damit die Entwicklung der Nutztierhaltung nachhaltig ist, müssen daher durchdachte zukunftsorientierte Strategien entwickelt werden. Außerdem bedarf es gezielter Investitionen in die Infrastruktur und in Institutionen, die an der Nutztierhaltung beteiligt sind.

Das Engagement für diesen Sektor wird durch mehrere politische Initiativen auf kontinentaler (AU IBAR), regionaler (COMESA, SADC, EAC, ECOWAS), nationaler und subnationaler Ebene unterstrichen. Darin werden übergreifende Rahmenbedingungen für die Entwicklung und Regulierung der Tierhaltung in Afrika formuliert. Trotz der Ratifizierung dieser regionalen und supranationalen Abkommen haben jedoch nur wenige Länder ihre Verpflichtung erfüllt, zehn Prozent des nationalen Budgets für die landwirtschaftliche Produktion (darunter die Viehwirtschaft) bereitzustellen. Kenia, Burkina Faso und Sambia, wo die Viehzucht eine herausragende Rolle spielt und einen bedeutenden Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) leistet, gehören zu den Ländern, die solche Abkommen unterzeichnet haben. Alle drei Länder bleiben dennoch hinter den Zielen des Kontinents zurück (mit jeweils 7,3 Prozent, 5,3 Prozent und 8,7 Prozent der Agrarausgaben für Burkina Faso, Kenia und Sambia).

In jedem Fall stellt sich die Frage, ob künftige politischen Vorhaben für die Tierhaltung in diesen Ländern allein die Vorteile der „Revolution der Tierhaltung“ nutzen wollen, oder ob sie auch versuchen werden, möglichst wenig Abstriche bei der Nachhaltigkeit zu machen, die ein deutlicher Ausbau der Tierproduktion mit sich bringen würde?

Agrarpolitik in Burkina Faso, Kenia und Sambia

Unsere Analyse der politischen Rahmenbedingungen für die Viehhaltung in diesen Ländern legt nahe, dass Produktivitätswachstum und Wettbewerbsfähigkeit des Sektors in Burkina Faso, Kenia und Sambia von oberster Bedeutung sind. Angestrebt wird die Intensivierung der Produktionssysteme und die Entwicklung der Infrastruktur für die Vermarktung und Kommerzialisierung entlang aller Stufen der Wertschöpfungskette der Viehzucht: Vom Einsatz von Betriebsmitteln und Dienstleistungen über die Erzeugung und den Handel bis hin zu Verarbeitung und Verbrauch.

Während das meiste in Kenia konsumierte Fleisch von Pastoralisten stammt, werden Tiere in Sambia eher in Ranchen gehalten. © FAO/Caroline Hungwe

Im Allgemeinen wurden für die gewünschte Steigerung der Produktivität verschiedene Strategien entwickelt, die von der Erhaltung tiergenetischer Ressourcen und ihrem Management bis zur Verbesserung der Tiergesundheit reichen und auch eine verbesserte Verfügbarkeit von Futtermitteln für Nutztiere umfassen. Um lokale Rassen und Arten zu erhalten, haben Kenia und Burkina Faso politische Maßnahmen ergriffen, darunter die Einrichtung einer Genbank. Jedoch fehlt es auf dem gesamten Kontinent dafür an Finanzmitteln.

Im Bereich der Tiergesundheit sollen vorrangig technische Mittel zur Bekämpfung und Verhütung von Krankheiten und Tierseuchen verstärkt genutzt werden, etwa breit angelegte Impfprogramme, oder die Einrichtung von Warnsystemen und Koordinierungswegen zur Früherkennung von Ausbrüchen. Gleichermaßen wird es politisch unterstützt, eine bessere Ernährung der Nutztiere sicherzustellen, indem Landwirten der Zugang zu hochwertigem Futter in ausreichenden Mengen erleichtert wird. Insgesamt zielt die Tierhaltungsstrategie in allen drei Ländern darauf ab, die Quellen von Tierfutter zu diversifizieren – etwa indem Weideressourcen mit Futterergänzungsmitteln wie Kraftfutter kombiniert werden. Andere Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Nutztierhaltung wollen den Sektor wettbewerbsfähiger und marktorientierter machen.

Neben diesen Bemühungen um eine höhere Produktivität und Kompetitivität haben die Staaten gleichermaßen flankierende Ansätze für eine nachhaltige Nutztierhaltung entwickelt. In unterschiedlicher Ausprägung schlagen die drei Länder Schritte gegen die Auswirkungen des Klimawandels vor. Insbesondere Kenia behandelt das Thema als ein eigenständiges, während Burkina Faso und Sambia den Klimawandel in ihren Einlassungen zwar als Bedrohung anerkennen, aber keine klare Strategie gegen die Auswirkungen entwickeln. Darüber hinaus werden Bedenken hinsichtlich der sozialen Auswirkungen von landwirtschaftlichen Strategien, insbesondere auf Frauen und marginalisierte Bevölkerungsgruppen, zwar in politischen Papieren erwähnt, aber es fehlen - mit Ausnahme von Kenia - konkrete Vorschläge zur Umsetzung.

Lücken, Probleme und der Weg nach vorn

Trotz klarer Zusagen, den Sektor Viehwirtschaft auszubauen, sind viele Ziele noch nicht ausformuliert – was die Gestaltung einer nachhaltigen „Revolution“ erschwert. Zum einen fehlen angemessene Finanzierungspläne. Zum anderen werden einige der entstehenden Zielkonflikte nicht ausreichend erkannt und benannt. Außerdem stellt der methodische Ansatz politischer Vorhaben in Sachen Tierhaltung wegen der begrenzten Beteiligung anderer Ministerien eine nachhaltige Transformation des Sektors an sich in Frage. Schließlich trägt die Tierhaltung nicht nur zum wirtschaftlichen Fortschritt bei, sondern spielt auch soziokulturell eine zentrale Rolle und kann auch die Umwelt zerstören. 

Die bisherige Unterfinanzierung des Agrarsektors – alle drei Länder verfehlen die empfohlenen zehn Prozent mit großem Abstand – ist auch ein schlechtes Vorzeichen für die manifeste Absicht, den Sektor zu transformieren. Denn konkrete Schritte zu einer umfassenderen Finanzierung sind nicht zu erkennen. Dies kann durch die vertrackten Probleme erklärt werden, die Volkswirtschaften in Afrika lähmen. Es zeigt aber auch die lange Vernachlässigung des Agrarsektors – und insbesondere der Viehzucht. Ein geringes Maß an Rechenschaftspflicht macht die Sache nicht besser: Politische Programme sind von Natur aus rechtlich nicht bindend, sondern eher eine Wunschliste mit „guten Praktiken“, die den Agrarsektor in eine bestimmte Richtung lenken sollen. Landwirte  haben keine rechtliche Handhabe, Entscheidungsträger für unerfüllte Versprechen zur Rechenschaft zu ziehen.

In Armut lebende Tierhalter (weniger als 2 Dollar/Tag) weltweit 2010

Überdies beschäftigt sich die Tierhaltungspolitik silo-artig eher mit einzelnen Sektorbereichen wie erhöhte Produktivität, Ernährungssicherheit, oder geringere Armut. Sie lässt mögliche zweischneidige Folgen dieser Politik sowie mögliche Kompromisse bei Zielkonflikten, jedoch außer acht, die Ernährungslagen, die Umwelt oder den gesellschaftlichen Zusammenhalt beeinträchtigen können. So kann die Entwicklung der Nutztierhaltung große Möglichkeiten für eine nährstoffreiche Lebensmittelversorgung bieten. Übermäßiger Verzehr tierischer Lebensmittel kann dagegen auch zu Fettleibigkeit führen – einem Problem der öffentlichen Gesundheit, das von politischen Entscheidungsträgern nicht ignoriert werden darf.

Strategien zur Bekämpfung von Mangel- und Überernährung sind in Kenia und Sambia von besonderer Bedeutung. In beiden Ländern leben mehr übergewichtige Erwachsene als unterernährte Kinder. Der Schutz vor Adipositas und Begleiterscheinungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden daher immer wichtiger. Zudem nimmt die Häufigkeit von Zoonose-Erkrankungen zu. Die Ernährung der Bevölkerung sollte daher nicht über die unabdingbare Kontrolle neu auftretender Gesundheitsprobleme gestellt werden, die die öffentlichen Haushalte stark belasten würden.

Risikofaktor Klima

Aus ökologischer Sicht sind es vor allem steigende klimaschädliche Treibhausgasemissionen, die einer ungeregelten Ausweitung der Tierproduktion entgegenstehen. Weitere Folgen sind Wasserverschmutzung, eine Bedrohung der biologischen Vielfalt und die Verschlechterung des Tierwohls. In Kenia und Sambia gibt es zwar Regeln zum Tierschutz und in Kenia auch zum Umgang mit Wildtieren, aber sonst werden die meisten identifizierten Zielkonflikte politisch nicht ausdrücklich angesprochen.

Der CO2- und Methan-Ausstoß hängt weitgehend von Fütterungsmethoden und dem Umgang mit Herden und deren Gülle ab. Die überprüften Strategien behandeln Tierernährung, Futtermittel und Fütterung zum größten Teil explizit, aber nur in Burkina Faso werden die wichtigen Ressourcen Land und Wasser ausdrücklich eingebunden. Es wäre wichtig, den Fokus stärker darauf zu legen, wie die Land- und Dungbewirtschaftung und Fütterungsstrategien besser aufeinander abgestimmt werden können. Nur dann können die Belastungen für die Umwelt im Zuge einer gesteigerten Viehproduktion minimiert werden.

Auch die mutmaßlich nachteiligen sozialen Auswirkungen bestimmter Strategien auf manche Bevölkerungsgruppen werden von den aktuellen politischen Konzepten vernachlässigt. So kann die Intensivierung der Viehzucht manche Bevölkerungsgruppen an den Rand drängen, die auf extensive Systeme angewiesen und auf den Übergang von einer informellen zu einer regulierten, marktorientierten Tierzucht schlecht vorbereitet sind. Dies kann zu Arbeitslosigkeit führen, wenn die Politik nicht Vorsorge trifft, um die überschüssigen Arbeitskräfte zu absorbieren.

Wenn sich die Formen der Tierhaltung ändern, kann das den Stand von Frauen in ihrem Haushalt verschlechtern, da sie die Kontrolle über Ressourcen verlieren und/oder aufgrund verwurzelter kultureller Normen von Erwerbstätigkeit ausgeschlossen werden. Außerdem können die Ernährung von Kindern und das allgemeine Wohlergehen der Haushalte leiden. Da politische Maßnahmen, die nur formelle Märkte fördern, die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtergruppen verstärken und somit nachteilige Folgewirkungen auslösen können, kann es von öffentlichem Interesse sein, informelle Viehmärkte auszubauen. Damit können Frauen in den Aufbau der Nutztierhaltung mit eingebunden werden, während zugleich Konzepte unterstützt werden, die die Geschlechterrollen innerhalb der Haushalte verändern und Gleichberechtigung stärken.

Kinder einer Halbnomadenfamilie melken die Kuh. Sie ist wichtig für die Ernährung, den Status, kann Mitgift sein – oder Sicherheit für einen Kredit. © FAO/Luis Tato 2020

Es zeichnet sich jedoch eine Vielzahl innovativer Ansätze bei der nachhaltigen Ausgestaltung einer wachsenden Viehwirtschaft auf dem Kontinent ab. Sie werden in den überprüften Richtlinien möglicherweise nicht deutlich hervorgehoben, sichern aber eine nachhaltige Bewirtschaftung eines expandierenden Sektors ab. Diese Innovationen zielen darauf ab, eine Priorisierung der dem Sektor zugewiesenen Geldmittel vorzunehmen (anhand eines Investitions- und Politik-Toolkits für die Tierhaltung). Damit sollen auch das Gesundheitswesen und die Behandlung tierverursachter Krankheiten integriert werden (One Health-Ansatz). Zusätzlich werden verschiedene marktorientierte Formen des CO₂-Emissionshandels gefördert.

In Subsahara-Afrika werden Nutztiere in ganz unterschiedlichen Bewirtschaftungsmethoden aufgezogen – sie haben aber überall wirtschaftliche, ernährungsphysiologische und soziale Funktionen. Während die Nutztierhaltung in Afrika von der Agrarpolitik historisch vernachlässigt wurde, zeugen die überprüften Dokumente zu dieser Thematik doch vom wachsenden Interesse afrikanischer Länder, diesen Sektor zu beleben. Da sich eine unregulierte Tierhaltung negativ auswirkt, müssen die agrarpolitischen Entscheider auf der Suche nach neuen Ansätzen eine komplexe Kombination von Faktoren beachten und neue Maßnahmen auf der Ebene des Produktionssystems erproben.

Während die Viehzucht auf der afrikanischen Agenda also prinzipiell nach oben rutscht, ist noch Luft für einen koordinierten sektorübergreifenden Ansatz, der die unterschiedlichen Funktionen der Viehhaltung berücksichtigt und zugleich die damit verbundenen ökologischen, gesundheitlichen und sozioökonomischen Zielkonflikte abmildert. In den Reformansätzen fehlen jedoch vorausschauende Strategien für aktuelle, aufkommende oder sich verschlimmernde Herausforderungen – wie Klimawandel, ein zunehmendes Auftreten von Krankheiten bei Tier und Mensch oder das Tierwohl. Sie müssen bei der Überprüfung bestehender Bedingungen klar definiert werden.

Der Bedarf für finanzielle Investitionen in Forschung und Entwicklung, zur Finanzierung von Reformen und zur Entwicklung oder Verbesserung einer angemessenen und geeigneten institutionellen Infrastruktur ist erheblich. Die unterfinanzierte Agrarpolitik ist auf Mittel aus ausländischen Quellen angewiesen. Doch haben die afrikanischen Länder beträchtliche politische Fortschritte in der Viehwirtschaft erzielt und können die Chance nutzen, von aufkommenden Innovationen für Methoden und Institutionen zu profitieren, um die erträumte „Revolution der Tierhaltung“ zu verwirklichen und gleichzeitig den Traum nicht zu zerstören.

Dr. Juliet Kariuki University of Hohenheim, Department of Social and Institutional Change in Agricultural Development
Dr. Viviane Yameogo University of Hohenheim, Department of Social and Institutional Change in Agricultural Development

Dieser Artikel basiert auf einem Bericht, der in den Hohenheim Working Papers on Social and Institutional Change in Agricultural Development erschienen ist: Kariuki, J., Yameogo, V., Daum, T., Birner, R., Chagunda, M. Do African livestock policies address sustainability trade-offs? Evidence from Kenya, Zambia, and Burkina Faso. Hohenheim Working Papers on Social and Institutional Change in Agricultural Development. 002-2022. Universität Hohenheim. Die Arbeiten sind Teil des „Programms Begleitforschung für Agrarinnovationen“ (PARI), das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert wird.

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